Protocol of the Session on February 12, 2009

Meine Damen und Herren, aus dieser Krise werden diejenigen Wirtschaftsstandorte am besten herauskommen – das haben Sie auch gesagt –, die neues Wissen schnell in neue Pro

dukte umsetzen. Für uns heißt das: Wir müssen in BadenWürttemberg Wirtschaft – und zwar Mittelstand – und Forschung näher zusammenbringen. Deshalb haben wir ja seit mehr als zwei Jahren den Innovationsrat. Der Mittelstand ist wissensdurstig;

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Im Gegen- satz zur SPD!)

er will sich ja im Wettbewerb behaupten. Wir müssen ihm den Zugang zur vorderen Front der Forschung erleichtern. Die Innovationsgutscheine sind ein gut gemeinter, aber zu schwacher Ansatz dafür. Wir haben den Antrag gestellt, die Hochschulen zu ermuntern und sie auch entsprechend auszustatten, um eigene exzellente Forschungswerkstätten und Forschungsplattformen mit niedriger Zugangsschwelle für den Mittelstand einzurichten. Dabei soll das mittelständische Unternehmen aktiver Forschungspartner sein – breite und kurze Brücken vom innovationshungrigen Mittelstand zu unseren guten und auch hieran interessierten Hochschulen. Baden-Würt temberg war früher bei diesen Themen immer Pionier. Da waren wir ja vielfach auch beteiligt.

(Zuruf: Vielfach? Wann war das?)

Erweiterungen der Hochschulen in den Sechzigerjahren, Einführung der Fachhochschulen Anfang der Siebzigerjahre, Einführung der Berufsakademien Ende der Siebzigerjahre, Einführung der Transferzentren in den Achtzigerjahren – aber seither ist nichts Neues auf diesem Gebiet zwischen Mittelstand und Hochschulen bzw. Forschung passiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Glocke der Prä- sidentin)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Bul linger?

Bitte sehr, Herr Kollege.

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in Baden-Württemberg pro 100 000 Einwohner die meisten Patente angemeldet werden, dass hier gleichzeitig die meisten Innovationen umgesetzt werden und die Innovationen auch am schnellsten umgesetzt werden? Sind Sie nicht auch mit mir der Meinung, dass das Gejammere, das Sie hier veranstalten, mit dem, was ich gerade gesagt habe, nicht übereinstimmt?

Ich stütze mich ausschließlich auf die amtlichen statistischen Zahlen des Landes.

Das, was Sie, Herr Bullinger, zu den Patenten sagen, stimmt. Aber inzwischen werden 90 % der Patente nur noch von den sieben größten Unternehmen des Fahrzeugbaus, aber auch von SAP, IBM und HP angemeldet.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Dann ge- hen wir einmal miteinander in das „Haus der Wirt- schaft“ und gucken uns das an! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist aber so! Da brauchen wir nicht in das „Haus der Wirtschaft“ zu gehen!)

Nein, das ist so. Der Mittelstand ist hier fast nicht mehr beteiligt.

(Zurufe der Abg. Thomas Knapp und Peter Hofelich SPD)

Bosch, Daimler, ZF hauptsächlich. Ich kenne mich da aus, Herr Kollege.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das merkt man aber nicht!)

Zu den Kernaufgaben des Staates gehört die Infrastruktur. Bei uns ist der Zustand der Straßen besonders schlecht, der der Landesstraßen übrigens der schlechteste. Dieser Teil ressortiert allerdings nicht im Haushalt des Wirtschaftsministeriums,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Richtig!)

und genau darin steckt das nächste Problem. Infrastruktur ist nämlich längst ein Faktor im Standortwettbewerb. Von der Standortpolitik liegt leider nur der bürokratische Teil in der Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums. Es ist oberste Bauaufsichtsbehörde, Genehmigungsbehörde für Sanierungsprogramme, für Landesraumordnung zuständig, hat aber keine eigene Gestaltungsaufgabe für den Wirtschaftsstandort. Die Planung und der Bau von Straßen und Schienen ressortieren beim Innenministerium, für die Breitbandversorgung ist das Landwirtschaftsministerium zuständig.

(Abg. Ingo Rust SPD: Das Landwirtschaftsministe- rium? Unglaublich!)

Jedes gute Stück Infrastruktur erhöht die Wertschöpfung für alle, die es nutzen. Hat jemand einmal ausgerechnet, was eine Antistaumaßnahme, eine Ortsumfahrung oder moderne Verkehrsinfosysteme an wirtschaftlichen Vorteilen bringen?

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Meinen Sie den Redner? – Heiterkeit bei der FDP/DVP)

Ich kann mich schon durchsetzen. – Zeitgewinn, Sicherheitsgewinn, weniger CO2-Ausstoß, Bewahrung von Ortszentren. Das bringt viel mehr, als es kos tet.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er soll zu Öffnungszeiten von Kindergärten etwas sagen!)

Das gilt erst recht für gezielte Erweiterungen des Schienennetzes, besonders im Regionalverkehr. Schauen wir die Schweizer Nachbarregion an, die unserer Region strukturell und wirtschaftsgeschichtlich ja eigentlich sehr ähnlich ist.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns eigentlich einig sein: Unser Land muss durchstarten, damit es wieder wachstumsstärker wird – nicht nur wegen der jetzigen Krise.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Durchstarten wie die SPD! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Ihre Zwischenrufe wer- den immer blöder! Richtig doof!)

Das sollte eigentlich die Botschaft für die nächsten zwei Jahre dieser Legislaturperiode sein.

Zu marktkonformem Staatshandeln gehört natürlich der Wohnungsbau. Er bedarf überall staatlicher Impulse. Bei uns tut man am wenigsten dafür. Wenn wir Fachkräfte ins Land holen wollen, mobile Menschen, die dann eine Familie gründen, brauchen wir mehr Wohnungen, vor allem dort, wo diese Menschen hinwollen, in die wirtschaftsstarken Städte und in die Hochschulstädte. Diese Menschen suchen Mietwohnungen. Später bauen sie dann vielleicht auch selbst, aber zuerst sind sie mobil. Wir wollen sie jedoch in dieser Phase anscheinend nicht haben. Der Wanderungssaldo ist jetzt auch negativ geworden. An deutschen Zuwanderern kommen jährlich noch 17 000 nach Baden-Württemberg, aber 27 000 wandern aus Baden-Württemberg ab. Die Zahlen sind steigend.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Sozialismus wollen Sie haben! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Das tut weh!)

Auch hier machen andere Länder – gerade die erfolgreichen Länder – mehr. Bayern z. B. macht erheblich mehr und stockt jetzt noch einmal auf. Wir haben dazu Anträge gestellt und gute Finanzierungsmöglichkeiten aufgezeigt.

Bei der Energiepolitik wissen alle: Erneuerbare Energien sind die Zukunft.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Sie propagieren, die alten Atommeiler länger laufen zu lassen. Das wollen natürlich die Stromkonzerne,

(Abg. Paul Nemeth CDU: Haben Sie etwas gegen Al- te?)

besonders unserer. Wir haben den Landesanteil an der EnBW an den französischen, atomverhafteten Staatskonzern EdF verkauft, und jetzt haben wir bei der EnBW nichts mehr zu sagen. Das war eine der größten strategischen Fehlentscheidungen! Das werden wir noch erkennen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Falsch sind in diesem Zusammenhang auch alle Addierungen: Atomstrom plus erneuerbare Energien. Denn der Atomstrom verdrängt die erneuerbaren Energien.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wenn sie nicht da sind, kann man sie nicht verdrängen! Man muss sie erst schaffen!)

Wer investiert in solche Anlagen, wenn die Großen mit Atomstrom den Markt langfristig beherrschen? Dabei ist das Problem der Endlagerung heute so wenig gelöst wie eh und je.

(Abg. Paul Nemeth CDU: Da ist doch Herr Gabriel schuld!)

Schon das ständige Rütteln am Atomausstieg lähmt die Inves titionen, hemmt natürlich Investitionen.

(Abg. Paul Nemeth CDU: Sind Sie gegen den Ener- giemix?)

Meine Damen und Herren, Infrastruktur und Ordnungspolitik sind Wirtschaftspolitik. Dazu gehört mehr Freiheit für die Kommunen bei Vergaben. Willkommen im Boot, dass Sie das jetzt auch so sehen.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Wir waren schon vorher im Boot!)

Dazu gehört Aufgabenkritik, dazu gehört Bürokratieabbau. Dazu gehören klare Spielregeln,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Herr Cle- ment war ganz anderer Meinung!)