Protocol of the Session on March 10, 2010

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Mit der Aussprache ist die Große Anfrage der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 14/3707, und damit Tagesordnungspunkt 7 erledigt.

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Demokratie lernen und leben – Politische Bildung in Baden-Württemberg – Drucksache 14/3780

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Besprechung fünf Minuten je Fraktion, für das Schlusswort fünf Minuten. Es gelten gestaffelte Redezeiten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bayer für die Fraktion der SPD.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jetzt aber Lob! Lob!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne tatsächlich mit einem Lob und mit einem Dank. Das gehört sich bei diesem Thema so; denn im Bereich

der politischen Bildung leisten seit vielen Jahren eine ganze Menge Leute harte Arbeit. Diese Arbeit verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung.

Ich nehme die Diskussion über die Große Anfrage auch zum Anlass, auf grundsätzliche Probleme einzugehen und konkreten Handlungsbedarf aufzuzeigen.

Zunächst zum Begriffspaar „Politische Bildung“ und „Demokratie lernen“. In der klassischen politischen Bildung geht es darum, sich mit politischen Institutionen und Prozessen zu beschäftigen, ein politisches Urteil auszubilden, im weitesten Sinn also um eine Analyse des Politikgeschehens. Bei „Demokratie lernen“ stehen der Aufbau und die Akzeptanz von demokratischen Werten und Normen im Vordergrund. Es geht also um die Einübung von demokratischem Leben. Niemand wird als Demokrat geboren. Demokraten fallen nicht einfach so vom Himmel. Jede Generation muss neu an Demokratie gewöhnt werden.

Beide Aufgaben, die rationale Vermittlung auf der einen Seite und die Werteaneignung in einem demokratischen Kontext auf der anderen Seite, sollten möglichst optimal miteinander verknüpft sein. Außerdem sollten sie systematisch verwirk licht sein. Das heißt, es bedarf spezifischer Didaktik, spezifischer Methodik und flächendeckender Strukturen.

Meine Damen und Herren, um deutlich zu machen, dass wir uns in diesem Bereich nicht zurücklehnen dürfen, nenne ich einige Fakten. Zwar sind 89 % der deutschen Bevölkerung der Meinung, dass Demokratie eine gute Staatsform sei. Jeder Dritte glaubt aber schon nicht mehr daran, dass die Politik in der Lage sei, Probleme auch wirklich zu lösen. Viele von denen, die im Prinzip demokratiefreundlich gestimmt sind, verweilen in einer Art von passiver Duldungsstarre. Ein nicht unwesentlicher Teil – 29 % – würde sogar auf demokratische Mitsprache verzichten, wenn dadurch der Wohlstand erhalten bliebe.

Ähnliche Einschätzungen finden sich auch in der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage. In allen Schichten und in allen Altersgruppen geht die Wahlbeteiligung zurück. Mit der formalen Bildung nimmt auch die Zufriedenheit mit der Demokratie ab. Nach Auskunft der Landesregierung vergrößern sich die Defizite im politisch-historischen Fachwissen seit Jahren. Das Vertrauen in Personen und in die Arbeit der Parteien bröckelt rapide. Das Wählerpotenzial extremer Parteien im Land ist deutlich größer, als dies die Prozentwerte und die Umfragewerte nahelegen.

Vor diesem Hintergrund tun wir gut daran, eine echte, eine ehrliche Stärken-Schwächen-Analyse des Systems politischer Bildung vorzunehmen, und zwar nicht in Form des hier immer wieder gepflegten Reflexbogens „Das alles machen wir ja schon; vielleicht könnte es hier und da ein bisschen mehr sein, aber alles geht schon irgendwie in die richtige Richtung“. Nein, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen an einigen Beispielen aufzeigen, wo es eben gerade nicht in die richtige Richtung geht, wo wir umsteuern müssen bzw. auch neue Wege gehen sollten.

Beispiel 1: Landeszentrale für politische Bildung.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Sehr richtig!)

Sie wurde in den letzten Jahren bis an die Schmerzgrenze „heruntergespart“.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Ja!)

Trotz steigender Ansprüche und Aufgaben wurden Stellenkürzungen vorgenommen. Das hervorragende Internetangebot kann nur durch Einsparungen an anderer Stelle realisiert werden. Hochwirksame niederschwellige Angebote wie z. B. „Team Z“ müssen nach Projektablauf sang- und klanglos eingestellt werden. Beim Schülerwettbewerb – eine Erfolgsstory mit jährlich steigenden Teilnehmerzahlen – muss in immer kürzerer Zeit mit immer weniger Personal immer mehr Arbeit geleistet werden. Bei den „Politischen Tagen“ muss die Landeszentrale schon auf Teilnehmergebühren zurückgreifen.

Die Landeszentrale für politische Bildung ist mit einem Jahresetat von ca. 6 Millionen € ausgestattet. Das entspricht einer Ausgabe von jährlich etwa 58 Cent pro Einwohner des Landes.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist so viel wie für den Landtag! – Zuruf des Abg. Karl Zimmer- mann CDU)

Ich meine, der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung hat recht, wenn er sagt: „Unsere Gesellschaft braucht mehr politische Bildung und nicht weniger.“

Beispiel 2: Politische Bildung beginnt viel zu spät. Im Curriculum der Erzieherausbildung fehlt sie vollständig. Ich frage mich: Warum eigentlich? Der gemeinschaftskundliche Unterricht in der Schule kommt viel zu spät und ist als Fach auch immer weniger erkennbar. Er wird mit Erdkunde und Wirtschaft kombiniert und oft auch fachfremd unterrichtet.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Stimmt das, Herr Wa- cker? – Vereinzelt Heiterkeit)

Junge Menschen brauchen Orientierung. Sie brauchen gerade in der Konsumgesellschaft sicherlich auch ein Maß an ökonomischer Bildung. Aber die Inthronisierung von ökonomischer Bildung darf nicht zur Entthronung der politischen Bildung führen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Norbert Zeller SPD: Ge- nau!)

Gemeinschaftskunde genießt bei uns neben dem Religionsunterricht eben noch immer Verfassungsrang und darf deswegen nicht bis zur Unkenntlichkeit in Fächerverbünden versteckt werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Norbert Zeller SPD: Sehr richtig!)

Dritter Aspekt: Soziales Lernen und Moral lernen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist: Die damit verbundenen Erziehungsziele können nicht quasi einfach nur nebenher erreicht werden. Deswegen müssen in der Lehreraus- und -fortbildung spezifische Methoden und Inhalte dazu vermittelt werden.

Das Programm „Lions Quest“ oder auch die Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion von Professor Lind sind funk

tionierende Beispiele hierfür. Es sind aber Einzelbeispiele; die Regel sind sie nicht.

D i e Demokratiewerkstätten in unserem Land, nämlich die Jugendverbände, die über jahrzehntelange Erfahrung im Bereich des Demokratielernens verfügen, sind landesweit mit gerade einmal 38 Bildungsreferenten ausgestattet. Da ist es kein Wunder, meine Damen und Herren, dass in diesem Bereich in Projekten und Projektfinanzierungen gedacht wird und daher die Frage ausgeblendet werden muss, wie man von Modellen in die Fläche kommt.

Der demokratische Ernstfall, nämlich echte Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, ist bei uns im schulischen, im sozialen und im politischen Raum – sagen wir einmal so – suboptimal geregelt.

Dies alles fordert zum Handeln auf. Ich schlage eine breit angelegte Demokratiekampagne mit ineinandergreifenden Bausteinen vor. Vier von diesen Bausteinen möchte ich konkretisieren.

Erstens: die Stärkung von Beteiligungsrechten für Kinder und Jugendliche. Das heißt konkret: die Verankerung von Kinderrechten in der Landesverfassung, die Implementierung des Instruments Spielleitplanung, die verbindliche Verankerung von Beteiligungsrechten für Kinder und Jugendliche in der Gemeindeordnung, die Stärkung der Rechte der Schülermitverwaltung und eben auch die Absenkung des Wahlalters bei Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das hat die Kirche gemacht! Kein einziger Jugendlicher mehr geht zur Wahl!)

Es geht um die prinzipielle Möglichkeit und nicht darum, wie intensiv davon Gebrauch gemacht wird.

Zweitens geht es um die Verknüpfung von politischer Bildung und Demokratie lernen, das heißt, um die Verankerung von sozialem Lernen, von Demokratie lernen, von Moral lernen in systematischer Form in der Lehreraus- und -fortbildung. Das heißt früherer Beginn des Gemeinschaftskundeunterrichts. Das heißt Sicherstellung der Erkennbarkeit von Gemeinschaftskunde als Unterrichtsfach. Das heißt Einbeziehung und Förderung der Demokratiewerkstätten im Bereich der außerschulischen Jugendbildung.

Drittens: Niederschwelligkeit. Das heißt Elementarisierung von politischer Bildung. Hierzu hat der ehemalige Leiter der Landeszentrale Siegfried Schiele ein hervorragendes Buch geschrieben. Dies bedeutet eine Milieuorientierung bei den angebotenen Programmen entsprechend der Sinus-Milieustudie. Das heißt nicht zuletzt gezielte Förderung solcher Angebote und Initiativen.

Viertens: Stützung und Weiterentwicklung der vorhandenen Strukturen, konkret die Rücknahme der Kürzungen bei der Landeszentrale. Denn die Landeszentrale ist die zentrale Organisation für die PR-Arbeit für Demokratie in unserem Land. Das heißt die Bereitstellung von Sondermitteln für Sonderaufgaben, z. B. für den Internetauftritt oder „Team Z“.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Das heißt Anhebung der Landeszuschüsse für die öffentlich geförderte Erwachsenenbildung auf einen bundesdurchschnittlichen Wert, damit politische Bildung nicht am ökonomischen Druck scheitert, sobald sie sich betriebswirtschaftlich nicht rechnet oder nicht rechnen kann.

Meine Damen und Herren, wenn wir also politische Bildung ausbauen, das Demokratielernen systematisieren, Weiterbildung niederschwellig organisieren, demokratische Teilhabe früh praktizieren und gleichzeitig strukturell verändern, wenn wir die Rechte für Kinder und Jugendliche verbindlicher festlegen, dann kann aus all diesen Dingen ein Gesamtpaket werden. Dann könnte so etwas wie Leidenschaft für Demokratie entstehen, und das nicht einfach als flüchtige Fata Morgana, sondern als positive und stabile Grundstimmung.

Um mit den Worten von Theodor Heuss zu schließen:

Demokratie ist keine Glücksversicherung, sondern das Ergebnis politischer Bildung und demokratischer Gesinnung.

In beiden Bereichen müssen wir unsere Anstrengungen deutlich verstärken.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Kurtz für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat sich eines wichtigen Themas angenommen – das muss ich wirklich zugeben –, aber dennoch rate ich uns zu etwas mehr Gelassenheit, Herr Bayer.