Protocol of the Session on March 19, 2009

Dort werden Bahnhöfe stillgelegt – bei uns werden sie modernisiert. Dort werden leere Züge gestrichen – bei uns müsste man neue Züge anschaffen.

Deshalb treffen die Kürzungen der Regionalisierungsmittel uns in Baden-Württemberg ganz besonders. Es ist unverantwortlich, dass Minister Tiefensee zwischen 2006 und 2010 im Durchschnitt jährlich über 80 Millionen € streicht. Das sind weit über 10 % der vorher, bis 2005 vorgesehenen Summe. Die Landesregierung hat diese Kürzungen nicht in vollem Umfang weitergegeben. Denn die Koalition steht zu einem attraktiven Nahverkehrsangebot in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

Deshalb stellt die Landesregierung – Kollege Köberle wird es noch sagen – Kompensationsmittel von über 17 Millionen € in diesem Jahr und fast 28 Millionen € im nächsten Jahr bereit. Im Jahr 2008 waren es über 6,8 Millionen €. Im Namen meiner Fraktion möchte ich dem für Verkehr zuständigen Innenministerium hierfür ausdrücklich danken.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU)

Lieber Kollege Haller, auch für Ihren Antrag sind wir sehr dankbar. Es stehen 2,5 Millionen € – hoffentlich immer noch – zusätzliches Geld zur Verfügung, die im System bleiben sollten. Wir haben der Stellungnahme der Landesregierung mit Freude entnommen, dass dieses Geld auch im System bleiben wird.

Nicht sinnvoll wäre es natürlich, Kürzungen nur für begrenzte Zeit zurückzunehmen. Aber Kollege Haller hat ja heute gesagt, dass wir ein solches Strohfeuer auch nicht wollen. Wir halten es für sinnvoll, das Geld langfristig und nachhaltig zu nutzen. So könnte man z. B. mit der Bahn darüber verhandeln, ob man das Geld nicht als Zuschuss für die Anschaffung neuer und zusätzlicher Züge verwenden könnte. Denn gerade bei den überfüllten Zügen – Kollege Scheuermann hat zutreffend darauf hingewiesen – macht die Bahn ja sehr ordentliche Gewinne. Sie sollte ein Interesse daran haben, auch einen Eigenbeitrag zur weiteren Steigerung ihres Fahrgastaufkommens zu erbringen. Deshalb erscheint es durchaus möglich, mit diesem Geld und einem angemessen hohen Anteil an Mitteln der Bahn neue Züge auf den überlasteten Strecken einzusetzen.

Lieber Herr Staatssekretär Köberle, Sie versichern uns im Innenausschuss gebetsmühlenartig, dass Sie den Rahmenvertrag mit der Bahn nicht ändern können. Zu dem Vertrag und der Fortschreibung ist schon viel gesagt worden. Aber bei diesem zusätzlichen Geld könnten Sie eben, wie Kollege Scheuermann vorgeschlagen hat, über eine Zusatzvereinbarung verhandeln.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das habe ich aber nicht vorgeschlagen!)

Dann müssten wir uns vielleicht nicht mehr ganz so oft mit den Worten des Benimmpapstes Adolph von Knigge trösten, der einmal sagte:

Zum Reisen gehört Geduld, Mut, Humor und dass man sich durch kleine widrige Zufälle nicht niederschlagen lasse.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das war vor der Zeit der Eisenbahn!)

Lieber Kollege Köberle, krempeln Sie die Ärmel hoch, packen Sie es an, und berichten Sie uns bald von den Erfolgen, die wir alle im Haus hier wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Köberle.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hochkrem- peln nicht vergessen! – Abg. Hans-Martin Haller SPD: Die Ärmel hoch! – Abg. Winfried Scheuermann CDU: Ärmel hoch!)

Liebe Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte eigentlich nicht vermutet, dass dieser überholte Antrag doch zu einer sehr sachlichen Debatte führt – mit einer hohen Übereinstimmung, was Qualität, Bedeutung und Erwartungen beim Nahverkehr im Land Baden-Württemberg betrifft.

Lieber Herr Haller, ich spreche einfach einmal ein Lob für diesen Antrag aus. Zumindest auf den ersten Blick ist das eine sehr interessante, kreative Idee, die Sie da äußern.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Das macht er im- mer so! – Gegenruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist aber nur der erste Eindruck!)

Ihre Idee ist, Entgelte gegenzurechnen mit Dauerinvestitionen in neue Bestellungen. Auf den zweiten Blick ist dieser Vorschlag allerdings, wie Sie als ehrlicher Mensch selbst ein Stück weit zugestehen müssen, ziemlich unbrauchbar. Ich will das einmal an Zahlen deutlich machen, einmal ganz abgesehen davon, dass wir Gott sei Dank nicht in jedem Jahr einen Lokführerstreik haben und dadurch bestimmte Überweisungen an die Bahn nicht machen müssen oder wieder Rücküberweisungen bekommen.

Inzwischen liegt die Abrechnung vor. Das war bei der Beantwortung des Antrags noch nicht der Fall. Aufgrund des Lokführerstreiks sind 564 718 Zugkilometer nicht gefahren worden. Diese nicht gefahrene Kilometerleistung kann jetzt in Geld berechnet werden. Dafür müssen wir nämlich nicht bezahlen. Das sind 4,2 Millionen €.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Das glaube ich!)

Das ist ein beachtlicher Betrag. Wenn wir diesen Betrag in jedem Jahr zusätzlich hätten, könnten wir natürlich in jedem Jahr damit einige Lücken schließen und einige Wünsche erfüllen.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Zum Streik aufru- fen! – Abg. Christine Rudolf SPD: War das ein indi- rekter Aufruf zum Streik? – Zuruf des Abg. Dr. Fried- rich Bullinger FDP/DVP)

Aber auf der anderen Seite haben wir das Geld nur deshalb, weil Züge nicht gefahren sind. Das ist ja das Problem. Schon die Rechnung, mit nicht gefahrenen Zügen eine zusätzliche Verkehrsanbietung zu bekommen, geht ja nicht auf.

Schauen wir uns einmal die Endabrechnung für das Jahr 2007 an. Da kamen diese 4,2 Millionen € in die Kasse zurück bzw. sind dort geblieben. Aber wir mussten schon aufgrund gestiegener Energiepreise in diesem Jahr 8,2 Millionen € mehr bezahlen und durch gestiegene Trassenpreise weitere 3,8 Millionen €. Das sind in der Summe 12 Millionen € mehr Ausgaben im Jahr 2007, als ursprünglich geplant waren. Diese 12 Millionen € müssen wir erst einmal irgendwoher bekommen. Wenn wir davon diese 4,2 Millionen € abziehen, bleibt noch immer eine große Lücke. Dies hat überhaupt nichts mit dem Bahnvertrag zu tun; denn darüber klagen alle Länder gleichermaßen, weil die Trassenpreiserhöhung und die Stationspreiserhöhung natürlich deutschlandweit ausgebracht werden und nicht aufgrund von Bahnverträgen.

Ich will noch auf einige wenige Punkte eingehen, die in der Debatte angesprochen worden sind.

Wie sieht es in Bayern aus? Ich glaube, Herr Haller, Sie waren auf Bayern gekommen

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Einschließ- lich Tirol! – Zuruf des Abg. Hans-Martin Haller SPD)

vor allem mit Hinweis auf den Wechsel im Amt des Verkehrsministers in Bayern aufgrund einer neuen Koalition. Ich stelle einfach einmal fest – das können wir im Verkehrsbereich, aber auch in anderen politischen Bereichen wahrnehmen –, dass Bayern gut ist im Produzieren von Schlagzeilen. Wir sind da in Baden-Württemberg sehr solide. Wir lassen uns an Fakten messen. Wir können uns, was den ÖPNV und den SPNV betrifft, in allen Fakten mit Bayern messen lassen: in der Qualität der Verkehrsverträge, in der Weiterentwicklung der Infrastruktur und vor allem auch in der Akzeptanz des ÖPNV, ausgedrückt in Fahrgastzahlen.

Das zweite Thema ist: Wir sind aufgefordert worden, an die Zeit nach dem großen Bahnvertrag ab den Jahren 2015/16 zu denken, wenn wir den Nahverkehr in unserem Land neu vergeben müssen. Lieber Herr Haller, da sind Sie sehr spät dran, uns dazu aufzufordern. Wir wären zu spät dran, wenn wir uns erst jetzt Gedanken darüber machen würden, wie es nach 2015/2016 weitergeht.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Dann noch besser!)

Wir arbeiten bereits mit Hochdruck an dieser Frage, weil wir nicht erst 2013 mit neuen Verträgen anfangen können. Vielmehr muss spätestens 2012 mit der Ausschreibung alles klar sein, damit sich dann die Verkehrsunternehmen, die den Zuschlag bekommen, mit ihren Investitionen auf mögliche Aufträge ausrichten können.

Es sind Gutachten in Auftrag gegeben, die neue Bündelungen erarbeiten. Wir müssen ja auch das völlig neue Bahnsystem in Baden-Württemberg ab 2019/2020 in unsere Überlegungen einbeziehen, wenn der Hauptbahnhof Stuttgart vom Kopfbahnhof zum Durchgangsbahnhof wird und völlig neue, viel interessantere Relationen damit möglich werden, als es bisher der Fall war. Wir müssen konzeptionell weiterarbeiten. Natürlich richtet sich die Nahverkehrsgesellschaft BadenWürttemberg, die weitgehend diese Aufgabe zu übernehmen hat, auch personell, das heißt durch die Aufstockung ihres Per

sonals, auf diese doch sehr große und schwierige Herausforderung aus.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Erfreulich!)

Das finde ich gut. Sie halten es für richtig, dass man frühzeitig an diese Aufgabe herangeht. Ich will Ihnen zusichern, dass wir dabei sind. Begleiten Sie diesen Prozess mit Ihrem Interesse, mit Ihrer Kompetenz weiter. Wir sortieren ja Züge im Land nicht nach parteipolitischen Farben, sondern die Menschen steigen in Züge ein unabhängig davon, wie sie sich bei Wahlen entscheiden.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wirklich?)

Deshalb ist die Gestaltung des ÖPNV eine parteiübergreifende Aufgabe.

Ich komme zum dritten Thema. Jetzt will ich mich dem lieben Kollegen Scheuermann zuwenden und mich bedanken für seine Initiative, aber auch querbeet bei Kollegen hier aus dem Landtag, die uns immer wieder auch von ganz persönlichen Erfahrungen berichten: Ich bin mit diesem und jenem Zug gefahren, er war übervoll, es herrschten fast unzumutbare Zustände in diesem Zug.

Auf einen Antrag des Kollegen Scheuermann hin haben wir jetzt einmal aufarbeiten lassen: Wo haben wir die größten Schwierigkeiten? Wo ist die Nachfrage zu groß oder die Wagenkapazität zu gering?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Oder zu elend!)

Wo müssen wir handeln?

Wir sind bei der Auswertung. Wir können – da folge ich dem Kollegen Scheuermann natürlich nahtlos – nicht sagen: Überall dort, wo Wünsche im ÖPNV vorhanden sind, ist automatisch das Land in der Pflicht, durch mehr Geldeinsatz diese Probleme zu lösen.

Der ÖPNV ist d i e Gewinnquelle für die Deutsche Bahn. Deshalb müssen wir der Bahn sagen: Dort, wo es ihr zumutbar ist, wo sie mit mehr Flexibilität im Einsatz von Wagenmaterial, mit längeren Fahrzeugen, mit höherer Fahrzeugkapazität, nicht unbedingt mit schnelleren Umläufen von Fahrzeugen, Abhilfe schaffen kann, können wir das von der Bahn erwarten. Das muss dort geschehen, wo die Einnahmen besonders hoch sind, weil die Nachfrage nach den Bahnangeboten besonders stark ist.

Dann ist uns klar, dass wir in einem zweiten Schritt, vermutlich schon im Hinblick auf den nächsten Fahrplan, auch – leider, sage ich jetzt, weil das Geld immer knapp ist – mehr Geld in die Hand nehmen müssen, um den einen oder anderen Zug zusätzlich bestellen zu können und den Schienenverkehr zu entlasten.

Herr Kollege Untersteller, ich bin dankbar, dass Sie sachlich auf die grundsätzlichen Meinungsunterschiede hingewiesen haben, die zwischen Ihrer Fraktion und der großen Mehrheit in diesem Landtag in der Einschätzung von Stuttgart 21 bestehen. Wir werden über Jahre landauf, landab zu hören bekommen, dass man sagt: Weil Stuttgart 21 gebaut wird, kön

nen wir dieses und jenes im Verkehrsbereich und in anderen Bereichen nicht tun.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Das Geld haben wir eben nicht!)

Ich glaube, diese Grundsatzdebatte haben wir generell geführt. Aber, lieber Kollege Untersteller, bei der Verkehrspolitik in einem hochmodernen Land wie Baden-Württemberg, in einem wirtschaftlich so starken und in seinen Wirtschaftsstrukturen auf ganz Europa ausgerichteten Land, können wir nicht davon ausgehen, dass die Baden-Württemberger sich ausschließlich im Nahbereich über attraktive und gute Verkehrsangebote fortbewegen wollen.