Protocol of the Session on April 2, 2008

Wie sehr die Vorschriften überzogen sind, meine Damen und Herren, erkennt man an dem „Wunderwerk“ Cross Compliance. Die Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses haben damit sicher ihre Erfahrungen. Wir konnten – das ist das Glück an der Verwaltungsreform – auf kurzem Wege die Leute vom Vermessungsamt ins Landwirtschaftsamt überführen, um diesen ganzen Wust, den man hier geschaffen hat, irgendwie in den Griff zu bekommen. Die Bearbeitung der Unterlagen braucht sehr viel Zeit. 67 Seiten müssen studiert werden. Anträge im Umfang von 17 Seiten müssen gestellt werden, geprüft werden, zurückgeschickt werden und dann wieder geprüft werden.

Ich gebe Herrn Prewo recht: Die ganze Töpfchenwirtschaft ist bürokratisch und schafft Abhängigkeiten.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abg. Fauser, könnten Sie allmählich zum Schluss kommen.

Lieber Herr Präsident, vielen Dank für die Erinnerung. Ich dachte, Herr Oberbürgermeister Prewo hat so schön geredet, da muss ich das auch etwas nutzen.

Sie haben aber schon vier Minuten länger als der Abgeordnete und Oberbürgermeis ter gesprochen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, wir alle in diesem Hohen Haus wissen, worum es geht. Ich kann nur sagen: Wir brauchen Rahmenbedingungen. Unlängst war ich im Umweltausschuss, als über die EMAS-Verordnung und Ökodesign gesprochen wurde. Wenn wir es da nicht schaffen, Rahmenbedingungen aufzustellen, dann wird es ganz toll.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatssekretär Köberle das Wort.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird erneut zur Sache gesprochen! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt kommt der Verteidiger der Wühlmausverord- nung!)

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Anträge, die hier im Landtag beraten werden, kann man als überflüssig, als lästig, andere als konstruktiv, wieder andere als unangenehm empfinden.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Jetzt sind wir aber gespannt!)

Aber, lieber Kollege Kretschmann, liebe Frau Sitzmann, von dem Antrag zu dem aktuellen Tagesordnungspunkt war ich eigentlich sehr angetan. Die Begründung zu diesem Antrag hätte ich selbst so schreiben können. Sie gehen da sehr vernünftig und ausgewogen mit dem Begriff „Bürokratie“ um. Das halte ich für dringend notwendig, weil Bürokratie, Bürokraten, Beamte eigentlich eher mit negativen Assoziationen verbunden werden.

Alle Redner haben festgestellt, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat ein Regelwerk brauchen, dass wir Gesetze, Vorgaben, Vorschriften, Verordnungen brauchen. Wir brauchen dies, damit es in unserem Land wenigstens so weit wie möglich gerecht zugeht. Deshalb sollten wir nicht jeder Bürokratiekritik nachlaufen, die häufig undifferenziert ist, pauschal ist, oft in eigenem Interesse geübt wird oder sich sogar gegen die Interessen der Gemeinschaft richtet.

Weniger angetan als von Ihrem Antrag war ich von Ihrem Beitrag, liebe Kollegin Sitzmann. Darin haben Sie alles in den Bürokratietopf geworfen, auch Dinge, die da wirklich nicht hingehören. Wenn Sie in Aktuellen Debatten die Regelungen zu Themen wie Ladenschluss oder Nichtraucherschutz kritisieren, hat das mit Bürokratie überhaupt nichts zu tun. Vielmehr sind das in unserer Gesellschaft sehr strittige Fragen. Manche haben ein Problem, kurz nachdem hier Klarheit geschaffen wurde, hinterher in der Anwendung mit dem Gesetzestext entsprechend umzugehen. Mit Bürokratie hat das aber wenig zu tun.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ihr müsst die Gesetze gleich richtig machen, dann braucht man hinterher keine seitenlangen Erklärungen, ganz einfach!)

Lieber Herr Kollege Prewo, wenn wir uns einmal zurückerinnern, wann vor allem auf Bundesebene das Thema Bürokratie Hochkonjunktur hatte, dann werden wir sicher feststellen können, dass das die Zeit nach 1998 war, als Rot und Grün gemeinsam im Bund regiert haben und unglaublich vieles sehr kompliziert geregelt haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Kehren Sie vor der ei- genen Tür, in Baden-Württemberg! – Abg. Jörg Döp- per CDU: Das war der Weg in den Überwachungs- staat!)

Für mich war auch interessant, als ich mich nach der Übernahme meiner Aufgabe einmal umgeschaut habe, was sich in

anderen Ländern in Richtung Bürokratieabbau tut. Da konnte ich feststellen, dass ausschließlich Baden-Württemberg institutionalisiert, konsequent und regelmäßig

(Abg. Dr. Rainer Prewo SPD: Ombudsmann!)

dem Thema Bürokratieabbau nachgeht und dass dort, wo Ihre Partei regiert, absolute Fehlanzeige in dieser Richtung herrscht und man da auch keine Gesprächspartner und keine entsprechenden Institutionen findet.

Bei unseren bisherigen Bemühungen sind wir nicht überall selbst auf die Idee gekommen, dort, wo es richtig ist, Bürokratie abzubauen. Wir haben viele Hinweise aus der Wirtschaft, aus der Bevölkerung, aber auch von kommunaler Seite bekommen.

Eines habe ich noch nicht getan, aber das werden wir tun, und ich hoffe, dass Sie dann sehr gut dastehen: Ich will einmal sehen, welche Initiativen die Stadt Nagold ergriffen hat, welche Vorschläge Sie, Herr Dr. Prewo, als Oberbürgermeister in der Zeit gemacht haben, in der Sie noch nicht im Landtag waren, um entsprechend konstruktive Anregungen zu geben, wie wir Bürokratie abbauen können.

Meine Damen und Herren, wir erleben, wenn wir tagtäglich in unserem Land unterwegs sind, beide Seiten der Medaille des Themas Bürokratie: Auf der einen Seite begegnen wir bei den Bürgern, aber vor allem in den Unternehmen, beim Handwerk, beim Mittelstand der Forderung nach Deregulierung, der Forderung nach mehr Freiheit, weil Leute gehemmt werden, etwas zu unternehmen, die etwas unternehmen wollen. Unternehmer wollen etwas unternehmen, damit die Wirtschaft floriert. Das ist das eine: die Forderung nach Deregulierung.

Auf der anderen Seite erleben wir im gleichen Unternehmen vom gleichen Unternehmer auch die ständige Aufforderung, endlich die Dinge in die Hand zu nehmen, von der Politik aus etwas zu regeln, etwas zu entscheiden. Warum? Weil man Sicherheit will, weil man Klarheit will, weil man klare Verhältnisse will, weil man sich manchmal auch persönlich von Verantwortung entlasten will und gern die Verantwortlichkeit auf staatlicher Seite hat. Zu Recht fordert die Bürgerschaft Regulierungen, damit es – ich habe es schon gesagt – gerecht zugeht.

In dieser Gratwanderung bewegen wir uns bei unserer Arbeit: Oft kommt von den gleichen Personen und Institutionen auf der einen Seite die Aufforderung, zu deregulieren, auf der anderen Seite die Aufforderung, etwas endlich zu regulieren.

Bei uns in Baden-Württemberg hat das Thema Bürokratieabbau Tradition. Man kann natürlich, Kollege Prewo, fröhliche Absurditäten aus Gesetzen und Verordnungen herauslesen.

(Abg. Dr. Rainer Prewo SPD: Aus Ihrer Antwort!)

Aber Ihr Katalog ist ja ein Beispiel für das, was wir angehen und was wir wirklich herunterzonen, wenn auch aus bestimmten Gründen manche Dinge nicht ganz abstellbar sind.

Aber wir sollten uns gleichzeitig bewusst machen, dass vieles hier im Landtag unter dem Thema Bürokratieabbau überhaupt nicht mehr diskutiert werden kann, weil diese Bürokratie durch unsere Arbeit überhaupt nicht entsteht. Ich glaube, es

ist wesentlich wichtiger, als reparierend dem Regelwerk hinterherzulaufen, dafür zu sorgen, dass dann, wenn neue Gesetze entstehen, diese Gesetze für die Bürger verständlich, nachvollziehbar und handhabbar sind und nicht weitere ungerechtfertigte Bürokratie aufgebaut wird.

(Beifall der Abg. Beate Fauser und Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Dem Antrag der Grünen entnehme ich zwei Schwerpunkte. Auf diese will ich kurz eingehen.

Zweifellos die wichtigste Maßnahme der letzten Jahre mit Bürokratieabbaueffekt war die Verwaltungsstrukturreform, heiß diskutiert, landauf, landab und auch hier im Landtag. Ich will nach wie vor festhalten: Trotz Irritationen und trotz Umstellungen nach Jahrzehnten einer bestimmten Verwaltungsstruktur auf eine neue Form von Verwaltung ist diese Verwaltungsreform bundesweit einzigartig und hat weit über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregt und ist auf große Zustimmung gestoßen.

Mit der Verwaltungsstrukturreform haben wir zum 1. Januar 2005 350 Landesbehörden aufgelöst. Wir haben Zuständigkeiten und Aufgaben auf Landratsämter, Stadtkreise und Regierungspräsidien übertragen. Damit haben wir die Einheitlichkeit der Verwaltung, die Einräumigkeit und die Einhäusigkeit erreicht. Wir haben etwas erreicht, was auf der kommunalen Ebene bei Städten und Gemeinden schon immer gang und gäbe war, nämlich dass die Wirtschaft, dass der Bürger nicht zig Ansprechpartner an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Gebietseinheiten, sondern in einem Haus und an einer Stelle hat.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Die Eingliederung der unteren Sonderbehörden in die Landratsämter hat sich insgesamt bewährt. Deshalb hält die Landesregierung jetzt auch im Rahmen der Evaluierung an der grundlegenden Neustrukturierung der Verwaltung auf der Kreisebene fest – mit den wenigen Ihnen bekannten Ausnahmen bei der Schulverwaltung und im Forstbereich.

Die zweite wichtige Maßnahme zur Deregulierung war die Entbürokratisierungsinitiative, die wir im Jahr 2002 gestartet haben. Als zentraler Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger, für Kommunen, Wirtschaftsverbände und Institutionen und als zentraler Koordinator der Aktivitäten der Landesregierung zur Entbürokratisierung wurde der Beauftragte der Landesregierung für Bürokratieabbau, Deregulierung und Aufgabenabbau, der sogenannte Ombudsmann, ernannt. Herr Staatssekretär Böhmler hat bis zu seinem Wechsel nach Frankfurt diese Aufgabe erfolgreich wahrgenommen. Auf seine Initiative hin hat der Ministerrat insgesamt fünf Maßnahmenpakete – die scheinen Ihnen alle entgangen zu sein, Herr Kollege Prewo – zur Entbürokratisierung beschlossen.

(Abg. Dr. Rainer Prewo SPD: Ganze 45 Vorschlä- ge!)

Die Landesregierung hat damit im Land, beim Bund und auf der europäischen Ebene wichtige Anstöße zum Bürokratieabbau auf den Weg gebracht. – Es waren nicht 45 Vorschläge – diese 45 waren nur als Beispiele genannt –, sondern es sind 910 Vorschläge bearbeitet worden. 474 Vorschläge, also über

50 %, wurden aufgegriffen. Die anderen Vorschläge wurden deshalb nicht weiterverfolgt, weil das Problem nach der geltenden Rechtslage bereits gelöst war, weil die Vorschläge aus rechtlichen Gründen nicht umgesetzt werden konnten oder weil die Umsetzung sogar zusätzlich neue Bürokratie verur sacht hätte.

Die Erfolgsbilanz ist der Stellungnahme des Staatsministeriums zum Antrag als Anlage beigefügt. Sie zeigt eindrucksvoll auf, wie umfangreich und vielfältig die vom Ombudsmann bearbeiteten Maßnahmen zum Bürokratieabbau waren und sind.

Als neuer Beauftragter der Landesregierung für Bürokratieabbau setze ich diese erfolgreiche Arbeit meines Vorgängers konsequent fort. Sofern Vorschläge noch nicht abschließend umgesetzt sind, werde ich ihre Umsetzung weiter vorantreiben. Gleichzeitig möchte ich aber die Aufgabe auch neu strukturieren. Es gibt auf Landes-, auf Bundes- und auf europäischer Ebene eine Vielzahl von Akteuren, deren Aufgabe der Bürokratieabbau ist, z. B. die High Level Group auf der europäischen Ebene unter dem Vorsitz von Edmund Stoiber

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ojemine!)

oder der Normenkontrollrat auf Bundesebene. Um Doppelarbeit zu vermeiden, werde ich meinen Arbeitsschwerpunkt auf den landespolitischen Bereich sowie auf die Bereiche legen, die von keiner anderen Institution aufgegriffen werden.

Ein Schwerpunkt der Initiativen auf europäischer und nationaler Ebene ist bisher die Beschränkung der Bürokratiekosten der Unternehmen. In Zukunft soll zumindest auf Bundesebene zusätzlich die Belastung der Bürgerinnen und Bürger reduziert werden. Vernachlässigt werden dagegen bislang auf europäischer und auf Bundesebene die Bürokratiekosten der Verwaltungen auf allen Ebenen. Die demografische Entwicklung zwingt uns aber, die Staatsquote zu senken und die Haushalte in Ordnung zu bringen. Das kann nur erreicht werden, wenn auch die Bürokratielasten der Verwaltungen auf allen Ebenen verringert werden. Deshalb wird dies ein besonderer Schwerpunkt unserer Bemühungen in Baden-Württemberg sein.

Um weiter erfolgreich sein zu können, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, brauchen wir eine intensive Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, mit unserer eigenen Verwaltung und mit der Bürgerschaft. Ich werde jeden Vorschlag zur Entbürokratisierung – auch Ihre Vorschläge vonseiten der Grünen und der SPD –, der eingeht und an mich herangetragen wird, überprüfen lassen. Ich nehme ab sofort gern Ihre Vorschläge entgegen.

Ich will zum Schluss eine Anmerkung machen, und zwar weniger als Mitglied der Landesregierung als vielmehr als Landtagsabgeordneter. Auch der Landtag und seine Abgeordneten beschaffen der Verwaltung häufig sehr kleine Karos. Mit außerordentlich viel bürokratischem Aufwand, meine Damen und Herren, müssen Fragen beantwortet werden, die weniger den Kenntnisstand des Parlaments und der Öffentlichkeit bereichern als die Papierindustrie und unsere Papierkörbe. Wenn wir diesen Schwerpunkt ernsthaft angehen wollen, wenn wir die Verwaltung von Zeit- und Bürokratiekosten – vorhin ist von einem Raub von Zeit gesprochen worden – entlasten wol