Protocol of the Session on November 6, 2008

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hoffmann das Wort.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Staiger, ich schätze Sie sehr, weil ich weiß, dass Sie beim Thema „Behinderte Kinder“ nicht nur mit sehr hohem persönlichen Einsatz, sondern auch mit sehr hoher Kompetenz argumentieren. Sie sind beruflich in diesem Bereich tätig. Ich will das ausdrücklich betonen.

Umso weniger verstehe ich allerdings, dass Sie dann sagen, Baden-Württemberg sei bei der Integration von Kindern mit Behinderungen in Regelschulen schwach entwickelt. In Baden-Württemberg sind 19 000 Kinder mit einem besonderen Förderbedarf in einer ganz normalen Regelschule in den Klassen integriert. Ich glaube nicht, dass man da von „besonders schwach entwickelt“ sprechen darf.

Ich will noch eine Zahl nennen, die vielleicht ganz interessant ist: Baden-Württemberg hat unter allen Bundesländern den prozentual geringsten Anteil an behinderten Kindern in Son

derschulen, eben weil bei uns eine ganz große Zahl von behinderten Kindern mit besonderem Förderbedarf durch die sonderpädagogischen Dienste am Unterricht in den Regelschulen beteiligt werden.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Staiger SPD)

Ich will unsere Haltung zur Förderung behinderter Kinder in Baden-Württemberg einmal aus Sicht der CDU bewerten und auch darüber Auskunft geben, wie wir die Sache sehen.

Es ist doch wohl völlig klar – ich glaube nicht, dass wir jemanden in diesem Hohen Haus finden, der dieser Meinung widerspricht –, dass behinderten Kindern in der Schule und später auch im Beruf die Chance geboten werden muss, so weit selbstständig zu leben, wie es nur geht. Das ist im Sinne der Betroffenen die richtige Entscheidung, das ist aber auch im Sinne der Eltern die richtige Entscheidung.

Ich kenne viele ältere Eltern, deren behinderte Kinder schon erwachsen sind, und die Angst haben und fragen: Was passiert mit meinem behinderten Kind, wenn ich irgendwann einmal nicht mehr bin? Es ist doch völlig logisch, dass die Situation von Eltern mit einem hoch selbstständigen Kind wesentlich besser ist als die von Eltern mit einem Kind, bei dem unklar ist, wie es weitergeht, wenn die Eltern einmal nicht mehr da sind. Das heißt, es ist unser gemeinsames Ziel, behinderte Kinder so weit zu bringen, dass sie möglichst gut mit dem Alltagsleben zurechtkommen und, wenn es irgendwie geht, zumindest teilweise für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Gerade weil das so ist, haben wir uns zum Ziel gesetzt – Herr Staiger, das wissen Sie auch –, dass wir bei diesen Kindern von ihrer Geburt an schauen, ob wir ihnen nicht gleich zu Beginn helfen und damit mögliche Behinderungen in ihren Auswirkungen und in ihren Verschlimmerungen begrenzen können und den Kindern die Chance geben, entsprechend integriert zu werden.

Es gibt für behinderte Kinder sehr viele Angebote des Landes. Wir haben ein flächendeckendes Angebot an interdisziplinären Frühförderstellen – es sind 36 an der Zahl –, und wir haben immer für mehrere Landkreise zusammen ein Sozialpädia trisches Zentrum. Bei diesen beiden Einrichtungen geht es im Grunde doch um die Situation, die entsteht, wenn eine Familie ein behindertes Kind bekommt und mit diesem Kind dann sofort in eine entsprechende Förderung gebracht werden muss.

Lieber Herr Staiger, wir haben Probleme. Ich sage Ihnen aber: Die Probleme liegen an einer völlig anderen Stelle als der, die Sie sehen. Die Probleme liegen möglicherweise – ich will das einmal am Beispiel der Sozialpädiatrischen Zentren erwähnen – darin, dass dort natürlich die gesetzliche Krankenversicherung z. B. als Kostenträger eine Rolle spielt. Die SPZ-Betreuung erfolgt in Krankenhäusern. In diese Krankenhäuser werden die Kinder überwiesen, wenn sie zur Diagnostik müssen. Danach gehen sie wieder zu ihrem Kinderarzt zurück. Der Kinderarzt sagt oft: „Das Kind braucht eigentlich eine Ergotherapie, braucht eine Sprachheilbehandlung und vieles mehr“ und kommt dann mit einem Budgetproblem, das ursächlich überhaupt nichts mit der Integration der Kinder zu tun hat, das uns aber die Dinge erschwert und das vor allem den Eltern die Dinge erschwert. Wenn wir also über wahre Probleme der Eltern sprechen, dann lassen Sie uns bitte im

Bereich der frühkindlichen Förderung dieser Kinder darüber diskutieren, wie wir den Eltern diese Steine aus dem Weg räumen, die nicht in Landeshoheit sind, sondern die möglicherweise auch beim Bundesgesetzgeber und bei den Kostenträgern liegen. Das sind die wahren Probleme bei den Kindern.

Ich will noch eines klarstellen, Herr Staiger. Sie haben vorhin gesagt, wir wollten den Kindern in den Schulen die Wahlmöglichkeit geben. Ja, das wollen wir. Ich unterstreiche auch ausdrücklich Ihre Feststellung, dass wir keine Schule zur Integration zwingen können. Denn wir haben nichts davon, wenn Kinder in eine Schule gehen, in der sie nicht willkommen sind und wo man sich dieser Aufgabe nicht annimmt.

Was Sie aber vorhin vergessen haben, zu sagen, ist: In BadenWürttemberg ist laut Landesverfassung jedes Kind – auch ein behindertes Kind – zunächst einmal per se ein Grundschulkind. Erst wenn man feststellt, dass die Bedingungen nicht ausreichen – sonderpädagogische Dienste und sonstige Hilfestellungen –, um dieses Kind integral in einer Regelschule zu beschulen, greift bei uns die Sonderschule. Ich glaube, dass wir damit gar nicht so schlecht fahren. Wenn Sie sich die bundesweiten Zahlen anschauen, sehen Sie, dass es nur zwei Länder gibt, bei denen die Sonderschulquote behinderter Kinder gering ist, und das sind Baden-Württemberg und Bayern. Ich finde, Optimierungsbedarf gibt es immer, aber wir sollten schon auch schauen, was wir bereits erreicht haben und auf welchem Weg wir sind. Unseren Stand haben wir erreicht, indem wir frühzeitig bei der Prävention ansetzen. – Jetzt ist meine Redezeit zu Ende.

Ich hoffe trotzdem, dass wir weiter für die behinderten Kinder einstehen, lieber Herr Staiger. Ich weiß, dass das bei Ihnen der Fall ist. Ich danke Ihnen ganz persönlich dafür, dass Sie diesen Antrag gestellt haben, und danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Hoffmann, gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abg. Zeller?

Bitte, Herr Abg. Zeller.

Herr Kollege Hoffmann, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass bei uns in Baden-Württemberg ein Kind dann in eine Sonderschule gehen muss, wenn es den jeweiligen Bildungsstand der allgemeinbildenden Schule nicht erreichen kann? Dies ist das Kriterium. Deswegen basiert eine Umschulung, wie Sie sie beschrieben haben, eben auf einem anderen Grundsatz; sie erfolgt nämlich dann, wenn ein Kind diese Leistung nicht erbringen kann.

Nein, lieber Herr Zeller, das nehme ich nicht zur Kenntnis, weil es so nicht stimmt.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Natürlich stimmt das! – Gegenruf des Abg. Ernst Behringer CDU)

Nein, das stimmt so nicht.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Doch!)

Die Kinder werden an ihrem individuellen Förderbedarf bewertet.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Nein, das ist falsch! Schlichtweg falsch!)

Doch! – Erst dann, wenn dieser Förderbedarf die Integrationsmöglichkeiten an einer Regelschule übersteigt, weil der Aufwand für das Kind oder für die betroffene Schule zu hoch ist, kommt die Sonderschule zum Zuge.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das ist völlig falsch! In- formieren Sie sich einmal!)

Das steht im Schulgesetz von Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der SPD)

Das kann man vielleicht im Schulausschuss, wohin der Antrag zur weiteren Beratung überwiesen werden soll, klären.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Kollegin Rastätter das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion GRÜNE kann ich sagen, dass wir diesen Antrag der SPD-Fraktion unterstützen, insbesondere auch den Ansatz, Schritte in Richtung einer inklusiven Schule zu machen. Heute Morgen habe ich den Gesetzentwurf meiner Fraktion zur Basisschule vorgestellt, und auch diese Basisschule ist eine inklusive Schule.

Herr Kollege Hoffmann, wenn Sie sich unseren Gesetzentwurf genau anschauen, dann werden Sie dort auch eine Regelung finden, die die zieldifferente Integration von Kindern mit Behinderungen festschreibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Baden-Würt temberg – das ist richtig, und das hat Kollege Staiger überhaupt nicht bestritten – ein breites Netz an Frühförderstellen. Wir haben an vielen Sonderschulen sonderpädagogische Beratungsstellen angegliedert. Sowohl die Frühförderstellen als auch die sonderpädagogischen Beratungsstellen, von denen ich viele kenne, leisten hervorragende Arbeit. Dort sind sehr engagierte Sonderpädagogen beschäftigt. Da liegt nun nicht das Problem.

Es liegt allerdings sehr stark im personellen Bereich, in den Möglichkeiten, tatsächlich auch diese Kooperationen zu erbringen. Dabei bilden wir in Baden-Württemberg genügend Sonderpädagogen aus. Allerdings werden viele von ihnen nicht eingestellt und wandern dann in andere Bundesländer ab. Das ist sehr bedauerlich, weil wir genau diese Sonderpädagogen in Baden-Württemberg brauchen, um nämlich die Kooperation mit den allgemeinbildenden Schulen zu verstärken und um mehr Kinder, als dies heute der Fall ist, in die allgemeinbildenden Schulen zu integrieren.

Nun komme ich zu dem Hinweis auf die im Vergleich zu anderen Bundesländern niedrige Quote von Kindern mit Behinderungen, die eine Sonderschule besuchen. Wir haben mit rund 4,2 % in der Tat eine recht niedrige Quote in Relation zu den anderen Bundesländern. Allerdings sind es, Herr Kollege Hoffmann, bei den Schülern in allgemeinen Schulen im Wesentlichen Kinder und Jugendliche, die dem Bildungsgang der

jeweiligen Schule folgen können und damit kooperativ sonderpädagogische Unterstützung bekommen.

(Zuruf des Abg. Andreas Hoffmann CDU)

Das Problem liegt darin – insofern stimmt das, was Sie vorgetragen haben, überhaupt nicht –: Wir haben in § 15 des Schulgesetzes die Vorgabe, dass Kinder mit Behinderungen dann in die allgemeinen Schulen integriert werden sollen, wenn sie dem Bildungsgang der jeweiligen Schulart folgen können. Das bedeutet, dass in Baden-Württemberg ein Kind mit geistiger Behinderung eine Sonderschulpflicht hat. Im Schulgesetz ist dann geregelt, dass es die Möglichkeit gibt, in eine Außenklasse aufgenommen zu werden, denn die Außenklassen sind im Schulgesetz verankert.

Nun haben wir in Baden-Württemberg gigantische Hürden. Die Zahl der Außenklassen hat zugenommen; das stimmt. Rund 11 % der Kinder mit geistigen Behinderungen sind an allgemeinen Schulen integriert. Wir wissen aber, dass sehr viele Eltern überall im Land entweder die Aufnahme in eine Außenklasse oder eine wohnortnahe Integration wünschen. Wir wissen auch, dass die Hürden in sehr vielen Fällen so hoch sind, dass diese Kinder keine integrative Möglichkeit finden.

Außerdem möchte ich ein gravierendes Problem bei der Integration ansprechen: Auch hier spielt der soziale Faktor eine ganz entscheidende Rolle. Während sich etwa 11 % der Kinder mit geistiger Behinderung an allgemeinen Schulen befinden, sind es bei lernbehinderten Schülerinnen und Schülern, die von ihren Lernbedürfnissen her einfacher zu integrieren wären, nur 2 %. Das liegt daran, dass die Eltern solcher Kinder in der Regel gar nicht in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass ihr Kind ein integratives Angebot bekommt.

Das heißt, wir müssen weg von der Nachfrageorientierung, bei der die Eltern immer anklopfen müssen: „Ich will aber, dass mein Kind dabei sein darf.“ Stattdessen müssen wir zu einem Angebot an integrativen Profilschulen kommen, damit die Eltern tatsächlich eine Wahlmöglichkeit haben, die sie heute nämlich nicht haben. Wir müssen das Elternwahlrecht im Schulgesetz verankern, aber auch zieldifferente Integration. Erst dann bekommen die Eltern Wahlmöglichkeiten.

Wenn wir in Baden-Württemberg schon integrative Profilschulen haben – das sind ja nur ganz wenige –, dann müssen diese endlich auch als integrative Profilschulen anerkannt werden. Deshalb haben wir heute u. a. den Änderungsantrag eingebracht, dass dieses Schulprofil auch in Emmendingen an der Integrativen Waldorfschule endlich genehmigt wird.

Kurzum – meine Redezeit ist beendet –, wir haben noch große Herausforderungen vor uns. Baden-Württemberg bietet bei der sonderpädagogischen Förderung gute Voraussetzungen; das muss ich an dieser Stelle sagen. Schulgesetzlich müssen wir hinsichtlich der Möglichkeiten an allgemeinen Schulen und der Weiterentwicklung der Sonderschulen zu Kompetenzzentren aber noch viele Hausaufgaben machen. Ich möchte Sie bitten – gerade Sie, Herr Kollege Hoffmann –, sich daran auch zu beteiligen und sich hier nicht als Bremser zu betätigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll das Wort.