Protocol of the Session on November 6, 2008

Andere Pläne mussten Sie aufgeben – die Onlinedurchsuchung wurde erwähnt. Sie wären ja auch gern an die Gesprächsinhalte von Telekommunikation herangegangen; das wissen wir. Auch das müssen Sie sein lassen.

Im Bereich der Videoüberwachung und der Kennzeichenkontrolle mussten Sie, wie gesagt, abrüsten. Das ist gut so. Das ist ein Erfolg für die nicht sehr zahlreichen, aber engagierten, kritischen Kräfte in der baden-württembergischen Öffentlichkeit, die sich da lautstark zu Wort gemeldet haben. Diesen Kräften danken wir an dieser Stelle ganz herzlich dafür.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, vielen Dank auch dafür, dass Sie damit den Anstoß für das Entstehen einer neuen Bürgerrechtsbewegung in diesem Bundesland gegeben haben. Diese Bürgerrechtsbewegung brauchen wir angesichts dieses Gesetzes auch ganz dringend.

Herr Noll, Sie werden verstehen, dass ich mich bei der FDP/ DVP nicht bedanke.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das habe ich nicht erwartet! – Zurufe der Abg. Theresia Bauer GRÜNE und Thomas Blenke CDU)

Denn ich glaube: Das war Ihr Musterstück für Umfallen, für Rückgratlosigkeit in einem Politikfeld, bei dem Sie viele Jahre behauptet haben, Sie seien d i e Bürgerrechtspartei.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Mit dem heutigen Tag verabschiedet sich die FDP in BadenWürttemberg als Bürgerrechtspartei, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP: Das war jetzt sehr konstruiert! – Abg. Thomas Blenke CDU: Das wird Herr Kluck nachher zurechtrücken!)

Ich sage Ihnen, warum das so ist: weil die Korrekturen, die vorgenommen worden sind, zwar zwingend waren und zum Teil auch völlig richtig sind, aber bei Weitem nicht ausreichen. Die Öffentlichkeit muss ja tatsächlich wissen, worum es bei diesem Gesetz geht. Es geht, Herr Kollege Blenke, nicht um ein bisschen mehr Sicherheit – die die Bürger natürlich wünschen –, sondern Sie überschreiten mit diesem Gesetz den Rubikon. Jenseits des Rubikons war es Konsens aller demokratischen Kräfte, dass wir die Polizei immer in die Lage versetzen, Verbrechen konsequent und effektiv zu bekämpfen und sich den terroristischen Herausforderungen zu stellen. Wir haben der Polizei aber niemals die Generalbevollmächtigung gegeben, ins Blaue hinein anlass- und verdachtslos letztendlich gegen jedermann und jedefrau ermitteln zu können.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Ich habe den Eindruck, Sie haben den Gesetzentwurf nicht gelesen!)

Ich habe ihn sehr gründlich gelesen. Deswegen komme ich ja voller Inbrunst zu dieser Überzeugung, die ich hier kundtue.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Sckerl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Rülke?

Bitte schön.

Herr Kollege Sckerl, ich habe gerade aus Ihrem Mund vernommen, dass dieses Gesetz, das die Fraktion der FDP/DVP mit ihrem Koalitionspartner ausgehandelt habe, dazu geführt habe, dass die FDP sich als Bürgerrechtspartei verabschiedet hat. Frage an Sie: Sagt Ihnen der Name Otto Schily noch etwas?

(Heiterkeit bei der FDP/DVP, der CDU und den Grü- nen)

Der Name Otto Schily sagt mir etwas, Herr Kollege, und Sie kennen die Auseinandersetzungen, die wir in den Jahren seiner aktiven Zeit mit ihm geführt haben. Ich glaube, damit haben Sie genug gehört, um zu wissen, was wir dazu meinen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wie war das damals mit dem Rubikon?)

Herr Kollege Blenke, im Gegensatz zu Ihnen waren die Grünen in den letzten Jahren durchaus auch immer wieder einmal bereit und dazu fähig, eigenes Regierungshandeln – obwohl wir nicht originär zuständig waren – selbstkritisch zu betrachten und dort, wo es notwendig war, Korrekturen vorzunehmen. Das hätte ich mir von Ihnen in diesem Punkt auch einmal gewünscht.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das weisen wir mit Nachdruck zurück!)

Herr Kollege Noll, ich bin deswegen von der FDP enttäuscht, weil wir in diesem neuen Polizeigesetz einfach zu viele Punkte haben, die mit dem freiheitlichen Staat, den Sie doch angeblich immer verkörpert haben, wenig bis nichts mehr gemein

haben. Deshalb ein paar Beispiele: Warum weiten Sie die Befragungsrechte der Polizei gegenüber dem einfachen Bürger aus? Was hat das mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun? Es geht um das Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger draußen auf der Straße. Sie schränken die Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte – ein altes liberales Bürgerrecht – grundlos ein,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sie bekommen die Antwort gleich!)

stärken die Rechte der Polizei und belegen Verweigerungen seitens der Bürger sogar noch mit Ordnungsgeld bzw. drohen dies an. Was hat das, bitte schön, mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun? Das ist eine kleinliche Schikane, die Ihnen Ihr Koalitionspartner eingeredet hat und wo Sie Rückgratlosigkeit bewiesen haben. Alle Ihre früheren Verbündeten, die Anwälte, die Richtervereinigungen laufen Sturm und weisen zu Recht auf die Gefährlichkeit dieser Maßnahme hin.

In diesem Zusammenhang haben Sie mit dafür gesorgt, dass es künftig Berufsgeheimnisträger erster und zweiter Klasse geben wird. Die Journalisten, die Zivilanwälte, die medizinisch Tätigen werden künftig durch Ihr Gesetz in die Situation gebracht,

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

dass sie vielleicht Mandatsverrat und Geheimnisverrat begehen müssen. Was hat das mit Rechtsstaatlichkeit und mit freiheitlicher Gesellschaft zu tun?

Gemeinsame Projektdateien von Verfassungsschutz und Polizei: Wir halten viel vom Gebot der Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei und wissen auch aus leidvoller geschichtlicher Erfahrung, warum das notwendig ist und warum es richtig ist, daran festzuhalten. Sie überwinden diese Hürde quasi spielerisch und haben gar keine Bedenken.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Sie sind ja nicht einmal bereit, abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht die Antiterrordatei auf Bundesebene kassiert. Das wird dann die erste Novelle zur Novelle, Herr Innenminister; das darf ich Ihnen schon einmal sozusagen präventiv ankündigen.

Stichwort Wohnraumüberwachung: Da haben Sie einen Beschluss des Verfassungsgerichts zu vollziehen, machen es aber nicht. Das ist nicht 1 : 1 das, was Karlsruhe Ihnen vorgeschrieben hat. Der Kernbereich der privaten Lebensführung wird durch Ihr Gesetz nicht effektiv geschützt.

Zum Thema Videoüberwachung hat Herr Kollege Gall schon vieles Richtige gesagt. Was hat das mit Terrorismusbekämpfung zu tun, wenn Sie bei öffentlichen Veranstaltungen schon allein bei der Gefahr der Begehung von Ordnungswidrigkeiten die Videoüberwachung künftig flächendeckend einführen wollen? Was hat das mit innerer Sicherheit zu tun, Herr Kollege Blenke, wenn Sie der Polizei die Möglichkeit geben, jede Bürgerin und jeden Bürger aufzuzeichnen, egal, ob sie oder er unter Verdacht ist oder nicht, und die Fristen für die Aufbewahrung der Aufzeichnung zu verlängern?

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Die Bürgerinnen und Bürger erfahren davon nichts. Sie haben gar keine Möglichkeiten, sich unter Umständen gegen grundrechtswidrige Eingriffe zu wehren.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Da geht es in der Tat nicht nur um Terrorbekämpfung!)

Was hat das mit Rechtsstaatlichkeit zu tun? Eine Verlängerung der Datenspeicherung gibt es an vielen Fronten. Das automatische Kennzeichenlesesystem haben Sie gerade so gelobt.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Natürlich sind Sie, was das automatische Kennzeichenlesesys tem betrifft, zurückgerudert. Das waren die Hausaufgaben aus Karlsruhe. Aber nicht einmal das machen Sie richtig.

Es gibt mindestens drei Punkte, bei denen wir sagen: Das geht so nicht. Nach wie vor weigern Sie sich, in § 22 a die Gefahr, die als Grundlage für einen solchen Grundrechtseingriff – darum handelt es sich auch bei dem automatischen Erfassen von Kennzeichen – gegeben sein muss, konkret zu definieren. Sie reden von einer „allgemeinen Gefahr“. Alle Polizeirechtler und Praktiker wissen, was das heißt: eine relativ uneingeschränkte Handlungsbevollmächtigung.

Sie machen das verdeckt. Andere Bundesländer machen es wenigstens offen. Deswegen haben wir Verständnis für den Antrag der SPD. Sie gehen verdeckt vor und verschärfen damit den Grundrechtseingriff, ohne im Gesetz zu begründen, was Sie dazu veranlasst.

Sie maßen sich letztendlich bundespolitische Kompetenzen an, die Ihnen gar nicht zustehen, wenn Sie ausdrücklich keine Trennung zwischen Dateien zur Abwehr einer Gefahr und Dateien zur Strafverfolgung vornehmen. Sie nehmen billigend in Kauf, dass Sie diese Grenze zur Strafprozessordnung, in der Sie auf Landesebene keine Zuständigkeit haben, schlicht und einfach aufheben.

Ich finde, das sind eine ganze Reihe sehr signifikanter Beispiele, die schlicht und einfach weit über das Ziel hinausgehen. Dabei finden Grundrechtseingriffe statt, die so nicht gebilligt werden können.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Reinhold Gall SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Sollen wir künf- tig vor Verhaftungen anrufen?)

Ob das zu innerer Sicherheit führt, lassen wir dahingestellt. Unsere Erfahrung ist: Es gibt in diesem Land ein gutes Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei. 70 % der Verbrechen werden durch Hinweise aus der Bürgerschaft aufgeklärt. Wenn die Bürgerinnen und Bürger künftig den Eindruck bekommen, die Politik – CDU und auch die FDP/DVP – will eine Polizei, die zunehmend verdeckt operiert und die ihre Absichten im Dunkeln lässt, wird das zu weniger und nicht zu mehr Sicherheit und zu weniger Vertrauen führen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Jetzt machen Sie den Leuten doch nicht Angst! Sie machen den Leuten Angst!)

Deswegen greift Ihr Polizeigesetz viel zu weitgehend in die Grundrechte ein. Aus diesem Grund werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Das ist ein Zerrbild, das Sie hier entwickeln! Das ist unglaublich!)