Protocol of the Session on November 5, 2009

Ich habe es schon im Petitionsausschuss dargelegt: Falls man sich im Landtag von Baden-Württemberg nach einer gewissen Zeit je nicht mehr an mich erinnern könnte, würde ich selbstverständlich eine Petition einbringen – ganz egal, zu welchem Thema.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU so- wie Abgeordneten der FDP/DVP)

Im Badischen geht man ja nicht, ohne ein Geschenk zu machen. In Württemberg soll es umgekehrt sein.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Ich habe mir von meinem Mitarbeiter, Andreas Bertram, eine Zusammenstellung anfertigen lassen. Auf dem Bild ist mein Konterfei zu sehen. Der Inhalt sind diese sogenannten Initiativen, die der Herr Präsident angedeutet hat.

(Heiterkeit)

Es sind ungefähr 230 bis 260. Die Mündlichen Anfragen sind auch dabei. Das sage ich zur Beruhigung.

(Heiterkeit)

Ich möchte dem Herrn Präsidenten dies als kleines Dankeschön übergeben. Ich hoffe, es bieten sich noch viele Gelegenheiten, uns wiederzusehen. Nochmals Danke schön für das gute Miteinander.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD übergibt Präsident Pe- ter Straub eine Mappe. – Die Abgeordneten aller Fraktionen spenden stehend anhaltenden Beifall.)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich bekannt geben, dass sich die Fraktionen darauf geeinigt haben, Punkt 9 von der Tagesordnung abzusetzen.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Starker Staat und starke Bürger – Zivilcourage als Beitrag zur inneren Sicherheit – beantragt von der Fraktion der CDU

Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen, fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Blenke.

Lieber Gustav-Adolf Haas, ich glaube, ich kann fraktionsübergreifend sagen, dass du uns fehlen wirst.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zivilcourage kann Mauern einreißen. Das haben wir vorhin in der beeindruckenden Rede unseres Landtagspräsidenten, in der es um die Erinnerung an den Mauerfall vor 20 Jahren ging, deutlich mitbekommen. Das war sicherlich der bedeutendste Fall von Zivilcourage in den vergangenen Jahrzehnten.

Aktuell ist uns durch den tragischen Fall von Dominik Brunner das Thema Zivilcourage wieder vor Augen geführt worden. Er hat sich in München schützend vor Kinder gestellt und dafür am Ende mit seinem Leben bezahlt, weil er schlicht zu Tode geprügelt wurde. Er zeigte Zivilcourage, er zeigte staatsbürgerlichen Mut und hat dies am Ende mit seinem Leben bezahlt.

Die traurige Botschaft ist, dass Zivilcourage Leben kosten kann. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass manche eher wegsehen als helfen, wenn es am Bahnsteig, in der S-Bahn oder sonst wo einmal brenzlig wird.

Deshalb ist es bei aller Hilfsbereitschaft wichtig, Besonnenheit zu wahren und die eigene Sicherheit mit in den Vordergrund zu stellen, damit Zivilcourage am Ende nicht zu viel Courage wird. Wir müssen aber die Menschen auch bestärken, dennoch einzugreifen. Das muss nicht unbedingt durch eigenhändiges Tätigwerden geschehen. Das kann allein schon durch das sofortige Rufen der Polizei geschehen, durch das Herstellen von Öffentlichkeit. Das allein kann schon sehr wirksam sein. Das Solidarisieren Unbeteiligter, die sonst vielleicht wegschauen würden, am Ort des Geschehens ist wichtig.

Dominik Brunner hat uns auf schreckliche Weise die Augen geöffnet. Sonst erfahren wir oftmals nicht viel von Menschen, die in vielen kleinen oder auch größeren Fällen abseits der Öf

fentlichkeit beherzt eingreifen und dabei auch Erfolg haben. Ich spreche von den kleinen und großen Heldentaten im Alltag. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass die Gesellschaft solche couragierten Menschen braucht. Sie sind tragende Säulen und Vorbilder zugleich. Wir brauchen sie dort, wo Menschen verletzt, gedemütigt, gemobbt oder diskreditiert werden. Dafür müssen wir uns alle und auch die Bevölkerung sensibilisieren.

Ich bekam vor einigen Monaten die Gelegenheit, die Schirmherrschaft für ein Projekt zum Thema „Mobbing im Schüleralltag“ an einer Schule in meinem Wahlkreis zu übernehmen. Dabei lernten Hauptschüler der Klassenstufe 7, selbstbewusst mit dem Thema Mobbing umzugehen und die Stimme für andere zu erheben, wenn es darauf ankommt. Das ist ein tolles Projekt des Bundesverbands Kulturarbeit in der evangelischen Jugend. Ich habe die Schirmherrschaft sehr gern übernommen und hoffe, dass dieses Projekt noch in weiteren Fällen zum Einsatz kommen wird.

Folgende Botschaften sollten uns, denke ich, wichtig sein:

Erstens: Wir leben in einem Bundesland, in dem der gesellschaftliche Zusammenhalt, der soziale Kitt, stimmt. Die meis ten Baden-Württemberger engagieren sich ehrenamtlich – in Kirchen, Vereinen, Verbänden, auch Sozialverbänden, Hilfsinitiativen und vielem mehr. Sie wollen nicht in einer anonymen Gesellschaft leben, sondern wollen helfen, und das ist Herzenssache und ist eine Selbstverständlichkeit.

Zweite Botschaft – sie hängt mit der ersten zusammen –: Wir leben in Baden-Württemberg in einem sicheren und sogar einem der sichersten Bundesländer. Das hängt mit dem gesellschaftlichen Engagement zusammen. In unserem Land wird man weniger häufig Opfer einer Straftat als anderswo.

Die dritte Botschaft lautet: Auch hier in Baden-Württemberg ist das Sicherheitsgefühl, die sogenannte subjektive Sicherheit, stärker ausgeprägt als anderswo. Die Menschen fühlen sich sicherer als an anderen Orten auf der Welt.

Die vierte Botschaft lautet: Präventionskonzepte wirken. Betrachtet man die Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik, so ergibt sich, dass die Zahl der Straftaten – das sind die objektiven Zahlen – in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, und zwar um einige Prozentpunkte. Ferner ergibt sich, dass die Gewaltkriminalität zurückgegangen ist. Das ist das Erfreuliche, aber das wird natürlich nicht immer so wahrgenommen, vor allem dann nicht, wenn besonders gravierende Fälle das Problem plötzlich wieder in das Bewusstsein rücken.

Aber es gilt die Aussage – damit will ich für die erste Runde schließen –, dass sich das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg minimiert hat. Dennoch bedarf es der Wachsamkeit sowohl der staatlichen Ebene als auch der Zivilgesellschaft.

Zu der Frage, was die staatliche Ebene dazu noch leisten kann, sage ich in der zweiten Runde mehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Gall.

Herr Präsident, hochverehrter Herr Alterspräsident, lieber Gustav,

(Heiterkeit – Abg. Gustav-Adolf Haas SPD winkt dem Redner zu.)

meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass die CDU-Fraktion im Plenum über Zivilcourage diskutieren will, mag auf den ersten Blick verwundern. Darüber, dass uns das als ein Beitrag zur inneren Sicherheit dargestellt wird und in diesem Zusammenhang darüber diskutiert wird, kann man aber, muss ich sagen, wirklich nur erstaunt sein. Denn wenn wir über innere Sicherheit reden, Herr Kollege Blenke, dann sollten wir in erster Linie darüber reden, welche Versäumnisse Sie in diesem Bereich in Baden-Württemberg aufzuweisen haben.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Stichwort „Personalabbau bei der Polizei“: Wir werden Ende des Jahres 2011 nur noch rund 23 700 Polizeistellen und im Nichtvollzugsbereich nur noch 4 550 Stellen haben. Dort haben Sie 10 % des Personals abgebaut, ohne die Aufgaben zu reduzieren, die jetzt von den Polizeibeamtinnen und -beamten wahrgenommen werden.

Das nächste Stichwort lautet Polizeipostenstrukturreform. Die se Strukturreform hat letztendlich nichts anderes bedeutet, als dass die Polizei längere Anfahrtswege zu Einsatzstellen aufzuweisen hat. Sie reden dabei häufig – das werden Sie nachher sicherlich auch tun – von Optimierungen der Arbeitsabläufe und von Rationalisierungen der Aufgabenwahrnehmung. Das klingt ganz modern – das sind auch Begriffe aus der Wirtschaft –, aber das bedeutet letztendlich nichts anderes, als dass Sie damit versuchen, die von Ihnen produzierten Defizite wieder auszugleichen.

(Beifall bei der SPD)

Selbst die „Vorzeigepolizeidirektionen“ – das will ich in diesem Zusammenhang noch erwähnen – im Zusammenhang mit Aufgabenoptimierungen und Rationalisierung in Biberach und Schwäbisch Hall sind nach der Zusammenlegung von Führungsgruppen, nach der Einführung einer strafferen Organisation an ihre Grenzen gestoßen. Ich darf dazu den zuständigen Polizeidirektor, Herrn Högerle, zitieren, der gesagt hat:

Wir haben jetzt alle Möglichkeiten ausgemostet, um wenigstens die Lücken zu stopfen. Weiter geht es nicht.

Fakt ist nämlich tatsächlich, dass die Dienststellen die Abgänge, die sie haben, nicht mehr kompensieren können, dass ihnen nichts anderes bleibt, als Defizite bei der Aufgabenwahrnehmung hinzunehmen, was dann wiederum zu Situationen vor Ort führen kann, die wir, Herr Kollege Blenke, zu Recht beklagen und die uns tatsächlich Sorge bereiten müssen.

(Beifall bei der SPD)

Wir könnten über Versäumnisse im Bereich der Prävention reden. Sie haben Beispiele angesprochen. Wir könnten über Versäumnisse bei der Schulsozialarbeit reden; aus der Verantwortung dafür haben Sie sich zurückgezogen. All das tun wir jetzt nicht.

Ihnen fällt in diesem Zusammenhang jetzt nichts anderes ein, als Zivilcourage seitens der Bürger einzufordern. Das ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver, um von Ihrer Verpflichtung zur Gewährleistung der inneren Sicherheit in BadenWürttemberg abzulenken.

(Beifall bei der SPD)

Zivilcourage, meine Damen und Herren, ist keine Hilfspolizei, auf die man als Ersatz zurückgreifen kann, wenn vor Ort bei Notlagen und Sonstigem Konflikte entstehen, weil sie oft zu Unsicherheit bei der eigenen Bevölkerung führt, auch zu Unsicherheit über die Notwendigkeit des eigenen Handelns und über die Gefährlichkeit, die aus eigenem Handeln entstehen kann.

Wir sagen aber auch – da sind wir in der Tat beieinander –: „Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit.“ Das ist ein Spruch von Willy Brandt. Da hat er recht. Allerdings hat er dies nicht im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit gesagt, sondern im Zusammenhang mit der Zivilcourage, die Sie, Herr Präsident, eingangs genannt haben, als es darum ging, die Mauer zwischen den Deutschen zum Einsturz zu bringen.

Zivilcourage als Teil einer Sicherheitskonzeption taugt nicht. Zivilcourage von den Bürgern ist nicht einforderbar. Sie ist vor allem auch nicht planbar im Rahmen einer Sicherheitskonzeption, im Gegensatz zu einer Kultur des Hinschauens. Da bin ich sehr nahe bei Ihnen, Herr Kollege Blenke. Situative, individuelle oder gruppenpsychologische Faktoren spielen eine Rolle dabei, ob ein Mensch handelnd eingreift und sich schützend vor jemanden stellt – nicht etwa Forderungen aus der Politik. Zivilcourage heißt nämlich auch, persönlichen Mut aufzubringen. Das sollte man wissen. Auch dies kann man nicht einfordern. Persönlichen Mut kann man fördern und stützen und versuchen auszubauen.

Wie dies geschehen könnte, darüber sollten Sie sich Gedanken machen. In diesen Diskussionsprozess bringen wir uns natürlich gern ein. Ich denke an Verhaltenshinweise, wie sie in Bayern in öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen. Ich denke an Kampagnen, die man zur Stärkung des persönlichen Mutes durchführen kann, um zu einer Kultur des Hinschauens zu gelangen. Ich schlage Ihnen vor: Nehmen Sie Ihre Imagekampagne – inzwischen weiß Deutschland, dass wir kein Hochdeutsch können –, und starten Sie eine Kampagne des Hinschauens in Baden-Württemberg. Da sind wir an Ihrer Seite.