Protocol of the Session on April 23, 2009

Deswegen sind Verbote, wie wir sie jetzt erlassen, nur ein Mosaikstein in dem gesamten Gebilde. Darüber hinaus sind wir aber als Gesellschaft weiterhin gefordert. Da ist vorhin vieles richtig gesagt worden. Frau Kollegin Haußmann hat auch darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft in vielen Bereichen gefordert ist, vom Elternhaus über die Schule bis hin zur Polizei.

Jetzt will ich wenige Sätze darauf verwenden, zu sagen, dass die Polizei täglich mit den Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs bis hin zum Komasaufen – um das Stichwort zu nennen – konfrontiert ist. Alkoholexzesse schlagen häufig in Provokationen, in Pöbeleien und nicht selten in Gewalt um. Herr Kollege Dr. Wetzel hat zu Recht darauf hingewiesen: Alkohol ist ein Katalysator von Gewalt.

Deswegen ist es mir als Innenminister ein großes Anliegen, den Alkoholmissbrauch und die negativen Folgeerscheinungen einzudämmen, auch um der Polizei vieles abzunehmen, was täglich – oder allnächtlich – auf sie zukommt.

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die keinen Zweifel daran lassen, dass von Alkohol beeinflusste Gewalttaten – das entspricht auch polizeilicher Erfahrung – überproportional in den Abend- und Nachtstunden begangen werden, und da ist insbesondere der Zeitraum zwischen 22 Uhr und fünf Uhr relevant. Das schlägt sich auch in der Kriminalstatistik für Baden-Württemberg nieder, und da wird das gesellschaftliche Problem greifbar. Deswegen will ich Ihnen dazu zwei, drei Zahlen sagen.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Abg. Haußmann?

Ja, gern.

Bitte, Frau Haußmann.

Herr Innenminister, es verwundert uns in der SPD-Fraktion schon, dass über ein Jahr vergangen ist, ohne dass Sie die rechtlichen Modalitäten eines solchen Gesetzentwurfs überprüft hätten. Ich will Sie doch bitten, konkret zu werden und zu sagen, wann in diesem Jahr dieser Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das hat er doch gesagt! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Die hören halt nicht zu!)

Frau Kollegin Haußmann, ich habe Verständnis für Ihre Frage, auch wenn ich sie eigentlich schon beantwortet habe. Aber ich wiederhole meine Antwort gern.

Im Juni werden wir mit der Vorlage ins Kabinett gehen, dann kommt die öffentliche Anhörung, dann geht der Gesetzentwurf ins Plenum, und dann werden wir noch in diesem Jahr das Gesetz verabschieden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was heißt „in diesem Jahr“?)

So schnell es eben geht.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Im Dezember? Oder nach der Sommerpause? Vielleicht können Sie sich einmal festlegen! Wir warten ja schon seit über einem Jahr auf diesen Gesetzentwurf!)

Frau Kollegin Haußmann, Sie wissen doch, wie Gesetzgebungsverfahren laufen. Ich habe gesagt, wir werden den Gesetzentwurf noch im Juni im Kabinett vorlegen. Dann werden wir dort beschließen, in die öffentliche Anhörung zu gehen. Der Landtag wird sich damit befassen, die Fraktionen, der Innenausschuss, und je nachdem, wie lang die Anhörungsfristen sind, und auch je nachdem, wie viele Verbände und Organisationen angehört werden müssen – die Sommerpause müssen wir berücksichtigen –, werden wir das Verfahren so zügig wie möglich durchziehen, zumal wir – Sie werden es gleich hören – in den Inhalten völlig einig sind. Sie müssen dann nur noch zustimmen.

Die Frage, weshalb man hier keinen Schnellschuss machen darf und machen sollte, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beantwortet. Da können Sie nachlesen, was alles abzuwägen ist.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber nach über einem Jahr, Herr Minister!)

Frau Kollegin Haußmann, ich kenne Gesetzgebungsvorhaben vonseiten der SPD, bei denen die Gesetze niemals das Licht der Welt erblickt haben.

(Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Glocke der Präsidentin)

Deswegen können wir zufrieden sein.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Untersteller?

Herr Kollege Untersteller, gern. Aber ich will darauf hinweisen: Sie wollen ja möglichst schnell wissen, was im Gesetzentwurf drinsteht. Das will ich Ihnen auch möglichst schnell sagen. Aber Sie müssen mir Gelegenheit dazu geben.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/ DVP)

Herr Minister, es gab im Juni 2007 einen Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, über den hier im Landtag noch im selben Jahr abgestimmt wurde und dem meine Fraktion jedenfalls teilweise, nämlich in dem Punkt, den ich gleich zitieren will, zugestimmt hat. Das Begehren lautete,

... den Verkauf von beliebigen Alkoholmengen zu fixen und niedrigen Preisen („Flatrate-Partys“) gaststättenrechtlich zu verbieten

... den Verkauf hochprozentiger alkoholischer Getränke an Tankstellen als Reiseproviant zu verbieten.

Ich frage mich: Wenn Ihnen das ein solches Anliegen ist, weshalb brauchen Sie dann zwei Jahre, um nun hier zu sagen, Sie bräuchten noch einmal ein paar Monate, und wenn es gut gehe, bekämen Sie es dieses Jahr hin? Wo ist denn das Problem? Warum braucht man zwei Jahre, um das Gesetz auf den Weg zu bringen?

Herr Kollege Untersteller, ich habe schon darauf hingewiesen: Wir können jetzt ein Kolloquium veranstalten – Jurastudium, drittes Semester.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber mit dem Justiz- ministerium unterhaltet ihr euch nicht?)

Es gibt den Artikel 3 und den Artikel 12 des Grundgesetzes. Es gibt den Eingriff in die Berufsfreiheit, in die Freiheit der Berufsausübung; es gibt den Gleichheitsgrundsatz.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das ist den Grünen wurscht!)

Was machen Sie mit Tankstellen und Verkaufsstellen? Was machen Sie mit dem Straßenverkauf von Wirtschaften und Ähnlichem? Es gibt zig Dinge, die Sie berücksichtigen und abwägen müssen. Ich bin gern bereit, dies – drittes Semester –, wenn Sie es wollen und mir eine Redezeit von einer Stunde geben, abzuhandeln. Wenn es so einfach wäre, dann hätte man längst zustimmen können. Wenn es so einfach wäre, hätte uns – dem Gesetzgeber – das Bundesverfassungsgericht nicht das ins Stammbuch geschrieben, was es im Urteil zum Nichtraucherschutzgesetz geschrieben hat.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Aber andere haben sol- che Gesetze schon gemacht!)

Das alles haben wir mit berücksichtigt, und das ist in diesen Gesetzentwurf eingeflossen, von dem ich und auch der Kol

lege Goll sagen können: Da sind wir verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite. Das wären wir mit einem Schnellschuss nicht gewesen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Bei den Gaststätten ging es auch!)

Gut, wir können ja hinterher all Ihre Fragen in der Gaststätte unten im Haus noch miteinander diskutieren.

(Abg. Werner Raab CDU: Aber nicht nach 22 Uhr! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Bei einer Tasse Tee!)

Ich gebe einen aus.

Lassen Sie mich aber noch Folgendes sagen – ich hatte schon darauf hingewiesen, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, das nicht nur die Jugendlichen betrifft –: Mehr als jeder Dritte – das gilt auch für Erwachsene; Frau Kollegin Lösch hat vorhin darauf hingewiesen, und ich will das aufgreifen –, 35 % aller Täter stehen bei Gewaltdelikten unter Alkoholeinfluss. Bei den unter 21-jährigen Tatverdächtigen sind es bereits 30 %. Dabei liegt der Anteil der alkoholisierten Heranwachsenden unter den Gewalttätern, also der Anteil der Personen zwischen 18 und 21 Jahren, bereits über 40 %. Im Jahr 2008 lag bei 61 % der alkoholbeeinflussten Gewalttaten die Tatzeit zwischen 22 Uhr abends und fünf Uhr morgens.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Deshalb wollen wir ja, dass ihr das Gesetz jetzt macht!)

Jetzt wissen Sie, warum wir uns auf diesen Zeitraum fokussiert haben. Es betrifft 3 144 von insgesamt 5 146 Gewaltdelikten mit Tatzeitangabe; es geht also um mehr als zwei Drittel aller Tatverdächtigen. Auch Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte – auch das ist ein Thema, das wir in den letzten Wochen verstärkt diskutiert haben – sind häufig unter Alkoholeinfluss erfolgt. Im Jahr 2008 wurden im Zeitraum von 22 Uhr bis fünf Uhr von insgesamt etwas über 1 000 Widerstandshandlungen fast 84 % – 84 %! – als alkoholbeeinflusst in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Das sagt eigentlich alles.

Ein zentrales Problem dabei ist die hohe und ständige Verfügbarkeit des Alkohols. Die polizeilichen Erfahrungen zeigen, dass sich insbesondere an Tankstellen, die noch in den späten Abendstunden oder gar rund um die Uhr geöffnet haben, in den letzten Jahren immer mehr Szenetreffs junger Menschen etabliert haben, wo Alkoholmissbrauch in großem Umfang stattfindet. Diese Treffs werden parallel dazu auch immer stärker zu polizeilichen Einsatzschwerpunkten. Das beschränkt sich nicht nur auf Ballungsräume und Städte, sondern das Problem haben wir mittlerweile auch draußen auf dem Land.

Jetzt kommt ein Satz, der hoffentlich ungeteilte Zustimmung findet: Ein solches nächtliches Alkoholverkaufsverbot an Verkaufsstellen – ich rede jetzt nicht mehr von Tankstellen – wäre daher – Herr Kollege Heinz hat darauf hingewiesen – ein weiterer Baustein, aber ein wichtiger Baustein im Rahmen unserer Doppelstrategie, nämlich Prävention und täterorientierte Intervention.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann macht doch! Dann legt doch endlich los!)

Gut. Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Haußmann, ich zitiere Sie:

Damit können wir nicht alle unsere Probleme lösen.

(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist das ei- gentliche Problem! – Zuruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)

Das wäre zu kurz gedacht, und das ist reiner Populismus. Für mich geht es um eine sinnvolle und notwendige Ergänzung unserer Gesamtstrategie. Das Ziel eines solchen Verbots muss sein, die Zahl der Straftaten, die unter Alkoholeinfluss begangen werden, im öffentlichen Raum während der Nachtzeit zu reduzieren und auch Gesundheitsgefahren zu begegnen, die infolge übermäßigen Alkoholkonsums auch in der Nachtzeit vor allem jungen Menschen drohen. Gerade wegen des Ziels und der Tragweite einer solchen Regelung – ich sage es noch einmal – und aufgrund der Erfahrungen mit dem Landesnichtraucherschutzgesetz, das uns hier wesentliche Hinweise gegeben hat, war ein Schnellschuss nicht angebracht.