Protocol of the Session on July 29, 2009

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich wollte aber eigentlich zu Ihrem Antrag reden. Dieser Antrag ist deswegen ausgesprochen spannend – ich begrüße ihn außerordentlich –, weil die Stellungnahme der Landesregierung deutlich macht, dass genau das, was Sie auf dem Papier eigentlich wollen – eine umfassende Bildungspolitik in Baden-Württemberg zu diesem Thema –, eben nicht stattfindet. Ich halte die Stellungnahme für absolut kümmerlich.

Wir haben in den letzten Tagen einmal gegoogelt, um zu sehen, was einem Lehrer, der in diesem Land sagt: „Ich möchte mich mit dem Thema beschäftigen“, im Moment konkret zur Verfügung steht. Da gibt es eine lange Literaturliste. Es gibt ein Angebot von Zeitzeugen. Dazu muss ich sagen: Zeitzeugen gehen das Thema sehr anekdotisch an. Wenn ich zuvor keine Fakten vermittelt habe, nützen mir die besten Zeitzeugen nichts. Mir ist es wichtig, auch dies noch einmal zu unterstreichen.

Was ist also im Jahr 2009 überhaupt zu finden? Es gibt eine Schulkinowoche, in der an fünf Orten „Das Leben der Anderen“ neben „Krabat“, „Billy Elliot“ und „Die Welle“ gezeigt wird. Es gibt allgemeine Aufrufe, aber es gibt wirklich wenig konkrete Angebote.

Wenn Sie dieses Thema zu Recht aufgreifen und wir dann in einem Antrag sagen, wir wollten es berücksichtigt haben, warum wehren Sie sich dann dagegen, dass uns nach einem Jahr einmal zu dem berichtet wird, was Sie gefordert haben? Ich kann im Moment keine durchdachte Strategie für die Umsetzung erkennen.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Abwarten!)

Ein zweiter Punkt, Herr Wetzel, zeigt noch einmal, dass es Ihnen um Populismus und nicht um Inhalte geht. Ich hatte es schon deutlich gemacht: Ich kann eine solche Diktatur in ihrer Lebenswirklichkeit und in ihren Konsequenzen nicht vermitteln, wenn ich nur die ganz Bösen und die sehr Guten betrachte. Das ist einfach. Das sagte gestern übrigens auch Frau Birthler in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Vielmehr muss ich auch den Mittelkorridor betrachten. Dazu gehören vor allem diejenigen, die sich auch in den Blockpar

teien organisiert haben, um den Anschein zu erwecken, sie seien nicht ganz dabei gewesen. Sie wollten aber doch ein bisschen dabei sein, weil es andernfalls ihrer Karriere geschadet hätte. Das war im Wesentlichen die Motivation. Wir müssen in der historischen Aufarbeitung auch zu diesem Bestandteil einer solchen Diktatur stehen.

Daher finde ich es dem Gegenstand und seiner Bedeutung absolut unangemessen, dass Sie sich weigern, unserem Änderungsantrag zuzustimmen, über den wir einfach noch einmal deutlich machen wollen: Man muss das Ganze komplexer und differenzierter angehen, und man muss alle Beteiligten, die zur Stabilisierung dieses Staates beigetragen haben, in den Fokus nehmen. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, lehnen das mit einer sprachlichen Scheinargumentation ab. Das zeigt wirklich: Es geht Ihnen heute gar nicht um die Aufarbeitung, sondern nur um Ihren Populismus.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Mentrup, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Das ist aus meiner Sicht etwas, wofür ich mich an dieser Stelle für das Parlament und für Sie ganz persönlich schämen muss.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen werden diesen Antrag heute unterstützen, wenngleich mit kritischen Anmerkun gen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Wenn es auch nach den Reden der Regierungsfraktionen schwerfällt!)

Ich bedaure außerordentlich, dass die Ernsthaftigkeit dieses Themas durch Ihre Beiträge, Frau Kollegin Vossschulte und Herr Kollege Wetzel, nicht zum Tragen gekommen ist.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist doch ab- surd!)

Sie haben hier billig einige Personen, auch eine SPD-Politikerin, an den Pranger gestellt. Sie haben die übliche Kritik an den Achtundsechzigern geübt.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Sehr berechtigt! – Ge- genruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Du warst doch 1968 noch in den Windeln!)

Das wird diesem Thema, das uns alle sehr beschäftigen muss und bei dem wir als Demokraten gemeinsam zusammenstehen müssen, nicht gerecht.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausgangspunkt für den Beschluss der Kultusministerkonferenz und für Ihren Antrag war eine Schülerstudie, die Schroeder-Studie. Ich bin sehr froh, dass diese Studie durchgeführt wurde. Wir haben in der empirischen Bildungsforschung in den letzten zwei Jahrzehnten

immer mehr empirische Untersuchungen gehabt, vor allem zur Sprachkompetenz, mathematischen Kompetenz, naturwissenschaftlichen Kompetenz, also eine Verengung auf die sogenannten Kernkompetenzen. Wir sehen jetzt, wie wichtig es ist, hinzuschauen, wie die politische Bildung stattfindet, wie das historische Wissen unserer Schüler geprägt wird, und zu klären: Welche Faktoren spielen eine Rolle, welche Einflussmöglichkeiten sind da, damit unsere Schülerinnen und Schüler tatsächlich als junge Menschen für die Demokratie stehen und Unrechtsstaaten und Diktaturen ablehnen?

Da hat diese Studie erhebliche Erkenntnisse gebracht. Für mich ist vor allem erschreckend, dass es einen so großen Unterschied zwischen den jungen Menschen in den neuen Bundesländern und den jungen Menschen in den westlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg gibt. BadenWürttemberg kann ich dazunehmen, obwohl Baden-Württemberg bei dieser Schülerbefragung nicht berücksichtigt wurde.

Wir sehen in den neuen Bundesländern – die Zahlen sind genannt worden –, wie viele Schülerinnen und Schüler unsere Demokratie ablehnen. Dabei muss man verschiedene Faktoren berücksichtigen. Im Grunde ist das erschreckende Ergebnis, dass wir diese jungen Menschen offensichtlich nicht ausreichend in unser Land integrieren konnten, dass sich viele als Verlierer definieren, dass viele in dem Bewusstsein, keine Perspektive zu haben, nicht willkommen zu sein, diesen rückwärtsgewandten Blick übernommen haben. Insoweit wird eine Änderung des Geschichtsunterrichts allein keine Abhilfe schaffen können, sondern es geht darum: Diesen jungen Menschen muss gezeigt werden, dass sie gebraucht werden, dass sie uns wichtig sind, dass sie willkommen sind. Auch wir im Westen müssen dafür sorgen, dass sie eine Perspektive bekommen. Das ist die zentrale Herausforderung.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist aber in der Stellungnahme des Kultusministeriums zu dem Antrag in Bezug auf die Studie nicht enthalten, und zwar eine Aussage dazu, wie das Geschichtsbewusstsein über die DDR hauptsächlich geprägt wird. Es gibt einen Teil in dieser Studie, für den die Schüler befragt wurden, welche prägenden Quellen sie für ihr DDR-Bild haben. Sie geben an erster Stelle Filme und Fernsehbeiträge an. Erst dann folgt der schulische Unterricht.

Auf Nachfrage, woher die Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse über die DDR haben,

so heißt es dort –

gaben die Jugendlichen an, Filme wie „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin!“ gesehen zu haben, die sie für eine objektive Informationsquelle halten.

Eine breite Mehrheit von 80 %

so die Studie weiter –

kennt Filme über die DDR und bezieht daraus anscheinend – mehr oder weniger unbewusst – „Wissen“ über diesen deutschen Teilstaat. (Schroeder, Berlin, 68)

Das heißt also ganz konkret: Wir haben eine riesige Herausforderung, die so aussieht: Wir müssen uns wirklich um Medienkompetenz bemühen. Wir müssen diese Filme, wir müs

sen diese Medien mit in den Unterricht einbeziehen. Die Schüler müssen lernen, sich kritisch und reflektiert mit Medien auseinanderzusetzen. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Das ist vor allem auch in der Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte eine Herausforderung. Der Hinweis auf das Nichtbehandeln von Fakten im Unterricht ist dagegen einfach zu billig, Frau Vossschulte.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ich möchte nun zu den kritischen Anmerkungen kommen, die ich zu dem Beschlussteil Ihres Antrags habe.

Erstens: Ich sehe bei uns in Baden-Württemberg keine Tendenz zur Verklärung der DDR-Diktatur. Hier wird einfach ein Popanz aufgebaut und ein Schreckensbild an die Wand gemalt. Die Lehrerinnen und Lehrer in unserem Bundesland machen einen verantwortungsvollen Unterricht; das muss man wirklich betonen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Sehr schön! Prima! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Aha!)

Zweitens: Sie fordern, dass „die Kontinuität zwischen der SED und ihren Nachfolgeorganisationen in personeller wie auch in politisch-programmatischer Hinsicht“ aufgezeigt werden solle. Sie meinen hier in Baden-Württemberg damit natürlich die Linke.

(Abg. Werner Pfisterer CDU: Zu Recht!)

Hier muss ich wirklich fragen: Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass Politiker wie der ehemalige Vorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, Ulrich Maurer, oder auch die ehemalige DGB-Vorsitzende in Karlsruhe, Karin Binder, eine Nachfolgeorganisation der SED betreiben? Sie müssen sich hier in Baden-Württemberg – wir müssen das alle – mit den Linken politisch auseinandersetzen. Das ist die Herausforderung. Aber hier zu dämonisieren ist zu billig und wird der Demokratie und der demokratischen Kultur in Baden-Württemberg nicht gerecht.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Ich habe nur die Fakten vorgetragen!)

Ich komme zum Schluss. Herr Kultusminister Rau, Sie haben in Ihrer Stellungnahme zum Antrag zu Recht festgestellt:

Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der beiden deutschen Diktaturen und damit die Schaffung eines entsprechenden Geschichtsbewusstseins bleibt eine herausragende Aufgabe des Unterrichts.

Wir haben das Problem, dass wir gerade unter den Jugendlichen in Baden-Württemberg eine starke Verbreitung des Rechtsradikalismus beobachten. Das ist eine Herausforderung, der wir uns in unserem Bundesland stellen müssen. Wir müssen hier Ursachenforschung betreiben und Maßnahmen ergreifen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Genau wie bei den Linken! Wo ist denn da der Unterschied?)

Ich bitte Sie, Herr Kultusminister Rau, uns zu sagen, welche Vorbereitungen für die Veranstaltungen zum 20. Jahrestag des Endes der DDR-Diktatur getroffen werden.

Ich möchte der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg ganz herzlich …

(Glocke des Präsidenten)