Protocol of the Session on December 4, 2008

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Das ist einen Applaus wert, würde ich sagen.

Die Einschätzung, die das Ministerium in Bezug auf das Überleben der Vereine und die Rekrutierung des Nachwuchses trifft, teile ich nicht ganz. Sicherlich besteht ein enormes Stadt-Land-Gefälle. Bei einer Reihe von Vereinen ist ein Zuwachs zu verzeichnen, so z. B. bei allen Instrumentalvereinen oder bei den Theatern. Aber wir wissen, dass es in anderen Vereinen auch einen erheblichen Mitgliederverlust gibt.

In den Städten werden diese Veranstaltungen oft belächelt, als spießig und überholt betrachtet. Auch die Reaktion der Presse ist oftmals noch verbesserungswürdig. Meistens schreiben die Schriftführer Artikel und Berichte über Veranstaltungen selbst. Insbesondere besteht aber das Problem: Wie bekommen wir mehr Jugendliche in die Vereine, die diese dann auch weiter tragen?

Die Gründe für den Mangel an Jugendlichen in den Vereinen sind vielfältig. Meist sind in den Vereinen nur Ältere vertreten. Damit sind wenig oder keine Jugendlichen da, die andere Jugendliche nachziehen. Die Jugend braucht zwar Heimat, ist sich dessen aber nicht bewusst. Sie strebt eher nach außen. Je weiter, desto besser. Australien und China sind auf den ers ten Blick ganz sicher auch interessanter als ein Heimatmuseum auf der Schwäbischen Alb. Das historische Bewusstsein ist, wenn überhaupt, noch relativ schwach ausgebildet. Häufig fehlt die Förderung durch das Elternhaus. Schließlich gibt es noch eine Separierung: Eine eigene, abgegrenzte Jugendkultur wird nicht nur von der Werbung forciert. Der amerika

nische Einfluss der „Kultur“ von McDonald’s bis Madonna tut ein Übriges.

Andererseits sind Kinder sehr wohl zu begeistern. Die Frage an die Eltern: „Wie war das, als ihr so alt wart wie wir?“ überlebt Generationen und wird auch noch heute gestellt.

Die Schule, insbesondere die Grundschule, und der Kindergarten sind somit eigentlich die Orte der Grundlegung, in denen Heimatgefühl und der Respekt vor dem Brauchtum eingepflanzt werden können – in der Hoffnung, dass man später, wenn diese Kinder älter geworden sind, wieder daran anknüpfen kann.

Dabei spielt die Musik eine sehr große Rolle. Wir können ziemlich sicher sein: Wenn die traditionellen Männerchöre, deren Mitglieder mittlerweile bei einem Durchschnittsalter von bis zu 70 Jahren angelangt sind, ausgestorben sein werden, dann gehen bei uns Volkslieder, Silcherlieder und alle Lieder dieser Sparte verloren.

Ich habe einen Antrag gestellt, in dem ich frage, ob nicht deutschsprachige Lieder im Kindergarten und in der Grundschule wieder verstärkt zu lernen sind. Ich halte das für sehr wesentlich.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Ingo Rust SPD: Schwäbische Lieder! Und badische Lieder! – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Frän- kische!)

Ja, natürlich. Schwäbische und deutschsprachige Lieder; Volkslieder.

Heimat- und Volksmuseen kommt eine besondere Bedeutung in der Brauchtumspflege zu. Ganz wesentlich ist dabei die didaktisch-pädagogische Ausrichtung, die mittlerweile bei fast allen Museen gegeben ist. Das führt dazu, dass Kinder und vielleicht auch Jugendliche wieder ein Interesse an der Geschichte, besonders aber auch an der Heimatgeschichte und am Brauchtum finden. Hierfür gibt es in Baden-Württemberg eine Reihe von Hilfsinstitutionen, z. B. die Landesstelle für Museumsbetreuung und die Arbeitskreise Heimatpflege in den Regierungsbezirken, die hierbei Unterstützung geben können.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ruhe. Unterhaltungen sollten bitte nach außerhalb des Plenarsaals verlegt werden.

Bitte, Frau Abgeordnete.

Danke schön. – Der Vergleich mit den anderen Bundesländern, der in der Antwort der Landesregierung gegeben wird, ist eine wahre Ideenbörse. Auch für die Vereine lohnt es sich, hier einmal nachzuschauen, was man noch tun kann. Beispielsweise ist es in Mecklenburg-Vorpommern gelungen, die Kinder- und Jugendarbeit in den Bereichen Tanz und Trachten erheblich zu verstärken. Da gibt es sicher Möglichkeiten, einmal hinzuhören, was die machen.

Vorbildlich ist auch der ehrenamtliche Kreisheimatpfleger in Thüringen. Ein solcher Kreisheimatpfleger wird auch für Ba

den-Württemberg von unserem Schwäbischen Albverein gewünscht. Vielleicht ist das ein Vorbild. In Thüringen wird er von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und zu einem geringen Teil vom Land finanziert. Hier darf man also durchaus einmal nachlesen, was man tun kann.

Meine Damen und Herren, Brauchtum und Heimatkultur sollten in der Schule intensiv gepflegt werden. Ob dies immer der Fall ist, weiß ich nicht. Seien wir ehrlich: Bei der Verabschiedung von Rektoren klingt das Repertoire an Liedern, die dort gesungen werden, nach allem, nur nicht nach Schwäbisch oder Badisch. Der anschließende Empfang bietet Döner, Gyros oder Ratatouille, aber keine echten schwäbischen Spezialitäten.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Wir haben ja auch viele Schüler aus diesen Ländern!)

Ich habe nichts dagegen. Das sollte auch sein, aber eben nicht nur.

Ich möchte dem Ministerium vorschlagen, dass man gerade im Grundschulbereich einen Wettbewerb für Volkslieder ausschreibt. Die Gewinner sollten dann auch preisgekrönt werden.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Norbert Zeller SPD: Stiftung „Singen mit Kindern“!)

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Lehrer immer wieder über die Institutionen, die helfen, informiert werden müssen. Das wissen sie zwar grundsätzlich, aber man muss es immer wieder ins Bewusstsein zurückrufen.

Erfreulich ist, dass es hier schon eine Reihe von Kooperationen gibt. Das könnte noch ausgedehnt werden. Die außerschulischen Lernorte sollten allerdings zum Teil noch durch Pädagogen verstärkt werden, die ihnen helfen, die pädagogische Ausrichtung dieser Lernorte zu sichern.

Meine Damen und Herren, die Bedeutung von Heimatzugehörigkeit und Verwurzeltsein ist wichtig und ganz wesentlich für die Entwicklung und Sozialisation von Jugendlichen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig! – Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Die Notwendigkeit von Heimat erkennt man erst im reiferen Alter. Das beweisen die vielen Rückkehrer aus dem Ausland, die im Alter wieder zurückkommen. Das beweisen die Heimatvertriebenen, die in ihrer alten Heimat Aufbauleistungen tätigen und sich „Heimatvertriebene“ nennen, obwohl sie hier eine neue Heimat gefunden haben. Das beweist das Leiden am Verlust der Heimat, das wir in der Exilliteratur antreffen.

Auch und gerade als Europäer brauchen wir den Heimatort. Man muss ihn kennen, und dazu tragen unsere Brauchtumsvereine bei. Europa kennenzulernen und – im wörtlichen Sinne – zu „er-fahren“, den gemeinsamen religiösen und kulturellen Ursprung aufzuspüren, unterstützt das Gefühl und das Bewusstsein für das Gemeinsame der europäischen Völker.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig! Ex- akt richtig!)

Insofern kann Europa etwas Bekanntes, ja Vertrautes werden. Als Heimat aber ist es überdimensioniert.

Ähnliches gilt für den globalen Raum. Wir müssen lernen, uns darin zu bewegen; das müssen auch unsere Jugendlichen lernen. Heimat aber braucht den begrenzten, überschaubaren Raum und die sichere soziale Bindung, die am ehesten in jungen Jahren wächst.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Richtig!)

Nur daraus erwachsen Orientierung, Sicherheit und Halt.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es!)

Lassen Sie mich noch ein Wort zum Tourismus sagen: Brauchtum darf nicht vom Tourismus vereinnahmt werden, sonst verliert es seine Ursprünglichkeit und seine Echtheit. Mancher Weihnachtsmarkt bei uns im Land hat keine einheimischen Besucher mehr. Um Brauchtum weiterzugeben, muss man es mit Gästen teilen und darf es nicht als Ware vermarkten.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Noch ein Wort zur Finanzierung: Baden-Württemberg tut in finanzieller Hinsicht eine ganze Menge in diesem Bereich. Natürlich wäre mehr wünschenswert. Ich würde mir wünschen, dass wir gerade in diese Sparte noch sehr viel mehr Geld hineinstecken könnten. Aber auch hier muss – zumindest noch für eine Weile – die Priorität der Nullnettoneuverschuldung gelten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Bravo!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Buschle das Wort.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Jetzt kommt der Spezialist!)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Vossschulte, Sie sehen an meiner Jacke das Ehrenzeichen des Landes Baden-Württemberg.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Sehr gut!)

Die, die es kennen, wissen: Der Mann weiß, wovon er redet.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Deshalb kann ich Ihnen, liebe Frau Kollegin, in vielen Punkten sehr zustimmen, und ich bin froh, dass Sie viele wichtige Themen angesprochen haben. Die Zeit reicht leider nicht aus, um hierüber umfassend zu sprechen.

Allerdings konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie von der CDU-Fraktion für sich in Anspruch nehmen, Sie seien die wahren Kultur- und Brauchtumsträger in diesem Land.

(Widerspruch bei der CDU – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Wir wissen doch, wie aufrichtig Sozial- demokraten der Heimat verbunden sind! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Ich möchte Ihnen sagen: Sie sind kein Brauchtumsverein, sondern Sie sind immer noch eine Partei. Lassen wir also die Vereine ihre Arbeit tun, und mischen wir uns nicht ein. Sie haben es so schon schwer genug.