Protocol of the Session on July 23, 2008

Das ist die haarscharfe Analyse.

Deshalb, Herr Ministerpräsident: Wenn Sie eine Qualitätsoffensive starten, mit der Sie diesen Mangel in unserem Bildungssystem, dass dort, wo die Eltern nicht mittun oder nicht mittun können, die Kinder in hohem Maße darunter leiden, beseitigen wollen, dann müssten Sie insbesondere im Bereich vor der Schule klotzen und nicht kleckern.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Schmiedel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich muss diesen Gedanken jetzt zu Ende führen. Er kann die Frage am Schluss noch stellen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben selbst gesagt, für Sie sei der Bereich vor der Schule der Schlüssel,

(Zuruf des Abg. Stefan Mappus CDU)

um den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Bildungserfolg aufzubrechen. Was Sie aber anbieten, ist erstens ein falscher Ansatz und zweitens viel zu wenig Geld. Sie setzen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kinder schon eine Weile an den Einrichtungen sind, mit einer Sprachstandsdiagnose an und hoffen dann, die Kinder mit Sprachdefiziten durch gesonderte Förderung in wenigen Monaten auf ein Niveau zu bringen, das die anderen Kinder schon haben.

Es gibt in Baden-Württemberg etliche Kindergärten – Sie sollten auch einmal einen dieser Kindergärten besuchen –,

(Abg. Stefan Mappus CDU: Ich habe Kinder im Kin- dergarten, Herr Schmiedel! Nur zur Info!)

die mit der Sprachförderung beginnen, wenn die Kinder in den Kindergarten kommen, mit dem dritten Lebensjahr. Sie isolieren sie nicht von den anderen, sondern fördern sie in der Gruppe. Damit haben sie einen so guten Erfolg, dass dort die Grundschulrektoren sagen: Auch Kinder aus den sozialen Brennpunkten kommen in etwa gleich vorbereitet in die Schule.

Was ist dazu notwendig? Kleinere Gruppen, mehr Personal und Fortbildung für Erzieherinnen und Erzieher, und das massiv und schnell. Man weiß, wie es geht. Dazu braucht man keine Modelle mehr. Man muss es nur tun und Mittel dafür bereitstellen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dann kommt die zweite Stufe, die Grundschule. Das ist wirklich der Hammer: Alles, was Ihnen zur Grundschule einfällt, ist: „Kurze Beine, kurze Wege“ und

(Zuruf von der CDU: Das ist doch gut! – Abg. Werner Pfisterer CDU: Sehr guter Spruch!)

„Wir halten die Grundschule am Leben.“

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Mehr nicht! – Abg. Stefan Mappus CDU: Sollen wir schließen? Sollen wir zumachen?)

Woher kommt es denn, dass diese Kinder keine Chance haben?

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist doch ab- surd!)

Das kommt doch daher, dass die Grundschulen im städtischen Bereich eine massive Integrationsaufgabe haben. Von den 4 000 Lehrern, die Sie einstellen wollen, kommt im nächsten Jahr niemand in der Grundschule an, im übernächsten Jahr auch niemand, im überübernächsten Schuljahr auch noch niemand. Erst kurz vor der Landtagswahl profitieren auch die Grundschulen mit 270 zusätzlichen Lehrern. Das sind dann die, die Sie vorher wegen zurückgehender Schülerzahlen abgezogen haben.

(Abg. Ingo Rust SPD: So ist es!)

Es ist für die Grundschulen ein Nullsummenspiel. Das ist unglaublich.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Franz Untersteller GRÜNE – Abg. Stefan Mappus CDU: Quatsch! Sie erzählen einen Stuss! Das stimmt doch nicht!)

Fragen Sie Herrn Rau, der weiß es besser. – Sie haben auf die zurückgehenden Schülerzahlen in der Grundschule schon bisher dadurch reagiert, dass Sie die Stellen, die durch zurückgehende Schülerzahlen aus Ihrer Sicht überflüssig werden, aus der Grundschule herausnehmen

(Abg. Jörg Döpper CDU: Das haben doch Sie ge- wollt!)

und an das Gymnasium geben. Das ist der Fakt.

In den Grundschulen entscheidet es sich. Dort besteht die Integrationsaufgabe Nummer 1. Deshalb haben die Grünen und wir gefordert, dass eine Schülerzahl von 25 pro Klasse die Obergrenze sein muss. Sie lassen die Grenze bei 31. Das ist verheerend. Damit können Sie diese Integrationsaufgabe nicht bewältigen.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das sind doch gar nicht die realen Zahlen!)

Deshalb ist die Hauptschule am Ende auch überfordert, diese Integrationsaufgabe zu leisten. Das ist der Hauptmangel in unserem Bildungssystem. Sie haben gesagt, das sei der Ausgangspunkt Ihrer Qualitätsoffensive. Aber Sie ändern nichts daran.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wenn sich dann wirklich Engagierte – und Herr Bosch gehört zu den ganz, ganz engagierten Schulleitern – melden und Sie darauf reagieren, indem Sie sagen: „Ihr dürft euch jetzt Werk realschule nennen“, dann antworten diese: „Das hilft uns nicht weiter. Es bleibt bei dem Dilemma.“ Wenn Sie dann von der Seite hineingrätschen und diesen Leuten einen Maulkorb verpassen wollen, dann zeigt das ein wirklich unglaubliches Denken.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ja!)

Was Sie verlangt haben, ist, dass man Herrn Bosch an seine berufliche Existenz geht.

(Lachen des Abg. Stefan Mappus CDU – Abg. Mar- tin Rivoir SPD: So ist es! – Abg. Norbert Zeller SPD: Unglaublich!)

Sie haben gesagt, dieser Mann dürfe nicht länger als Schulleiter fungieren. Das war Ihre Forderung. Ich halte das für unglaublich. Im Vergleich zu dem Ton, den Sie anschlagen, war Mayer-Vorfelder ein fürsorglicher Herbergsvater; das möchte ich einmal deutlich sagen.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD und Abgeordne- ten der Grünen)

Der Herrgott im Himmel bewahre Eltern, Lehrer und Schüler davor, dass Sie jemals vorne auf der Bank Platz nehmen und Kultusminister werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wäre noch nicht das Schlechteste!)

Erschwerend kommt hinzu, dass das Regierungspräsidium auch noch auf Ihren Anwurf reagiert, dass es dies befolgen und Herrn Bosch nun einbestellen und drücken will.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das ist das Schlimms te! Wo sind wir denn eigentlich? Unglaublich! Wir sind doch kein CDU-Staat! Wo kommen wir denn da hin?)

Das ist doch unglaublich! Sie sollten das Wort des Ministerpräsidenten ernst nehmen, der sagt: „Wir betrachten die Schulleiter als unsere Partner.“

(Zurufe von der SPD: Ha!)

Allerdings sagt er das nur, er lebt es nicht wirklich. Wenn Sie sagen, er handle nach diesem Motto, dann frage ich: Warum reagieren Sie denn gegenüber Schulleitern, die auf ihre Situation hinweisen wollen, die dringende Verbesserungen anmahnen,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Warum haben Sie nie mit denen gesprochen? Nie!)

nicht mit Gesprächen? Warum treten Sie denn nicht in einen Dialog? Noch haben Sie Zeit, Herr Ministerpräsident. Nehmen Sie den Ball auf. Und wenn es, wie Herr Mappus sagt, zutrifft, dass Sie auch bereit sind, Elemente anderer Konzeptionen zu übernehmen, dann frage ich Sie: Warum tun Sie das denn nicht? Warum diffamieren Sie alle Weiterentwicklungen im schulischen Angebot, die auf mehr Integration abzielen, als Einheitsschule? Warum?

(Abg. Winfried Mack CDU: Sie haben die Haupt- schule diffamiert!)

Im Übrigen: Sie stellen einen Schulträger in Baden-Württemberg gegenüber allen anderen schlechter. Jedem Schulträger, der beantragt, eine integrative Schulform anzubieten, jedem Schulträger, der eine Gesamtschule beantragt, wird dies genehmigt, sofern es sich um einen privaten Schulträger handelt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es! Wenn er pri- vat ist, dann kriegt er es! – Gegenruf des Abg. Rein- hold Gall SPD: Dann kriegt er alles!)

Wenn er jedoch kommunaler Schulträger ist, wenn eine Gemeinde aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses, wenn ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin kommt und sagt: „Ich möchte die Schüler länger gemeinsam lernen lassen; ich möchte die fünften und sechsten Klassen gemeinsam unterrichten lassen; ich möchte, dass die Schüler bis zur zehnten Klasse ein gemeinsames Angebot bekommen“, dann

(Zuruf von der SPD: Wird das abgelehnt!)

geschieht nichts. Die Privaten dürfen, aber die Städte und Gemeinden dürfen nicht. Was ist denn das für eine Logik?