Protocol of the Session on December 4, 2008

Wir brauchen uns, was den Wettbewerb angeht, nichts vorzumachen. Wir stehen im Wettbewerb, international und national, europaweit und deutschlandweit. Ich behaupte, meine Damen und Herren: In diesem Wettbewerb stehen wir gut da, weil wir früher, tatkräftiger und entschlossener begonnen haben und weil wir treffsicher und zielgerichtet gearbeitet haben.

Also: Nicht sich treiben lassen! In der Summe steht BadenWürttemberg

(Abg. Claus Schmiedel SPD: „Gut da“! – Abg. Wolf- gang Drexler SPD: „Sehr gut da“!)

im Hinblick auf den demografischen Wandel besser da als viele andere. Das ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis aktiver Politik.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Beim Thema „Demografischer Wandel“ geht es um Wettbewerb, aber es geht in allererster Linie um Menschen.

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Hinter den oft trockenen statistischen Zahlen stehen Menschen, stehen Schicksale, für die wir verantwortlich sind. Das sollten wir nicht vergessen.

Ich möchte jetzt die Antworten skizzieren, die wir im Hinblick auf den demografischen Wandel entwickelt haben. Manches davon hat der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung zur Halbzeitbilanz bereits angesprochen.

Wir haben mit der Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission ein Bündel von Maßnahmen auf den Weg gebracht, das, behaupte ich, in Deutschland seinesgleichen sucht. Ich nenne folgende Schwerpunkte: Kinderbetreuung, Bildung, Wissenschaft und Forschung.

Wir werden die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren bis zum Jahr 2013 bis zu einer Versorgungsquote von 34 % ausbauen. Das Land wird seine Beteiligung an den Betriebskosten schrittweise erhöhen, und wir werden hierfür bis 2014 einen Betrag in Höhe von 175 Millionen € in die Hand nehmen. Der gemeinsame Weg von Land und Kommunen beim Ausbau der Kleinkindbetreuung ist alternativlos.

Genauso wichtig ist uns aber auch eine Stärkung der Tagespflege und die Unterstützung der betrieblichen Kinderbetreuung. Meine Damen und Herren, Investitionen in die Betreuung von Kindern sind die besten Investitionen überhaupt. Sie kommen den Eltern zugute, sie kommen den Kindern zugute, und im Falle der betrieblichen Kinderbetreuung kommen sie nicht zuletzt auch den Betrieben zugute.

Nächster Punkt: Qualitätsoffensive Bildung. Die politische Vorrangstellung von Bildung und Betreuung haben wir bis ins nächste Jahrzehnt hinein festgeschrieben. Dies alles geschieht, um unseren Kindern eine hervorragende Chance für die Zukunft zu geben.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Genau!)

Insoweit gewinnt das Haus „Kinderland“ Baden-Württemberg in seiner Architektur, in seiner Konstruktion immer mehr Realität.

(Beifall der Abg. Günther-Martin Pauli und Marcel Schwehr CDU)

Hieran schließt sich der Hochschulbereich an. Wir haben den Hochschulpakt 2012 geschlossen, und dieser Pakt ist auch notwendig, um die Lücke bei den Fachkräften zu schließen, die auf uns zukommen wird. Auch da ist es leicht, sich zurückzulehnen und auf die Hochschulerfolge zu verweisen.

(Zurufe von der SPD: Ja, ja!)

Hochschulerfolge aber fallen nicht vom Himmel,

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Wer hätte das gedacht!)

und sie kommen auch nicht von jetzt auf nachher. Wir inves tieren, damit unsere Hochschulen weiter ganz vorn mitspielen.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Die Ergebnisse der Exzellenzinitiative sprechen für sich, und sie sprechen für uns.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Das soll uns erst einmal einer nachmachen.

(Beifall der Abg. Andrea Krueger CDU)

Ich leite jetzt zum Thema Forschung über. Auch bei der Forschung zum demografischen Wandel waren wir, meine Damen und Herren,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: „Spitze“!)

bereits früh exzellent aufgestellt. Ich erinnere an den Lehrstuhl von Frau Professor Ursula Lehr, ich erinnere an Herrn Professor Börsch-Supan, ich erinnere an das Netzwerk Alternsforschung in Heidelberg, betreut von Herrn Professor Kruse, sowie an Herrn Professor Raffelhüschen. All das sind Namen von Exzellenzen, die bundesweit Gewicht haben. Auch damit beweisen wir, dass wir im Wettbewerb bestehen.

Dritter Schwerpunkt: Pflege, Gesundheit, Menschen mit Behinderungen. Wir haben eine Bundesratsinitiative zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für bürgerschaftlich Engagierte in der Pflege gestartet, die im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz auch aufgegriffen wurde.

Wir stärken – und damit komme ich zu einem Punkt, der mir sehr am Herzen liegt – auch die Palliativversorgung, das Schmerzmanagement im ambulanten und im häuslichen Bereich. Bei uns ist vielleicht die Erkenntnis noch zu wenig angekommen, dass es, wo Heilung nicht mehr möglich ist, um die Linderung von Schmerzen geht. Es geht mir darum, dass wir im ambulanten, im häuslichen Bereich eine verbesserte Betreuung durch die Hausärzte ermöglichen,

(Unruhe – Zuruf: Pst!)

dass wir verhindern, dass – wie es so oft der Fall ist – pflegende Angehörige, die im Akutfall überfordert sind, in ihrer Verzweiflung den Notarzt rufen. Damit würde nämlich ein Kreislauf auf den Weg gebracht: Der Patient kommt ins Krankenhaus, und er stirbt, angeschlossen an Apparate, im Krankenhaus. Hier haben wir Nachholbedarf. In Deutschland werden im internationalen Vergleich nur etwa ein Zehntel so viele Schmerzmittel verschrieben wie in anderen Ländern. Das hat etwas mit unserer Vergangenheit zu tun; aber wir müssen hier nachbessern, wir müssen den Patienten und deren Angehörigen helfen.

Wir sagen auch den Hospizdiensten ausdrücklich weitere Unterstützung zu. Auch für diesen Bereich darf ich feststellen, dass wir bundesweit die höchste Versorgungsdichte haben. Unsere Pflegeheimförderstrategie wird ebenfalls fortgesetzt.

Ich habe vorhin angesprochen, dass Baden-Württemberg in den Bereichen Beschäftigung, Arbeitsmarkt und Wirtschaft im Wettbewerb steht.

(Unruhe)

Auch zu diesem Schwerpunkt der Empfehlungen nenne ich Ihnen einige Fakten: Die Beschäftigungsquote Älterer ist bundesweit bei uns am höchsten und liegt übrigens heute schon über dem Ziel der Lissabon-Strategie. Die Beschäftigung Älterer ist einer der wesentlichsten Faktoren für die Zukunftsfähigkeit des Landes. Die Frauenerwerbsquote ist in BadenWürttemberg ebenfalls relativ hoch. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist nur in Bayern noch etwas geringer als in BadenWürttemberg.

Es bleibt unser erklärtes Ziel, die Erwerbstätigenquote auszubauen. Wo aber sind die Potenziale, wenn wir weniger werden, wenn die Relation von Erwerbstätigen zu Nichterwerbstätigen geringer wird? Die Potenziale liegen bei den Frauen, bei den Älteren und bei den Migranten. Da müssen wir nachbessern, weil die Lage ansonsten dahin gehend Sprengstoff birgt, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Nichterwerbstätige versorgen müssen.

Wir haben mit diesen Themen bei uns selbst angefangen. Man hat ja Vorbildfunktion, man soll sich an die eigene Nase fassen, also die eigene Landesverwaltung betrachten. Wir haben Vorbildfunktion. Ich habe dafür gesorgt, dass, nachdem zwei andere Ministerien bereits zertifiziert sind, auch das Staatsministerium das Zertifikat im Rahmen des Audits „Beruf und Familie“ bekommt. Das ist ein Baustein. Das bleibt auf der Tagesordnung. Ich werde das auch im Sinne der Handlungsempfehlungen der Enquetekommission „Demografischer Wandel“ immer wieder aufrufen und ansprechen, damit auch die anderen Ministerien mit gutem Beispiel vorangehen.

(Unruhe)

Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die Einrichtung des Kompetenzzentrums Beruf und Familie bei der Familienforschung des Statistischen Landesamts. Das Modellprojekt „Studi mit Kids“ ist mir ebenfalls ganz wichtig. Denn, meine Damen und Herren, wenn man im Land unterwegs ist, wird einem sehr deutlich, dass es nicht nur um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, sondern dass es auch um die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung und um die Vereinbarkeit von Familie und Pflege geht. Vielleicht ist die Unizeit sogar eine ganz gute Zeit, um ein Ja zur Familie zu ermöglichen.

(Unruhe)

Meine Eltern hätten mir das nie geraten. Da hieß es: Das hat alles seine Ordnung, Erstes Staatsexamen, Zweites Staatsexamen, Eheschließung, Wohnung, Doktorarbeit usw. Dann will man auch noch eine Weile im Beruf arbeiten. Ich weiß gar nicht, ob dieses Ordnungsmuster unbedingt richtig ist.

Bei jungen Akademikerinnen liegt das Alter bei der Geburt des ersten Kindes bei Mitte 30. Wenn aber erst um Mitte 30 das erste Kind geboren wird, dann kommt ein zweites, drittes oder gar viertes Kind vermutlich nicht mehr. Insofern halte ich es für ganz entscheidend, dass wir damit beginnen, schon während der Ausbildungszeit Angebote an den Universitäten und an den Hochschulen zu machen, um jungen Paaren das Ja zur Familie, das Ja zum Kind zu ermöglichen. Vielleicht müssen wir uns insoweit einfach einmal von überholten, verkrusteten Vorstellungen lösen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

All das sind Wegmarken der demografischen Zukunftsfähigkeit.

Ich möchte einen fünften Schwerpunkt ansprechen. Das sind innerhalb der Empfehlungen der Enquetekommission der Gesamtbereich „Wohnungsbau, Verkehr sowie Landes- und Regionalplanung“ und der Bereich Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, vielleicht hat es sich schon herumgesprochen: Ich habe dem Statistischen Landesamt einen Arbeitsauftrag gegeben, aus dem der Demografie-Spiegel geworden ist. Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das damit den Kommunen ein umfassendes Informationssys tem für die Analyse liefert: Wo stehe ich? Wo steht Großbottwar? Wo steht Heidelberg? Wo steht Aalen? Dieser Onlinedienst des Statistischen Landesamts liefert bis hinunter zum kleinsten Dorf oder Weiler mit 300 Einwohnern umfängliche Daten zu sechs Themenfeldern, die demografierelevant sind.

In aller Bescheidenheit: Dieser Service hat bundesweit Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das ist unsere Idee, die auch Nachahmer findet, und das soll uns erst einmal jemand nachmachen.

Ein weiteres Handlungsfeld ist das Gesamtthema „Mobilität, Verkehr“. Wir berücksichtigen jetzt auch dort demografische Gesichtspunkte, und ich freue mich, dass Herr Staatssekretär Köberle dabei behilflich war, dass bei der Fortschreibung des Generalverkehrsplans demografische Aspekte mit einfließen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Um Gottes willen!)

Im Übrigen – ich weiß nicht, wer von Ihnen es wahrgenommen hat – haben wir den diesjährigen Landesseniorentag, den wir im letzten Jahr beschlossen haben und der dieses Jahr zum zweiten Mal stattgefunden hat, auch dem Thema „Mobilität und Sicherheit“ gewidmet. Wir haben mit den Partnern eine große Veranstaltung „Habt acht im Verkehr“ durchgeführt, weil, meine Damen und Herren – auch das ist zwar keine „Zeitbombe“, aber doch etwas ganz Wesentliches –, ein Großteil der 75-Jährigen bis 90-Jährigen den Führerschein haben und zumeist auch am Steuer sitzen. Insofern müssen wir das Thema „Mobilität und Sicherheit im Verkehr“ im Lichte einer alternden Gesellschaft ernst nehmen.