Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, dass hier kein Schulpolitiker, sondern ein Sozialpolitiker redet, zeigt, dass dieses Thema natürlich eine gesamtgesellschaftliche Dimension hat. Ich habe mich gerade ein bisschen in die Rolle der Zuhörerinnen und Zuhörer hineinversetzt. Ich glaube, da erscheint manches wie böhmische Dörfer, wenn wir mit Fachbegriffen um uns werfen. Ich will deswegen versuchen, die Grundtatsachen, die auch der Kollege Hoffmann geschildert hat, in aller Kürze noch einmal ins Bewusstsein zu rufen.
In keinem anderen Bereich gilt so sehr wie bei Kindern mit Behinderungen respektive bei Kindern mit drohenden Behinderungen, bei denen sich Entwicklungsstörungen erkennbar abzeichnen, dass wir möglichst frühzeitig und möglichst niedrigschwellig Angebote machen müssen, damit die Eltern rechtzeitig eine zusätzliche Förderung in Anspruch nehmen können.
Warum leuchtet hier vorne denn immer „Sprechzeit zu Ende“? Macht das einmal aus, bitte! Das behindert mich nämlich.
Deshalb glaube ich, dass dieses früh aufgespannte Netz und die Kooperationen, die wir den Eltern und Kindern im Frühförderbereich anbieten, tatsächlich Erfolge bringen; Zahlen lügen nämlich nicht. Im bundesweiten Vergleich liegt unsere Quote an tatsächlichem Sonderschulbedarf deshalb so güns tig, weil wir hier in Baden-Württemberg präventive Maßnahmen seit Langem wirksam umsetzen.
Ich kann mich erinnern, wir haben in die Koalitionsvereinbarung speziell die interdisziplinären Frühförderstellen als förderungs- und ausbauwürdig aufgenommen. Wir haben auch die sonderpädagogischen Beratungsstellen und die Sozialpädia trischen Zentren. Ich bin mir auch an dieser Stelle mit dem Kollegen völlig einig, dass dort, wo es in den Bereich der Kos tenträgerschaft der gesetzlichen Krankenversicherung geht, die Probleme oft eher daran liegen, dass aus den bekannten restriktiven gesundheitspolitischen Bedingungen, die wir alle hier beklagen, die Hilfe nicht in dem Umfang stattfinden kann, wie wir es gern hätten.
Nun hat in der Tat die Integration einen Wert für die Kinder mit Behinderungen, aber auch für ihre Eltern. Umgekehrt aber – das ist jetzt hier noch nicht so betont worden, deshalb sage ich es jetzt – ist es auch ein Wert für die nicht behinderten Kinder, wenn man gemeinsam Kindergarten und Schule besucht.
Denn es geht nicht nur um Wissensvermittlung und das Erreichen eines Leistungsziels, sondern es geht um das soziale Miteinander.
Wer solche Einrichtungen kennt – ich kenne auch viele davon –, merkt doch, dass es für das gesamte soziale Verhalten von Nichtbehinderten einen immensen Vorteil hat, wenn wir Integration zulassen. Das ist überhaupt keine Frage.
(Abg. Norbert Zeller SPD: Jetzt müssen Sie bloß die richtigen Schlüsse daraus ziehen! Das ist das Pro- blem!)
Wir müssen natürlich auch wahrnehmen – das sage ich noch als grundsätzliche Bemerkung –, dass man nicht zwanghaft nur eine Form fordern darf, nämlich den integrativen Unterricht, sondern dass im Interesse des Kindes durchaus auch eine gesonderte Förderung erfolgen muss, nach Möglichkeit mit Kooperationen.
Hierzu ist das Beispiel der Außenklassen genannt worden. Da sind wir im Ziel überhaupt nicht weit voneinander entfernt.
Jetzt kommt noch dazu, dass Sie in diesem an und für sich richtigen Antrag das, was wir haben, als Kompetenzzentren definieren wollen. Das ist hier noch gar nicht so sehr thematisiert worden. Ich bin etwas skeptisch, ob es, wenn wir wieder einen neuen Namen – „Kompetenzzentrum“ – darüberschreiben, auch qualitativ besser wird, lieber Kollege Staiger. Von Betroffenen höre ich, dass die Zusammenarbeit und der Austausch von Kompetenzen zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen und Lehrkräften durchaus funktioniert, auch ohne diesen Oberbegriff „Kompetenzzentrum“.
So viel zu diesem Antrag. Ich glaube, darüber kann man reden. Aber die Regierung antwortet uns: Die Sonderschulen des Landes haben mit ihren Angeboten im Bereich Frühförderung usw. den Charakter von Kompetenzzentren.
Letzte Bemerkung: Sie haben nun noch das Problem der Eltern und der vier Kinder an der Schule in Emmendingen darangehängt. Ich finde es nicht so besonders toll, dass wir das nun in diesem Rahmen behandeln müssen.
Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Ich behaupte, wer sich nicht sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat, wäre überfordert, zu sagen, was nun wirklich der Hintergrund ist. Da gibt es finanzielle Hintergründe, und es sind nicht nur
schulische Fragen, sondern auch Fragen des Eingliederungshilfeträgers, es geht um Kosten der Beförderung und um zusätzliche Eingliederungshilfe, sodass ich sehr dankbar bin, dass wir jetzt nicht darüber abstimmen müssen. Da muss sicherlich noch einiges beraten werden.
Ich möchte abschließend sagen: Wenn wir es ernst damit meinen, dass wir Politik von den Menschen und von den Kindern her machen, dann schlage ich vor, über die Theorie von Schulgesetzen und die Eingliederungshilfe hinweg noch einmal einen Anlauf zu nehmen, um uns im Fall der vier Kinder, um die es hier geht, die tatsächlich in der Schule sind, aber nicht rechtmäßig dort sind – es läuft ein Gerichtsverfahren –, noch einmal des Problems anzunehmen und auf eine von uns Politikern doch immer gelobte unbürokratische Weise zumindest für diese Kinder und ihre Eltern eine Lösung zu finden.
Letzter Satz: Weil es bei den Schulpolitikern so schwierig ist, rate ich jetzt einfach einmal, dass wir den Ombudsmann für Menschen mit Behinderungen, unseren Behindertenbeauftragten Dieter Hillebrand, hinzuziehen, damit wir gemeinsam im Schulausschuss – unter Einbeziehung des Behindertenbeauftragten der Landesregierung – eine Lösung hinbekommen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Grunde bin ich sehr dankbar für diesen Antrag, über den wir heute beraten dürfen, da er mir die Möglichkeit gibt, darzustellen, was die sonderpädagogischen Einrichtungen in Baden-Württemberg an Leis tungen bieten und dass sie schon heute im wahrsten Sinne des Wortes Kompetenzzentren sind.
Das sonderpädagogische Unterstützungssystem in BadenWürttemberg, beginnend bei den Angeboten der Frühförderung bis hin zu den Unterstützungsleistungen in Fragen der beruflichen und sozialen Teilhabe, hat in der Vergangenheit vielfältige Leistungen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre Familien entwickelt, die ja heute die Förderung dieser jungen Menschen in Kindergärten und allgemeinen Schulen erst möglich machen.
Im Bereich der frühen Hilfen sind die sonderpädagogischen Beratungsstellen der Sonderschulen ein wesentlicher und tragender Bestandteil des Unterstützungssystems für Kinder mit bestehenden oder drohenden Behinderungen und ihre Familien. Diese Beratungsstellen stehen den Eltern ab dem Zeitpunkt der Geburt eines Kindes mit Behinderung zur Verfügung, und sie begleiten die Kinder und die Familien bis zum
Eintritt in die Schule. Für die Eltern ist diese kompetente Unterstützung und Begleitung kostenlos und ohne Bedingungen zugänglich. Fachlich zeichnen sich diese Beratungsstellen durch die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen und durch ihre Vernetzung mit anderen Angeboten der frühen Hilfen aus.
Die Sonderpädagogik tritt in Baden-Württemberg immer nur dann auf den Plan, wenn eine Behinderung oder Benachteiligung Auswirkungen auf das Lernen des Kindes zeigt. Ganz selbstverständlich, meine Damen und Herren, lernen heute zahlreiche Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Benachteiligungen an allen allgemeinbildenden Schulen einschließlich der beruflichen Schulen, ohne dass die Sonderpädagogik hiervon überhaupt Kenntnis hat. Das sind Kinder und Jugendliche, die völlig ohne fremde Hilfe in diesen Schulen erfolgreich lernen, oder Kinder und Jugendliche, für die Hilfestellungen durch die allgemeine Schule selbst oder seitens der Sozial- und Jugendbehörden bereitgestellt werden. Das sind Kinder mit unterschiedlichsten Behinderungen, beispielsweise einer Sehschädigung, einer Hörschädigung oder einer körperlichen Beeinträchtigung, oder Schülerinnen und Schüler mit Auffälligkeiten im Bereich des Verhaltens, des Lernens und der Sprache.
Selbstverständlich ist heute auch, dass, sofern die persönlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind, z. B. blinde Kinder mit einem Zivildienstleistenden oder einer jungen Frau oder einem jungen Mann im freiwilligen sozialen Jahr an der Seite an einer allgemeinen Schule lernen. Selbstverständlich ist auch, sofern auch hier die persönlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches schulisches Lernen an der allgemeinbildenden Schule gegeben sind, dass körperbehinderte Kinder mit Unterstützung in diesen Schulen lernen.
Diese Kinder und Jugendlichen sind nicht im Blick der Sonderpädagogik – um das auch noch einmal deutlich zu sagen –, und es sind sehr viele Kinder, um die es sich hierbei handelt. Erst wenn diese Kinder im schulischen Lernen unter ihren Möglichkeiten und Potenzialen bleiben – erst dann, meine Damen und Herren –, stellt sich die Frage einer zusätzlichen Unterstützung in Form einer sonderpädagogischen Begleitung oder in Form sonderpädagogischer Individualhilfen. Das sind Leistungen, die die Sonderpädagogik heute für rund 19 000 Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Beratung und im sonderpädagogischen Dienst erbringt.
Sollte dies nicht hinreichend sein für den erfolgreichen Schulbesuch, stellt sich die Frage des Lernorts. Sollte das Ergebnis dieser kooperativen Förderplanung zeigen, dass unter den bestehenden oder zu realisierenden Möglichkeiten dem Förderbedarf des Kindes nicht Rechnung getragen werden kann, wird die Frage geprüft, ob dem Kind an diesem Lernort gegebenenfalls weiterhin wohnortnah durch die Bildung einer Außenklasse oder einer besonderen Lerngruppe geholfen werden kann.
Sollte auch das nicht möglich sein, halten wir für alle Kinder einen Schulplatz an den baden-württembergischen Sonderschulen vor. Dieser ist damit nach einer so umfänglichen Prüfung in einem gestuften System der Hilfen nicht die zweitbes te Lösung, sondern dann automatisch das Allerbeste zum Wohl dieser Kinder.
Sonderschulen helfen also mit, das Recht auf Bildung für alle Kinder und Jugendlichen zu verwirklichen, und sie helfen dadurch mit, dass die jungen Menschen unter Beweis stellen können, was in ihnen steckt, und dass sie ihre Lernpotenziale entfalten können.
Wer in diesem gestuften System der Hilfen die Vielfalt in den Formen der Förderung will, muss dabei allerdings allgemeine Bewertungen und Vorurteile weglassen. Das wäre in diesem Zusammenhang auch meine herzliche Bitte.