Protocol of the Session on April 23, 2009

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einbrüche in der Wirtschaft, vor allem in der Industrie, sind dramatisch. Das betrifft insbesondere auch unser Bundesland Baden-Württemberg. Deshalb gibt es für die Landespolitik in dieser Zeit zwei Hauptaufgaben.

Die erste Hauptaufgabe besteht darin, den industriellen Kern, die wirtschaftliche Substanz unseres Landes möglichst unbeschädigt über diese Krise zu bringen.

Die zweite Hauptaufgabe lautet, so viele Menschen wie möglich in Arbeit zu halten.

Was den zweiten Punkt betrifft, setzt die Bundesregierung ganz stark auf Qualifizierung. Sie wird deshalb die Bezugszeit für Kurzarbeitergeld noch einmal verlängern. Sie stellt sehr, sehr viel Geld zur Verfügung, damit während der Kurzarbeit auch Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt werden können.

Sie finden aber so gut wie nicht statt. Warum? Die letzte Phase der Kurzarbeit in unserer Wirtschaft liegt ungefähr 15 Jahre zurück. Das heißt, diejenigen, die damit in den Betrieben umzugehen haben – die Geschäftsführer, die Betriebsräte –, sind alles neue Leute. Sie alle müssen die Erfahrungen neu sammeln: Wie managen wir das Ganze? Deshalb sind sie mit dieser Arbeit vollauf beschäftigt und können sich nicht gleichzeitig darum kümmern: Wie setzen wir auch noch Qualifizierungsmaßnahmen in der Phase der Kurzarbeit in Gang?

Deshalb werden die Gelder nicht abgerufen. Deshalb haben wir bei den Haushaltsberatungen im Januar beantragt, die Mittel durch ein Landesprogramm bereitzustellen, damit Menschen bezahlt werden können, die sich darum kümmern, dass Kurzarbeit mit Qualifizierung verbunden wird. Sie sollen sie nicht selbst durchführen, sondern als Mentoren für Qualifizierung sorgen. Sie sollen den Betriebsräten, den Geschäftsführern die Arbeit abnehmen, damit die Gelder abgerufen werden und Qualifizierung stattfindet.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben das damals abgelehnt.

Herr Minister Pfister, wir waren froh, als Sie im Februar eine Kehrtwende gemacht haben. Sie selbst haben angekündigt, die Landesregierung wolle die Wirtschaftskrise zur Fortbildung von Kurzarbeitern nutzen und Unternehmen dafür staatliche Zuschüsse anbieten. Wir haben gedacht: Okay, unser Antrag wurde abgelehnt – das ist üblich –, aber jetzt haben Sie

sich besonnen und kommen mit einem eigenen Paket. Pfeifendeckel! Sie haben eine neue Kehrtwende gemacht und das Programm eingestampft.

Wir haben mit Frau Strobel, der Leiterin der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, geredet. Dabei sind unsere persönlichen Eindrücke bestätigt worden: Es kommt nicht voran. Deshalb fordern wir Sie auf, eine neue Zacke an Ihren Zickzackkurs anzuknüpfen, von dem Nein wieder zum Ja zu gehen, die Gelder bereitzustellen, damit endlich Qualifizierungsmaßnahmen für die Schaffer in Baden-Württemberg angeboten werden.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Reinfall bei diesem Thema: Es gibt Menschen, die schon arbeitslos sind. Viele werden nach der Ausbildung nicht übernommen, oder sie sind arbeitslos geworden. Gott sei Dank gibt es Hunderte von jungen Leuten, die sagen: Wir wollen nicht in der Arbeitslosigkeit verharren, sondern wir wollen uns weiterqualifizieren, beispielsweise zum Techniker, damit unsere Chancen nach dem Ende der Krise besser sind und wir mit einer besseren Qualifikation neu durchstarten können.

Diese jungen Leute gehen in die Berufsschulen des Landes, wollen sich anmelden, bekommen aber reihenweise Absagen, weil die Landesregierung dafür keine Plätze bereitstellt. Das Fatale – man fasst es nicht – ist: Das wird im Bildungsausschuss thematisiert, und der Kultusminister sagt: „Das ist ein Thema, das mich gar nichts angeht. Die haben doch schon eine Erstausbildung. Darum sollen sich andere kümmern.“ Das darf doch nicht wahr sein! Der Kultusminister dieses Landes fühlt sich in dieser Krise für die Fragen der Weiterbildung und der zusätzlichen Qualifizierung nicht zuständig.

(Abg. Ingo Rust SPD: Unglaublich!)

Dass wir nicht alles lösen können, ist völlig klar. Wir müssen uns aber bemühen und können doch wohl erwarten, dass diese Landesregierung alles in ihrer Kraft Stehende unternimmt, um möglichst wenige Menschen auf der Straße und in der Arbeitslosigkeit landen zu lassen. Darauf hat die Bevölkerung dieses Landes einen Anspruch.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Der dritte Reinfall betrifft auch den Kultusminister. 10 000 junge Leute wollen nach der mittleren Reife auf die gymnasiale Oberstufe, um die Hochschulreife zu erwerben und danach, wenn möglich, ein Studium zu beginnen. 10 000 junge Menschen schickt der Kultusminister weg, weil er nicht die notwendige Zahl an Plätzen bereitstellt. Diese Menschen drängen auf den Ausbildungsmarkt, verdrängen Schwächere und werden dafür sorgen, dass wir in diesem Jahr nicht wieder, wie im vergangenen Jahr, 12 000 junge Leute in die Warteschleife schicken, sondern 15 000, 16 000 oder 17 000.

Unnötig junge Leute ohne Ausbildung zu lassen ist ein sträfliches Vergehen in dieser Zeit. Herr Kultusminister, deshalb fordern wir Sie auf, Ihre Politik in dieser Hinsicht zu ändern.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Weil der Ministerpräsident in dieser Minute eingetroffen ist, richte ich noch ein Wort an ihn. Herr Ministerpräsident, wir sind maßlos enttäuscht von der Qualität Ihrer Arbeit in dieser Krise.

(Oh-Rufe von der CDU)

Dies betrifft die Qualifizierung von Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder in Arbeitslosigkeit sind. Verhängen Sie eine Urlaubssperre für das Wochenende. Rufen Sie Ihre Truppe zusammen, und beschließen Sie die notwendigen Maßnahmen, die wir Ihnen vorschlagen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Geht das dann mit der Gewerkschaft konform? – Zuruf von der CDU: Das war wieder einmal ober- lächerlich! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Krue ger.

(Ministerpräsident Günther Oettinger begrüßt Abg. Claus Schmiedel SPD mit Handschlag. – Heiterkeit – Zurufe, u. a.: Urlaubssperre!)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Qualifizierung – daran besteht wohl kein Zweifel – tut immer not, zum einen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, zum anderen erst recht in Zeiten drohender Arbeitslosigkeit. Man muss aber auch einmal sagen, wer ein primäres Interesse an Qualifizierung haben muss.

Zum einen gibt es die Betriebe, die ihrerseits ein hochgradiges Interesse daran haben müssen, zur Sicherung ihrer eigenen Innovationsfähigkeit und ihrer Wettbewerbsfähigkeit qualifizierte Arbeitnehmer an Bord zu haben.

Zum anderen gibt es die Arbeitnehmer, die einerseits ein persönliches Interesse an ihrer Grundqualifikation und – im Sinne eines lebenslangen Lernens – andererseits ein Interesse an ihrer eigenen Weiterbildung haben müssen, damit sie auf dem Arbeitsmarkt bestehen können.

Außerdem gibt es noch den Staat, der die Aufgabe hat, im Sinne eines ausgewogenen Ausbildungs- und Arbeitsmarkts und sicherlich auch im Sinne einer insgesamt florierenden Wirtschaft diese Weiterbildungsanstrengungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu unterstützen. – So weit, so gut. Ich hoffe, wir sind uns wenigstens bis dahin einig.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: So weit schon!)

Das schon. Das ist doch schon einmal erfreulich.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann macht doch ein- mal etwas! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rü- eck CDU: Frau Haußmann ist aufgewacht!)

Genau jetzt kommt es: Sie lehnen sich mit dem Titel dieser von Ihnen beantragten Aktuellen Debatte „Qualifizierung statt Arbeitslosigkeit“ an eine Pressemitteilung von Frau Nahles an, die diese bereits am 7. Januar dieses Jahres herausgegeben hat. Da weiß man dann auch, woher es kommt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die haben ja nicht ein- mal wir! – Heiterkeit – Die Rednerin hält eine Pres- semitteilung in die Höhe.)

Hier nachzulesen: 7. Januar, Andrea Nahles: „Qualifizierung statt Arbeitslosigkeit“. Offenkundig habe ich ein bisschen besser recherchiert als Sie selbst, Herr Drexler.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was archivieren Sie ei- gentlich alles?)

Mein Büro ist zwar klein, aber gut gefüllt.

Sie suggerieren mit dieser Debatte, das Land wäre untätig, wohl wissend, dass es in der Bundesrepublik eine gewisse Aufgabenteilung gibt. Sie haben dankenswerterweise auch das Programm der Bundesregierung schon angesprochen. Ich will das an dieser Stelle wirklich einmal loben: Die Verlängerung der Zahlungsdauer für das Kurzarbeitergeld ist mit Sicherheit hilfreich. Das wird die Betriebe in den Stand versetzen, ihre Arbeitnehmer zu halten,

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

und zwar auch über das wirtschaftliche Tal hinweg. Es ist natürlich auch gut, dass man diese Phase für Qualifizierungen nutzen kann und soll. Das ist auf Bundesebene neu.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Das wissen wir schon!)

Hier im Land hat es ursprünglich einmal Ideen gegeben, gerade in diese Richtung zu gehen, Kurzarbeiterphasen für die berufliche Weiterqualifizierung zu nutzen. Wenn dies aber der Bund schon macht – im Übrigen richtigerweise macht –, dann ist es doch wohl logisch, dass es wirklich Eulen nach Athen getragen wäre, wenn wir dasselbe auch noch einmal tun wollten.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wir brauchen Kümme- rer, nicht Miesmacher! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Ein völlig falsches Selbstverständnis! Unglaub- lich! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Hören Sie zu, dann können Sie sich qualifizie- ren!)

Wir brauchen Kümmerer, aber wir müssen nicht einfach nur noch einmal eine Schippe auf das drauflegen, was der Bund schon tut.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Aber das reicht doch gar nicht!)

Im Übrigen ist das Land keineswegs untätig. Wir unterstützen Weiterbildung und Weiterbildungsträger in einem ganz breiten Maß. Allein für das Jahr 2009 ist der Haushaltsansatz zur Steigerung der Unterrichtseinheiten bei den Weiterbildungsträgern um 2,9 % – das sind 310 000 € – erhöht worden. Wenn weiterer Bedarf vorhanden ist, werden sich die Landesregierung und mit ihr auch die Regierungsfraktionen da sicherlich weiter engagieren.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Claus Schmiedel: Bei der Agentur liegen 100 Millionen!)

Daran kann, glaube ich, gar kein Zweifel bestehen.

Es ist auch nicht so, dass es für die von Ihnen angesprochenen Gruppen – junge Menschen oder auch Langzeitarbeitslose, die Sie jetzt nicht angesprochen haben, oder ältere Arbeitnehmer, die es genauso betrifft – nichts gäbe. Selbstverständlich gibt es etwas. Im Bereich des Sozialministeriums haben wir bekanntlich den ESF. Den brauche ich Ihnen nicht erst zu erklären; den kennen Sie alle. In diesem Bereich wird ein Volumen von 266 Millionen €

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Für wie viele Jah- re?)