Protocol of the Session on November 5, 2008

Demokratie braucht Frauen – völlig richtig. Es braucht aber auch Wähler, die diese Frauen dann auch tatsächlich wählen.

Das können Sie nicht erzwingen. Da bedarf es eben eines Angebots; Sie können dies nicht über den Weg, den Sie jetzt vorschlagen, erzwingen.

Sitzverteilung nach Sainte-Laguë/Schepers: Bislang wurden die Sitze bei allen Wahlen zu kommunalen Gremien und auch bei der Wahl der Mitglieder zur Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart nach d’Hondt zugeteilt. Im Landtagswahlrecht wurde das Auszählverfahren durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2006 vom Höchstzahlverfahren nach d’Hondt auf Sainte-Laguë/Schepers umgestellt. Im Bundestags- und im Europawahlrecht wurde vor einigen Monaten das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers eingeführt. Es gibt allerdings – darauf muss ich hinweisen; das wissen hier aber auch alle – bisher kein Auszählverfahren, das den Wählerwillen exakt bis zur letzten Stelle hinter dem Komma umsetzt. Das gibt es einfach nicht. Alle bekannten Verfahren erfordern Rundungen, und Reststimmen bleiben in allen Verfahren unberücksichtigt. Auch mit dem Verfahren nach Sainte-Laguë/ Schepers kann eine absolute Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen nicht erreicht werden. Entsprechendes gilt auch für das bisher im Bundestags- und im Europawahlrecht angewandte Verfahren, das mathematische Proporzverfahren nach Hare/Niemeyer.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass kein Verteilungsverfahren als prinzipiell „richtiger“ erscheint und deshalb den Vorzug verdienen würde. Es hat ausdrücklich gesagt, dass der Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit bei der Frage hat, für welches System er sich entscheiden will. Es ist also eine rein politisch zu entscheidende Frage, welches Auszählverfahren zur Anwendung kommen soll.

Nun kommt ein Gesichtspunkt, den wir schon einmal berücksichtigt haben: Wir sollten kurze Zeit vor Kommunalwahlen eine so gravierende Änderung nicht vornehmen. Es ist ein meines Erachtens sehr beachtenswerter Grundsatz, gewichtige Wahlrechtsänderungen möglichst vor der entscheidenden Phase der Vorbereitung und der Durchführung von Wahlen abzuschließen. Dafür sprechen viele Gründe, beispielsweise die Rechtssicherheit, die Planungssicherheit für alle Beteilig ten, aber auch praktische und organisatorische Überlegungen. Gerade deshalb haben wir ja im Jahr 2006 die Änderung des Zuteilungsverfahrens für die Sitze erst für die Landtagswahl 2011 beschlossen. Eben das war der Grund, weshalb wir im Jahr 2006 gesagt haben, das solle erst zur Landtagswahl 2011 wirksam werden.

Meine Damen und Herren, wir sind uns eigentlich doch alle einig, dass es wichtig ist, für eine solide politische Bildung unserer Jugendlichen zu sorgen. Da ist es sinnvoll, Jugendliche durch die Einrichtung von Jugendgemeinderäten, von Jugendforen, Zukunftswerkstätten und anderen Formen der politischen Willensbildung auf örtlicher Ebene zu beteiligen. Dafür sollten wir werben. Ich hielte es allerdings für zu weitgehend, wenn den Gemeinden die Einrichtung eines Jugendgemeinderats oder anderer Arten von Jugendvertretungen verbindlich vorgeschrieben werden sollte.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau! Da hat er recht!)

Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut, und deswegen sollte auch künftig jede Gemeinde bzw. jeder Gemein

derat eigenverantwortlich entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Form er eine Jugendvertretung einrichtet.

Gerade diese Formen der Jugendbeteiligung stoßen bei den Jugendlichen selbst – wenn überhaupt; das ist alles noch sehr verbesserungsbedürftig – auf höhere Akzeptanz, als wenn sich ein Jugendlicher jetzt verpflichten muss, fünf Jahre in einem politischen Gremium mitzuarbeiten.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Das stimmt! Al- les schon getestet!)

Es liegt auch im Wesen der Demokratie, meine Damen und Herren, dass wir die Bürger zur Teilhabe nicht verpflichten können.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir können dazu ermuntern, und wir müssen alles dafür tun, aber wir können sie nicht zwingen, teilzuhaben und teilzunehmen. Sie tun es faktisch, in welcher Form auch immer. Im Übrigen ist es auch ein Wesenszug der Demokratie und der demokratischen Rechtsordnung, und es gibt ein entsprechendes Recht des Wählers, nicht zur Wahl zu gehen.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Es ist das Recht des Wählers, von seinem Recht nicht Gebrauch zu machen. Wir mögen all dies bedauern, und wir müssen alles dafür tun, dass sich dabei vieles ändert – da stimme ich mit Ihnen überein –, aber es gibt auch vieles, was wir nicht erzwingen können. Die von der Fraktion GRÜNE vorgelegten Gesetzentwürfe helfen überhaupt keinen Meter weiter, und deswegen können sie auch nicht unterstützt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Herrn Abg. Winkler?

Ja, gern, Herr Winkler.

Vielen Dank, Herr Minister. – Sie sagen, Sie könnten die Jugendlichen nicht zwingen und auch die Gemeinden nicht zwingen. Aber wäre es nicht logisch, wenn Sie den Jugendlichen sozusagen ein Recht der Gemeinde gegenüber einräumten, einen Jugendgemeinderat einzurichten, und das nicht ins Belieben der Gemeinde stellten? Warum haben die Jugendlichen nicht einen Rechtsanspruch darauf, wenn sie es denn wollen? Nicht, dass sie es müssten.

Herr Kollege Winkler, der Gedanke hat einiges für sich. Aber jetzt will ich Sie einmal fragen: Kennen Sie eine Gemeinde, in der Jugendliche die Einrichtung eines Jugendgemeinderats fordern wollen und bereit sind, sich in entsprechendem Umfang einzubringen, und die Gemeinde und der dortige Gemeinderat dies nicht zulassen?

(Abg. Alfred Winkler SPD: Dann könnte man es ma- chen?)

Eine solche Gemeinde kenne ich nicht. Diese müssten Sie mir erst einmal nennen.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Die Hürde ist deutlich größer! Das wissen Sie doch ganz genau! – Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)

Lieber Herr Kollege Winkler, noch einmal: Die Gemeinderäte werden in allen Fällen, in denen dieser Beteiligungswunsch von Jugendlichen geäußert wird, dem auch nachkommen. Dazu müssen Sie sie nicht zwingen.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Das muss man nicht vorschreiben! So ein Quatsch! – Abg. Alfred Winkler SPD: Sie müssen die Gemeinderäte überzeu- gen!)

Wissen Sie: Es erzeugt mehr Frust, wenn Sie den Gemeinden vorschreiben, dass dann, wenn auch nur einer den Finger hebt, ein Jugendgemeinderat eingerichtet werden muss. Schauen Sie sich doch einmal an, was in vielen Fällen passiert, in denen schon in den vergangenen Jahren Jugendgemeinderäte eingerichtet wurden. Die Lust lässt in vielen Fällen sehr frühzeitig nach. Und dort, wo es funktioniert, funktioniert es auch nur, weil der Gemeinderat in toto, weil die Gemeindeverwaltung und der Bürgermeister dahinterstehen. Lassen Sie doch jetzt dieses Gestaltungselement dort, wo es hingehört, nämlich bei den Gemeinden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Richtig! – Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Herrn Abg. Bayer?

Gern.

Herr Minister, ist Ihnen bekannt, dass sich die Dachorganisation der Jugendgemeinderäte selbst seit Jahren sehr intensiv darum bemüht, eine gesetzliche Regelung zu erhalten, wonach es ihr möglich ist, zu einem Antragsrecht von Jugendgemeinderäten im „richtigen“ Gemeinderat zu kommen,

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Das ist doch reine The- orie!)

und wonach ein Rederecht der Jugendgemeinderäte im Gemeinderat besteht? Das sind nicht nur unsere Forderungen, sondern das sind die Forderungen der organisierten Jugendgemeinderäte selbst.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: In vielen Orten funkti- oniert das ohne Gesetz!)

Gut, ich bestreite jetzt nicht ad hoc, dass das die Forderung der Dachorganisation ist. Es ist auch ganz normal, dass man in dieser Art und Weise Verbandspolitik macht. Aber deswegen wird die Forderung nicht richtiger.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Abg. Klaus Herrmann CDU: Genau!)

Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist für mich ein hohes Gut. Überlassen Sie das denen, die vor Ort ihr Ohr am Bürger und damit auch an den Jugendlichen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sckerl.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar abschließende Bemerkungen zu der heutigen Debatte. Herr Kollege Wolf, Sie haben strukturelle Maßnahmen zum Abbau der Benachteiligung von Frauen in kommunalen Gremien als „Anschlag auf die Demokratie“ bezeichnet.

(Abg. Guido Wolf CDU: So schon! Verordnete, ja!)

Das halte ich für ein spannendes Argument. Ich glaube, viele Frauen in Baden-Württemberg werden mit Interesse zur Kennt nis nehmen, wie die CDU dieses Defizit beurteilt: als Anschlag auf die Demokratie. Sie sollten noch einmal darüber nachdenken.

(Abg. Guido Wolf CDU: Ihren Vorschlag, nicht das Defizit! Ihren Vorschlag bezeichne ich als Anschlag! Das hat „frau“ gar nicht nötig!)

Wir sehen uns gern einmal die verfassungsrechtliche Situation an. Das habe ich angeboten. Das machen wir im Ausschuss. Dann werden Sie merken, dass der Vorschlag, den wir machen, verfassungsrechtlich völlig legitim, wenn nicht sogar längst von der Rechtsprechung gefordert ist, dass wir als staatliches Gremium, als Parlament, aufgefordert sind, nach vielen Jahren der rechtlichen Unterschiede und der Benachteilung strukturelle Defizite endlich zu beseitigen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Guido Wolf CDU: Die Menschen zu bevormunden! Das glauben auch nur Sie! – Abg. Ernst Behringer CDU: Es gibt doch keine Benachteiligung! So ein Quatsch!)

Die CDU hat den allerbesten Grund, hier die Backen dick aufzublasen, Herr Kollege Röhm.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bitte?)

Wenn man 21 % Frauenanteil hat – das war Ihr Anteil an Kandidatinnen bei der Kommunalwahl 2004 –, dann darf man sich nicht wundern, wenn hinterher bloß ein Frauenanteil von 16,5 oder 16,6 % herauskommt. Sie als Partei machen den Wählerinnen und Wählern ja nicht einmal ein Angebot.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das stimmt nicht! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich habe zwei Schü- lersprecherinnen! – Zuruf des Abg. Ernst Behringer CDU)

Ich könnte Ihnen jetzt natürlich einen Vortrag darüber halten, warum das ausgerechnet in der CDU aus machtpolitischen Gründen so ist,