Protocol of the Session on November 4, 2009

Egal, mit wem Sie reden – gestern sprachen wir mit Herrn Hundt –: Die Sorge ist doch förmlich spürbar, dass in der Industrie des Landes im nächsten Jahr die Überschuldung droht, und zwar für viele Unternehmen. Wenn die Unternehmen Anfang nächsten Jahres mit den Bilanzen von 2009 ihre Bankengespräche führen müssen, dann werden viele den Geldhahn zudrehen. Spätestens dann kommt das, was als Kreditklemme beschrieben wird. Spätestens dann droht vielen die Überschuldung. Dagegen muss man sich doch wappnen! Da muss man doch etwas tun. Da muss man doch ein Eigenkapitalprogramm auflegen.

Was erleben wir aber von dieser Regierung? Ob es der Wirtschaftsminister oder der Finanzminister ist, es heißt: „Eine Finanzklemme gibt es nicht. Die Liquiditätsversorgung ist gut. Bürgschaften haben wir.“ Sie erkennen nicht, dass Bürgschaf ten nur dann ein Thema sind, wenn die Unternehmen überhaupt Kredite bekommen. Wenn aber das Eigenkapital weggerutscht ist, gibt es keinen Kredit. Dann hilft auch keine Bürgschaft. Deshalb ist ein Eigenkapitalprogramm das, was das Land Baden-Württemberg braucht.

Wir haben Vorschläge gemacht. Wann handeln Sie endlich?

(Beifall bei der SPD)

Kontinuität, Herr Mappus, auch bei der Kurzarbeit? Die sollte doch eigentlich genutzt werden, um die An- und Ungelernten, die wir in Baden-Württemberg zuhauf haben, zu qualifizieren. Aber es passiert kaum etwas. Die Antwort der Wirtschaft liegt auf dem Tisch. Sie lautet: Wir brauchen jemanden, der das begleitet. Wir brauchen jemanden, der das voranbringt. Es gibt wunderbare Modelle, die bereits praktiziert werden; aber das sind nur einzelne Bruchstücke. An- und Ungelernte könn ten in Kooperation mit der IG Metall – Gesamtmetall – innerhalb von zwei Jahren zu Industriemechanikern ausgebildet werden. So etwas muss doch Schule machen! Da muss doch ein breites Projekt her!

Wir haben darüber diskutiert, und Sie haben gesagt: Wir machen etwas. Wo ist es denn aber? Wann kommt denn endlich etwas, um aus An- und Ungelernten gelernte Arbeitskräfte zu machen, die am Ende der Krise wirklich eine Chance haben? Hier geht es nicht um Kontinuität. Stattdessen brauchen wir endlich konsequente Anstrengungen. Handeln in der Krise – das ist von der Landesregierung in Baden-Württemberg gefordert.

(Beifall bei der SPD)

Kontinuität in der Bildungspolitik?

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Um Gottes wil- len!)

Das Erste, was wir von Herrn Mappus gehört haben, war ein erneutes Bekenntnis zum dreigliedrigen Schulsystem.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Klasse!)

Rütlischwur: „Wir stehen dazu, und wenn wir die Letzten sind, wenn wir die letzten Mohikaner sind.“

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Haben Sie denn die Umfragen gelesen?)

Ringsherum purzelt es. Ringsherum! Dort, wo die FDP in einer Koalition die Kraft hierzu hat, setzt sie durch, dass es Gemeinschaftsschulen gibt, dass länger gemeinsam gelernt wird.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Was? Wo? – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist doch nicht wahr! Ich war letzte Woche in Sachsen!)

Ja, natürlich, sicher. – Da, wo jetzt die Grünen hinzukommen, zeigt es sich ebenfalls. Überall im Land bricht es auf. In Baden-Württemberg sagen die evangelische Kirche, die katholische Kirche, das Handwerk, die Eltern und die Lehrer: „Lasst doch endlich einmal etwas zu!“ Die Wirtschaft meldet sich und sagt: „Lasst doch einmal neue Modelle zu! Lasst Wettbewerb zu! Lasst es uns doch wenigstens einmal ausprobieren!“ Aber nein, alles wird verboten.

(Beifall bei der SPD – Abg. Stefan Mappus CDU: Von welchem Land reden Sie?)

Alles wird verboten, was irgendwie abweicht. Sogar die der CDU angehörende Schulbürgermeisterin in Stuttgart, Frau Eisenmann, sagt: „Ich mache ein Integrationsmodell.“ Die Schule hat auch die Aufgabe der Integration. Vier Jahre Grundschule sind zu wenig. Das war ein Modell, das die damalige Bundesregierung unterstützt hat.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Aha!)

Das war noch unsere gemeinsame Bundesregierung, die das auf den Weg gebracht hat.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Gott sei Dank ist diese Zeit um! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Das Erste, was Herr Rau sagt, ist: „Geht nicht, abgelehnt.“ So kommt man doch nicht weiter. Bildungsaufbruch in BadenWürttemberg heißt auch, neue Wege zu gehen, länger gemeinsam lernen zu lassen und individuell zu fördern. Das ist in Baden-Württemberg angesagt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Stefan Mappus CDU: Ich habe eher den Eindruck, dass Sie nicht mehr weiterkommen!)

Dann gilt es, die Fragen zu beantworten: Woher kommen denn die Arbeitsplätze der Zukunft? Wo entsteht neues Wachstum? Wo entsteht neue Wertschöpfung? Wo entstehen neue Produkte? Die Automobilindustrie wird natürlich irgendwann wieder laufen, der Maschinenbau auch. Es werden aber nie mehr so viele Menschen in diesen Branchen beschäftigt sein, wie dies vor der Krise der Fall war. Alle versuchen, wettbewerbsfähiger zu sein, zu rationalisieren und zu automatisieren.

Deshalb brauchen wir neue Themen. Die Themenfelder lauten: Energieeffizienz, regenerative Energien. Das sind die Felder der Zukunft. Dabei sind wir mit Forschung und Entwicklung aufgestellt wie kein anderes Bundesland.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut!)

Nur der Transfer funktioniert nicht richtig. Das erfordert aktives Regierungshandeln. Dabei muss man sich Ziele setzen

wie z. B. bis zum Jahr 2020 eine Energieeinsparung um 20 % oder ein Anteil von erneuerbaren Energien von 20 %. Das ist ein Milliardenprogramm zum Einsparen von Energie, das in neue Techniken, in Dienstleistungen von Handwerkern, Ingenieuren und Beratungsbüros umgesetzt wird. Das ist Wertschöpfung, die am Ort bleibt. Das ist Wertschöpfung, die nicht für Öl in die Vereinigten Arabischen Emirate oder für Gas nach Russland abwandert.

Was macht aber die Regierung? Sie setzt auf die Atomkraft. Einfach weiterlaufen lassen, aussitzen, keine neue Chancen nutzen und Chancen verschenken, die unsere junge Generation dringend braucht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Mappus, an einer Stelle haben Sie die Kontinuität schon jetzt durchbrochen. Ministerpräsident Oettinger hat immer darauf hingewiesen, dass die billige Formel – erstens: wir investieren; zweitens: wir senken die Schulden; und drittens: wir senken die Steuern – nicht aufgeht. Diese Kontinuität haben Sie schon jetzt durchbrochen, indem Sie als „Jubelmensch“ der Bundesregierung voraneilen und sagen: „Richtig, runter mit den Steuern.“ Das sagen Sie völlig losgelöst davon, was das für den Landeshaushalt bedeutet, was das für die Kommunalhaushalte bedeutet, was das für den Schuldenstand und die Schuldenentwicklung bedeutet und was das für die junge Generation bedeutet. Ihr Konzept ist eine Steuersenkung auf Pump. Damit brechen Sie die Kontinuität, und das ist höchst gefährlich für unser Bundesland.

(Beifall bei der SPD)

An einer anderen Stelle befürchten wir ebenfalls einen Bruch. Das betrifft den Umgang mit Kritikern und auch den Umgang mit Bediensteten des Landes, die andere Vorstellungen haben. In Ihrer Rolle als Fraktionsvorsitzender haben Sie massiv interveniert, dass die Landesregierung gegen Kritiker der Bildungspolitik des Landes vorgeht.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Was?)

Ich will Sie einmal zitieren. Zu Rudolf Bosch,

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Ein Beamter! – Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Katastrophe!)

einem der vielen Hundert Schulleiter, die sich in die Diskussion einbringen und sagen: „Es kann nicht so bleiben, wie es ist; es muss sich weiterentwickeln“, haben Sie gesagt: „Wenn der Mann noch lange im Amt ist, dann verstehe ich nicht mehr, warum man das Beamtentum noch braucht.“

(Zustimmung des Abg. Stefan Mappus CDU)

Herr Mappus, wir leben nicht mehr im Feudalismus. Majes tätsbeleidigung ist kein Straftatbestand mehr. Wir erwarten – auch von Ihnen persönlich –, dass Sie auf Kritiker eingehen, dass Sie mit ihnen diskutieren, dass Sie sie ernst nehmen, dass Sie sich die Argumente anhören und sich sachlich damit auseinandersetzen. Mundtot machen ist in Baden-Württemberg vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Eines will ich zum Schluss noch sagen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Schmiedel, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Nur noch eines zum Schluss, Herr Präsident.

Was die Amtszeit des Ministerpräsidenten Oettinger von Anfang an belastet hat, war die unsägliche Stilisierung von Filbinger zum Widerstandskämpfer.

(Oh-Rufe von der CDU – Zurufe von der SPD)

Er hat sich zwar davon distanziert

(Zuruf von der SPD: Spät!)

spät, etliche Tage zu spät –; er hat es zurückgenommen. Er hat das als Fehler eingestanden. Aber viele von der CDU – auch hier im Haus – haben applaudiert und haben gesagt: „Endlich sagt es einmal einer.“ Darunter waren auch Sie.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Was?)

Sie haben gesagt: „eine gute, ausgewogene, angemessene Würdigung des Verstorbenen“.