Protocol of the Session on June 26, 2008

Ein solches Kulturverständnis ist unökonomisch. Warum? Es missachtet die gestaltende, die integrierende Kraft der Kunst und der Kultur. Es verspielt die Möglichkeit, mit Kultur und Kunst Voraussetzungen zu schaffen für jenen Bereich der Bildung, der das im Menschen freisetzt, was Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft voranbringt, nämlich Kreativität. Eine Studie des Zentralinstituts für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim bringt zutage, dass der Erfolg von Unternehmern und Managern zu einem weit geringeren Teil von deren kognitiven Fähigkeiten abhängt als von ihren Soft Skills.

Damit sind die Qualifikationen gemeint, die durch eine kulturelle Bildung erreicht werden.

Deshalb ist es an der Zeit, Schwerpunkte für unser Land zu setzen. Ich möchte nichts von dem abstreichen, was wir fördern und unterstützen, nur weil ich es jetzt vielleicht nicht nenne. Ich möchte mich auf einige Punkte konzentrieren.

Neben einer notwendigen Förderung und Weiterentwicklung unserer kulturellen Angebote in allen Sparten – übrigens natürlich auch der Vernetzung zwischen den Sparten und den Institutionen –, neben einer Entwicklung der Medienkultur etwa in Medienzentren, in welchen die Nutzung und Beherrschung der neuen Medien eingeübt wird, und zwar dergestalt, dass Schüler lernen, mit nonverbalen Codes umzugehen – damit ist gemeint: Wie funktionieren Bildsprachen? Welche Bedeutungen werden durch Zeichen und Symbole vermittelt? –, und neben einer Förderung von Existenzgründungen im Kultur- und Kreativwirtschaftsbereich, der schon heute auf Augenhöhe mit der Bruttowertschöpfung der Automobilindustrie ist – damit ist gemeint, dass wir weitere Gründerzentren schaffen, wie wir z. B. ein höchst erfolgreiches in Mannheim mit dem Musikpark haben, und zwar als Ergänzung zu den sehr positiven Aktivitäten der ifex –, neben diesen für unser Land wichtigen kulturellen Entwicklungen müssen wir die kulturelle Bildung zur Chefsache machen. „Bildung hat Konjunktur“, so titelte gestern die „Stuttgarter Zeitung“ zu Recht. Dazu gehört die kulturelle Bildung als existenzielle Grundlage.

Wir beobachten eine sich steigernde Beschleunigung eines kulturellen Wandels bei Jugendlichen – und das im Übrigen international –, wie wir sie noch nie erlebt haben. Die kulturelle Identität unserer nachfolgenden Generation bildet sich aktuell weit weniger über das Buch – das ist, wie Sie das berichtet haben, bei Erwachsenen der Fall, nicht so sehr aber bei Jugendlichen – und weit weniger über das Musikinstrument, über den Dialog im Elternhaus oder gar über eine eigene künstlerische Betätigung, als dies je zuvor der Fall war. Durch die alltägliche, omnipräsente Macht der unterschiedlichsten Medien verliert die traditionelle Kultur bei künftigen Generationen an Akzeptanz, an Würdigung. Man kann nur würdigen und wertschätzen, was man kennt, und diese Kenntnis muss in hohem Maße auch die Schule vermitteln.

Das deutsche System der Halbtagsschule, das noch größtenteils umgesetzt ist, verleitet zu sehr dazu, Kunsterziehung, soweit sie über Singen oder Zeichnen hinausgeht, als Option auf die Nachmittage und damit in die Freizeit zu verlegen. Seit einigen Jahren wird das, was unter dem breit angelegten Begriff „Kulturelle Bildung“ gefasst wird, interessant, vor allem in unseren Nachbarländern Niederlande und Frankreich sowie in Großbritannien und den skandinavischen Ländern.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist aber hochinte- ressant!)

Ich bin gleich fertig. – Es geht dabei darum, intellektuelle mit musischen Begabungen auszubalancieren, das Verständnis für Kulturenvielfalt zu fördern, die ästhetische Urteilsfähigkeit der Kinder zu schärfen und

fachübergreifende Synergien für größere Themenzusammenhänge zu schaffen. Kunst und Kultur schaffen hier Voraussetzungen für kognitives Lernen, vernetztes Denken und kreative Problemlösungspotenziale.

Kulturelle und interkulturelle Bildung stellen eine grundlegende Voraussetzung für Integration dar. Kultur ist eine verbindende Kraft. Sie schafft genau jene Schlüsselqualifikationen, ohne die heute kein Betrieb, keine Verwaltung, überhaupt kein Bereich der modernen Wissensgesellschaft mehr auskommen kann. Das traditionelle Bildungssystem kann aber diese elementaren Schlüsselqualifikationen ohne eine neu gedachte, neu gemachte und neu institutionalisierte Verbindung von Kultur und Bildung gar nicht ausreichend generieren.

Schlusssatz: Wenn auf diesem Feld nicht auf breitester Ebene Grundlagen dafür gelegt werden, dass Kultur existenziell zum Leben, zur Persönlichkeitsentwicklung gehört, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn es schon in der kommenden Generation kaum mehr Bereitschaft bei den künftigen Steuerzahlern geben wird, hoch subventionierte Einrichtungen wie Theater, Museen usw. weiter zu fördern. Ich hielte es für sinnvoll, wenn wir partei- und fraktionsübergreifend mit einem Landesaktionsplan „Kulturelle Bildung“, und zwar unter Einbeziehung der Empfehlungen des Landeskunstbeirats, die ja noch ausstehen …

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, Sie sind dabei, Ihre Redezeit zu verdoppeln.

(Abg. Ute Vogt SPD: Sie folgt dem Vorbild der Re- gierung!)

… – ich bin beim letzten Satz –, jetzt und gerade jetzt entscheidende neue gesellschafts- und bildungspolitische Schritte einleiten würden.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit bei diesem wichtigen Thema.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Walter für die Fraktion GRÜNE.

(Zurufe von der CDU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Palm, ich finde Ihren Ansatz richtig: Vielleicht sollten sich die Kulturpolitiker und -politikerinnen einmal darüber unterhalten, wie es mit der Bildung im Land weitergeht. Vielleicht wäre das konstruktiver als manche andere Diskussion.

(Abg. Ute Vogt SPD: Wohl wahr!)

Aber Sie müssten mir eines versprechen: Wenn wir dann herausfänden, dass die derzeitigen Strukturen Bildung behindern, dann müssten Sie gemeinsam mit uns dafür eintreten, dass diese Strukturen verändert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE – Abg. Christoph Palm CDU: Wissen Sie schon vorher, was herauskommt?)

Nein, wir diskutieren ergebnisoffen. – Sie haben es zu Recht zitiert: Bildung bleibt übrig. Aber Bildung ist eben mehr als kognitives Lernen, das man nach der nächsten Arbeit vergisst. Da ist an unseren Schulen einfach viel zu tun. Insgesamt finde ich das einen interessanten Ansatz von Ihnen.

Es ist schon vieles zur Arbeit der Enquetekommission gesagt worden. Es war in der Tat eine Fleißarbeit, die da im Bundestag geleistet wurde. Die Handlungsempfehlungen wurden fraktionsübergreifend verabschiedet. Kollege Oettinger wäre sicherlich froh, wenn in der Föderalismuskommission alles so einfach ginge wie bei diesem Bericht. Da war man nämlich sehr schnell dabei, vieles an die Länder und an die Kommunen zu delegieren, indem man sagt: Die Länder sollen dieses tun, die Kommunen sollen jenes tun. Dort wird das Geld auch irgendwo herkommen müssen, und es muss verteilt werden.

Es ist jetzt viel Allgemeines gesagt worden, aber es ist noch zu wenig darüber geredet worden, wo es eigentlich bei uns in Baden-Württemberg hakt.

(Abg. Helen Heberer SPD: Das war sehr konkret, Herr Walter!)

Wo hakt es denn in Baden-Württemberg? Ich finde es gut, dass Staatssekretär Dr. Birk – Kollege Palm hat es erwähnt – eine Fortschreibung der Kunstkonzeption des Landes angekündigt hat, einer Kunstkonzeption, die einmal vorbildlich war, aber die jetzt eben in die Jahre gekommen ist. Beispielsweise muss das Problem gelöst werden, wie wir von diesem Closed Shop wegkommen. Ich glaube, der am meisten verwendete Begriff dieser zwei Tage war: Wir müssen Geld in die Hand nehmen. Wir müssen es nicht nur in die Hand nehmen, sondern dann auch verteilen, und wir dürfen es nicht aus der einen Tasche herausholen und in die andere Tasche hineinstecken.

Alle kulturpolitischen Sprecherinnen und Sprecher haben in der letzten Woche eine Diskussion mit den soziokulturellen Zentren gehabt: Wie geht es da weiter? Auch dort haben wir einen Closed Shop, Neues kann nicht hereinkommen. Gerade in der Kultur, im Kunstbereich ist Closed Shop das Gegenteil dessen, was wir da erwarten, nämlich Kreativität und Neues, Innovatives. All das bleibt auf der Strecke. Da sind wir jetzt hier gefordert, egal was in die Kunstkonzeption hineingeschrieben wird.

(Beifall bei den Grünen)

Deswegen, Herr Staatssekretär, müssen wir da ansetzen. So, wie ich auch die Reden derjenigen, die zu diesem Thema gesprochen haben, verstanden habe, sind alle bereit, hier tatsächlich etwas zu tun. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass für die Kultur wieder mehr Geld zur Verfügung steht, dass auch Neues entstehen kann.

In dem Zwischenbericht, den wir im Ausschuss bekommen haben, ist vom Kunstbeirat einiges angesprochen worden, was meiner Ansicht nach auch längst überfällig ist. Das gilt beispielweise für die Übertragung des sächsischen Kulturraumgesetzes auf Baden-Württemberg, die wir schon einmal gefordert haben; Sie haben dies bislang abgelehnt. Ich bin Herrn Elitz dankbar, dass er das jetzt in die Diskussion gebracht hat. Ich hoffe, es steht dann auch im Abschlussbericht.

Dasselbe gilt – ebenfalls vom Kunstbeirat angesprochen – für die Einrichtung eines Kulturfonds analog zum Bund, analog

zu anderen Bundesländern. Wir haben hier, damit es nicht über den Haushalt läuft, die Bildung eines durch die Landesstiftung finanzierten Kulturfonds vorgeschlagen. Den haben Sie sehr lapidar abgelehnt. Aber ich hoffe, über den Kunstbeirat werden Sie sich der Diskussion noch einmal ernsthafter stellen müssen.

Ein weiterer Punkt, der mir sehr wichtig ist – hierzu sollten wir uns auch vor den nächsten Haushaltsberatungen über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammensetzen –, ist kulturelle Bildung, Kultur, Theaterpädagogik. Wir hatten darüber im Ausschuss aufgrund eines Antrags von mir schon einmal eine Diskussion.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Museumspäda- gogik haben wir auch!)

Oder Museumspädagogik; deswegen Kultur- und Kunstpädagogik als Oberbegriff.

Wir waren uns eigentlich alle einig, dass wir das brauchen. Wir haben dafür zu wenig Stellen in Baden-Württemberg. Auch das ist ein ganz wichtiger Ansatz. Dort müssen wir mehr Geld hineinstecken. Auch da sind wir gefordert. Das steht auch im Bericht der Enquetekommission.

Ein letzter Punkt, der auch in der Enquetekommission angesprochen wurde, den ich jetzt aufgrund des Beschlusses des Ministerrats noch einmal in die Diskussion bringen möchte, ist die Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es ist völlig richtig, zu sagen: Wir evaluieren – was auch unter dem Stichwort „Public value“ diskutiert wird –, ob der öffentlichrechtliche Rundfunk seinem Kulturauftrag nachkommt. Ich finde, wenn man das schon macht – was ich auch für richtig halte –, darf man nicht gleichzeitig dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinsichtlich des Leitmediums der Zukunft, des Internets, massive Beschränkungen auferlegen.

(Zuruf: Oh, nicht schon wieder!)

Doch, schon wieder. Denn Sie müssen hören, wie Sie dort zu einer besseren Lösung kommen als zu der, die vorliegt. Wenn wir wollen, dass dieser kulturelle Auftrag zukünftig noch wahrgenommen wird, dann muss dies aber auch unter Einsatz aller Medien geschehen, die uns in Zukunft zur Verfügung stehen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Aber nicht mit Mo- nopolen!)

Deswegen, Herr Kollege Kluck – regen Sie sich nicht auf, bleiben Sie ruhig –: Lassen Sie uns das in den Kulturgremien diskutieren. Ich glaube, wir werden dort eine gute Lösung hinbekommen.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Dr. Birk.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich namens der Landesregierung dafür bedanken, dass wir heute Gelegenheit haben, über die Ergebnisse der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ zu beraten. In der

Tat war es nicht nur eine Fleißarbeit auf der Bundesebene, 450 Empfehlungen für Kunst und Kultur zu entwickeln und eine sehr gute Bestandsanalyse vorzunehmen, sondern es ist auch unsere Aufgabe hier in den Ländern, aus dieser Bestandsaufnahme und den damit verbundenen Empfehlungen die richtigen Schlüsse zu ziehen und auch unsere eigene kulturelle Landschaft zu prüfen. Es gilt, auch bei uns eine Bestandsaufnahme zu machen, Schwächen und Stärken zu ermitteln und daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Der Kollege Palm hat das Buch „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann angesprochen. Das ist in der Tat ein sehr interessanter Roman. Es bleibt zu hoffen, dass wir in diesem Parlament stets den einheitlichen, fraktionsübergreifenden Maßstab und die richtige Maßeinheit finden, um daraus auch die richtigen Ergebnisse abzuleiten. Zumindest in der Vergangenheit hatte ich den Eindruck – ich hoffe, dass dies im Bereich der Kultur nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch im Land so bleibt –, dass Kulturpolitik bei allen Unterschiedlichkeiten, die selbstverständlich vorhanden sein dürfen – das ist völlig richtig –, doch in vielen Fragen in einem überwiegenden Konsens zwischen den Fraktionen gestaltet werden kann.

Lassen Sie mich zunächst einmal einen Konsens feststellen, der, glaube ich, wichtig ist, nämlich dass die Kulturhoheit bei den Ländern liegt. Man hätte ja auch vermuten können, dass der Bund, wenn er sich mit Kunst und Kultur beschäftigt, dies unter der Fragestellung betreibt: Kann man noch weitere Kompetenzen aus den Ländern abziehen und auf die Bundesebene bringen? Auch diese Überlegungen, diese Entwicklungen gab es ja in der Vergangenheit. Aber ich glaube, es ist richtig, dass die Kulturhoheit und die Kulturkompetenz der Länder nicht infrage gestellt werden.