Das lässt sich gerade am Beispiel der Religionsfreiheit klarmachen. Weil in der Verfassung die Religionsfreiheit steht, nehmen wir es natürlich mit diesem Wert ernst, und zwar gegenüber allen. Das bedeutet natürlich, dass bei uns auch an
dere Religionen ungehindert ausgeübt werden können und dass sich ihre Vertreter Gotteshäuser bauen können, und zwar natürlich nach ihren eigenen Vorstellungen, aber auch in den für alle geltenden Grenzen, hier insbesondere des Baurechts.
Solche Debatten wie in der Schweiz sind auch bei uns geführt worden – das muss man eindeutig sehen –, und zwar bei einzelnen Bauprojekten. Aber ich habe den Eindruck, dass man mittlerweile immer mehr zu vernünftigen Lösungen kommt, die das Interesse religiöser Minderheiten respektieren, sich ihre Gotteshäuser bauen zu können, die andererseits jedoch auch sicherstellen, dass diese so gebaut werden, dass sie sich in die Umgebung einfügen und alle gut damit leben können. Deswegen haben wir dieses Problem Gott sei Dank nicht mehr.
Das bedeutet also: Es gibt die Religionsfreiheit auf der einen Seite, aber es gibt auf der anderen Seite auch Grenzen. Wir müssen deutlich machen, dass wir hier nicht jedes Verhalten dulden, auch wenn es religiös begründet wird, wie z. B. Zwangsheirat oder den Fall der Genitalverstümmelung, zu dem ich am Freitag nächster Woche im Bundesrat im Zusammenhang mit unserer Bundesratsinitiative etwas sagen werde. Man muss ganz deutlich machen, dass bestimmte Verhaltensweisen für uns auch dann nicht tolerierbar sind, wenn sie religiös begründet werden.
Das zweite Mittel gegen Ängste, das hervorzuheben ist, der zweite Weg, um mögliche Ängste abzubauen, ist der Dialog auf dem Boden der Verfassung, das Suchen nach gegenseitigem Verständnis. Das ist wichtig.
Dialog heißt Sprache. Das Gegenteil ist Sprachlosigkeit. Sprachlosigkeit schafft immer Misstrauen und Distanz. Sprach losigkeit vereitelt Chancen. Deshalb werden wir in den kommenden Jahren – natürlich mit Unterstützung der die Regierung tragenden Fraktionen; ich sehe in dieser Debatte auch, dass die Unterstützung darüber hinausreicht, was mich außerordentlich freut – das mit Abstand größte Programm der Zuwanderungsgeschichte durchführen, das aus den Teilen Diagnose, Sprachförderung und Beteiligung der Eltern besteht.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das ist wichtig!)
Wir werden in diesem Bereich, wie sich bereits abzeichnet, große Mengen Geld ausgeben. Allein für die Sprachförderung steht schon jetzt ein Bedarf von über 8 Millionen € fest, aber es wird noch mehr dazukommen. Wir werden auch im Bereich der Beteiligung der Eltern voraussichtlich zu starken finanziellen Anreizen kommen, und zwar mithilfe des Landeshaushalts, aber auch mithilfe beispielsweise der Robert Bosch Stiftung und der Breuninger Stiftung. Das ist übrigens insgesamt
eine vorbildliche Zusammenarbeit, eine Art Public Private Partnership – wie es Frau Breuninger selbst ausgedrückt hat – bei einem ganz wichtigen Thema. Deswegen bin ich mir sicher, dass wir da auch ordentlich vorankommen.
Damit komme ich zu einem weiteren, eigentlich schon vorletzten Stichwort, das damit zusammenhängt und für mich von großer Bedeutung ist. Dieses Stichwort heißt Bildungsaufstieg. Wir müssen es schaffen, dass die Kinder und Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund besser in das Bildungssystem,
besser in den Arbeitsmarkt kommen. Wir müssen ihnen auch den Bildungsaufstieg, den sozialen Aufstieg noch stärker ermöglichen, als dies schon bislang der Fall ist. Das ist für uns nicht nur ökonomisch wichtig. Wir müssen diese Potenziale heben, weil wir sie dringend brauchen.
Dieses Stichwort „Bildungsaufstieg“, das auch bei mir immer mehr ins Zentrum der Betrachtungen rückt, kann man – gerade für die Führung dieses Dialogs gegen Ängste – nicht hoch genug einschätzen. Es ist natürlich schon ein Problem, wenn fremde Religionen und Kulturen gleich in einen direkten Zusammenhang mit sozialen Verhältnissen geraten, in denen wir nicht leben wollen. Das fängt schon bei der baulichen Situation an.
Da geht es schon mit den Ansätzen zur Bildung einer Parallelgesellschaft los. Wir müssen, glaube ich, einmal deutlich sagen: Parallelgesellschaften bzw. Ansätze für eine Parallelgesellschaft sind in niemandes Interesse,
weder im Interesse der Aufnahmegesellschaft noch im Interesse der Menschen, die dort leben; denn diese machen das auch nicht freiwillig. Viele wollen auch ganz gern in andere Verhältnisse kommen. Deswegen müssen wir darauf achten, dass wir die Zuwandererfamilien nicht in einer auch für sie unbefriedigenden Situation einmauern und nicht nur über Ansätze zu einer Parallelgesellschaft klagen. Da lässt sich etwas machen. Da werden wir auch etwas machen.
Das Stichwort heißt in erster Linie „Bessere Bildung“. Das steht im Zentrum. Das bedeutet, dass die Kinder schulfähig sein müssen, wenn sie in die Schule kommen. Das ist der Hauptschauplatz der kommenden Jahre.
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend sagen: Ich glaube, dass die Situation beim Thema Integration in BadenWürttemberg insgesamt nicht schlecht ist.
Die Mängel liegen vor allem in den Bereichen, die ich angesprochen habe: Mangelnder Bildungserfolg und mangelnder sozialer Aufstieg bei einem sich abzeichnenden Unterschichtproblem, gebunden an den Migrationshintergrund; das sind die Herausforderungen.
Wir sind auf dem Weg, diese Herausforderungen mit breiter Unterstützung zu bewältigen. Wir haben einen konkreten Plan. Dieser ist auch finanziert. Deswegen bin ich ganz sicher, dass wir in den kommenden Jahren dort, wo es Handlungsbedarf gibt, kräftig vorwärtskommen werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bedanke mich herzlich beim Kollegen Palm für die Erkenntnis
bzw. für das Aussprechen der Erkenntnis – die Erkenntnis gibt es schon lange –, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Ich will beispielsweise sagen: Wir können doch die Republik Kosovo nicht aus der Verantwortung entlassen, den von ihr garantierten Minderheitenschutz in die Tat umzusetzen.
Sie wissen, dass die Europäische Union dort eine wichtige Rolle spielt. Wir haben darauf zu achten, dass die dort zuständigen Stellen auch ihre Hausaufgaben machen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Rich- tig!)
Wenn wir sagen, dass alle hier bleiben können, dann ist dieses Problem einfach von dort nach hier verschoben. Das darf nicht sein.
Herr Kollege Wölfe, Sie wissen ganz genau, dass die vorherige Bundesregierung die Diskussion über eine Bleiberechtsregelung immer wieder auf die lange Bank geschoben hat. Jetzt hat die Innenministerkonferenz das einzig Richtige gemacht: Sie hat die Regelung um zwei Jahre verlängert, damit wir in aller Ruhe über diese Bleiberechte reden können.
Ich finde, das ist ein vernünftiger Beschluss, an dem auch alle politischen Kräfte mitgewirkt haben.
Ich finde, damit haben wir die vorhandene Unsicherheit beseitigt. Wir werden das zu einem guten Schluss führen.