Protocol of the Session on October 11, 2006

Damit ist die Große Anfrage erledigt und Tagesordnungspunkt 5 abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Lehrerbedarfsplanung – Drucksache 14/157

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Für die SPD-Fraktion erhält Herr Abg. Bayer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ermittlung des künftigen Bedarfs an Personal ist für jedes Unternehmen eine der zentralen Aufgaben. Das scheint in der Schulpolitik in BadenWürttemberg anders zu sein. Hier findet eine umfassende Lehrerbedarfsplanung, die diesen Namen wirklich verdienen würde, nicht statt. Auf unsere zahlreichen Anfragen hin wird eher mit Zahlenakrobatik geantwortet und hier einmal ein Engpass in der Lehrerversorgung eingeräumt, dort einmal davon gesprochen, dass an beruflichen Schulen auch nicht originär ausgebildete Lehrkräfte unterrichten können.

Auf unsere ganz konkreten Fragen, wie viele Lehrkräfte für die jeweiligen Schularten in den nächsten fünf Jahren benötigt werden, wie viele Ersatz- und Neueinstellungen zu welchem Zeitpunkt erfolgen, gibt es nur allgemeine Hinweise, dass der Einstellungsbedarf in den kommenden Jahren von der Stellenentwicklung und der Zahl der durch Pensionierungen frei werdenden Stellen abhänge. Keine Angaben zu der von unserer Fraktion immer wieder geforderten Entlastung der Schulleitungen mit den entsprechenden Konsequenzen für die Personalstruktur an den Schulen, keine An

gaben zum zusätzlich notwendigen Personal beim Ausbau der Ganztagsschulen!

Meine Damen und Herren, das wären Beispiele für eine Bedarfsentwicklung, bei der nicht nur quantitativ vorgegangen wird, sondern auch inhaltliche Parameter zugrunde gelegt werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Ermittlung von Bedarf ist mehr als reine Zahlenakrobatik, und sie ist auch mehr als die rein lineare Verlängerung der Gegenwart in die Zukunft. Bedarf kann nur fachpolitisch und nur entlang inhaltlicher Festlegungen und zukunftsgerichteter Leitlinien ermittelt werden. Auch die Bedürfnisse der Akteure müssen hierbei eine Rolle spielen. Ich weiß natürlich, dass Bedarf und Bedürfnisse nicht dasselbe sind. Aber die Bedürfnisse von Schülern, von Lehrern, von Eltern müssen eben auch in eine Bedarfsbestimmung eingehen, genauso wie die Einschätzungen und die Forderungen aus Wirtschaft und Wissenschaft über die zukünftige pädagogische und strukturelle Notwendigkeit, über Auswirkungen veränderter Klassengrößen, über Konsequenzen aus neuen Unterrichtsformen, über Auswirkungen veränderter Schulstrukturen, über neue Verzahnungen an den Schnittstellen Elementarbereich und berufliche Bildung – um nur einige inhaltliche Aspekte zu nennen. Nichts davon kann ich erkennen.

Zwischenzeitlich ist nun Ihre Form der Lehrerbedarfsplanung zusätzlich noch Opfer der Haushaltssanierung geworden. Auf einmal werden zur Haushaltssanierung nun doch rechnerisch frei werdende Lehrerstellen herangezogen. 521 Stellen sollen wegfallen. Das, meine Damen und Herren, klang vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders.

Ministerpräsident Oettinger sagte in seiner Regierungserklärung vom 21. Juni dieses Jahres:

Hier sparen wir nicht, wenn die Schülerzahl zurückgeht. Wenn die Mittel und die Zahl der Lehrerstellen gleich bleiben, kommen in Baden-Württemberg Bildung, Erziehung und Betreuung besser voran.

Oder Kultusminister Rau am 3. August dieses Jahres:

Ich bin der Auffassung, dass angesichts der bildungspolitischen Herausforderungen dieser Legislaturperiode eine Streichung von Lehrerstellen noch nicht möglich ist.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Da schau her!)

Das gilt alles nicht mehr. Man kann das nun Wahlbetrug nennen – in jedem Fall ist es ein Vorgang, den sich unser Land nicht leisten kann.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es ist einigermaßen grotesk, wenn zur Begründung hierfür auf veränderte Prognosen bei den Schülerzahlen verwiesen wird. Nach der neuesten Vorausschau vom Juli dieses Jahres liegt die prognostizierte Schülerzahl insgesamt lediglich um 2 300 Schüler niedriger als bei der Prognose, die im Wahlkampf und danach bei der Regierungserklärung zugrunde gelegt wurde – ein Minus von 0,18 %. Es ist nicht

nachvollziehbar, wenn mit dieser Differenz der Wegfall von 521 Lehrerstellen zu legitimieren versucht wird.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Alle wesentlichen Daten zum Schülerrückgang waren bekannt, als die Landesregierung ihr Versprechen abgab, in dieser Legislaturperiode alle rechnerisch frei werdenden Lehrerstellen für Bildungsmaßnahmen zu verwenden und keine einzige Stelle zu streichen – und dies aus gutem Grund. Denn die Landesregierung hat in den letzten Jahren genügend Baustellen hinterlassen: 2,8 Millionen ausgefallene Unterrichtsstunden, ein unzureichendes Angebot an Ganztagsschulen, zum Teil erschreckend große Klassen – meine Damen und Herren, hier kann man nicht sparen. Wir brauchen jede frei werdende Lehrerstelle, um die dringend notwendige Weiterentwicklung des Schulwesens, und zwar einschließlich der Schnittstellen zum Elementarbereich und zur beruflichen Bildung, voranzutreiben.

Dabei sind weiter gehende Aufgaben wie zum Beispiel die Schulsozialarbeit noch gar nicht genannt. Ja, auch Schulsozialarbeit ist unserer Ansicht nach integraler Bestandteil von schulischer Arbeit. Da muss das Land eher wieder einsteigen, als sich dauerhaft davon zu verabschieden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Erlauben Sie mir an dieser Stelle – weil ich keine Gelegenheit auslasse, dies zu betonen – den Hinweis: Die Mittel für ein breites psychosoziales Unterstützungssystem sind nicht nur Kosten, sondern sie sind Investitionen in die Zukunft.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Denn gerade hierdurch können erhebliche Folgekosten aufgrund gescheiterter Schul- und Berufskarrieren vermieden werden.

Ich fasse zusammen: Bedarfsentwicklung in einem so wichtigen Politikfeld mit so großen Herausforderungen setzt klare Ziele und eine echte Reformperspektive voraus. Baustellen und Modelle allein sind aber keine Reformpolitik. Die Landesregierung betont beispielsweise, bis zum Jahr 2015 40 % der Schulen zu Ganztagsschulen ausbauen zu wollen. Gut so! Dieses Ziel bleibt aber nebulös, solange nicht klare Aussagen gemacht werden, zu welchem Zeitpunkt, mit welchen Schritten, mit welchem Personalaufwand und welchen Qualitätsanforderungen ein solcher Ausbau erfolgen soll. Antworten auf diese Fragen wären Bedarfsplanung, die ihren Namen verdient.

Ich bedanke mich bei Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Kollegin Lazarus von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ein Antrag zum Thema Lehrerbedarf bzw. Lehrerbedarfsplanung wird nicht zufällig Ende Juli gestellt, sodass die Stellungnahme rechtzeitig zum Schuljahresbeginn vorliegt. Die Stellungnahme umfasst logi

scherweise seitenweise Zahlentabellen, offensichtlich aber immer noch nicht genügend. Die Zahlentabellen sind interessant, und sie sind interpretierbar. Es ist von vornherein klar, dass die Oppositionsfraktionen fristgerecht zum Schuljahresanfang höchst kritisch mit diesen Tabellen umgehen. Das ist die Intention des Antrags; dagegen ist nichts einzuwenden.

Aber die Antworten und die Zahlen geben kaum etwas her, was wirklich kritikwürdig ist. Welche Enttäuschung für den Antragsteller! Die SPD nimmt also den Berichtsantrag, um vieles, was alljährlich wiederholt wird, auch in diesem Jahr als neu zu verkaufen: Es werde nicht genügend auf die Altersstruktur der Lehrer und die hohe Zahl der Pensionierungen eingegangen und nicht für entsprechenden Nachwuchs gesorgt. Die Zuordnung auf die Schularten sei eine Sozialauslese. Das haben wir schon oft gehört.

(Abg. Ute Vogt SPD: Dann merken Sie es sich doch einmal! – Zuruf von der SPD: Und handeln danach!)

Die Klassen seien zu groß, haben wir eben wieder gehört. Ich will nur darauf hinweisen, dass es sehr interessante wissenschaftliche Aussagen gibt, wonach in Ländern mit sehr großen Klassen, z. B. in Tschechien, die Ergebnisse in den Klassen hervorragend sind – etwa durch PISA für den Mathematikunterricht ermittelt –, oder dass in Italien, wo die Klassen extrem klein sind und viel Geld aufgewendet wird, die Ergebnisse gar nicht gut sind.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Was wollen Sie uns da- mit sagen?)

Natürlich sind kleine Klassen bequem für die Lehrer. Aber es ist nicht wissenschaftlich erwiesen, dass kleine Klassen mit besseren Schülerleistungen in Zusammenhang stehen.

(Zuruf von der SPD: Was sind Sie von Beruf?)

Die Grundschule soll sechs Jahre umfassen. Das haben wir schon oft genug gehört. Gerade eben haben wir zudem gehört, die Schulsozialarbeit solle integrierter Bestandteil sein und damit auch vom Land getragen werden. Wir haben den Kommunen vor Jahren gesagt, dass sie bei Einführung der Schulsozialarbeit drei Jahre lang einen Zuschuss bekommen. Das hat jede Kommune gewusst; das haben wir eingehalten, und die Schulsozialarbeit war dennoch nie integriert. Diese Liste ist beliebig fortzusetzen, aber sie ist weder spektakulär noch neu. Sie will zu Schuljahresanfang etwas Aufmerksamkeit erregen.

Was aber ist im Jahr 2006 Realität? Wir haben 5 000 junge Leute, die ihren Dienst in der Schule gerade beginnen, und wir haben 3 300 Pensionierungen, für die junge Leute nachrücken. Wir haben zwei Stunden – ich nenne nur ein Beispiel – im Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, die zusätzlich gehalten werden, was von allen gewollt war. Jedes Jahr – auch in diesem Jahr – entstehen neue Ganztagsschulen. Wir haben vorhin darüber geredet, dass wir diesen Weg weitergehen werden. Wir haben die Instrumente für Evaluation, die erprobt und eingeführt werden. All das eignet sich also nicht für Kritik.

(Beifall des Abg. Volker Schebesta CDU)

Doch jetzt ist Anfang August etwas geschehen, was endlich Stoff für die Opposition liefert. Der Kultusminister spricht von 521 Stellen, die in drei Stufen in den nächsten beiden Haushaltsjahren eventuell nicht besetzt werden. Noch ist es nicht beschlossen. Das klingt schmerzlich, und das ist schmerzlich, wenn es so kommt. Doch der Kultusminister ist nach den Chefgesprächen mit dem Finanzminister über den nächsten Doppelhaushalt

(Zuruf von der SPD: Er hat ihn zusammengefaltet!)

und über die Umsetzung des festen Ziels der Nettonullverschuldung entwaffnend ehrlich. Einsparungen im freiwilligen Bereich reichen in seinem Haushalt nicht aus. Der größte Kostenfaktor – das gilt erst recht im Kultusetat – ist nun einmal der Personalanteil.

Der Finanzminister hat recht, ob wir das hören wollen oder nicht. Nettonullverschuldung ist nicht mit Kürzungen bei Investitionen und Zuschüssen allein erreichbar. Es gibt im Kultusetat zwei Stellschrauben, die es erlauben, so vorzugehen: Wir haben noch ein Polster – ein Polster ist immer eine angenehme Sache – bei der einen Stunde, um die wir das Deputat bei den beruflichen Schulen und den Gymnasien erhöht haben. Auch die Schülerzahlen fallen etwas schneller, wie man aus den Daten ablesen kann.

Sehr geehrte Damen und Herren, offenbar ist die Opposition der Auffassung: „Wenn Zahlen nichts Neues bringen, so müssen wir aber dennoch etwas nebulös Kritik üben.“ Wir glauben, dass wir in der Lehrerbedarfsplanung kurzfristig, mittelfristig und langfristig gute Arbeit leisten. Das Thema eignet sich nicht zur Polemik. Die CDU-Fraktion steuert einen Kurs der Vernunft zwischen den Notwendigkeiten aufgrund des Lehrerbedarfs und den Haushaltszwängen, und das ist verantwortungsvolle Politik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE.