Protocol of the Session on April 30, 2008

Die EU hat eine Degression der Direktzahlungen vor. Sie will also die direkten Einkommen abschmelzen, und sie plant die Anhebung der obligatorischen Modulation, den Ausstieg aus der Milchquote und die Systemvereinfachung und -verlässlichkeit. Das ist richtig, notwendig und dringend. Für uns ist eine weitere Verlagerung von Zahlungen aus der ersten in die zweite Säule wichtig. Diese Verlagerung, der wir zustimmen, darf jedoch nicht übertrieben werden. Denn die Betriebe brauchen Verlässlichkeit in der Planung. Sie brauchen diese Einkommen, und die Balance ist herzustellen.

Ich komme zum Schluss. Hier möchte ich der Landesregierung noch ein wenig –

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Dank sagen!)

nicht gerade schmerzhaft – einen Zahn ziehen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sofern sie Zähne hat!)

Die Landesregierung gibt sich sehr gern als Lordsiegelbewahrer des ländlichen Raums.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sie ist es, Herr Kollege! Nachweislich!)

Sehen Sie! Es wird ja noch bestätigt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Verkörpert im Herrn Minister!)

Ich halte fest: Der Impulsgeber für die ländlichen Räume und die Strukturverbesserung der ländlichen Räume sind die EUGelder. Insofern ist für uns von Bedeutung, dass die EU-Reform mit der Verlagerung von direkten zu indirekten Zahlungen, also von Flächen- auf die pauschalierte Betriebszahlung und ebenso in die zweite Säule, für den Erhalt der ländlichen Räume und deren Funktion einhergeht.

Summa summarum der Reform: Die Richtung stimmt. Die Chancen der Landwirtschaft in der EU steigen auch auf dem Weltmarkt. Die Landwirtschaft, meine Damen und Herren, wird wieder gebraucht.

(Beifall bei der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sagen Sie der Landesregierung doch Danke! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die SPD ist auch wieder für das Landwirtschaftsministerium! Prima!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Dr. Murschel das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte da anfangen, wo der Kollege Winkler aufgehört hat, nämlich bei der Frage: Sind unsere ländlichen Räume gut aufgestellt? Herr Locherer, Sie sagten: Unsere Bauern sind gut aufgestellt. Die Frage ist: Stimmt das tatsächlich?

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ja! – Abg. Win- fried Scheuermann CDU: Wenn der Locherer das sagt, stimmt es!)

Stimmt es, dass unsere Landwirte und unsere ländlichen Räume gut aufgestellt sind? Wie passt diese Behauptung mit dem Thema zusammen, das wir behandeln, nämlich dem EUHealth-Check?

Wir haben seit Jahrzehnten ein Landwirtesterben.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Auch die Landwirte ster- ben! Jeder stirbt einmal!)

Wir haben nach wie vor ein großes Defizit in unseren ländlichen Räumen. Jeder hier im Saal weiß das. Trotzdem stellt sich die Frage, wie in Zukunft erreicht werden kann, dass eine effiziente Steuerung und Förderung der ländlichen Räume und der Landwirtschaft zu dem führt, was wir alle wollen.

Der Weltagrarrat – eingesetzt von der FAO und beauftragt von der Weltbank, einer Einrichtung, die bisher ganz bestimmt nicht in dem Ruf stand, grün zu sein, die bisher immer auf Großstrukturen gesetzt hat – hat in einer sehr umfassenden Studie über die verschiedenen Regionen der Welt berichtet, u. a. in einem fast 1 000 Seiten umfassenden Papier auf Englisch über Nordamerika und Europa. In diesem Bericht kommt der Weltagrarrat zu ganz erstaunlichen Aussagen, die ich jetzt im Prinzip auch mit der EU-Health-Check-Geschichte verknüpfen möchte.

Der Weltagrarrat fordert eine radikale Wende in der Landwirtschaft. Hierbei nennt er auch ein paar ganz konkrete Punkte für Deutschland. In dem Bericht heißt es: Die armen Länder und die Umwelt zahlen den Preis für den hohen Einsatz an Kapital und Pestiziden, daher ist der Pestizideinsatz drastisch zu verringern. Die Gentechnologie und die zunehmende Produktion von Biosprit führen dazu, dass jedes Jahr weitere vier Millionen Hungernde zu den jetzt schon 850 Millionen unterernährten Menschen hinzukommen. Der Hunger ist mit der herkömmlichen Landwirtschaft nicht zu verhindern. Die Steigerung der Produktivität durch technologischen Fortschritt ist an ihre Grenzen gestoßen. – Das hört sich an wie ein grünes Programm. Es ist umso bemerkenswerter, als es auf einen Strukturwandel in der Landwirtschaft abzielt, und zwar in der europäischen Landwirtschaft.

Deswegen möchte ich diese Aspekte noch einmal mit der europäischen Landwirtschaft verknüpfen. Wo steht dieser EUHealth-Check? Wie passt er mit den Aussagen des Weltagrarrats zusammen? Und wie passt er eigentlich mit der Landwirtschaftspolitik hier im Land Baden-Württemberg zusammen? Man kann vielleicht zusammengefasst sagen: Wenn das die Wende einläutet, nämlich den Empfehlungen des Weltagrarrats zu folgen und zu sagen: Wir müssen zurück zu den Wurzeln, die Vielfalt macht’s, nicht die Industrialisierung – –

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das hat ja Künast ka- putt gemacht!)

Nein, die Vielfalt wird ja hier kaputt gemacht, lieber Kollege, die Biodiversität geht zurück. Genau das wird auf vielen, vielen Seiten in dem Weltagrarbericht zu Deutschland und zu Europa dargelegt. Vielleicht sollten Sie das lesen, dann würden Sie es auch mitkriegen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Mache ich!)

Die EU hat in ihrem Health Check richtige Ansätze; sie sind vorhin genannt worden. In der Diskussion sind z. B. Degression, Kappung, Umschichtung von der ersten in die zweite Säule – also weg von den pauschalen Zahlungen, hin zu Zahlungen, die mit den Umwelt- und Sozialstandards gekoppelt sind –, Modulation, Cross Compliance.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Weite Teile davon sind hier abgelehnt worden und werden hier abgelehnt. Wir meinen, die EU setzt mit den neuen Schwerpunkten Klimaschutz, Biodiversität, Wasserschutz und Bio treibstoffe richtige Akzente. Allerdings – das muss man auch ganz deutlich und kritisch dazusagen – zeigt sie in keiner Form auf, wie das erreicht werden soll. Beispielsweise sagt sie zum Thema Biotreibstoffe im Grunde genommen – Kollege Winkler hat es erwähnt –: „Weiter so! Biotreibstoffe sind wichtig.“ Aber wir können uns eigentlich nicht vorstellen, dass man mit Biotreibstoffen auf dem richtigen Weg ist.

Ich meine – das ist auch unsere Meinung –,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Welche?)

die Agrarpolitik Baden-Württemberg steht dem, was der Weltlandwirtschaftsrat beschlossen hat, diametral entgegen. Sie ist in großen Zügen auch weit von dem entfernt, was die EU will. Wenn die Landwirtschaft hier in Baden-Württemberg gut aufgestellt sein soll, dann muss sie die Vorschläge, die vom Weltagrarrat kommen, aufnehmen und eine radikale Wende einleiten. Dafür stehen wir als Grüne.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Bullinger das Wort.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt kommt der Ver- treter des Agrarrats Schwäbisch Hall!)

Auch der Kollege Schmiedel wird vermutlich etwas dazulernen.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Tatsächlich?)

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen.

Erstens: Herr Kollege Winkler, Sie haben gesagt, die Landwirtschaft werde wieder gebraucht. Ich bin der Auffassung, die Landwirtschaft wurde immer gebraucht und wird immer gebraucht werden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Richtig!)

Zweite Vorbemerkung: Wenn ich mir das Interesse auf der Tribüne anschaue, stelle ich fest: Morgen ist ein Urlaubstag und schulfrei.

Dritter Punkt: Was heißt eigentlich „Gesundheitscheck“? Das heißt doch umgekehrt: Die bisherige Agrarpolitik war krank.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Lädiert! – Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

Ist das richtig, wenn ich das so verstehe?

Vierte Vorbemerkung: Die Kollegen Rüeck, Sakellariou und ich kommen aus dem ländlichen Raum. Dort zeigt sich, dass die Agrarpolitik Teil der Volkswirtschaft ist, dass sie ihr im vor- und nachgelagerten Bereich eng verbunden ist. Auch wenn man die Arbeitslosenzahlen in Kreisen wie Ravensburg oder Biberach anschaut – dort liegt die Arbeitslosenquote unter 3 %, und es gibt über 4 000 offene Stellen, die nicht besetzt werden können –, wird deutlich, dass eine Gesamtschau anzustellen ist.

Meine werten Kolleginnen und Kollegen, liberale Landwirtschaftspolitik verbindet den Wunsch der Bürger und Verbraucher nach sicheren Lebensmitteln und gesunder Umwelt mit einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Politik. Deshalb hat sich die FDP auf Bundesebene und im Landtag schon immer, seit vielen Jahren, dafür eingesetzt, den Bauern keine Subventionen mehr dafür zu bezahlen, dass sie möglichst viel Milch und Fleisch produzieren. Diejenigen, die die Kühlhäuser bedient haben, waren schon immer die Profiteure. Stattdessen halten wir es schon seit jeher für richtig, die Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Den Wettbewerbsausgleich, den es gibt, wollen wir auch weiterhin geben. Denn hohe Tierschutz- und Umweltschutzauflagen sowie Besonderheiten aufgrund der Topografie und der Gesamtstruktur unseres Landes erfordern es, dass man keine Subventionen gibt, sondern Ausgleichsbeträge. Diese Ausgleichsbeträge, die wir bezahlen, sind nichts anderes als Entgelte für Leistungen, die von den Landwirten erbracht werden und nicht am Markt, über das Produkt erlöst werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Deshalb ist es richtig, dass man dies so honoriert.

Meine Damen und Herren, im zweiten Teil der Begründung der Großen Anfrage sind die entscheidenden Ziele genannt. Auch Kollege Locherer hat in fünf Punkten klar und deutlich beschrieben, wie es in diesem Bereich der Agrarpolitik weitergehen muss und wo wir im Land noch Gestaltungsmöglichkeiten haben. Der „Gesundheitscheck“ – so steht es in der Begründung der Großen Anfrage – „soll die Gemeinsame Agrarpolitik verbessern, aber nicht reformieren. Die Landwirte benötigen in erster Linie Planungssicherheit.“ Das ist, glaube ich, der wichtigste Punkt. Ein Unternehmen, das investiert, ein Unternehmen, das versucht, zukunftsfähig zu sein und sich weiterzuentwickeln, muss auch Planungssicherheit haben. Wenn man einen Stall baut, kann man nicht nach einem Jahr wieder etwas anderes machen und nach fünf Jahren noch einmal etwas anderes. Das ist Kapital, das über 20, 30 Jahre gebunden ist. Deshalb braucht man in den landwirtschaftlichen Unternehmen, die sehr kapital- und energieintensiv sind, Planungssicherheit und kann nicht alle paar Jahre wieder völlig neue Dinge in den Raum stellen.

Entscheidend ist also die Verlässlichkeit in der Landwirtschaftspolitik der EU, des Bundes und des Landes. Seit Jahren hetzt ein Programm der EU das andere. Diese Zwischenbilanz ist völlig berechtigt, aber sie darf nicht dazu führen, dass man Zusagen, die gegeben wurden, nämlich dass es bis zum Jahr 2013 keinen weiteren „Purzelbaum“ in der Agrarpolitik gibt, bricht. Diese Zusagen müssen eingehalten werden. Das heißt für mich, dass auch die Direktzahlungen aus der ersten Säule bis 2013 gesichert sein müssen.