Protocol of the Session on November 25, 2009

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU: Wir fahren Autos, die nicht viel Sprit brauchen, Herr Kollege!)

Sie versorgen die beruflichen Schulen mit weniger als 100 %. Als Zielwert haben Sie nicht die 100-prozentige Lehrerversorgung angedacht, sondern Sie liegen schon bei den eigenen Ansprüchen nur bei 95 %.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das Ziel sind schon 100 %, Entschuldigung!)

Angesichts der Herausforderung, dass wir diese Schulen weiterentwickeln wollen, ist das einfach falsch.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das Ziel zu er- reichen ist nicht so einfach!)

Wir begrüßen ausdrücklich – das sage ich dazu – die Konzepte „Operativ Eigenständige Schule“ und „Stärkung der Eigenständigkeit beruflicher Schulen“, die man mit den Begriffen OES und STEBS in Verbindung bringt. Aber, Herr Minister – da darf ich Sie direkt ansprechen –: Sie können nicht erwarten, dass die Arbeit, die damit verbunden ist, diese enorme Arbeit der Qualitätssicherung und der Qualitätsweiterentwicklung, von den Kolleginnen und Kollegen an den Schulen in freiwilliger Mehrarbeit gemacht wird.

(Beifall bei der SPD)

Da können Sie überall hingehen; jeder wird Ihnen da bestätigen, dass das, was an Arbeitszeit notwendig ist, um das wirklich voranzutreiben, nicht durch das abgedeckt ist, was Sie für Entlastungsstunden ansetzen. Da sind an jeder Schule mehr Stunden notwendig als das, was im Moment zur Verfügung steht.

Sicher, Schulen sind flexibel, und sie haben die Verbindung zur Praxis. Sie sind auch innovativ in der Weiterentwicklung – insbesondere auch private Schulen; betrachten wir nur die Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Gymnasien. Es gab zwei solcher Schulen in öffentlicher Trägerschaft, aber gleichzeitig waren schon 22 private Gymnasien auf dem Markt. Die öffentlichen Schulen haben hier nachziehen müssen. Es gibt im Moment auch Vorschläge der Wirtschaftsgymnasien, innovativ in den Bereich der Informationstechnik hineinzugehen. Wirtschaftsgymnasien in Karlsruhe, Friedrichshafen, Offenburg und anderswo wollen ein eigenständiges Profil „Informatik und Wirtschaft“ einführen. Herr Minister, behindern Sie diese Schulen nicht, sondern unterstützen Sie sie entsprechend. Ich halte das für einen sehr innovativen Gedanken.

Lassen Sie nicht zu, dass private Anbieter und private Schulen hier wieder den Vorreiter spielen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Haben Sie et- was gegen private Schulen?)

Das wäre nicht unsere Politik. Das ist nicht unser Verständnis von öffentlichen Schulen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Hoi! Jetzt lässt er die Katze aus dem Sack!)

Wir müssen davon ausgehen, dass die beruflichen Schulen noch vor weiteren zusätzlichen Herausforderungen stehen. Wir brauchen beispielsweise mehr Ganztagsschulen. Schulsozialarbeit muss in diesem Bereich ebenfalls stattfinden. Sie ist insbesondere notwendig, wenn es um das BVJ, das BEJ und die Fragen des Übergangs von der Schule in den Beruf geht. Dort finden Sie alle Probleme, die sich in unserer Gesellschaft im Umfeld der Schulen ergeben. Das können Sie nur abfangen, wenn es mehr finanzielle Mittel für Ganztagsschulen gibt, wenn die Schulsozialarbeit erheblich ausgebaut wird.

Wir haben darauf hingewiesen: Es sind nicht nur die beruflichen Gymnasien – da hat Frau Krueger recht –, die hier eine wichtige Rolle spielen, sondern es sind auch die anderen Schularten. Ich will darauf hinweisen, dass es uns auch um Folgendes geht: Wenn wir die beruflichen Schulen zu Kompetenzzentren weiterentwickeln wollen, dann sollten wir eine faire Anrechnung der erworbenen Qualifikationen für einen weiteren beruflichen Weg ermöglichen. Es ist im Moment in vielen Bereichen eben nicht der Fall, dass die Qualifikationen, die an den Berufsfachschulen, an den Berufskollegs erworben werden, in ausreichendem Maß auch bei einer dualen Ausbildung angerechnet werden.

Letztendlich sei noch darauf hingewiesen – das betrifft jetzt die Personalpolitik –, dass wir eine leistungsgerechte Bezahlung und auch adäquate Aufstiegsmöglichkeiten für die Lehrkräfte, insbesondere bei den technischen Lehrern, fordern. Wir hatten im Schulausschuss schon oft darüber diskutiert. Hier ist die Situation für die Beteiligten eher frustrierend – das muss man sehr deutlich sagen –: niedrige Bezahlung, kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Sie wissen das. Ich denke, da ist in erster Linie auch der Finanzminister gefordert.

Meine Damen und Herren, wir wollen diese beruflichen Schulen weiterentwickeln. Wir sehen die hervorragende Arbeit, die dort geleistet wird. Wir sehen aber auch die vielen Baustellen, an denen die Regierung noch einiges zu erledigen hat.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE)

Das Wort erhält Herr Abg. Lehmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Rau, meine Beiträge in der Debatte sollten nicht so bewertet werden, als dass das berufliche Bildungswesen in Baden-Württemberg damit kleingeredet würde. Das ist nicht mein Anliegen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das tun Sie aber! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das würden Sie als Berufsschullehrer auch nicht tun! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Als langjähriger Berufsschullehrer weiß ich das.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sehen Sie! Haben wir doch gewusst!)

Es gibt im Bildungswesen keinen Bereich, der so flexibel und so innovativ ist wie das berufliche Bildungswesen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ha- gen Kluck FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie sind ein Musterbeispiel für die Durchlässigkeit des Systems, Herr Lehmann! – Abg. Thomas Blenke CDU: Auf der linken Seite klatscht gar niemand! – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das war schon der Schlussbeifall! – Weitere Zurufe – Un- ruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Röhm, genau das ist der Punkt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Ich verstehe mich auch als ein Repräsentant eines funktionierenden beruflichen Bildungswesens,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ehrt Sie!)

das in den Siebzigerjahren noch voll funktionsfähig war.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich führe Sie im- mer als Beispiel an! – Weitere Zurufe)

Damals habe ich mir mit einem Hauptschulabschluss aussuchen können, welche Berufsausbildung ich wähle, Herr Röhm.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Das ist heute nicht mehr möglich.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Weil Sie die Haupt- schulen schlechtgeredet haben!)

Nein, nein. Das ist nicht der Punkt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ihr Hauptschulab- schluss war werthaltig!)

Die Übergänge sind im Bildungssystem eigentlich das Entscheidende. Ein Bildungssystem, das die Übergänge nicht gewährleistet, keine Chancengerechtigkeit, keine Chancengleichheit bietet,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Machen wir doch!)

muss an diesen Schnittstellen arbeiten.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wo? – Wei- tere Zurufe)

Das heißt beispielsweise für die beruflichen Gymnasien, dass die Durchgängigkeit von der Realschule in das berufliche

Gymnasium möglich sein muss, sofern die Leistung stimmt. Das muss gegeben sein. Es muss auch gegeben sein, dass jeder Jugendliche, der einen allgemeinbildenden Schulabschluss hat, das Recht – da müssen wir uns weiterentwickeln – auf eine beruflich qualifizierende, anerkannte Ausbildung bekommt. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn wir die Prognosen sehen, die für Baden-Württemberg gestellt werden, wonach allein im Facharbeiterbereich 150 000 Stellen fehlen – das wird von niemandem bestritten – und im Bereich der Akademiker bis zum Jahr 2015 – das ist nicht mehr lange hin – 100 000 Stellen fehlen, dann müssen wir uns doch heute Gedanken darüber machen, welche Stellschrauben wir in dem System verändern müssen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da brauchen wir aber die Partner, Herr Lehmann! Die Partner brau- chen wir auch dazu!)

Die Partner brauchen wir auch. Herr Röhm, wir hatten die Debatte über die Veränderung des Berufsbildungsgesetzes in § 43 Abs. 2, und dabei hat auch Baden-Württemberg gesagt: Wir bestehen nicht mehr darauf, dass die Anrechungspflicht auch in Zukunft gelten muss. Da ist die Politik in der Verantwortung. Dass die dualen Berufskollegs, die wirklich sehr gut waren, auslaufen, ist im Prinzip ein Skandal. Denn dadurch schaffen wir eine Struktur, die jetzt wieder Doppelschleifen einführt. Das darf eigentlich nicht sein, Herr Röhm.

Wir brauchen auch eine Stärkung der Allgemeinbildung in den dualen Ausbildungsgängen. Die Schweiz macht es uns vor. Im dualen System machen 10 % der Absolventen die Berufsmatura. Sie haben dann die Möglichkeit, an einer Fachhochschule zu studieren. 10 % muss für uns eine Zielmarke sein.

Was für uns auch eine Zielmarke sein muss, Herr Röhm, ist: Wenn wir die Berufsfähigkeit stärken wollen, dann müssen wir das BVJ so reformieren, dass es eine Ganztagsschule wird, dass die jungen Leute nach dem Abschluss der allgemeinbildenden Schule das erfahren, was hinterher das Arbeitsleben bestimmt, und daher auch nachmittags schulische Angebote wahrnehmen müssen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Eingewöhnen!)

Das müssen wir leisten.