Protocol of the Session on November 5, 2008

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Gut! – Abg. Guido Wolf CDU: Guter Ansatz!)

Im Folgenden möchte ich über die Absenkung des Wahlalters sprechen. Vor nicht einmal drei Jahren haben wir dazu einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der über den heutigen noch weit hinausgeht. Selbstverständlich stehen wir hinter unseren damaligen Forderungen, Einsichten und Begründun gen.

Jugendliche treffen heute sehr viel früher Entscheidungen, als es in ihrer Elterngeneration üblich war, und das in sehr vielen Bereichen, meine Damen und Herren; Stichwort Religionsmündigkeit – kein ganz unwichtiger Bereich – mit 14 Jahren. In der Demokratie aber stehen Jugendliche bei uns immer noch auf der Warteliste, oder sie befinden sich auf Spielwiesen.

Meine Damen und Herren, es muss alles getan werden, damit junge Leute möglichst früh demokratische Prozesse kennenlernen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf: So ist es!)

Das finden nicht nur der Bundesjugendring und der Landesjugendring, sondern das findet inzwischen auch der Städtetag.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)

In seiner aktuellen Stellungnahme zu dem vorgelegten Gesetzentwurf heißt es:

Wenn dieses Ziel erreicht werden soll, darf es keine Tabus geben.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Abg. Nikolaos Sa- kellariou SPD: Hört, hört!)

Leider wird eine weitere Befassung damit auf spätere Jahre verschoben, ich glaube, auf einen Kongress im Jahr 2010. Schade. Aber es scheint immerhin Bewegung in diese Diskussion zu kommen, und das halte ich für gut.

Oft wird behauptet – von Mitgliedern aller Fraktionen –, Jugendliche seien im Alter von 16 oder 17 Jahren noch nicht reif für eine verantwortungsvolle Stimmabgabe.

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Mich machen solche Äußerungen sehr, sehr nachdenklich, auch dann und gerade dann, wenn sie von den Jugendlichen selbst kommen. Stellen Sie sich doch einmal einen Jugendlichen vor, der 16 Jahre lang in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, in der Jugendarbeit, im Verein, im Umfeld und in der Ausbildung immer wieder neu und altersgerecht gelernt hat, seine Bedürfnisse zu artikulieren und gleichzeitig auf die Bedürfnisse von anderen zu achten. Ein solcher Jugendlicher wird völlig selbstverständlich auch an der Wahlurne mit seiner Stimmabgabe Einfluss nehmen wollen – und das natürlich alters- und interessengeprägt. Damit unterscheidet er sich nicht von allen anderen Gruppen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Wenn es zu wenig solcher Jugendlicher gibt, dann ist das nicht entwicklungspsychologisch zu erklären, sondern ist das Ausdruck gesellschaftspolitischer, bildungspolitischer und sozialpolitischer Defizite.

Die Herabsetzung des Wahlalters allein – darüber bin ich mir völlig im Klaren – führt nicht automatisch zu mehr politischer Beteiligung, aber sie ist eine große Chance, nicht mehr und nicht weniger. Sie ist nur dann sinnvoll, wenn damit eine breit angelegte Demokratiekampagne verknüpft wird. Hierzu möchte ich exemplarisch einige Bausteine nennen:

Erstens: kindgerechte Beteiligungsprojekte, so wie sie in der Landesarbeitsgemeinschaft Kinderpolitik zusammengestellt wurden und viel zu wenig bekannt sind, obwohl dies übrigens in der Enquetekommission „Demografischer Wandel“ so beschlossen wurde.

Zweitens: Gemeinschaftskundeunterricht – viel früher beginnen, nicht in Fächerverbünden verstecken. Gemeinschaftskunde ist ein Fach mit Verfassungsrang.

(Beifall des Abg. Georg Nelius SPD)

Meine Damen und Herren, Sie wollen auch nicht Religion in einen Fächerverbund Lebenskunde/Ethik/Religion integrieren; das wird von Ihnen ja immer abgelehnt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Darin kommt aber Gemeinschaftskunde vor!)

Drittens: Moral lernen und soziales Lernen – nicht nur einfach als Nischenprodukt, sondern als systematisch und didaktisch verankerter Bestandteil des Schulalltags. Konzepte hierzu gibt es reichlich. Ich nenne nur das Lions-Quest-Programm oder die Arbeiten von Professor Lind in Konstanz.

Viertens: die Verankerung von Beteiligungsrechten in Jugendgemeinderäten – und nur damit werden diese Rechte auch tatsächlich verbindlich.

Fünftens: die Stärkung von Rechten der Schülermitverwaltung.

Sechstens: die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Jugendliche, die langjährig Demokratieerfahrungen gemacht haben, können und wollen sich einbringen, und zwar nicht nur auf politischen

Spielwiesen, die ihnen von Erwachsenen zugestanden werden. Jugendliche Interessen, jugendliche Meinungen, jugendliche Emotionen und auch jugendliche Ideale in Echtsituationen zu verankern, darum geht es uns. Vielleicht würde dann irgendwann einmal in einer nicht allzufernen Zukunft ein Leitartikel wie der von Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern anders beginnen. Dort – ich zitiere – schreibt Prantl:

Intrigen sind Bestandteil jeder Politik. Auch Vertrauensbruch und Verrat haben seit jeher dazugehört. Das Haus der Politik ist nun einmal eines, in dem Unbelehrbarkeit, Sturheit, Egomanie, Illoyalität und Narzissmus ein Dauerwohnrecht haben.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Von der hes- sischen SPD spricht er, oder? – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ist das ein Kommentar zu Yp- silanti gewesen?)

Wir sollten Jugendlichen beizeiten Gelegenheit geben, einen solchen Politikbetrieb zu verändern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck für die Fraktion der FDP/DVP.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Gibt es bei der FDP/DVP keine Frauen zu Frauenthemen?)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In einem Punkt ist sich die Fraktion der FDP/ DVP mit den Grünen einig: Es ist an der Zeit, auch bei Kommunal- und Regionalwahlen die Sitzverteilung nach Sainte- Laguë/Schepers vorzunehmen. Dieses Zählverfahren kommt der Forderung der Landesverfassung nach gleicher Gewichtung der Stimmen näher als dieser alte, überholte d’Hondt, der Große begünstigt und Kleine benachteiligt.

Wie Sie alle wissen, ist es uns beim Landtagswahlrecht bereits gelungen, auch unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen. Für die Kommunen ist die CDU leider noch nicht zu einer Änderung bereit. Deshalb wird die FDP/DVP das grüne Ansinnen erst einmal mit Vorsicht genießen.

(Heiterkeit bei der FDP/DVP – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück!)

Wir wollen bei unseren Bemühungen, die CDU zu überzeugen, nicht nachlassen. Unsere christdemokratischen Freunde mögen sich noch eine Weile zieren. Aber Sie wissen ja: Steter Tropfen höhlt den schwarzen Stein.

(Heiterkeit)

Dass die SPD dem Antrag auf Senkung der Altersgrenze für Wahlen auf 16 Jahre zustimmt, wundert mich nicht. Denn wenn einem die Wählerinnen und Wähler ausgehen, muss man sich neue suchen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP/DVP und Abge- ordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Herrlich! – Zuruf von der SPD: Unseriöser Quatsch!)

Warum aber jetzt die Grünen diesen Vorstoß machen, kann ich nicht nachvollziehen. Denn Statistiken belegen ja, dass junge Wählerinnen und Wähler bei der Wahlbeteiligung weit unterrepräsentiert sind.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Woran liegt denn das?)

Bevor wir das Wahlalter absenken, sollten wir also erst einmal darüber nachdenken, wie wir die Wahlen für die bereits wahlberechtigten jungen Menschen attraktiver machen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! So ist es! Bravo! – Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Das hat Herr Bayer doch gesagt! – Abg. Bärbl Mielich GRÜ- NE: Das eine tun, das andere nicht lassen!)

Hier gibt es noch viel zu tun, damit wir das Bewusstsein für die damit verbundene Verantwortung wecken.

Grundsätzlich lehnen wir Liberalen eine Absenkung des Wahlalters nicht ab. In Sachsen hat die FDP selbst einen Vorstoß dazu unternommen, in Niedersachsen gibt es dieses Wahlalter bereits seit 1996.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber für die Kir- chenwahl!)

Dass Kinder und Jugendliche altersgerecht in politische Entscheidungsprozesse einzubinden sind, steht ja auch – der Kollege hat es gesagt – in den Handlungsempfehlungen der Enquetekommission „Demografischer Wandel“.

(Abg. Christoph Bayer SPD: Nichts passiert!)