Protocol of the Session on October 11, 2006

Ich sage Ihnen eines: Egal, wohin man auf diesem Globus schaut, und auch dann, Herr Schmid, wenn man zwischen tatsächlicher und nominaler Steuerlast differenziert, gilt: Menschen und Kapital in dieser einen Welt sind mobil. Immer mehr Leistungsträger, auch einkommensteuerpflichtige, verlassen dieses Land, und deren Ertragskraft für unser Steuersystem geht der Republik genauso verloren,

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

wie es bei Betrieben der Fall ist, die abwandern, oder bei Leuten, die einfach nicht mehr selbst unternehmerisch tätig werden. Wir müssen die Diskussion auch unter dem Aspekt führen, dass eine Steuervereinfachung auch Leistungsgerechtigkeit im Umgang des Staates mit seinen Bürgern bedeutet.

Auch der Finanzpolitiker Metzger, der Finanzpolitiker Schmid, der Finanzpolitiker Herrmann und wie sie in diesem Haus alle heißen, müssen ein Interesse hieran haben und müssen den Leuten sagen: Wenn ihr vom Staat eine vernünftige Bildung und eine vernünftige Infrastruktur wollt, wenn ihr innere und äußere Sicherheit sowie ein soziales Zusammenleben in der Gesellschaft garantiert haben wollt, dann müsst ihr dem Staat auch etwas geben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Nur wir Deutschen sind so bescheuert, dass wir mit unserem Steuerrecht nominal hohe Tarife generieren, unter der Hand für die Betroffenen Ausnahmen machen, wenn es einmal brennt, und uns am Schluss wundern, wenn niemand mehr durchblickt, wenn Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ein ordentliches Geschäft machen,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Und die Fi- nanzämter!)

aber ansonsten die Gesellschaft unzufrieden ist. Das ist der falsche Weg. Hier hoffe ich darauf, dass sich gesellschaftlich an dieser Baustelle doch noch einmal etwas ändert.

Ein letzter Satz von mir an die Adresse der Großen Koalition: Sie – SPD und Union – haben mit der Mehrwertsteuererhöhung im Januar 2007 auch der steuerpolitischen Reformagenda einen Bärendienst erwiesen. Wissen Sie, warum? Ich nenne Ihnen ein Argument, das in der öffentlichen Debatte zur Mehrwertsteuererhöhung eigentlich nie eine Rolle spielte: Die Verbrauchsteuern in Deutschland – die Mehrwertsteuer beträgt bislang 16 % – sind im internationalen Vergleich noch unterdurchschnittlich. Alle Steuerreformmodelle hatten ganz klar vorgesehen, die direkten Steuern für Unternehmen und Arbeitnehmer zu senken und dafür die Verbrauchsteuern zu erhöhen, weil diese investitionsneutral sind.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Frau Bauer ist anderer Meinung! – Gegenruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Warten Sie doch erst einmal ab! – Ge- genruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Keine Ei- nigkeit in der grünen Fraktion!)

Wenn man sich das jetzt anschaut, wird deutlich: Sie haben die 3 % verprasst, und zwar haben Sie sie überwiegend nicht für eine Steuerstrukturreform oder die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet, sondern sie zu zwei Dritteln als Haushaltseinnahmen dem Bundeshaushalt zugeführt. Das finde ich beschämend; und das hat letztendlich Herrn Kirchhof und sein Konzept für lange Jahre in Deutschland unmöglich gemacht. Denn wenn Sie jetzt den gleichen Weg noch einmal wählen wollen und ab Januar nächsten Jahres auf die 19 %-ige Mehrwertsteuer noch einmal eine höhere indirekte Steuerlast drauflegen, dann wird hierbei innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre niemand in der Gesellschaft mehr mitmachen, weil wir bei den Verbrauchsteuern in Europa jetzt durchaus im oberen Mittelfeld angekommen sind. Das ist ärgerlich, und es ist das Gegenteil einer vernünftigen Steuerstrukturdebatte in Deutschland.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn man konkret wird, Herr Schmid, dann sieht man im Laufe der Jahre, dass es, wenn man steuerpolitisch über die Lager hinaus denkt, ganz schön kompliziert wird. Wir hatten in der Zeit der rot-grünen Regierung als Grüne mächtig Probleme mit der SPD, weil wir – z. B. nenne ich hier Christine Scheel – beispielsweise bei der Erbschaftsteuer ein Privileg beim Betriebsübergang wollten. Wir wissen nämlich aus der Praxis, dass das eine Reihe von Unternehmen betrifft. Im Jahr gibt es in Deutschland ungefähr 70 000 Unternehmensübergänge durch Erbfall mit 680 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir haben, auch als Grüne, natürlich ein Interesse daran, dass diese Betriebe nach dem Tod der ursprünglichen Gründer möglichst weitergeführt werden.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Aber bisher war die Erbschaftsteuer doch kein Problem!)

Die Stundung der Erbschaftsteuer – wir haben immer das britische Modell als Referenzmodell in der Debatte herangezogen – war jedoch eine ganze Zeit lang unmöglich, weil in den Köpfen vieler Politiker wohl der Eindruck vorherrschte, der Unternehmer wolle zulasten des Steuerzahlers immer nur die schnelle Mark machen. Dieses Denken halte ich für extrem wirtschaftsfeindlich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Man kann nicht den Begriff „Politik für den Mittelstand“ im Mund führen und immer wieder darauf hinweisen, wie viele Mittelständler Zehn-, Zwölf- oder Vierzehnstundentage schieben, und dabei stets deren persönliches Risiko betonen, und gleichzeitig diesen Unternehmern durch die Gesellschaft eine Rechnung präsentieren, die lautet: „Nur, weil ihr irgendwann einmal Arbeitsplätze geschaffen habt, habt ihr auf Dauer diesen Menschen einen Rechtsanspruch auf Beschäftigung zu bieten“ – ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass deren Wertschöpfung auch auf der Basis ihrer Arbeitsleistung erfolgt.

In diesem Sinn sind wir als Grüne wirklich Mittelständler, und wir haben in der Fraktion Gott sei Dank auch selbst einige Mittelständler, die wissen, wie das funktioniert.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Wir auch!)

Sie auch, das weiß ich.

(Abg. Ute Vogt SPD: Die CDU hat nur Bürger- meister und Landräte! – Gegenrufe von der CDU)

Ich will Sie jetzt nicht an die Wand reden. Ich kenne ja die Strukturen und weiß, wo innerhalb des Parlaments die Beamten am stärksten vertreten sind. Das ist in der Regierungsfraktion der CDU der Fall; das ist keine Frage. Bei uns in der Opposition insgesamt und natürlich auch bei den Liberalen ist das etwas besser.

(Zurufe)

Ich appelliere aber noch einmal an uns alle als Legislativorgan: Wir sollten ein bisschen den gesunden Menschenverstand einschalten. Die Gesetzgebungskompetenz im Steuerbereich, Herr Stratthaus, ist nun einmal eine Kompetenz des Bundes, insofern haben wir heute eine typische Debatte – wenn auch auf Antrag der Fraktion der CDU –, bei der man

Bundespolitik im Landtag diskutiert. Das ist das gute Recht des Landtags, aber im Prinzip ist es ein bisschen L’art pour l’art, was wir hier betreiben; das weiß auch ich.

Trotzdem: Wenn wir in den Steuerabteilungen weniger Juristen und mehr Ökonomen hätten,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

die auch die ökonomischen Auswirkungen des Steuerrechts betrachten würden, dann wäre die Ergiebigkeit unseres Steuersystems eine andere als die, die wir haben.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das gilt für alle Berei- che!)

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die bei der Unternehmensteuerreform eingeschlagene Richtung stimmt ja, aber es ist noch viel zu viel ungeklärt. Unternehmen brauchen jedoch Sicherheit, zum Beispiel in Bezug auf Vertragsgestaltungen oder auf ihre Jahresabschlussstrategien. Deswegen wäre es höchste Zeit, dass endlich Klarheit herrscht. Vor allem aber kommen die Aktionen, auch im Interesse der Finanzen des Landes und unserer Kommunen, viel zu spät und zu zögerlich.

Der Kollege Schmid hat nun für die Kommunalsteuern ein Modell vorgetragen, das Sie bei der FDP schon lange nachlesen können. Auch was Kollege Metzger gesagt hat, steht bei uns schon lange in Programmen und Entwürfen.

(Widerspruch bei der SPD – Abg. Wolfgang Drex- ler SPD: Das kann nicht sein!)

Ich hoffe ja, dass man, wenn man schon uns nicht glaubt, es dann wenigstens ihm jetzt glaubt. Dann wäre doch der Sache gedient.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Was bei Ihnen in Pro- grammen steht, ist doch völlig irrelevant! Sie set- zen es doch nicht um!)

Kollege Herrmann hat von Steuerausfällen gesprochen, ebenso der Herr Finanzminister. Warum dieser fehlende Mut? Es weiß doch jeder: Erst, wenn man endlich etwas tut, wird sich etwas bewegen. Steuerausfälle wird es ohnehin geben. Ich erinnere mich noch: In einem meiner ersten Jahre hier in diesem Landtag hat die Kollegin Kipfer erklärt, bei einer Steuerreform würden so viele Steuern ausfallen, dass wir das nicht machen könnten. Schon ein Jahr später hat der damalige Finanzminister Mayer-Vorfelder gesagt: Genau diese Steuerausfälle haben wir, obwohl nichts gemacht wurde, nun trotzdem gehabt.

Genauso passiert das jetzt mit dem Hinausschieben der Erbschaftsteuerreform. Es ist ganz klar, Herr Kollege Schmid, auch wenn Sie das nicht glauben: Eine ganze Reihe von Unternehmen werden nicht weitergeführt werden können.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das ist eine reine Be- hauptung! Die Studien besagen etwas anderes!)

Sie sagen, die zahlen keine Erbschaftsteuer. Was glauben Sie, was heute ein normaler Mittelbetrieb eigentlich an Betriebskapital hat? Das liegt, wenn es ein einigermaßen vernünftiger Vier- bis Fünfmannbetrieb ist, weit jenseits der Freibeträge. Der hat heute größere Investitionen.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Sie haben auch die Stundung!)

Wenn die Unternehmen nicht weitergeführt werden, dann hat das Auswirkungen auf die Umsatzsteuer, auf die Lohnsteuer,

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Aber es ist noch kei- nes pleitegegangen!)

auf die Sozialkassen und auch auf die Gewerbesteuer.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Können Sie mir eines zeigen, das wegen der Erbschaftsteuer pleitegegan- gen ist?)

Dann wurde als weiteres Argument angeführt, dass ja die meisten mittelständischen Unternehmen gar nicht die 42 % zahlen, sondern nur 15 %. Es wurde angesprochen: Ab 100 000 € zahlt man 42 %. Jetzt frage ich Sie: Was ist das denn für ein Einkommen für eine Führungskraft? Wer ist denn heute noch bereit, sich für weit unter 100 000 € rund um die Uhr die ganze Woche hinzustellen?

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Landtagsabgeord- nete!)

Das ist die eine Ausnahme, genau! Aber von unseren Unternehmern erwarten wir es und sagen dann noch: Wir müssen im Steuerrecht nichts ändern, die zahlen ja eh so wenig. Das ist ja das Trauerspiel, dass unsere Unternehmen heute so wenig verdienen, dass sie keine Steuern mehr zahlen. Wir müssen es endlich schaffen, dass sie wieder Geld verdienen dürfen.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Aber sie sollen nicht an der Steuer verdienen!)

Dann geht es dem Staat und den Unternehmen gut, und wir haben Arbeitsplätze.