Auf der Grundlage der Ergebnisse unserer Umfrage haben wir nochmals einen Änderungsantrag eingebracht und gefordert, die Kapazitäten der beruflichen Gymnasien über das Land verteilt um 90 Klassen auszuweiten. Wir brauchen keine Mangelverteilung, sondern eine vernünftige Orientierung und die Aussage, dass jeder, der möchte und der auch den entspre
chenden Notendurchschnitt hat, eine Ausbildung an einem beruflichen Gymnasium durchlaufen kann. Über Facharbeitermangel oder Mangel an Ingenieuren brauchen wir nicht zu reden, wenn wir nicht bereit sind, die Ressourcen in den entsprechenden Bereichen zur Verfügung zu stellen. Das muss unser Ziel sein.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorhin wurde schon betont, welche wichtigen Aufgaben die beruflichen Gymnasien im Land wahrnehmen. Sie schöpfen einen Teil der Begabungsreserven aus, und sie tragen zur Chancengleichheit und zur Chancengerechtigkeit im Bildungssystem bei. Das bleibt nach wie vor festzuhalten. Damit sind sie die Schulen des sozialen Aufstiegs.
Wenn wir auf die Abiturientenquote schauen, sehen wir, dass ein Drittel der Abiturienten in Baden-Württemberg aus den beruflichen Gymnasien kommen. Würden wir diesen Anteil herausrechnen und uns allein auf die allgemeinbildenden Gymnasien stützen, wäre die Abiturientenquote in BadenWürttemberg ebenso wie die in Bayern die schlechteste in der ganzen Republik.
Allerdings bekommen die beruflichen Gymnasien von der Landesregierung nicht die Unterstützung, die notwendig ist.
Nach wie vor fehlen diesen Schulen die notwendigen Ressourcen, um ihrem Auftrag vollumfänglich gerecht werden zu können. Dazu gehört die Feststellung, dass es immer noch Unterrichtsausfall gibt, dazu gehört die Feststellung, dass wir noch immer keine ausreichenden Lehrerzuweisungen haben, und dazu gehört die Feststellung, dass auf den beruflichen Gymnasien nach wie vor ein Deckel liegt, der es ihnen nicht erlaubt, nachfragegerecht auf die Bewerberzahlen zu reagieren.
Meine Damen und Herren, eine Unterfinanzierung des Bildungssystems kann ähnlich dramatische Auswirkungen haben wie das Wegbrechen von Wirtschaftszweigen. Gute Bildung ist so systemrelevant wie die Banken.
Dessen sollten sich alle bewusst sein. Denn wer Bildungschancen einschränkt, sieht auch dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel tatenlos zu. Sie kennen die Prognosen für den Ausbildungsmarkt. Ausbildungsplätze im dualen System korre
lieren sehr stark mit der Wirtschaftsentwicklung. Daher steht zu befürchten, dass es in diesem Bereich zu einem Rückgang kommt, den wiederum die beruflichen Schulen und auch die beruflichen Gymnasien auffangen müssen. Deswegen ist es notwendig, hier die entsprechenden Klassenzahlen zuzulassen und allen Berechtigten die Chance zu geben, diesen Bildungsweg zu gehen. Dazu gehört, die notwendigen Lehrkräfte, die notwendigen Unterrichtsstunden und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, meine Damen und Her ren.
Was wir beklagen, ist nach wie vor der harte Numerus clausus, der bei den beruflichen Gymnasien seit Jahren besteht. Die Landesregierung hat sich ja geweigert, auf die Fragen in unserem Antrag entsprechende Antworten zu geben und mitzuteilen, um wie viele Schüler es in diesen einzelnen Jahren geht, wie viele Schüler abgewiesen wurden und wie der tatsächliche Notendurchschnitt sein musste, um auf ein berufliches Gymnasium zu kommen.
Die Landesregierung erschwert es lernwilligen Schülerinnen und Schülern, die Hochschulreife zu erlangen, wenn durch einen solchen Numerus clausus solche Beschränkungen bestehen.
Woran liegt das? Zum einen können wir feststellen, dass in den beruflichen Gymnasien und in den beruflichen Schulen die durch Pensionierungen ausscheidenden Jahrgänge nicht voll ersetzt werden, Herr Minister. In dem Bereich, den ich überschaue, dem Bereich Nordbaden, sieht es so aus, dass von drei ausscheidenden Berufsschullehrern nur zwei ersetzt werden. Man muss ja abziehen, was für zusätzliche Poolklassen zur Verfügung steht und was für die zusätzliche Erzieherinnenausbildung benötigt wird. Dann haben wir eben für die in Pension gehenden Lehrkräfte keinen entsprechenden Ersatz. Wir bedauern das ausdrücklich.
Dafür tragen allein Sie die Verantwortung. Denn in den Haushaltsberatungen haben wir ausdrücklich gefordert, mehr Lehrerstellen in den Haushalt einzustellen. Diesen Antrag haben Sie abgelehnt. Jetzt tragen Sie die Verantwortung.
Ein weiteres Problem ist, dass die Verteilung der Lehrerstellen im Land nicht ganz gerecht ist. Das ist zum Nachteil der Region Nordbaden. Wir haben in Nordbaden wesentlich mehr Vollzeitschulen mit kompensatorischem Charakter. Wenn die Zuteilung der Lehrkräfte nach der Zahl der Köpfe geht, dann haben diejenigen einen Vorteil, die in verstärktem Umfang Teilzeitunterricht anbieten, während die, die quasi diejenigen in der Warteschleife aufsaugen, die ein Übergangssystem zur Verfügung stellen, die eine Kompensation betreiben, die Benachteiligten sind. Deshalb liegt das strukturelle Defizit allein im Bereich Karlsruhe bei über 6 %. Das ist ein Tatbestand, den man so nicht akzeptieren kann.
Um ein kleines Schlaglicht auf die aktuelle Situation zu werfen – wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, wie viel aus
den einzelnen Schulbereichen G 8 und G 9 kommen –: Es ist einfach so, dass die Kapazität nicht ausreicht.
Im Landkreis Rastatt bewerben sich auf die fünf beruflichen Gymnasien über 600 Schüler. Die Kapazität ist so bemessen, dass ein Viertel abgewiesen werden müssen. Das ist ein äußerst unbefriedigender Zustand, und den gilt es zu beseitigen.
Kein Wunder, dass wir daher einen entsprechenden Zulauf zu den privaten beruflichen Gymnasien mit exorbitanten Steigerungsraten haben. Es kann aber nicht sein, dass die öffentliche Hand, dass die Verantwortlichen die Schüler darauf verweisen müssen, sie sollten auf eine private Schule gehen – dort kostet es Geld –, weil die Landesregierung nicht in der Lage ist, die Kapazitäten entsprechend auszubauen.
Unser vorliegender Antrag wurde, wie schon gesagt, nicht ausreichend beantwortet. Es geht insbesondere um die Fragen nach dem Notendurchschnitt, nach der Anzahl der Abweisungen und nach der Entwicklung in den letzten Jahren. Deswegen meinen wir – die Stellungnahme ist erst gestern eingetroffen –, dass wir dieses Thema im Ausschuss noch einmal diskutieren sollten. Unser Antrag sollte daher zur weiteren Beratung an den Schulausschuss überwiesen werden.
Was die heutige Diskussion betrifft, so bleibt unsere Forderung nach zusätzlichen Stellen. Insofern können wir den vorliegenden Antrag der Fraktion GRÜNE unterstützen.
Lieber Herr Kollege Lehmann, ich muss zugeben, Sie haben mich heute Morgen tatsächlich überrascht. Eigentlich hatte ich angesichts Ihrer Antragsbegründung damit gerechnet, dass Sie Ihr Dauerlamento, Ihre Dauerkritik am G 8 und am ge gliederten Schulsystem insgesamt wieder aufleben lassen. Aber, wie gesagt, ich staune über die doch offensichtlich vorhandene Einsichtsfähigkeit.
Denn immerhin haben Sie das berufliche Gymnasium als Juwel und Kleinod beschrieben, und da haben Sie recht. Also herzlichen Dank dafür.
Aber Sie sollten bitte nicht im selben Atemzug Berufskolleg und berufliches Gymnasium auseinanderzudividieren versuchen. Beide haben ihre Berechtigung. Es ist auch gut, wenn
Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass die zu weiten Teilen schweigende Mehrheit der Bevölkerung die Vorzüge unseres gegliederten Schulsystems zu schätzen weiß.
Ich will es nicht der Länge nach ausführen. Sie alle haben mitbekommen, dass sich vor wenigen Tagen das Aktionsbündnis für das gegliederte Schulwesen in Baden-Württemberg zusammengeschlossen hat. Wir werden an dieser Stelle sicherlich noch mehr davon hören.
Auf etwas möchte ich aber schon hinweisen. Gerade die Lehrer an beruflichen Schulen können die Qualität und vor allem die Durchlässigkeit unseres Schulsystems ganz besonders gut beurteilen. Denn sie sind es ja, die die Haupt- und Realschüler zum höher qualifizierten Bildungsabschluss bis hin zum Abitur führen. Wie gesagt: Immerhin konzedieren auch die Grünen, dass es sich beim beruflichen Gymnasium um eine attraktive Schulart handelt. Stimmt ja auch.
Das freut uns zu hören. – Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Hauptschüler, die den Wechsel auf das berufliche Gymnasium geschafft haben, sich in den vergangenen fünf Jahren um 40 % erhöht hat. Ich denke, das ist schon auch ein Qualitätsausweis für die gute Arbeit, die Tag für Tag an unseren Hauptschulen geleistet wird. Die Zahl der Überwechsler aus Realschulen und Berufsfachschulen ist um 20 % gestiegen, hingegen ist die Zahl der Wechsler – und da sind wir dann auch beim Thema G 8 – aus den allgemeinbildenden Gymnasien konstant geblieben. Von einem Verdrängungswettbewerb zulasten der Haupt- und Realschüler kann also in keiner Weise die Rede sein. Wir werden wie in der Vergangenheit dafür sorgen, dass das in Zukunft auch so bleibt.
Auch wenn die Zahl der Bewerbungen steigt, wird sich der Bedarf an zusätzlichen Schulplätzen erheblich relativieren. Grund – das wissen Sie so gut wie wir – sind die große Zahl von Mehrfachbewerbungen und auch die Tatsache, dass sich eben doch viele der ursprünglichen Bewerber am Ende dafür entscheiden, in eine duale Ausbildung zu gehen.
Erst mit dem Abgleich, der dieser Tage auch stattgefunden hat, kann man genau sagen, wie viele Schulplätze wir am Ende brauchen. Um dem real zu erwartenden Zuwachs gerecht zu werden, haben wir bereits im vergangenen Jahr – Sie erinnern sich vielleicht – die zusätzliche Einrichtung sozialwissenschaftlicher Gymnasien mit 15 Klassen beschlossen. Weitere 30 Klassen werden entsprechend dem regionalen Bedarf an den anderen beruflichen Gymnasien eingerichtet.