Protocol of the Session on March 18, 2009

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren! Keiner von uns kann heute und keiner von uns will heute das parlamentarische Tagwerk geschäftsmäßig beginnen. Unsere Gedanken und Gefühle sind fixiert auf das, was exakt vor einer Woche in Winnenden und dann in Wendlingen geschehen ist.

Ein 17-Jähriger schließt mit sich ab, geht in seine ehemalige Schule, wird dort und später auf der Flucht zum Killer. Er tötet 15 Menschen, reißt sie buchstäblich aus dem Leben. Er zerstört – wie treffend gesagt wurde – die „Seele“ einer Schule. Er stürzt zwei Städte in ein tiefes Trauma.

Es gibt keine Worte für das Leid, das er in Winnenden und Wendlingen gebracht hat: über die Eltern der Opfer, über die Angehörigen der Opfer, über Klassenkameraden, Arbeitskollegen, Freunde. Wir stehen mitfühlend an deren Seite. Wir tun das auch im Namen der Parlamente in Deutschland und in unseren Partnerregionen, die in großer Zahl ihr Beileid bekundet haben.

Unsere Erschütterung und unsere Beklommenheit sind übergroß und übermächtig. Unsere Trauer gerinnt zur stummen Totenklage.

Gleichzeitig denken wir an alle, auf denen der Vormittag des 11. März 2009 fortan unauslöschlich und quälend lastet: die Schülerinnen und Schüler der Albertville-Realschule in Winnenden; die Lehrerinnen und Lehrer; alle, die an den Tatorten im Einsatz gewesen sind: die Polizistinnen und Polizisten, die Ärzte, Sanitäter und Feuerwehrleute, die Notfallseelsorger, Pfarrer und Psychologen.

Ein grauenhafter Albtraum wurde Realität. Wenn in diesem abgrundtiefen Dunkel ein Funken Licht gewesen ist, dann durch das Handeln, den Mut, die Stärke und die Wärme all derer, die mit ihrer Geistesgegenwart noch Schlimmeres verhindern konnten, die sich gekümmert haben und sich noch kümmern. Ihnen gelten unser Dank und unsere Hochachtung. Sie haben dem Dämonischen das andere – das Gute – entgegengesetzt.

Auch nach einer Woche steht unser Land noch unter Schock. Trotzdem, so banal es klingt: Das öffentliche Leben geht weiter. Damit wächst unsere Pflicht, niemanden in seinen Wunden zurückzulassen.

Die Politik wird auch daran gemessen, ob die artikulierte Betroffenheit nachhaltig ist. Gerade wir als Landtag von BadenWürttemberg müssen konstruktive Diskussionen anstoßen, in Gang halten und – wo immer machbar – konkrete Resultate erwirken. Das freilich ist schwierig, weil Kausalketten hier bloß annäherungsweise erkannt werden können.

Grundsätzliche Fragen sind zu erörtern, aber wir dürfen uns nicht in abstrakten Diskussionen verlieren. Wir müssen letztlich Unerklärbarem gerecht werden. Daher dürfen wir nicht leugnen, dass uns die Mittel fehlen, einen hundertprozentigen Schutz zu gewährleisten.

Der politische Grat zwischen Aktionismus und dem Versäumen möglicher Verbesserungen ist schmal. Wir brauchen Bedachtsamkeit und Entschlossenheit gleichzeitig.

Unsere Gesellschaft hat christlich-humanistische Wurzeln. Trotzdem ist es für viele junge Menschen fast normal geworden, virtuell zu töten – weil es ja bloß ein Spiel sei. Unsere Bestürzung muss deshalb den festen Willen beinhalten, solchen Deformationen – so weit es geht – entgegenzuwirken.

Werden wir auch in diesem Sinn Teil der landesweiten Schweigeminute, die genau jetzt Baden-Württemberg in Trauer und Anteilnahme vereint.

Ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich zu einer Schweige- minute von ihren Plätzen.)

Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Ich erteile nun dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es sind sehr schwere Tage für unser Land. Gewiss, wir haben von solchen Amokläufen gewusst – aus Amerika, auch schon aus Deutschland –, aber immer schien es weit weg. Nun geschah das Unfassbare in Winnenden an einer Realschule. Die Spur der mörderischen Ereignisse zog sich bis nach Wendlingen, wo sich der Täter schließlich selbst richtete: ein Mörder aus unserer Mitte, gerade einmal 17 Jahre alt. Er wird von vielen, die ihn kannten, als zurückhaltend und eher unauffällig beschrieben. Sein Vorgehen war äußerst brutal, kalt und unbarmherzig, sinnlos. Es ist entsetzlich und unbegreiflich, was Menschen einander antun können, auch bei uns in Baden-Württemberg.

Unser tiefes Mitgefühl gehört den Angehörigen, den Kolleginnen und Kollegen, den Freundinnen und Freunden der Opfer. Wer selbst ein Kind, einen Lebenspartner, einen Freund oder eine Freundin plötzlich und völlig unerwartet verloren hat, kann ihr Leid und ihren Schmerz nachempfinden. Wirklich vorstellen können wir es uns aber nicht.

Eine solche Tat löscht nicht nur das Leben der Opfer aus. Sie verstört und sie zerstört auch das Leben ihrer Angehörigen.

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

Wir lassen sie nicht allein. Wir helfen, so gut es geht, ideell und, wo nötig, auch materiell.

Dasselbe gilt für die Albertville-Realschule und die benachbarten Schulen in Winnenden, die diese traumatischen Erlebnisse nun verarbeiten müssen. Alle Dienststellen und Einrichtungen, die diesen Prozess helfend begleiten, haben unsere volle Unterstützung.

Schulen sind Orte der Bildung und weit mehr, Orte, in denen Gemeinschaft, Kameradschaft, Freundschaft gegründet und gefördert werden, also Orte der sozialen Zukunft. Und Schulen sind die empfindlichsten Stellen einer Gesellschaft. Wer sie angreift, der greift uns alle an. Wir alle sind aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Kinder und Jugendlichen in einer angstfreien Atmosphäre lernen und groß werden können.

Ich möchte im Namen der Landesregierung von Baden-Würt temberg und ganz persönlich Dank sagen: den Lehrerinnen und Lehrern und den Schülerinnen und Schülern der Albertville-Realschule, die sich geistesgegenwärtig, tapfer, teilweise heldenhaft verhalten haben; den Polizisten, die rasch zur Stelle waren und die durch ihr beherztes, mutiges Eingreifen womöglich eine noch schlimmere Tat, ein schlimmeres Blutbad verhindert haben.

Ich danke den Frauen und Männern, die die Betreuung der Angehörigen und der betroffenen Kinder und Erwachsenen übernommen haben. Ich danke den Seelsorgern und den Kirchen. Ihre Türen waren und sind geöffnet, und Tausende sind gekommen, um in ihrer Trauer Trost und Orientierung zu finden.

Ich danke der Polizei, allen öffentlichen Stellen und allen helfenden Einrichtungen, die in diesen Tagen oft bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert waren. Sie haben unter schwe ren Bedingungen gut und gewissenhaft gearbeitet.

Ganz besonders danke ich auch allen, die ihr Mitgefühl aus nah und fern auf vielfältige Weise zum Ausdruck brachten, die Kraft gefunden haben, Betroffene und Angehörige zu trös ten oder sie einfach in die Arme zu nehmen. Kleine Gesten der Menschlichkeit durchbrechen und überwinden letztlich das monströs Bösartige einer solchen Tat und machen so ein Weiterleben möglich.

Amoktaten liegen meist extreme psychische Muster zugrunde, die uns zur Vorsicht mahnen, was Folgerungen und Verallgemeinerungen anbelangt. Aber, meine Damen und Herren, es ist nicht nur das unmittelbare Tatgeschehen allein, das uns erschreckt, sondern das sind auch die Trittbrettfahrer, und das ist auch der Umstand, dass am folgenden Tag im Land schon wieder eine Schule evakuiert werden musste. Das sind auch Reaktionen in einschlägigen Internetchats, die ein erschreckendes Maß an Verrohung und moralischer Verwahrlosung offenbaren. Das sind auch Jagdszenen einiger Medienleute – Gott sei Dank waren es nicht viele – auf Opfer und Hinterbliebene. All dies muss uns sehr zu denken geben.

Welche kulturellen und religiösen Bedingungen, konkret und atmosphärisch, finden junge Menschen heutzutage in unserer, in der von uns geformten Gesellschaft vor? An welche Vorbilder können sie sich halten, an welchen Vorbildern können sie sich reiben und sich orientieren? Welchen medialen Ein

flüssen sind sie häufig schon ab dem zarten Kindesalter ausgesetzt? Wie steht es mit dem Zusammenleben der Generationen? Gibt es nicht einen besorgniserregenden Trend des Auseinanderdriftens in Parallelwelten, zwischen denen oft Sprachlosigkeit und Nichtverständnis besteht? Wie hoch sind die Schwellen zwischen der virtuellen Welt, dem virtuellen Gewaltkonsum und tatsächlicher Gewaltbereitschaft wirklich?

Es ist nicht die Stunde der raschen Antworten, sondern die Stunde eines sorgfältigen, ernsthaften Hinterfragens, für das wir uns Zeit nehmen müssen und Zeit nehmen wollen. Vor Amokläufern gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Aber es gibt eine Kultur der Aufmerksamkeit, der Achtsamkeit und der persönlichen Zuwendung, die menschlichen Tragödien dieser Art entgegenwirken kann. Hier sind wir alle gefordert, jede und jeder von uns.

In diesem Sinne danke ich in diesen Minuten den vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im ganzen Land, in den Schulen, in den öffentlichen Einrichtungen, in den Betrieben, am Arbeitsplatz, zu Hause und auf der Straße.

Wir alle halten inne. Wir gedenken. Diese Nachdenklichkeit ist ein wichtiges Zeichen der Zusammengehörigkeit in BadenWürttemberg.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich Folgendes bekannt:

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Stratthaus erteilt.

Krank gemeldet sind die Herren Abg. Palm, Reichardt und Sckerl.

Aus dienstlichen Gründen haben sich Frau Staatssekretärin Gurr-Hirsch – für heute Vormittag –, Herr Minister Dr. Reinhart – für den Nachmittag –, Herr Staatssekretär Wacker – für heute Vormittag – und Herr Minister Rau – ab 12:00 Uhr – entschuldigt.

Dienstlich verhindert ist Frau Staatsrätin Dr. Hübner.

Meine Damen und Herren, eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt vervielfältigt auf Ihren Tischen. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Landesregierung vom 3. März 2009 – Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) ; hier: Berichtigte Anmeldung des Landes zum Rahmenplan 2009 – Drucksache 14/4128

Überweisung an den Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft und federführend an den Finanzausschuss

2. Mitteilung des Rechnungshofs vom 12. März 2009 – Beratende Äußerung zur Wirtschaftlichkeitsanalyse von ÖPP-Projekten der ersten und zweiten Generation bei Hochbaumaßnahmen des Landes – Drucksache 14/4043

Überweisung an den Finanzausschuss

(Präsident Peter Straub)

3. Mitteilung der Landesregierung vom 12. März 2009 – Gesetz zur Ergänzung rundfunkrechtlicher Staatsverträge; hier: Berichte des SWR und des ZDF über die Finanz-, Haushalts- und Personalkostenentwicklung in den Jahren 2007 bis 2010 – Drucksache 14/4187

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Unterrichtung des Landtags über die Ergebnisse der Föderalismuskommission II durch den Ministerpräsidenten und Aussprache

Bitte, Herr Ministerpräsident.