Wir haben die Bildungshäuser als eine Möglichkeit der Zusammenarbeit von Grundschule und Kindergarten angeboten. Rund 30 Standorte werden wissenschaftlich begleitet. Wir würden uns eine goldene Nase verdienen, wenn wir diese Marke geschützt hätten und Geld von all denen kassieren würden, die diese Marke ebenfalls für sich in Anspruch nehmen wollen. So wollen wir aber gar nicht vorgehen. Viele Kommunen haben diese Marke des Bildungshauses völlig unabhängig von der wissenschaftlichen Begleitung für sich in Anspruch genommen und sagen: Die Zusammenarbeit von Grundschule und Kindergarten greifen wir bei uns unter dem Namen „Bildungshaus“ genau mit der Zielrichtung der Landespolitik auf und machen diesen Bildungsaufbruch. Diesen Bildungsaufbruch in den Kommunen gibt es.
Wir haben vom nächsten Schuljahr an Bildungsregionen mit Unterstützung durch finanzielle Mittel des Landes, mit denen eine Plattform geschaffen wird, auf der alle am Schulleben Beteiligten und insbesondere auch die Wirtschaft zusammenkommen können und beraten können, was in der Region für die Zusammenarbeit und für den Bildungserfolg der Kin- der und Jugendlichen wichtig ist. Gerade die Einbeziehung der Wirtschaft ist dabei, glaube ich, ein ganz wesentlicher Punkt.
Daran sehen Sie: Es gibt diesen Bildungsaufbruch in den Kommunen. Er wird auch durch Initiativen, die von der Landespolitik ausgehen, angestoßen. Wir brauchen keine Aufforderung, und es gibt keine Blockade.
Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht für mich in dieser Debatte über den Bildungsaufbruch in den Kommunen um die Frage, ob pädagogische Innovationen in Baden-Württemberg, die über die bislang genehmigten Formen hinausgehen, zugelassen werden.
Kollege Schebesta, Sie haben die Bildungsregionen genannt. Hier finden Innovationen statt. Sie haben die Bildungshäuser für Drei- bis Zehnjährige genannt. Das sind pädagogische Innovationen. Aber es gibt auch weitere pädagogische Innovationen in Baden-Württemberg, die von Kommunen angestrebt werden. Für mich geht es darum, ob und, wenn ja, welche dieser Innovationen Sie in absehbarer Zeit noch zulassen.
Ich möchte drei Beispiele nennen. Das erste Beispiel betrifft die Stadt Stuttgart. Die Stadt Stuttgart hat in einer Beschlussvorlage, die inzwischen durch alle Gremien des Gemeinderats gegangen ist, ein Modellvorhaben „Bildung als Standortfaktor“ beschlossen, und zwar auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in Bad Cannstatt. Sie hat insbesondere
beschlossen, dass dort langfristige Entwicklungen von Maßnahmen zur Betreuung und Bildung von Kindern und Jugendlichen vor Ort in besonderer und beispielhafter Qualität vorangetrieben werden sollen.
Das Ziel der Stadt ist es, das Konzept des Bildungshauses weiterzuentwickeln, indem es für Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren geöffnet wird. Nach diesem Konzept sollen die bislang getrennten Bildungsgänge für Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren durchgängig verzahnt werden. Ich finde, das ist ein Vorhaben der Stadt Stuttgart, dem man seitens der Landesregierung durchaus offen gegenüberstehen kann.
Als zweites Beispiel nenne ich die Stadt Karlsruhe. Kollege Schmiedel hat es schon angesprochen. Bereits vor zwei Jahren hat die Stadt Karlsruhe einen entsprechenden Beschluss gefasst. Der Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe hat im März letzten Jahres den Antrag an das Land gestellt, wonach ebenfalls in einem Sanierungs- und Neubaugebiet eine innovative, zehnjährige gemeinsame Schule nach skandinavischem Vorbild eingerichtet werden soll.
Herr Kollege Schebesta, wenn Sie sich den Antrag anschauen, dann werden Sie sehen, dass hier pädagogische Innovation im Vordergrund steht. Im Antrag heißt es nämlich:
Eine Modellschule Karlsruhe kann auf inhaltlich fundierte Vorarbeit bauen und sich an den Ergebnissen der Arbeitsgruppe „Schule Südstadt-Ost“ orientieren, in der Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Gewerkschaft, Pädagogische Hochschule und Verwaltung zusammengearbeitet haben. Verkürzt dargestellt geht es dabei im Kern um die Weiterentwicklung innovativer räumlicher, organisatorischer und pädagogischer Unterrichtskonzepte, die individuelle Förderung aller Kinder zum Ziel hat …
Man kann doch nichts dagegen haben, dass eine Stadt ohne Not – da geht es nicht um Standortfragen wie im ländlichen Raum, was Sie immer betonen – ein solches Vorhaben bestimmt. Es gibt schon heute Eltern, die daran interessiert sind, ihre Kinder, die derzeit in den Kindergarten gehen, in einer solchen innovativen, zehnjährigen Modellschule einzuschulen.
Drittens möchte ich auch eine Gemeinde im ländlichen Raum anführen. Stuttgart hat rund 590 000 Einwohner, Karlsruhe hat rund 280 000 Einwohner. Diese Vorhaben sind also nicht auf den ländlichen Raum beschränkt. Das möchte ich betonen. Weiter möchte ich die Stadt Külsheim mit rund 6 000 Einwohnern nennen. Die Stadt Külsheim hatte bereits in der Vergangenheit ein Integratives Schulentwicklungsprojekt, bei dem geistig behinderte Kinder in die Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule integriert waren. Die Kommune hat eine Fortsetzung dieses ISEPs beantragt, was übrigens wie bei allen ISEPs abgelehnt wurde. Die Stadt Külsheim hat aber auch beantragt, dass dort das Konzept der Inklusion von geis tig behinderten Kindern in Verbindung mit einem Hauptschul
abschluss – nicht Werkrealschulabschluss – oder einem Realschulabschluss ermöglicht werden soll. Es soll also eine integrative bzw. inklusive Schule sein. Auch dieser Antrag wird bislang abgelehnt.
Ich komme zum Schluss in der ersten Runde. Es gibt diese pädagogischen Innovationen. Ein Land wie Baden-Württemberg, das, Herr Kultusminister Rau, auf pädagogische Innovationen Wert legt, sollte den Kommunen dankbar sein, die Bildung sehr ernst nehmen, die bereit sind, mit den Lehrerinnen und Lehrern, mit den Eltern vor Ort zusammenzuarbeiten. Diese Initiativen werden auch von den Elternbeiräten mitgetragen. Das Land sollte die Projekte nicht abwehren, sondern sich intensiv damit auseinandersetzen. Es sollte gut prüfen, aber auch solche pädagogischen Innovationen, die gut begründet sind und für die ein Bedarf besteht, zulassen.
Die Stadt Stuttgart hat explizit gesagt, ein Expertengremium habe geprüft und empfohlen, dass es eine öffentliche Schule und gerade nicht eine private Schule sein solle. Wir brauchen für einen guten Wettbewerb die Vielfalt im Land, und zwar auch im öffentlichen Schulwesen. Es darf nicht sein, dass Innovationen, die darüber hinausgehen, ausschließlich den privaten Schulen vorbehalten werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Grundsätzlich gilt für uns Liberale: Das, was an neuen Modellen vor Ort gewünscht wird, was an der Schule von Eltern, Lehrern und Schülern gemeinsam entwickelt wird, was also gewissermaßen von der Basis her gewachsen ist, muss eine faire Chance haben, erprobt zu werden und sich auf Dauer zu bewähren.
Gleichwohl wird man unter quantitativen wie qualitativen Gesichtspunkten nicht alles, was an entsprechenden Schulversuchen, Herr Gall, gewünscht wird, auch durchführen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn unter dem Deckmantel des Schulversuchs nicht etwa eine pädagogische Innovation, sondern die Wiederauferstehung des Vergangenen beantragt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sozialismus! – Gegen- ruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Pur!)
Wir wollen die Offenheit für neue Wege und die Sicherung der Qualität durch ein Wettbewerbs- und Auswahlverfahren sicherstellen, bei dem z. B. ein beim Kultusministerium eingerichteter Fachbeirat unter Beteiligung der pädagogischen Wissenschaften aus dem Land, aus anderen Bundesländern und aus dem Ausland jährlich oder halbjährlich – darüber kann man dann reden – die fünf oder zehn besten, erfolgversprechendsten, interessantesten, innovativsten unter den beantragten Schulversuchen auswählt.
Meine Damen und Herren, schon jetzt sind Schulversuche genehmigt, die sich durch ein hohes innovatives Potenzial auszeichnen. Beispielsweise straft der Modellversuch „Erweiterte Kooperation“ an der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen, den ich mir vor Ort im Detail habe darstellen lassen, alle diejenigen Lügen, die behaupten, das Kultusministerium be- und verhindere alles, was vor Ort gemeinsam entwickelt wird.
Ich erinnere an pädagogisch interessante Vorhaben wie die Jenaplan-Variante der Evangelischen Landeskirche in Würt temberg oder „Häuser des Lernens“ nach dem Vorbild des Schweizer Pädagogen Peter Fratton.
Ich erinnere an die Begabtenförderung anhand von Enrichment-Clustern in Bad Waldsee – das ist z. B. nicht privat –, die Sprachprojekte „Chinesisch bis zum Wahlabiturfach“ an der Max-Weber-Schule Freiburg – das ist nicht privat –, an „Internationale Profile“ am Königin-Olga-Stift Stuttgart – das ist nicht privat –, Schulsportmentoren an der Schule auf dem Laiern in Kirchheim am Neckar und die zahlreichen Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft, nicht zuletzt an den schon bestehenden Werkrealschulen bzw. Hauptschulen.
Ich denke aber – ich sage es noch einmal –, dass ein regelmäßiges Auswahlverfahren unter Beteiligung externer Experten noch besser geeignet wäre, die Offenheit für neue Entwicklungen zweifelsfrei unter Beweis zu stellen, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Meine Damen und Herren, in Baden-Württemberg ist der Bildungsaufbruch längst vorhanden. Wenn Sie von der Opposition mitmachen wollen, sind Sie herzlich dazu eingeladen.
Alte Modelle allerdings ständig wieder neu auferstehen zu lassen können Sie mit einem Pfarrer nicht machen, denn die dauernde Wiederauferstehung längst Verblichener ist auch christlich mit keinem Hintergrund versehen.