Jetzt müssen wir schauen, dass der Süden so an Gewicht gewinnt, dass wir uns durchsetzen können. Der Herr Landtagspräsident hat dazu ja einen Vorschlag gemacht, den ich sehr sympathisch fand, der aber keine Mehrheit fand, weil, wie gesagt, die „Nordstaatler“ noch immer das Sagen haben.
Niemand wird bestreiten können, dass es bei der Neueinteilung der Wahlkreise Ungereimtheiten gibt. Da kann man sich fragen, ob es richtig ist, Essingen von Aalen zu trennen. Ist es richtig, Bisingen von Hechingen oder Eningen von Reutlingen oder Lichtenstein von seiner Nachbarstadt Pfullingen zu trennen? Das ist alles schwierig. Man kann aber nicht alle Wünsche erfüllen, weil ja die Gemeinde- und die Regierungsbezirksgrenzen eingehalten werden müssen.
Das sind Dinge, die wir nicht verändern können. Die Regierungsbezirksgrenzen müssen eingehalten werden, und die Gemeindegrenzen müssen ebenfalls eingehalten werden.
Auch wir haben noch viele Wünsche. Sie wissen, wir hätten gern eine Verkleinerung des Landtags gehabt, und wir hätten auch nichts gegen ein Zweistimmenwahlrecht gehabt.
Da gibt es viele Wünsche. Nur sagen wir uns: Jetzt kommt es darauf an, dass wir zur Landtagswahl 2011 ein neues Wahlrecht haben, das Chancengleichheit schafft. Weil man nun einmal nicht alle Wünsche erfüllen kann, geht es uns jetzt darum, das Machbare zu tun. Wir werden alle Vorschläge, Anregungen und Bedenken, die auf den Tisch kommen, sorgfältig prüfen, aber wir werden nicht zulassen, dass versucht wird, diese Wahlrechtsreform zu verzögern. Diese Reform muss kommen; das Land Baden-Württemberg braucht sie.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Landtagswahlgesetzes angekommen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. Sie stimmen dem zu. – Es ist so beschlossen.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Abwehr alkoholbeeinflusster Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung während der Nachtzeit und zum Schutz vor alkoholbedingten Gesundheitsgefahren (Alkoholverkaufsverbotsgesetz) – Drucksache 14/4850
Das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt. Die Begründung des Gesetzentwurfs erfolgt durch die Regierung.
Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Minister Rech, Sie erhalten das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie es mich gleich zu Beginn auf den Punkt bringen: Wir müssen die Alkoholgelage, vor allem in den Nachtstunden und an Tankstellen, unterbinden, so gut es irgend geht. Gerade Jugendliche und Heranwachsende unterschätzen häufig die unberechenbare Wirkung von alkoholischen Getränken, insbesondere von Hochprozentigem. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Mit jedem Schluck sinkt die Hemmschwelle, und Nachschub kann derzeit jederzeit besorgt werden. Deshalb sind diese Gelage sehr häufig Brutstätten für Pöbeleien, für Schlägereien und andere gewalttätige Straftaten – Straftaten, die sich immer häufiger auch gegen unsere Polizeibeamtinnen und -beamten richten. Das können wir nicht länger hinnehmen.
Auch die gesundheitlichen Gefahren des übermäßigen Alkoholkonsums sind besorgniserregend. Komasaufen ist für viele Minderjährige kein Fremdwort mehr, sondern Alltag. Deswegen müssen wir Veranstaltungen verbieten, bei denen vor allem Jugendliche und Heranwachsende geradezu animiert werden, sich bis zur Bewusstlosigkeit volllaufen zu lassen. Nicht selten enden solche Abende im Krankenhaus, oder es kommt sogar noch schlimmer.
Ich möchte an dieser Stelle als Beispiel an den traurigen Fall in Berlin erinnern, der vor wenigen Wochen noch einmal durch die Presse gegangen ist: Ein 17-Jähriger war bei einem Wettsaufen ums Leben gekommen, nachdem er sage und schreibe
ja, Herr Kollege; ich komme gleich noch einmal darauf zurück, Herr Dr. Noll; es war tatsächlich in einer Gaststätte – 45 Tequilas innerhalb einer halben Stunde getrunken hat. 45 in einer halben Stunde!
Das Ziel ist also klar: Wir wollen mit dem Gesetz nächtlichen, alkoholbeeinflussten Straftaten entgegentreten, und wir wol
len vor allem Jugendliche und Heranwachsende vor alkoholbedingten Gesundheitsgefahren schützen. Diese Gefahren drohen ihnen besonders dann, wenn sie in den Nachtstunden jederzeit Alkohol kaufen können.
Dabei ist mir durchaus bewusst – ich habe das auch immer wieder gesagt –, dass wir mit Verboten und auch mit diesem Gesetz nicht alle Probleme auf einen Schlag werden lösen können. Hierzu ist das Thema viel zu vielschichtig und komplex.
Unser Gesetz ist jedoch ein Baustein – ich füge hinzu: es ist nach meinem Dafürhalten ein wichtiger Baustein – im Kampf gegen Alkoholmissbrauch. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, und die Zahlen, meine Damen und Herren – ich möchte nur wenige Zahlen nennen –, sprechen ebenfalls eine ganz deutliche Sprache: Die Zahl der Personen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, steigt seit Jahren kontinuierlich an. Der Drogen- und Suchtbericht 2009 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung stellt Folgendes fest: 9,5 Millionen Menschen in Deutschland trinken Alkohol in gesundheitlich riskantem Maß – 9,5 Millionen! Auch die Zahl der Menschen, die wegen Alkoholkonsums im Krankenhaus behandelt werden, nimmt – auch in Baden-Württemberg – seit 2001 kontinuierlich zu.
Der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge steht mehr als jeder dritte Erwachsene bei Gewaltdelikten unter Alkoholeinfluss; bei Heranwachsenden, also der Altersgruppe zwischen 18 und 21 Jahren, sind es sogar über 40 %. Im Jahr 2008 lag die Tatzeit bei 61 % der alkoholbedingten Gewaltdelikte in den Stunden zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr. Diese Zahlen zeigen: Alkohol ist ein schwerwiegender Katalysator für Gewalt, und alkoholbeeinflusste Gewalttaten werden überproportional in den Abend- und Nachtstunden begangen.
Zum sogenannten Vorglühen vor Gaststätten- und Diskothekenbesuchen wird Alkohol häufig in Tankstellenshops beschafft, die in den späten Abendstunden oder gar rund um die Uhr geöffnet haben. Damit sollen die höheren Preise der Gastronomie umgangen werden. Auch das ist nachgewiesen. Der Anteil alkoholischer Getränke am gesamten Getränkeumsatz in Tankstellen im städtischen Gebiet beträgt in den Nachtstunden rund 75 %. Tankstellen wurden in den letzten Jahren immer mehr zu Szenetreffs junger Menschen, die regelmäßig zu viel Alkohol trinken, und Tankstellen wurden gleichzeitig auch zu einem Einsatzschwerpunkt für die Polizei.
Meine Damen und Herren, dieses Phänomen ist nicht auf größere Städte beschränkt, sondern tritt nahezu flächendeckend im ganzen Land auf. Dies wollen wir unterbinden. Deshalb wollen wir ein Alkoholverkaufsverbot von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr an sämtlichen Verkaufsstellen im Sinne des Ladenöffnungsgesetzes. Das Verbot soll auch den sogenannten Reisebedarf umfassen.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass übermäßiger Alkoholkonsum effektiv eingeschränkt werden kann, wenn der Verkauf von alkoholischen Getränken an Tankstellenshops und anderen Verkaufsstellen zu bestimmten Zeiten verboten wird. Diese Effekte – um gleich auf ein Gegenargument einzugehen – werden auch nicht dadurch aufgehoben, dass die Verbote durch sogenannte Vorratskäufe zu anderen Zeiten umgangen werden, da der übermäßige Alkoholkonsum in der Öf
fentlichkeit in der Regel spontan stattfindet. Kaum ein Jugendlicher plant bereits nachmittags, sich abends volllaufen zu lassen.
Kaum einer. Diese Befunde, Herr Kollege Dr. Noll, stimmen auch mit den Erfahrungen der Polizei überein, die besagen, dass sich in den Abend- und Nachtstunden vor allem junge Menschen an den Tankstellen mit Alkohol eindecken, obwohl dort die Getränke im Vergleich zu Supermärkten relativ teuer sind. Die zahlreichen verhaltenspräventiven Maßnahmen von Organisationen und Verbänden verdienen ausdrücklich unsere Anerkennung und unsere Unterstützung.
Die Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs muss aber an allen Fronten und auf allen geeigneten Feldern betrieben werden. Die Erfahrungen – darauf will ich auch verweisen – bei der Durchsetzung des Nichtraucherschutzes haben gezeigt, dass sogenannte Selbstverpflichtungen häufig nur sehr unzureichend umgesetzt werden und entsprechende Absichtserklärungen der betroffenen Wirtschaftsverbände zur Unterbindung des Alkoholkonsums deshalb gesetzliche Regelungen nicht ersetzen können.
Auf der anderen Seite werden finanzielle Einbußen für die Tankstellen befürchtet. Sie werden leider nicht gänzlich zu verhindern sein; das müssen wir sehen. Ich meine aber, dass sie im Hinblick auf das Ziel hinzunehmen sind, das wir mit der Maßnahme verfolgen, nämlich übermäßigen Alkoholkonsum einzudämmen. Das ist die andere Seite der Medaille.
Lassen Sie mich ein paar Worte über die Ausnahmen verlieren; darüber haben wir ja schon häufig und ausgiebig diskutiert. Ausgenommen von dem Verbot sind Hofläden, Verkaufsstellen von landwirtschaftlichen Genossenschaften, Verkaufsstellen von landwirtschaftlichen Betrieben und Verkaufsstellen auf Verkehrsflughäfen innerhalb der Terminals.
Darüber hinaus können die Regierungspräsidien auf Antrag der Gemeinden weitere örtlich und zeitlich beschränkte Ausnahmen zulassen, wenn dabei der mit dem Gesetz verfolgte Zweck und die öffentlichen Belange gewahrt bleiben. Die Zulassung dieser zeitlich und örtlich beschränkten Ausnahmen soll durch eine Verwaltungsvorschrift der Landesregierung – auch dies haben wir so vereinbart – konkretisiert werden; die se Verwaltungsvorschrift liegt im Entwurf bereits vor.
Ich will daraus nur die Eckpunkte nennen. Danach kommen Ausnahmen insbesondere bei örtlichen Festen, bei Märkten und ähnlichen Veranstaltungen wie etwa den langen Verkaufsnächten in Betracht. Die Herausnahme bestimmter Verkaufsstellen ist gerechtfertigt, weil nach den typischen Umständen des Verkaufs, der dort stattfindet, eben nicht davon auszugehen ist, dass der Alkoholverkauf zur Nachtzeit die gleichen Gefahren hervorruft wie der Verkauf durch die sogenannten nicht privilegierten Verkaufsstellen.
Auch die Ermächtigung zur Zulassung weiterer Ausnahmen führt zu keiner anderen Bewertung, weil ja ausschließlich zeitlich und örtlich beschränkte Ausnahmen zugelassen werden dürfen. Es ist also ausgeschlossen, dass sich im Umfeld einer privilegierten Veranstaltung – egal, ob „Heckenbeerenfest“ oder sonst etwas – ein Szenetreff bildet, weil das ja auch rein zeitlich nicht sein kann, wenn da ein-, zwei- oder dreimal im Jahr so etwas stattfindet.
Die Zuständigkeit der Regierungspräsidien – das will ich auch noch sagen – ist im Interesse einer landesweit einheitlichen Verwaltungspraxis geboten. Man hätte sonst ja auch daran denken können, das in die Zuständigkeit der Kommunen vor Ort zu geben.
Der Gassenschank – das noch als Letztes – bleibt vom Verbot unberührt. Gaststätten unterliegen einem deutlich strengeren Regelungsregime und einer weitaus stärkeren sozialen Kontrolle. In Gaststätten findet – mehr oder weniger, aber immerhin – noch eine gewisse soziale Kontrolle statt.
(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das kommt auf die Gaststätte an! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da gibt es Unterschiede!)
Ja, natürlich. Es kommt auf die Gaststätte an. Darum habe ich gesagt: „mehr oder weniger“, Herr Kollege Kretschmann. Das stimmt.
Das Gefährdungspotenzial im Hinblick auf die Entstehung von sozialen Brennpunkten ist deswegen gering. Eine Ausdehnung auf den Gassenschank ist jedenfalls aus jetziger Sicht zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht erforderlich.
Da muss ich sagen: Immer häufiger – das ist unsere Erfahrung – versuchen Gaststätten oder Diskotheken, die aus dem Alkoholmissbrauch resultierenden Gefahren durch Pauschal- und Billigstangebote zu verschleiern. Da werden alkoholische Getränke zu sehr niedrigen Preisen angeboten – Flatrate –, und damit wird natürlich Alkoholexzessen Vorschub geleistet. Jetzt ist natürlich auch das geltende Recht schon geeignet, dagegen vorzugehen, beispielsweise durch die Erteilung von Auflagen oder die Möglichkeit eines Widerrufs der gaststättenrechtlichen Erlaubnis. Aber unabhängig davon wollen wir ein klares politisches Signal gegen solche Bewirtungskonzepte in der Gastronomie setzen. Deswegen soll im Vorgriff auf eine umfassende Neuregelung des Gaststättenrechts das geltende Gaststättengesetz des Bundes in Landesrecht überführt und auch mit einem bußgeldbewehrten Verbot sogenannter Flatrate angebote ergänzt werden.
Ich will abschließend allen Kritikern noch eines sagen: Wir nehmen – das gilt auch für mich persönlich – die Anregungen ernst. Ich will gleichzeitig auch kritisch gegenüber dem eigenen Gesetzentwurf sein und bleiben. Deshalb wollen wir dieses Gesetz nach drei Jahren auf den Prüfstand stellen. Ich bin aber überzeugt, dass unser Gesetz einen wichtigen Beitrag leistet, um den Alkoholmissbrauch einzudämmen und die Sicherheit zu erhöhen.
Ich sage abschließend das, was ich von Anfang an gesagt habe: Das Gesetz wird das Problem – das wohl noch zunehmen wird – nicht aus der Welt schaffen.