Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Steinschen Reformen brachten die Selbstverwaltung. Seither ist sehr viel passiert. Obrigkeitsstaatliches Denken haben wir in unseren Amtsstuben aber noch immer. Der Mief ist nicht ganz verschwunden. Mit dem neuen Artikelgesetz wollen wir eine neue Qualität im Verwaltungsleben schaffen. Das Verhältnis zwischen Bürger und Staat wird neu gebildet; es wird horizontal auf zwei Ebenen geordnet.
Durch den Einheitlichen Ansprechpartner werden wir gleichberechtigt ein duales System von Kommunen und Kammern haben. Wir werden ein System haben, bei dem die Verwaltung ein Verfahren innerhalb von drei Monaten erledigt haben muss; ansonsten tritt eine Genehmigungsfiktion in Kraft.
Mit diesem Artikelgesetz machen wir so etwas wie eine schwä bische Kehrwoche. Alle Gesetze, die nicht binnenmarktkonform sind, die binnenmarkthemmend sind, werden eliminiert. Insgesamt sind in Baden-Württemberg 16 Fachgesetze davon betroffen.
Dieses Gesetz schafft eine neue Qualität, weil wir jetzt eine völlig andere Beziehung im Verhältnis zwischen Bürger und Staat haben. Das ist auch richtig so. Das ist etwas, was dieses Land innerhalb Europas voranbringen wird, und es ist auch eine konsequente Folge der Lissabon-Strategie der EU.
Ich weiß, dass der Kollege Prewo hier schon mehrfach kritisiert hat, das Land sei zu langsam und hätte selbst auf die Idee kommen können, solche Verfahrenserleichterungen auf dem Dienstleistungssektor einzuführen; dazu hätte es nicht der Europäischen Union bedurft. Aber zum einen ist Baden-Würt temberg nicht für den Binnenmarkt zuständig, und zum anderen können die Kommunen im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie, die ihnen verfassungsrechtlich zugesichert ist, ein solches System selbst auf die Beine stellen. Dazu brauchen sie das Land nicht. Das haben Sie als Oberbürgermeister von Nagold nicht getan, und auch kaum ein anderer SPDOberbürgermeister in diesem Land hat einen solchen Einheitlichen Ansprechpartner etabliert. Was die Grünen betrifft, frage ich schon gar nicht; da erwarte ich das auch gar nicht.
Ihr grüner Bürgermeister beschäftigt sich mit seiner „blauen Phase“ und mit allerlei Klimbim, um in die Presse zu kommen.
Aber als innovativ für die Verwaltung ist er bislang nicht aufgefallen. Aufgefallen ist er nur dadurch, dass er die Finanzlage seiner Stadt durch Verschuldung in den Keller getrieben hat. Das ist aber auch eine Leistung, die erst einmal erbracht werden muss.
In Stuttgart hat man das jedoch geschafft. Dort haben der Wirtschaftsförderer und der Oberbürgermeister zusammen mit dem Gemeinderat bereits vor fünf Jahren eine One-StopAgency – so hat man das auf gut Schwäbisch genannt – auf die Beine gestellt, allerdings nach einem Vorbild aus Dortmund. Das hat funktioniert. Stuttgart war im Bereich der Ansiedlung sehr erfolgreich.
Wir werden in Baden-Württemberg mit diesem System ebenfalls erfolgreich sein. Ich glaube, es ist der richtige Weg, diesem Gesetz heute zuzustimmen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern – ich glaube, nur in fünf Bundesländern ist der Einheitliche Ansprechpartner bislang überhaupt gesetzlich normiert – haben wir sowohl den Einheitlichen Ansprechpartner normiert als auch das Artikelgesetz geschaffen. Wir sind innerhalb der Zeitvorgabe der Europäischen Union.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das sind für dieses Gesetz bzw. für diese in der Tat große Verwaltungsreform jetzt die letzten Meter auf der Zielgeraden. Wir sind so weit gekommen. Die Opposition hat im Laufe des Verfahrens einige kräftige Beiträge dazu geleistet; das hätte man vielleicht auch einmal erwähnen können.
Aber eines noch einmal ganz deutlich: Ohne die Europäische Union wäre es nicht zu diesem Stück moderner Verwaltung in unserem Land gekommen. Übrigens gibt es einzelne Städte, die das schon mit den heute vorhandenen rechtlichen Mitteln – das Land hat bislang keine ausreichende gesetzliche Grundlage bereitgestellt – machen; u. a. hat der Oberbürgermeister der Stadt Nagold vor drei Jahren mit der Handwerkskammer ein Startercenter eingerichtet, um schon vorher genau diese Dienstleistung zu bieten; dies nur nebenbei. Ich sage das nur, weil Sie es ausdrücklich angesprochen haben.
(Abg. Peter Hofelich SPD: Hört, hört! Sehr gut! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Tho- mas Blenke CDU: Wie heißt der? Name? – Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Respekt, Herr Kollege, Re- spekt!)
Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht darum: Wenn ein Dienstleister ein Gewerbe aufnehmen will, soll er nicht zehn, zwölf, 13 verschiedene Behörden kontaktieren müssen, sondern soll eine Stelle aufsuchen, die dann die Dinge für ihn erledigt.
Das Verfahren in seiner Kompliziertheit wird in der Verwaltung selbst abgewickelt. Die Verwaltung muss ihre eigene Kompliziertheit sozusagen verdauen. Sie kann sie nicht auf den Antragsteller, den Dienstleister, abwälzen. Die Verwaltung muss sozusagen ein Kompliziertheitsrecycling durchführen, so wie ein Motor seine Wärme oder seine Abgase wiederverwerten muss, sodass nach außen nur die pure Leistung herauskommt. Das ist der Sinn der Sache. Das kommt aus Brüssel, und dafür sollten wir auch einmal dankbar sein.
Das Tüpfelchen auf dem i ist dabei die Genehmigungsfiktion, und das drückt das Leistungsprinzip der Verwaltung aus. Ist die Verwaltung nicht in der Lage, innerhalb von drei Monaten die Genehmigung sozusagen zu produzieren, dann gilt die Genehmigung als erteilt; der Dienstleister kann seine Tätigkeit aufnehmen.
Übrigens: Das ganze Gerede der Regierungsfraktionen über die 1:1-Umsetzung von EU-Richtlinien gilt hier natürlich nicht. Man hat – und zwar gottlob – überhaupt nicht 1 : 1 umgesetzt. Man hat mehr als nur eine einzige Stelle in BadenWürttemberg geschaffen. Sämtliche Kammern, sämtliche Stadt- und Landkreise können es machen. Uns geht dies nicht weit genug. Wir hätten auch die kleineren Städte einbezogen.
Zweitens: Wir machen nicht nur ein Onlineangebot – was die Mindestanforderung der EU war –, sondern wir machen ein richtiges Angebot mit Stellen, zu denen man hingehen kann.
Drittens: Wir bieten diesen Service nicht nur den EU-Ausländern an, sondern selbstverständlich auch den Inländern. Aber die EU hat es nur für die EU-Ausländer zwingend gefordert.
Schließlich: Wir bieten den Service nicht nur für den eingeschränkten Bereich der Dienstleister im Sinne der EU-Richtlinie an, sondern wir bieten ihn für alle Gewerbetreibenden an. Das ist auch richtig so.
Deswegen stimmen wir diesem Gesetz mit dem Normenscreening und mit der Anpassung der anderen Landesgesetze jetzt auch zu. Ich möchte sogar sagen: Das Wirtschaftsministerium hat in den letzten Wochen eine Fleißarbeit geleistet.
Da wollte sich auch der Wirtschaftsausschuss nicht als Spielverderber zeigen, sondern hat heute in aller Frühe eine Sitzung anberaumt, um die Ausschussberatung abzuschließen. Ich glaube, am Ende können wir alle froh über dieses Ergebnis sein.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Jahr, wenn man zurückblickt, einen Dreiklang in Bezug auf die Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet. Heute findet der letzte Akt statt. Begonnen hat es mit der Änderung des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes. Dann wurde das Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner für das Land Baden-Württemberg verabschiedet, und jetzt wird das Gesetz über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Baden-Württemberg auf den Weg gebracht.
Die Kollegen haben es schon gesagt: Es geht um die Anpassung von baden-württembergischen Gesetzen, um insgesamt
16 Fachgesetze, die mit diesem Artikelgesetz geändert werden müssen. Das reicht vom Hafensicherheitsgesetz bis zum Landespflegegesetz. Die Umsetzung erfolgt tatsächlich 1 : 1. Im Wesentlichen geht es bei der Verfahrensabwicklung zum einen um den Einheitlichen Ansprechpartner und zum anderen um die Genehmigungsfiktion.
damit es am 1. Januar 2010 auch fristgerecht, gemäß europäischen Vorgaben, in Kraft treten kann. Wir haben dafür noch heute Morgen gern eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses abgehalten. Wie mein Kollege Uli Sckerl in der ers ten Lesung schon gesagt hat, wird die Fraktion GRÜNE diesem Gesetz zustimmen.
Wir hoffen, dass von diesem Dreiklang an Gesetzen wichtige Impulse ausgehen, um bei Gewerbeanmeldungen und bei Verwaltungsverfahren zu rascheren, einfacheren und praktikableren Umsetzungen im Sinne der Kundinnen und Kunden zu kommen.