Protocol of the Session on November 5, 2008

Doch der Gesetzentwurf regelt ja nicht nur die Fusion. Der zweite Teil der Gesetzesüberschrift lautet: „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung der Zentren für Psychiatrie“. Betrachtet man die dort vorgesehenen Änderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann stellt man schnell fest, dass es um viel mehr geht als nur um redaktionelle Änderungen. § 2 dieses Errichtungsgesetzes, in dem die Aufgaben der Zentren beschrieben werden, wird grundlegend neu formuliert. In der Gesetzesbegründung werden diese grundle

genden Veränderungen damit gerechtfertigt, dass sich die bisherigen Bestimmungen an den Erfordernissen der Psychiatrie von Mitte der 1990er-Jahre orientiert hätten und seither weitreichende Veränderungen bei der Behandlung psychisch Kran ker, seelischer Störungen und psychosomatischer Leiden eingetreten seien.

Darüber und über sich daraus ergebende Konsequenzen für die Aufgaben der Zentren für Psychiatrie lohnt es sich sicher, intensiv zu diskutieren. Es ist allerdings mehr als problematisch, diese weitreichenden Veränderungen still und leise im Huckepack zu einer regional beschränkten Organisationsreform vorzunehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was damit angerichtet wird, kommt in der Stellungnahme der AWO Baden zum Ausdruck, die in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf schreibt – ich zitiere –:

Die Zentren stellen ein wichtiges Rückgrat psychiatri scher Versorgung dar und sind verlässliche Partner bei bestehenden guten Kooperationsbeziehungen im sozialpsychiatrischen Versorgungssystem. Sollte eine Änderung des Rollenverständnisses der Zentren beabsichtigt sein, befürchten wir eine zunehmend zentralistische und klinik orientierte Steuerung von Patientenströmen und damit eine negative Entwicklung für betroffene Menschen in Baden-Württemberg.

Der Landesverband Gemeindepsychiatrie merkt in seiner Stellungnahme an:

Es besteht die Gefahr, dass trotz der Einbindung in den gemeindepsychiatrischen Verbund, der ja nach wie vor keine verbindliche Rechtsform hat und der kein Entscheidungsgremium ist, die Zentren hier sehr schnell eine marktbeherrschende Stellung erhalten.

(Abg. Andreas Hoffmann CDU: Was ist daran denn neu?)

So geht man mit ambulanten Partnern in diesem Bereich nicht um, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Gesetzentwurf und die Art und Weise, wie weitreichende Veränderungen klammheimlich durchgepeitscht werden sollen, weckt begründete Ängste. Das Mindeste ist, dass der Landtag im Rahmen einer öffentlichen Anhörung mit allen an der psychiatrischen Versorgung beteiligten Akteuren über diese Veränderungen diskutiert. Die SPD wird deshalb eine solche öffentliche Anhörung im Sozialausschuss beantragen. Ich appelliere an dieser Stelle an beide Regierungsfraktionen, sich nicht schon wieder – wie in der Vergangenheit mehrfach geschehen – feige einer solchen öffentlichen Anhörung zu entziehen

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Mein Gott, Hoffmann! Feige! – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

dafür gibt es genügend Beispiele, lieber Uli Noll; du brauchst mir gar nichts zu erzählen –, indem sie sich mit ihrer Mehrheit im Ausschuss durchsetzen.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Das trauen sie sich jetzt nicht mehr!)

Noch eine scheinbar geringfügige Gesetzesänderung macht uns stutzig und gibt Anlass zu Befürchtungen. Mit § 5 Abs. 4 sollen die Geschäftsführer künftig gesetzlich dazu verpflichtet werden, dem Aufsichtsrat über die Koordinierung zwischen den Zentren für Psychiatrie zu berichten. Da schrillen alle Alarmglocken. Das klingt eigentlich harmlos, und man fragt sich, warum eine solche Selbstverständlichkeit in die gesetzliche Aufgabenbeschreibung der Geschäftsführung überhaupt aufgenommen wird.

Es ist weniger harmlos, wenn man weiß, dass die Pläne, die Zentren zu einer zentralistischen, privatrechtlichen Holding zusammenzufassen, zurzeit zwar auf Eis liegen, aber keineswegs vom Tisch sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Eine gesetzliche Verpflichtung der Geschäftsführer, über die Koordinierung zwischen den Zentren für Psychiatrie zu berichten, ist vor diesem Hintergrund der schleichende Einstieg in zentralistische Holdingstrukturen, die von der SPD abgelehnt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sagen Ja zu regionalen Kooperationen. Wir sagen aber Nein zu einem landesweiten Psychiatriekonzern, und dabei bleibt es, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab, weil die an sich sinnvolle regionale Fusion mit problematischen Aufgabenveränderungen der Zentren verquickt wird.

Wir lehnen den Gesetzentwurf auch deshalb ab, weil sich durch die Fusion in der vorgesehenen Form die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten massiv verschlechtern werden. Wir haben vorhin – oben auf der Zuhörertribüne sitzen die Personalräte der beteiligten Zentren – 1 205 Unterschriften aus den drei Zentren übergeben bekommen, die fusioniert werden sollen. Das spricht eine deutliche Sprache.

Ich hoffe, dass die Ankündigungen des CDU-Kollegen Hoffmann nicht nur Schall und Rauch sind, sondern dass wirklich jedes Zentrum seine Personalvertretung behalten darf.

(Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Mielich für die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste oben auf der Tribüne!

(Unruhe – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Unparlamentarisch! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wir sprechen nicht für die Tribü- ne!)

Es ist richtig, Frau Ministerin, wenn Sie sagen, dass BadenWürttemberg mit seinen neun psychiatrischen Zentren eine

sehr gute Organisationsstruktur und Versorgungsstruktur hat. Es natürlich richtig und auch sehr erfreulich, dass die Zentren bisher schwarze Zahlen schreiben. Es ist aber auch richtig, dass die Debatte darüber, wie die Zukunft der Zentren und die Betriebsform der Zentren aussehen wird, schon ziemlich lange währt.

Uns liegt jetzt der Gesetzentwurf vor. Wir halten die Vorstellung der Fusion von drei Zentren für sehr richtig. Wir glauben auch, dass das eine gute Möglichkeit ist, tatsächlich Synergien zu schaffen, und dass es betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, die Organisation zusammenzuführen. Es ist ein Schlusspunkt unter diese Debatte. Für die Beschäftigten ist es in gewisser Weise auch eine Beruhigung, weil das Thema „Privatisierung und Verkauf der Zentren“ vom Tisch ist.

Es gibt ja durchaus Regionen in Deutschland – ich nenne einmal Schleswig-Holstein und Niedersachsen –, wo die Entscheidungen ganz andere gewesen sind, wo private Konzerne Eigentümer von psychiatrischen Zentren geworden sind. Ich finde es ausgesprochen gut, dass das in unserem Fall nicht passiert ist.

Es gibt strategische und ökonomische Vorteile für diese Fusion. Das macht durchaus Sinn und ist auch in unserem Sinne. Aber es gibt daneben durchaus Bereiche – meine Kollegin Haußmann hat eben schon ein paar angesprochen –, die zu diskutieren sind. Ich finde es erstaunlich, dass sowohl Sie, Frau Ministerin, als auch Sie, Herr Kollege Hoffmann, deutlich darauf hinweisen, was alles nicht im Gesetz steht. Ich bin überaus misstrauisch, wenn ich dann höre, was alles nicht damit gemeint ist, und denke dabei: Warum müssen Sie das so betonen? Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus: Das Gesetz muss in allen seinen Passagen so klar formuliert sein, dass es überhaupt keinen Spielraum mehr für Interpretation lässt.

(Zuruf des Abg. Andreas Hoffmann CDU)

Eine solche Interpretationsmöglichkeit lässt z. B. die in Artikel 2 vorgesehene Neufassung von § 2 Abs. 9 zu, in der von einer zentrumsübergreifenden Koordinierung gesprochen wird und deutlich der Zwang, die Koordinierung im medizinischen und auch im ökonomischen Bereich durchzuführen, zum Ausdruck kommt. Das macht keinen Sinn, weil klar ist – das sagen z. B. auch die Beschäftigten in den Zentren –, dass es bereits jetzt auf freiwilliger Ebene eine Koordinierung gibt, dass es regelmäßig einen sehr guten Austausch gibt, dass es einmal im Monat ein Treffen gibt, bei dem bereits die Koordinierung stattfindet. Die Frage ist doch: Warum kann das nicht einfach so gelassen werden, wie es ist? Warum muss das ins Gesetz geschrieben werden, warum muss so ein Druck, so ein Zwang aufgebaut werden?

Wenn man sich einmal auf der Landkarte anschaut, wo die verschiedenen Zentren sind, erkennt man, dass sie in regionale Strukturen eingebettet sind. Sie sind eingebettet als Stützpunkte ganz vieler Außenstellen, die darum herum angesiedelt sind. Durch diese Art der Koordinierung verhindern Sie, dass auf freiwilliger Basis unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten eine Koordinierung vonstatten gehen kann. Für uns riecht das ganz stark danach, dass auf diese Weise zentralistische Strukturen wie bei einer Holding aufgebaut werden sollen.

Der zweite Bereich betrifft die Aufgabenerweiterung. Auch da höre ich die Worte von Ihnen, Frau Ministerin, und auch von Ihnen, Herr Hoffmann. Aber das, was im Gesetz steht, sagt etwas anderes aus. Da steht ganz klar, dass es eine Ausweitung auf die Bereiche des SGB IX, XI und XII gibt.

(Abg. Andreas Hoffmann CDU: Die gibt es heute schon!)

Ja, aber es ist doch die Frage, ob wir das wollen. Wir sind auf der einen Seite landespolitisch gesehen auf einem völlig anderen Dampfer. Wir wollen dezentrale Strukturen, wir wollen wohnortnahe Strukturen, wir wollen die Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderungen stärken, und wir wollen, dass sie in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Anderseits sollen aber die Aufgabenbereiche der Zentren für Psychiatrie ausgeweitet werden. Das passt überhaupt nicht zusammen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Betreuung von Menschen mit Demenz. Wir wollen, dass auch Menschen mit Demenz wohnortnah versorgt werden. Das ist uns ein riesengroßes Anliegen. Das wird aber konterkariert, wenn Menschen mit Demenz in den Zentren für Psychiatrie betreut werden, wenn sie einen hohen Pflegebedarf haben.

(Zuruf des Abg. Andreas Hoffmann CDU)

Ich weiß, dass das so ist, aber es ist eine Entwicklung, die wir nicht wollen. Deshalb sollten wir diese Entwicklung nicht stärken. Wir brauchen etwas anderes, wir müssen alternative Strukturen stärken. Das ist doch das wirklich Wichtige daran.

Ein weiterer Punkt betrifft die Abschaffung der regionalen Personalvertretungen. Sie haben gesagt, Herr Hoffmann – und wir werden Sie da im Ausschuss beim Wort nehmen –, dass Sie die regionalen Personalvertretungen beibehalten und stärken wollen. Es ist auch in unseren Augen ein ganz, ganz wichtiger Punkt, dass es bei den Personalvertretungen bleibt, dass sie nicht abgebaut werden und weiterhin ihre hohe Bedeutung haben. Das ist uns ein großes Anliegen. Wir nehmen Sie beim Wort.

Wir sehen jetzt zu, dass in der Ausschusssitzung das Gesetz entsprechend beraten wird, möglicherweise verändert wird. Wir sehen den Veränderungsbedarf zum einen in der Beibehaltung der regionalen Personalvertretungsstrukturen. Zum Zweiten müssen wir wirklich die Ausweitung der Aufgabenbereiche sehr kritisch hinterfragen. Es wird mit uns nicht gehen, dass sie ausgeweitet werden. Das Dritte ist, dass wir die Zwangskoordinierung in der Form, wie sie vorgesehen ist, nicht sinnvoll finden. Das muss rückgängig gemacht werden.

In diesem Sinne baue ich auf eine konstruktive Ausschussberatung und unterstütze den Antrag meiner SPD-Kollegin Haußmann auf öffentliche Anhörung im Ausschuss.

Schönen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist viel über Mythen und Legenden, über trojanische Pferde geredet worden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Zu Recht!)

Ich glaube, wir sollten wieder zu den Fakten zurückkehren. Fakt 1 ist, dass in der Tat die Zentren für Psychiatrie in ihrer derzeitigen Form das Rückgrat für die Versorgung psychisch, seelisch Erkrankter, Suchterkrankter sowie für den Maßregelvollzug in diesem Land Baden-Württemberg sind

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Das bestreitet nie- mand! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das bestreitet doch gar niemand!)