Protocol of the Session on April 15, 2010

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Abg. Ni kolaos Sakellariou SPD: Genau!)

und diese Qualifikation bei den Noten sozusagen vorzuzie hen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wozu?)

Allerdings wird nicht der reine Migrationshintergrund aner kannt –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Aber?)

das wäre zu wenig –, sondern die Zusatzqualifikation gilt dann, wenn z. B. eine Sprachkompetenz in der Muttersprache vorhanden ist bzw. wenn interkulturelle Fähigkeiten vorhan den sind.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Was verstehen Sie unter interkulturellen Fähigkeiten?)

Wir haben neuerdings gefordert, dass es z. B. in der Lehrer ausbildung Zertifizierungen geben muss, dass es möglich sein muss, solche Zusatzqualifikationen zu zertifizieren.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Es gibt sehr wohl intelligente Lösungen für die Frage, wie wir gerade auch dort, wo Migranten in extremer Weise unterre präsentiert sind, durchaus Möglichkeiten befördern können – kompatibel mit den Bestimmungen des öffentlichen Diensts –, um den Anteil von Migranten deutlich zu erhöhen.

Im Schuldienst ist es z. B. so: Eine Schule kann bei der Aus schreibung einer Stelle eine Zusatzqualifikation mit aufneh men und darum bitten, dass sich Personen mit dieser Zusatz qualifikation bewerben. Das kann z. B. bei der einen Schule, die ein besonderes Programm für männliche Jugendliche an bieten will, die Qualifikation Erlebnispädagogik sein. Es kann aber auch sein, dass die Schule einen hohen Anteil an Schü lern mit Migrationshintergrund hat. Dann ist es angemessen, dass diese Schule jemanden sucht, der einen Migrationshin tergrund hat. Eine türkischstämmige Lehrerin ist an einer Schule, an der 40 % der Jugendlichen türkischer Herkunft sind, ein unvergleichbarer Schatz für diese Schule und für die Förderung dieser Kinder.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Dagegen hat doch niemand etwas! – Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Bedarfsorientiert wird das praktiziert! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das verhindern wir doch gar nicht! Ermutigen Sie doch Einzelne dazu! Das ist der Punkt!)

Dann ist es doch prima, wenn eine solche Zusatzqualifikati on diesen Menschen ermöglicht, mit einem um zwei oder drei Zehnteln schlechteren Notendurchschnitt bevorzugt zu wer den.

Fazit: Wir sollten alle Möglichkeiten nutzen. Wir sollten die se Möglichkeiten auch offensiv nutzen. Wir leben in einer Ein wanderungsgesellschaft.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Die Menschen in unserem Land sind ein Reichtum für unse re Gesellschaft. Also sollten wir auch solche Möglichkeiten, die man vielleicht noch etwas differenzieren kann, nutzen. Deshalb bitten wir Sie darum, auch Abschnitt II Ziffer 4 un seres Antrags zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Innenminister Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich einen Stan dardsatz von mir voranstelle. Er ist ebenso einfach wie plau sibel. Er lautet: Zur Integration all derer, die auf Dauer bei uns bleiben wollen und auf Dauer bei uns bleiben dürfen, gibt es keine Alternative.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Diese Integration müssen wir schaffen. Das ist eine große Auf gabe, das ist eine Daueraufgabe, das ist eine zentrale Aufga be in einer pluralistischen Gesellschaft. Aber sie bedarf An strengungen beider Seiten.

Da gibt es vieles, was wir tun müssen und tun können. Ein wichtiger Gesichtspunkt wird mit diesem Antrag angespro chen. Das will ich durchaus anerkennen: Integration braucht Vorbilder.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Richtig!)

Ich glaube, es gibt kaum etwas Wirkungsvolleres als Vorbil der.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ja! – Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Für junge Menschen!)

Vor allem für junge Menschen, natürlich. Angesichts der Tatsache, dass 25 % der Baden-Württemberger einen Migra tionshintergrund haben, gewinnt dieser Satz umso mehr an Bedeutung.

Die Integration dieses Personenkreises bleibt eine zentrale Zu kunftsaufgabe. Dieser Aufgabe wird sich die Landesregierung auch weiterhin sehr engagiert annehmen. Ich verweise hierzu nur auf den unter der Federführung des Kollegen Dr. Goll er stellten und von der Landesregierung beschlossenen Integra tionsplan aus dem Jahr 2008. Darin wurde ganz klar die inter kulturelle Öffnung der Verwaltung verankert. Sie wurde zu den wichtigsten integrationspolitischen Leitlinien gezählt. Dies ist so.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Bundesweit vor bildlich!)

Dass die Gewinnung von Migrantinnen und Migranten als Be schäftigte der Landesverwaltung eine Daueraufgabe ist, ver steht sich von selbst. Dieser Aufgabe kommen wir effektiv und mit zunehmendem Erfolg nach. Aber es ist ein langer Weg, bis wir dort hinkommen, wo wir hinkommen wollen.

In erster Linie will ich aus meinem Ressortbereich, weil es angesprochen wurde, die Einstellung von ausländischen Staatsangehörigen in den Polizeivollzugsdienst nennen. Dort haben wir mit diesem Weg gute Erfahrungen gemacht. Ich re de nicht von Polizeibeamten mit Migrationshintergrund, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sondern ich rede aus drücklich, weil das ein hochsensibler Bereich ist, von auslän dischen Staatsangehörigen im Polizeivollzugsdienst. Da trägt die schon viele Jahre sehr intensiv gepflegte Nachwuchsarbeit Früchte. Sie sieht vor, für nicht deutsche Bewerberinnen und Bewerber bei der Einstellung Ausnahmen von der Vorausset zung der deutschen Staatsangehörigkeit zuzulassen. Das ist natürlich auch in verfassungsrechtlicher und überhaupt in rechtlicher Hinsicht ein sensibler Bereich.

Konkrete Zahlen dazu können Sie der Stellungnahme zu Ih rem Antrag entnehmen. Ein Jahr nach Abfassung der Stellung nahme will ich diese Zahlen nun aktualisieren, denn die Ent wicklung ist erfreulich. Vor einem Jahr waren es 137 Bewer ber, und jetzt, im März 2010, waren es insgesamt 150 Bewer ber mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die in den Voll zugsdienst der Polizei eingestellt wurden. Die größte Gruppe unter ihnen stellen mit 67 Personen die türkischen Staatsan gehörigen dar. Dann folgen 44 Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Allerdings will ich betonen, dass natürlich auch bei Bewer bungen von Migrantinnen und Migranten die rechtlichen Vor gaben zu beachten sind. Diese ergeben sich aus Artikel 33 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dieser ist Maßstab und muss es auch bleiben. Danach erfolgt der Zugang zum öffentlichen Dienst nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Vorgaben für eine systematische Erhöhung des Anteils an Be schäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst wären folglich mit den verfassungsrechtlichen Anforderun gen und auch mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht vereinbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit der Vorlage der Stellungnahme zu dem Antrag der Grünen hat die Stabsstelle für Integration beim Justizministerium ihre konzeptionellen Arbeiten weiter vorangetrieben. Diese gehen von dem Be schluss des Kabinettsausschusses Integration vom April 2009 aus. Da wurde ein Konzeptentwurf „Interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung“ vorgelegt. Dieser wird derzeit bei den im Kabinettsausschuss vertretenen Ressorts beraten und ab gestimmt. Dort werden u. a. ganz konkrete Maßnahmen ge nannt, die zur Realisierung der interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung möglich und sinnvoll wären.

Als Beispiel will ich im Bereich der Personalgewinnung eine Werbekampagne für Schüler und bei Schülern nennen. Sie zielt darauf ab, durch den Einsatz von Informationsmaterial, durch Besuchsprogramme und Informationsveranstaltungen Jugendliche mit Migrationshintergrund gezielt für den öffent lichen Dienst zu gewinnen.

Migrantinnen und Migranten können für eine Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung auch darauf angewiesen sein, dass

ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen bei uns anerkannt werden. Dazu hat im Oktober 2009 eine öffentliche Anhörung der Landesregierung stattgefunden. Als Ergebnis dieser An hörung erarbeitet die Stabsstelle für Integration – ich habe es eben erwähnt – gegenwärtig ein ganzes Maßnahmenbündel, das auf eine Vereinfachung dieser Anerkennungspraxis ab zielt. Die Stabsstelle hat weiter im November 2009 in Zusam menarbeit mit der Evangelischen Akademie Bad Boll, dem Diakonischen Werk Württemberg und dem Bundesamt für Mi gration und Flüchtlinge eine Tagung zum Thema „Interkultu relle Öffnung – von der Notwendigkeit interkultureller Öff nung in öffentlichen Verwaltungen und Wohlfahrtsverbänden“ abgehalten.

Auch im Bereich des Kultusministeriums, Frau Kollegin Rastätter, wird das Ziel, Lehrer mit Migrationshintergrund zu gewinnen, konsequent weiterverfolgt. Ich verweise auf die Lehramtsstudiengänge für die Grund-, Haupt-, Werkreal- und Realschulen. Studieninhalte zur interkulturellen Bildung sind da verbindlich vorgesehen.

Meine Damen und Herren, angesichts der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, konnte ich nur einige Entwicklungen aufzeigen, die sich seit der vor einem Jahr abgegebenen Stel lungnahme zu dem Antrag der Grünen vollzogen haben. Als Fazit bleibt aber festzuhalten: Die Landesregierung hat sich die interkulturelle Öffnung der Verwaltung nicht nur auf ihre Fahnen geschrieben, sondern sie arbeitet auch kontinuierlich an ihrer Umsetzung.

Wir sind dabei auf einem guten Weg. Bislang haben wir gute Erfahrungen gesammelt. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir quantitativ noch schneller vorankommen. Aber wir müssen darauf achten, dass wir die gesetzlichen Vorgaben und die verfassungsmäßigen Grenzen einhalten. Alles, was wir tun können, um Nachwuchskräfte mit Migrationshintergrund zu gewinnen, tun wir.

Ich denke dabei nur an die vielen Dutzend Präventionspro gramme der Polizei, an kommunale Kriminalprävention, bei denen viele Jugendliche mit Migrationshintergrund erstmals mit der Polizei in Berührung kommen. Dabei lernen die Ju gendlichen die Polizei von einer ganz anderen Seite kennen und öffnen sich so dem Gedanken, später selbst einmal zur Polizei zu gehen.

Wir tun in diesem Bereich alles, und wir tun es erfolgreich. Natürlich könnte man sich immer noch viel mehr wünschen. Aber, wie gesagt: Es bedarf Anstrengungen beider Seiten.

Außer Anstrengungen gibt es auch noch etwas anderes, näm lich Motivation. Antrieb und Motivation entspringen in ho hem Maß Vorbildern.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Es gibt sie auf vielen Ebenen, z. B. auf sportlichem und auf musikalischem Gebiet. Denken Sie an die vielen jungen hoch begabten Musikerinnen und Musiker. Gerade bei den Spät aussiedlern sehe ich sie immer wieder. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe, die für uns eine Daueraufgabe ist und bleiben wird, hilft Motivation sehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Herr Sakellariou, bitte, wenn Sie noch einmal sprechen wollen.

Herr Präsident, meine Da men und Herren! In meiner Restredezeit habe ich nur noch zwei kurze Anmerkungen. Genau um das Stichwort Anstren gung geht es. Der Grund, warum die Grünen diesen Antrag gestellt haben, war nämlich, dass wir beobachten können – das ist das Drama –, dass jemand mit Migrationshintergrund trotz gleicher Qualifikation wie jemand ohne Migrationshin tergrund oft genug hinten herunterfällt. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen.

Es kommt noch ein zusätzlicher Gesichtspunkt hinzu: Wir können feststellen, dass die Studierbereitschaft von Menschen mit Migrationshintergrund erheblich höher ist als die Studier bereitschaft von Menschen ohne Migrationshintergrund. Das heißt, es kommt noch hinzu, dass wir dort ein zusätzliches Po tenzial haben, das es auszuschöpfen gilt.

Frau Rastätter, noch einmal dazu, warum wir Abschnitt II Zif fer 4 Ihres Antrags nicht zustimmen können. Das will ich be gründen. Sie haben zu Recht gesagt: zusätzliche Kompeten zen, interkulturelle Fähigkeiten berücksichtigen. Das ist alles in Ordnung. Aber in Ihrem Antrag steht: Sie sollen nicht nur als „zusätzliche Kompetenz anerkannt werden“, sondern auch – jetzt kommt die entscheidende Aussage – „anstelle anderer Voraussetzungen treten können“. Diese Aussage kann ich nicht mittragen, weil ich das Problem sehe, dass wir dadurch genau dahin kämen, dass jemand, der diese Qualifikationen gar nicht erwerben kann, benachteiligt würde. Das möchte ich vermeiden.