Protocol of the Session on November 5, 2009

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 77. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Chef und Herrn Abg. Untersteller erteilt.

Krankgemeldet sind Frau Abg. Rudolf, Herr Abg. Raab und Herr Abg. Reichardt.

Aus dienstlichen Gründen haben sich Herr Ministerpräsident Oettinger – heute Vormittag –, Herr Minister Professor Dr. Reinhart und Herr Staatssekretär Fleischer – ab 16 Uhr – entschuldigt.

Meine Damen und Herren, nächsten Montag jährt sich zum 20. Mal der Fall der Berliner Mauer. Lassen Sie uns einen Moment innehalten im Gedenken an dieses epochale Ereignis.

Berlin am Abend des 9. November 1989, das hieß: Die Realität überholte das Vorstellbare. Ein nicht endender Strom erlöster Landsleute drängte an verwirrten DDR-Grenzbeamten vorbei durch die Übergangsstellen. Die Mauer, Inbegriff der Unterdrückung, mutierte zur euphorisch bestiegenen Kletterwand.

Das Streben nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit triumphierte – buchstäblich überwältigend und dennoch friedlich.

Der Fall der Mauer war der Höhepunkt eines atemberaubenden Herbstes, eines Herbstes, in dem Menschen binnen Wochen auf imponierende Weise das Joch der Unfreiheit abschüttelten und sich beherzt des SED-Regimes entledigten.

Das Öffnen des Eisernen Vorhangs durch die ungarische Regierung am 11. September 1989, die Ausreise der Prager Botschaftsflüchtlinge am 30. September 1989 und vor allem die große Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 leiteten diese Wende ein.

Die Entschlossenheit, die Zivilcourage, der Veränderungswille der ostdeutschen Bevölkerung trieb die kommunistischen Machthaber in die Enge und brachte eine 40 Jahre lang allgewaltige Diktatur zum Einsturz. „Wir sind das Volk!“, später „Wir sind e i n Volk!“ und „Deutschland einig Vaterland!“: Diese Rufe waren Motor und Kompass einer beispiellosen Bürgerbewegung.

Unsere Hochachtung gilt deshalb zuallererst dem kraftvollen Mut der Demonstranten auf den Straßen in Leipzig, Berlin, Plauen, Dresden und vielen anderen Städten der DDR.

Ebenso gilt unsere Hochachtung der Furchtlosigkeit und dem Durchhaltevermögen der Bürgerrechtler, der Oppositionellen und der kirchlichen Gruppen. Ihre Leistungen und ihre Leiden waren die Keimzellen des Aufbruchs. Was sie erreicht haben, haben sie für uns alle erreicht. Sie haben für uns alle die Basis geschaffen, auf der wir die Teilung überwinden konnten.

Das Unrechtsregime gewaltfrei zu stürzen gelang, weil die anfänglich zu allem bereite DDR-Führung keine Rückendeckung aus Moskau mehr bekam. Das war namentlich dem sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow zu verdanken. Er hatte die Zeichen der Zeit erkannt, und er akzeptierte sie.

Nicht weniger Respekt gebührt dem amerikanischen Präsidenten. Die USA begleiteten den Weg von der Wende bis zur Wiedervereinigung besonders freundschaftlich, vertrauensvoll und konstruktiv.

Der 9. November 1989 nahm der innerdeutschen Grenze ihren Schrecken. Schießbefehle, Minenfelder und Selbstschuss anlagen hatten über 1 000 Menschen das Leben gekostet. Unser Erinnern schließt deshalb die Toten an Mauer und Stacheldraht ein – und alle, die das Scheitern ihres Fluchtversuchs überlebten und in den berüchtigten DDR-Gefängnissen eingekerkert wurden.

Der SED-Staat erodierte im Herbst 1989 mit einer ungeheuren Dynamik. Ein Treibsatz war, dass unser Grundgesetz die Bewohner der DDR als Bundesbürger betrachtete. Wiedervereinigung – diese Perspektive wäre kaum zu einem derart starken Sog geworden, wenn die Bundesrepublik in den Siebziger- und in den Achtzigerjahren eine DDR-Staatsbürgerschaft anerkannt hätte.

Der 9. November 1989 widerlegte alle, die sich die Parole zu eigen gemacht hatten, die Teilung Deutschlands sei die Grundbedingung für Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent. Bestätigt wurden jene, die gegen den Zeitgeist an einem richtig verstandenen Patriotismus unverrückbar festgehalten hatten, an der Einheit der Nation und am Ziel der Wiedervereinigung.

Ein Name steht dafür exemplarisch: Helmut Kohl. Nach dem 9. November 1989 sah Bundeskanzler Helmut Kohl schneller als andere die historische Chance, die sich hier auftat, und er nutzte sie versiert und beseelt, wobei ein wesentlicher Teil seiner historischen Leistung war, dass er stets die europäische Dimension betonte.

(Präsident Peter Straub)

Mit dem Fall der Mauer begann eine politische und volkswirtschaftliche Aufgabe, für die keine Vorbilder und keine wissenschaftlichen Rezepte existierten. Wir Deutschen mussten nicht bloß im Materiellen Schweres schultern und Herausragendes vollbringen. Ich meine: Das ist uns gelungen.

Allerdings dürfen wir nicht leugnen, dass es in Ostdeutschland noch Defizite und negative Entwicklungen gibt. So schmerzen das Gefälle bei den ökonomischen Kennziffern und auch das Abwandern der Bevölkerung.

Zugleich sollten wir aber nicht verschweigen: Einheit bedeutet auch immer wieder ein neues Austarieren und gelegentliches Neujustieren.

Entscheidend ist und bleibt aber, dass wir den Fall der Berliner Mauer als nationales Urerlebnis begreifen, das zeigt: Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand – so, wie wir dies im „Lied der Deutschen“ zum Ausdruck bringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, unser Kollege, Herr Gustav-Adolf Haas, hat mir mitgeteilt, dass er sein Landtagsmandat mit Ablauf des 5. November 2009, also des heutigen Tages, niederlegen wird.

(Oh-Rufe von der CDU und der FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das geht aber nicht! – Abg. Thomas Blenke CDU: Was machen wir dann mit der Fragestunde?)

Herr Kollege Haas gehörte dem Landtag von 1992 bis 1996 und wieder seit April 2001 als Mitglied an, also mehr als zwölf Jahre.

In der 11. Wahlperiode engagierte er sich insbesondere im Verkehrsausschuss und im Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft.

Seit 2001 gehörte er dem Wirtschaftsausschuss und dem Petitionsausschuss als Mitglied an. Zum stellvertretenden Vorsitzenden des Petitionsausschusses wurde er am 23. Juni 2004 gewählt.

Eine wichtige Funktion hatte Herr Kollege Haas als Alterspräsident in der konstituierenden Sitzung des Landtags am 13. Juni 2006 inne. Wir alle erinnern uns daran, wie er sie auf seine Art ausfüllte.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen – Vereinzelt Bei- fall)

Mündliche Anfragen, wie wir sie heute bei der Fragestunde noch einmal erleben werden,

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

waren eine besondere Spezialität unseres Kollegen Haas.

Seine Arbeit in den Ausschüssen des Landtags war von gro ßem Sachverstand geprägt. Seine Wahlkreisarbeit hat Herr Kollege Haas intensiv wahrgenommen.

Ich danke Herrn Haas namens des ganzen Landtags für seine Tätigkeit als Abgeordneter sehr herzlich und wünsche ihm für die Zukunft alles Gute.

(Anhaltender Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Kollege Haas, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich bin in diesem Moment sehr gerührt und darf mich recht herzlich bedanken.

Ich war gern Ihr Kollege, und ich freue mich auch immer wieder, auch in der Zukunft, wenn wir uns begegnen. Ich verspreche Ihnen, dass ich den Kontakt zu Ihnen nicht mehr abreißen lasse; das ist ganz klar.

Ich habe meinem Freund Klaus Schüle gestern – zu seiner Beruhigung – gesagt: Ich werde nicht für den Vorsitz der CDULandtagsfraktion kandidieren.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und Abgeordne- ten der SPD)

Dieses Versprechen nehme ich ernst; damit mache ich Ernst.

Ich gehe auch nicht nach Brüssel.

(Heiterkeit)

Ich gehe zurück in den Schwarzwald,

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Da ist es auch schöner!)

und der Herr Präsident und ich werden uns sicherlich in Dachsberg – oder wo auch immer eine Feierlichkeit stattfindet – noch des Öfteren begegnen und gemeinsam auf unsere schöne Zeit miteinander eingehen und auch auf Ihrer aller Wohl trinken.

(Heiterkeit – Abg. Reinhold Gall SPD: Wer zahlt?)

Ich habe es schon im Petitionsausschuss dargelegt: Falls man sich im Landtag von Baden-Württemberg nach einer gewissen Zeit je nicht mehr an mich erinnern könnte, würde ich selbstverständlich eine Petition einbringen – ganz egal, zu welchem Thema.