Protocol of the Session on November 6, 2008

(Abg. Christine Rudolf SPD: Wie lang ist die Straße, die Sie gemeinsam gehen?)

Die Weiterentwicklung der Hauptschule zu diesem neuen Schultyp würde es zwar beim dreigliedrigen Schulsystem belassen, aber aus einem dreistufigen System ein zweistufiges System machen,

Sie erinnern sich an die Ausführungen des Ministerpräsidenten –

indem die Realschule und die neue Schule gleichwertig und gleichrangig auf der einen Stufe stehen und das Gymnasium auf einer anderen. Wir sind gerne bereit, diese vorgesehene politische Offensive für eine neue Hauptschule positiv zu begleiten und auch entsprechend in unseren Gremien zu erörtern.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Aha!)

Also: Bitte aus der Unterstützerliste streichen.

(Widerspruch bei der SPD)

Jetzt komme ich zu dem Punkt, zu dem ich mich gerade schon konkret an Frau Rastätter gewandt habe. Sie haben vorhin behauptet, wenn der Aufstieg in diesem Land so viele Wege kenne, dann wäre es am konsequentesten, wir würden gleich alles in einer Schule machen. Deutschland hat in dieser Hinsicht mit der Einheitsschule schlechte Erfahrungen gemacht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Das lässt sich belegen. Halten wir uns einfach einmal an die Fakten. Im Jahr 2006 haben 6,14 % der Absolventen die Gesamtschule ohne jeglichen Abschluss verlassen – 6,14 %! An unseren baden-württembergischen Hauptschulen waren es 3,8 %. Die Zahl der Schulabbrecher ist in unseren Hauptschulen im Vergleich zu der in den deutschen Gesamtschulen also wesentlich geringer.

Noch krasser sieht es aus, wenn man die Aufstiegsmöglichkeiten und deren Wahrnehmung betrachtet. Bundesweit haben 40,7 % der Hauptschüler nach ihrem Hauptschulabschluss weitergemacht und die mittlere Reife angestrebt. Bei uns sind es 45 %. Bei den Gesamtschulen sind es 12,3 %. Jetzt können Sie natürlich sagen: „Na ja, da muss man ja die Abiturienten dort herausrechnen. Die sind ja bei uns auch nicht als Aufstieg hin zur mittleren Reife eingerechnet.“ Die können Sie herausrechnen! Dann kommen Sie auf 16 %. Das heißt, diejenigen, die einen Hauptschulabschluss machen – und Sie wissen ganz genau, dass der auch in einer Einheitsschule gemacht wird, dass die Abschlüsse dort nicht aufgehoben sind, sondern nur die Bildungswege aufgehoben sind –, kommen in der Gesamtschule viel weniger in den Tritt, Bildungsaufstieg wahrzunehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Die- ter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Sie haben in der Gesamtschule einen niedrigeren Abiturientenanteil als im gegliederten Schulwesen, und Sie haben einen niedrigeren Aufstiegsanteil, einen eklatant niedrigeren Aufstiegsanteil. Das heißt, die Chancen sind in den deutschen Gesamtschulen oben, in der Mitte und unten, also überall, schlechter wahrgenommen. Kommen Sie uns deshalb hier bitte nicht mit diesem Schulmodell! Das können wir doch unseren Kindern nicht zumuten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Noch ein Letztes zu diesem Punkt: Der nationale Vergleich bei PISA 2000 und 2003 hat dokumentiert, dass die Bundesländer mit einer sechsjährigen Grundschule, nämlich Berlin und Brandenburg, in allen Leistungsbereichen weit hinter den Ergebnissen der baden-württembergischen Schülerinnen und Schüler liegen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Das zeigt insbesondere der Vergleich der Kompetenzniveaus der lernschwächeren Schülerinnen und Schüler, die Sie wie auch wir besonders gefördert sehen wollen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Das ist das Pro- blem! Die Schwachen werden schwächer!)

In zwölf Tagen bekommen wir die Ergebnisse der neuesten nationalen PISA-Studie. Ich kenne die Daten natürlich noch nicht, wage aber vorherzusagen, dass sich diese Ergebnisse auch bei PISA 2006 bestätigen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Rastätter?

Bitte, gern.

Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir mit der Basisschule nicht das Modell der deutschen Gesamtschule anstreben, die einen integralen Teil des gegliederten Schulsystems darstellt? Durch die äußere Fachleistungsdifferenzierung in Kursen wird das dreigliedrige Schulsystem in der Binnenstruktur der Gesamtschule abgebildet. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Modell der Basisschule dem skandinavischen Modell eines gemeinsamen Bildungsgangs mit differenzierter und individueller Förderung entspricht und daher nicht mit den deutschen Gesamtschulen verglichen werden kann?

Das heißt, Sie wollen sich hiermit von den Gesamtschulen in Deutschland verabschieden. Sehr gut! Ein wichtiger Schritt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Gun- dolf Fleischer CDU: Sehr gut! Neue Verbündete!)

Meine Damen und Herren, ich weiß, es klingt verlockend, wenn Sie immer wieder fordern, dass wir jeder Schule die Möglichkeit geben sollen, sich selbst zu organisieren, in welchen Zeitabschnitten sie auch immer will, in welcher Zusammensetzung der Schülerschaft sie auch immer will. Das wäre ein Weg, den Sie begrüßen würden.

Auf der anderen Seite fordern Sie aber die Einführung einer einheitlichen Schule. Das ist jedoch kein freigegebener Weg mehr, sondern ein ideologisch geprägter Weg. Wenn Sie aber die konsequente Freigabe aller möglichen und denkbaren Wege für richtig halten –

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Sie müssen sich da aber irgendwann auch einmal entscheiden, was Sie wirklich wollen –, dann kann ich nur sagen: Schauen Sie sich an, was in der Schweiz daraus geworden ist. Im Kanton Zürich hat man die Gestaltung der Sekundarstufe I freigegeben, weil sie dort bisher ein fünffach gegliedertes Schulwesen hatten und sich politisch nicht auf einen neuen Weg einigen konnten. Man hat es freigegeben, und innerhalb kürzester Zeit hatte man 30 verschiedene Formen von Sekundarstufe I in einem einzelnen Kanton. Wie Sie das wiederum mit den bildungspolitischen Debatten um Vergleichbarkeit, Transparenz und vor allem Mobilität der Schülerinnen und Schüler verbinden wollen, das müssen Sie mir auch erst noch erklären.

Wir haben auf unserem Weg, meine Damen und Herren, viel Unterstützung. Nicht nur die Schulträger haben das, wie es vom Kollegen Schebesta schon zitiert worden ist, in der Reaktion auf die hier vorgelegten Gesetzentwürfe sehr deutlich

gemacht. Auch die Vorsitzende des Landeselternbeirats, der wir sicher kein kritikloses Verhältnis zum Kultusministerium unterstellen können, hat in diesem Punkt ganz eindeutig Position bezogen. Sie hat im Mai dieses Jahres gesagt, die Hauptschule biete die Chance, die Schwächsten gezielt zu fördern; in der Realschule würden diese Kinder durch den Rost fallen.

Der Landesschülerbeirat, die Vertretung der Schüler in unserem Land, hat sich in schulstrukturellen Fragen erst vor Kurzem eindeutig hinter die Vorstellungen der Landesregierung gestellt.

Auch die Wirtschaft steht zu unserem Schulsystem und hat längst erkannt, welches Potenzial in den Schulen steckt. Sie haben Verbesserungswünsche; das ist legitim. Sie haben Veränderungswünsche; auch das ist legitim. Das gehen wir in einem guten Dialog miteinander an.

Wir setzen in der Schulentwicklung auf die einzelne Schule, der wir für ihre eigene innere Entwicklung viele Freiheiten gegeben haben. Wir trauen unseren Schulen etwas zu, und wir vertrauen ihnen. Wir unterstützen und begleiten sie auf diesem Weg, und wir stellen ihnen auch ein Orientierungsgeländer auf, damit klar ist, an welchen Schulformen und an welchen Schulstrukturen sie sich zu orientieren haben.

Mit der Qualitätsoffensive Bildung haben wir deutlich gemacht, dass wir diesen Weg bereits heute bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein absichern und materiell untermauern wie kein anderes Land. Konzeptionell sind wir den Schulen weiterhin der entscheidende Partner auf ihrem Weg.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Zeller das Wort.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Es gibt noch eine zwei- te Lesung! – Zuruf von der CDU: Leute, es ist doch genug gesagt!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gott sei Dank gibt es bei uns in Baden-Württemberg viele Schulen, die sich sehr engagieren, die sich für ihre Schülerinnen und Schüler einsetzen und Konzepte zum Wohle der Kinder entwickeln. Das ist gut so. Aber es gibt Schulen, die sagen: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Lernkultur und einer Aussortierung von Kindern und jungen Menschen. Und darum geht es im Kern.

Ich finde es schon merkwürdig, Herr Rau, dass Sie all jenen Ideologie vorwerfen, die eine Änderung der Schulstruktur wollen, während ein Festhalten an der jetzigen Schulstruktur für Sie offensichtlich keine Ideologie ist. Das ist schon merkwürdig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Es geht darum, dass Sie versuchen, mit Argumenten zu hantieren!)

Sind also die Kirchen, Herr Späth, Frau Süssmuth, die Eltern, der Landesschülerbeirat alle Ideologen, nur Sie nicht? Das kann doch wohl nicht sein.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Es geht doch um die Frage der Argumentation!)

Herr Schebesta, hören Sie einmal zu.

(Zurufe, u. a. der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Ich will Ihnen einmal sagen, was der Landesschülerbeirat, mit dem wir erst kürzlich ein Gespräch hatten, in seinem Papier – ich habe es hier schriftlich – festgestellt hat. Dort heißt es:

Es darf nicht sein, dass Kinder in verschiedene „Intelligenzstufen“ (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) eingeteilt werden. Durch diese Einteilung entwickeln sich Parallelgesellschaften, was zu Konflikten führt, von denen keiner profitiert.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Zeller, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage, oder wollen Sie diese am Ende Ihrer Ausführungen zulassen?

Am Ende. – Ich sage Ihnen, Herr Rau: Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Landesschülerbeirat kritisiert diese Aufteilung. Hier müssten Sie sich also korrigieren.