Protocol of the Session on April 2, 2008

der unmittelbar zwingend wirkt,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Sozialismus pur! – Gegenruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Herrgott, Herr Wetzel!)

der weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarungen, noch durch individualrechtliche Regelungen unterboten werden darf.

Wenn der Herr Wetzel reinschreit „Sozialismus pur“, dann darf ich daran erinnern, dass in Ihrem Antrag, der jetzt mit behandelt wird, ausdrücklich die Flagge der Tarifautonomie geschwenkt wird.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Ja! Eben!)

Sie sagen, die Tarifautonomie muss gewährt werden.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Dafür brau- chen wir nicht den Staat!)

Herr Dr. Wetzel, ich brauche Sie doch nicht darüber aufzuklären, dass Tarifautonomie Tarifverträge zur Folge hat

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: So ist es!)

und dass Tarifverträge unmittelbar zwingend und unabdingbar sind.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Eben! – Ge- genruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Einen Min- destlohn festschreiben!)

Das ist das Rechtssystem in Baden-Württemberg, in Deutschland seit der Nachkriegszeit.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wenn sie für allgemein verbindlich erklärt worden sind! Nur dann!)

Es geht also darum, dass wir es schaffen, dass jemand, der einer Vollzeitarbeit nachgeht, davon auch tatsächlich anständig leben kann.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir leben in einem sehr reichen Land; das gilt für Deutschland und insbesondere für BadenWürttemberg. Daher müssten wir eigentlich diejenigen sein, die in der sozialen Frage vorpreschen und hier zu einer Lösung kommen. Es dürfte eigentlich gar keinen Zweifel daran geben, dass jeder von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann. Das ist auch eine Frage der lebendigen Demokratie. Wenn die Löhne bei uns nicht so bemessen sind, dass jeder davon leben kann – und zwar nicht nur im Sinne des reinen Überlebens, sondern so, dass er tatsächlich in der Gesellschaft leben und sich einmischen kann –, dann wird dies auch zu einem demokratischen Problem, das wir zu lösen haben; denn wenn Menschen am Rande der Gesellschaft leben und aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind, können wir nicht von einer lebendigen Demokratie reden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht schlicht und einfach auch um eine wirtschaftspolitische Frage.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Es geht darum, ob es in Deutschland, in Baden-Württemberg weiterhin möglich sein wird, dass durch Dumpinglöhne anständig arbeitende Menschen und anständig arbeitende und entlohnende Unternehmen angesichts der Konkurrenz unter Druck kommen können und damit auch gezwungen werden, eventuell selbst den Weg der Dumpinglöhne zu beschreiten. Es geht also darum, Fakten zu schaffen, damit die Schmutzkonkurrenz in Baden-Württemberg und in Deutschland nicht überhandnimmt, sondern damit die vielen anständigen Unternehmer, die vielen anständigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Mindestbedingungen erhalten, unter denen eine Konkurrenz überhaupt stattfinden kann. Ich glaube, es lohnt sich, dies zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Es ist natürlich wahr, dass die Tarifautonomie ein grundgesetzlich verankertes Recht ist. Die FDP/DVP schreibt dies ja in ihrem Antrag auch ausdrücklich und sieht den Mindestlohn als Attacke auf die Tarifautonomie. Die Befürchtung, dass da vielleicht eine Schwächung stattfinden könnte, kommt aus „berufenem“ Mund, nämlich aus der FDP.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Das war jetzt etwas ironisch gemeint.

Es ist auch so, dass die freie Verhandlung zwischen Arbeitgeberverbänden einerseits und Gewerkschaften andererseits eine ganz starke Säule für die Entwicklung in Deutschland und in Baden-Württemberg war, die so positiv verlaufen ist. Wie sich in den Abschlüssen zeigt, hat es in der Vergangenheit jeweils einen insgesamt guten Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen gegeben, und das ist auch heute noch der Fall.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Aber die Tarifbindung ist dramatisch zurückgegangen. Allein in den letzten acht, neun Jahren ist die Tarifbindung im Wes ten von ursprünglich 76 % auf 65 % zurückgegangen. Im Osten ist sie von einer niedrigeren Ausgangsbasis aus, nämlich von 63 %, auf 54 % gesunken. Deswegen ist der Mindestlohn kein Angriff auf die Tarifautonomie, sondern er ist eine Unterstützung der Tarifautonomie; denn da, wo die Tarifvertragsparteien nicht mehr zu einer Regelung in der Lage sind, muss eine Mindestregelung her, die es unmöglich macht, dass mit Schmutzkonkurrenz in manchen Branchen Druck auf anständig arbeitende Unternehmen und Menschen ausgeübt wird.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Pe- ter Wetzel FDP/DVP)

Zum Schluss der ersten Runde noch folgender Hinweis: Es gibt schon lange Regelungen, bei denen bisher noch keiner auf die Idee gekommen ist, zu sagen, es sei ein Eingriff in die Tarifautonomie. Ich darf nur daran erinnern, dass wir den Mindesturlaub gesetzlich geregelt haben. Wir haben die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gesetzlich geregelt. Wir haben die Höchstarbeitszeiten gesetzlich geregelt. Wir haben diese Instrumente, übrigens fast einvernehmlich, verwendet, um gesetzlich Mindestbedingungen zu schaffen. Wir sagen: Der Mindestlohn ist in der heutigen Zeit exakt in diese Rubrik einzuordnen. Der Mindestlohn muss gesetzlich geregelt werden,

um Voraussetzungen für anständige, würdige Arbeit und Entlohnung zu bekommen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Rülke für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit einiger Zeit geht ein Gespenst in Deutschland um, und dieses Gespenst heißt Mindestlohn.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD, ein Papier mit der Überschrift „SPD- Erfolg: Mindestlohn für weitere 1,5 Millionen!“ in die Höhe haltend: Das ist kein Gespenst, das ist Re- alität!)

Mithilfe dieses Gespensts versuchen gewisse Leute nicht etwa, sich – weil es so gut klingt – der sozialen Not der Menschen anzunehmen. Das wird nur vorgeschoben. Vielmehr geht es tatsächlich darum, dass das Ganze so gut klingt. Wir haben ja die wohlklingenden Worte von Herrn Hausmann – am Anfang und am Schluss – gehört: Für gute Arbeit muss es gutes Geld geben. Wer möchte dem widersprechen? Wer eine Vollzeittätigkeit ausübt, soll seine Familie auch gut ernähren können. Wer will dem widersprechen? Das ist alles richtig, aber dennoch in der Realität in unserem Land nicht so einfach. Herr Hausmann, es ist durchaus so: Gerade das, was die SPD auf Bundesebene vertritt, ist die Axt an der Tarifautonomie.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Unsinn! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Denn wenn man Ihre Vertreter auf Bundesebene hört, geht es ja nicht darum, lediglich in bestimmten Branchen und gerade dort, wo die Tarifbindung abnimmt, den Mindestlohn einzuführen. Nein, Sie wollen den flächendeckenden Mindestlohn. Wer für den flächendeckenden Mindestlohn eintritt, will von der Tarifautonomie nichts mehr wissen. Das ist eine Tatsache.

Diese Mindestlohnfantasien bringen weitere Probleme mit sich. Da müssen Sie sich nur einmal das vergegenwärtigen, was die überwiegende Mehrheit der Ökonomen sagt. Sie gehen davon aus, dass die Lohnspreizung in diesem Land weiterhin notwendig ist, dass es durch den Protektionismus, den Sie vorhaben, zu Wohlfahrtseinbußen kommt, dass „Einfuhrzölle“ auf den Faktor Arbeit eben dazu führen, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden und dass dadurch die Arbeitslosigkeit insbesondere bei den Geringqualifizierten steigt und die Schwarzarbeit ebenfalls zunimmt.

Das ist auch der Grund dafür, dass es mit dem Mindestlohn nicht so richtig funktioniert. Ich verweise auf einen Artikel in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 29. März 2008 mit der Überschrift „Ein Flop“. Was ist damit gemeint? Der Mindestlohn. Anfang dieser Woche haben wir ja gehört, welche Branchen sich um die Einführung eines Mindestlohns beworben haben. Es sind Branchen mit insgesamt 1,43 Millionen Beschäftigten in diesem Land – 1,43 Millionen von 40 Millionen! Ihr

früherer Generalsekretär Olaf Scholz spricht da von einem gigantischen Erfolg. Das zeigt, wie bescheiden die SPD in diesem Land schon geworden ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/ DVP)

Die meisten Ökonomen halten den Kombilohn, halten Mindesteinkommen für eine bessere Lösung als den Mindestlohn. Ich will es mir so einfach nicht machen. Ganz klar ist, dass auch Kombilöhne ihre Pferdefüße haben, dass auch sie auf die Tarife drücken und möglicherweise zu Mitnahmeeffekten verleiten. Die Wahrheit ist: Es gibt diesen Königsweg nicht. Die Realität ist eben komplizierter, als Sie es darstellen, aber die Problematik ist mit Sicherheit nicht einfach durch Mindestlöhne zu lösen – schon gar nicht, wie bei der Post, durch Mindestlöhne in Höhe von 9,80 € pro Stunde.

Wie war denn die Situation bei der Post? Die Post war einem Kostenvorteil ihrer Mitbewerber von mehr als 30 % ausgesetzt, obwohl sie dadurch, dass sie von der Mehrwertsteuer befreit war, selbst noch einen Kostenvorteil von 19 % hatte.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Eben!)

Sie hat versucht, sich dieser Konkurrenz zu erwehren. Deshalb hat Herr Zumwinkel die Mindestlöhne durchgedrückt. Er war das nämlich.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ja!)

Auch am Beispiel Zumwinkel sieht man schön den Unterschied zwischen Gutmenschen und guten Menschen.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP/DVP)

Herr Zumwinkel kam nämlich als guter Mensch wunderbar daher. Aber das Märchen vom guten Menschen war spätestens dann beendet, als die Bochumer Staatsanwaltschaft in seinem Vorgarten stand. Damit war nämlich klar, dass Herr Zumwinkel bestenfalls ein Gutmensch ist und dass nicht jeder Vertreter des Mindestlohns in diesem Land auch ein Vertreter des Mindestanstands ist, meine Damen und Herren.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP/DVP)

Wie war denn das Verhalten von Herrn Zumwinkel? Zunächst hat er den Mindestlohn durchgedrückt. Dann stiegen die Kurse der Aktien der Post. Dann hat er Kasse gemacht, und anschließend wurde das Geld in Stiftungen nach Liechtenstein verschoben. Schuld daran war am Ende der Neoliberalismus. So einfach sind die Diskussionen in diesem Land.