Protocol of the Session on February 28, 2008

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist wichtig! Ohne die Eltern geht es nicht!)

Auch auf diesem Gebiet wird natürlich investiert, zuletzt mit dem Programm STÄRKE. Mit diesem Programm wollen wir die elterliche Kompetenz stärken. Das wird sich gerade im Bereich der Familien mit Migrationshintergrund auswirken können.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Dieses Programm gäbe es ohne die FDP/DVP nicht! – Gegenruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Ich bitte, diesen Zuruf zu Protokoll zu nehmen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Denn das wurde er- reicht durch die Umgestaltung des Landeserziehungs- gelds!)

Mit dem Programm STÄRKE geben wir im Jahr 2008 1,5 Millionen € aus; in den Jahren 2009 bis 2013 werden dies jährlich 4 Millionen € sein. Das ist nur ein erster Schritt.

Wir werden demnächst wieder einen Elternkongress veranstalten, wobei schon beim ersten Elternkongress des Integrationsbeauftragten in Ludwigsburg sehr deutlich geworden ist, dass die Eltern interessiert sind. Es ist nicht so, dass die Eltern nicht wollten; vielmehr sollte man sie ein Stück weit noch intensiver ansprechen. Sie kommen in die Halle und hören sich die Ausführungen zum Bildungssystem an. Wenn man so etwas nicht veranstaltet, sitzen sie daheim, und wir erreichen sie nicht. Das ist unser Problem. Ich unterschreibe jeden Appell an die Betroffenen, sich stärker zu beteiligen. Aber oft werden die Betroffenen durch solche Appelle gar nicht erreicht, und dann sind wir letzten Endes diejenigen, die den Schaden haben, wenn die Integration nicht ausreichend gelingt.

Wir werden demnächst zum Thema Sprache auch vonseiten des Integrationsbeauftragten ein gemeinsames Treffen mit den Generalkonsuln und Bildungsattachés aller Generalkonsulate und Konsulate in Baden-Württemberg haben.

Es gibt übrigens erhebliche Unterschiede bei den Migranten. Ich möchte nur so viel andeuten: Bei Migranten beispielsweise aus Spanien, Griechenland oder Kroatien sieht es ganz anders aus als bei Migranten aus Portugal, Italien oder der Türkei. Die Migranten aus Kroatien haben eine Übergangsquote auf das Gymnasium, die besser ist als bei unseren einheimischen Schülern. Es gibt also sehr große Unterschiede.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Die Portugiesen haben auch eine gute Quote! Sie sind sehr enga- giert!)

Man muss differenziert an das Thema herangehen, und man muss sich ein genaues Bild verschaffen. Ich gehe davon aus, dass wir gerade durch das Gespräch mit den Generalkonsuln und Bildungsattachés weitere wertvolle Erkenntnisse gewinnen.

Das kommende Jahr wird natürlich im Zeichen des Landesintegrationsplans stehen – das ist richtig –, mit dem wir zuerst einmal alle vorhandenen Aktivitäten zusammenbringen und vernetzen, soweit es geht, und uns ein genaues Bild darüber verschaffen, was passiert und wo es besonders gut passiert. Daraus werden wir neue Handlungsempfehlungen und -perspektiven entwickeln.

Der Landesintegrationsplan wird insbesondere auch im Kabinettsausschuss „Integration“ behandelt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gibt es Unterausschüsse des Kabinetts. Einer dieser drei Unterausschüsse befasst sich mit diesem wichtigen Thema Integration. Das zeigt, dass es bei uns ein Schwerpunkt ist.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Innenministerium und besonders aus dem Kultusministerium. Dadurch, dass die Sprache so im Vordergrund steht, liegt ein Schwerpunkt der Maßnahmen beim Kultusministerium. Der Integrationsbeauftragte selbst ist ja machtlos, wenn ihm niemand hilft. So ist es auch gemeint.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wir helfen! – Abg. Reinhold Gall SPD: Da ist Hilfe auch dringend not- wendig!)

Er hat die Funktion, das Thema am Leben zu halten und dafür zu sorgen, dass das Thema vorwärtskommt. Er ist aber auf die Aktivitäten anderer angewiesen. Es ist höchst erfreulich, dass diesem Thema sowohl beim Kultusministerium als auch beim Sozialministerium, als auch beim Wirtschaftsministerium – das Innenministerium habe ich schon genannt – so hohe Priorität eingeräumt wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Bernd Hitz- ler CDU)

Die Aufgabe reicht natürlich weit über die Landesregierung hinaus. Deswegen wird der Integrationsplan nicht nur Maßnahmen der Landesregierung berücksichtigen und beinhalten, sondern auch viele andere Akteure wie die kommunalen Lan

desverbände, die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Wohlfahrtsverbände, die Migrantenorganisationen, Stiftungen, der Bund und auch die Bundesagentur für Arbeit leisten auf diesem Gebiet ihre Beiträge zu unserem Plan.

Denn dieser Plan soll und darf keine einseitige Erklärung der Regierung werden. Das sind die Tücken eines Plans. Es ist manchmal ein Papier, das in der Schublade verschwindet und eigentlich nur suggeriert, dass man etwas getan hat, ohne dass wirklich etwas passiert ist.

(Unruhe)

Der Plan muss ein lebendiges Papier sein. Deswegen muss er das Ergebnis eines ausführlichen Gedankenaustauschs zwischen den wichtigsten Akteuren sein.

Wir sind mittendrin in diesem Austausch und in der Entstehung des Plans. Darin wird der Bereich „Schulische Bildung und Deutschförderung“ einen zentralen Raum einnehmen. Das ist aber nicht das einzige Thema. Ich habe heute den Schwerpunkt darauf gesetzt, weil es die größte Herausforderung ist. Aber es wird natürlich auch um die berufliche Ausbildung, Existenzgründung, Gesundheit, Sicherheitsfragen, interkulturelle Öffnung und interkulturelle Kompetenz gehen. Das sind die Lebensbereiche, die in ähnlicher Weise auch im nationalen Integrationsplan berücksichtigt werden.

Genauso wie der nationale Plan zielt unser Plan natürlich darauf ab, Migrantinnen und Migranten nach der Devise des Förderns und Forderns möglichst umfassend am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu beteiligen. Das liegt im Interesse unseres Landes und damit im Interesse von uns allen.

Ich möchte das nur noch einmal am Beispiel der Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund deutlich machen, die keinen Berufsabschluss erwerben. Das sind über ein Drittel. Das ist für die Betroffenen nicht gut, und es ist unter keinem Aspekt für die Gesellschaft gut – da spreche ich auch mit dem Hut des Justizministers; man kennt die Folgen mangelnder Integration. Es ist vor allem deshalb nicht gut, weil bei uns die mittelständische Wirtschaft in etlichen Bereichen schon jetzt Fachkräfte sucht. Wir haben das Potenzial bei uns im Land. Deswegen ist es im Interesse aller, in den kommenden zwei, drei Jahren auf diesem Gebiet kräftig voranzukommen. Ich bin sicher, dass es uns gelingen wird, die Verhältnisse in Baden-Württemberg mit Ihrer aller Hilfe, für die ich mich schon jetzt bedanke, weiter zu verbessern.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war mir völlig klar, dass ich von der Opposition in dieser Situation als Kronzeugin ins Feld geführt werde. Aber, lieber Herr Wölfle, ich muss Sie enttäuschen. Sie wissen ja alle, wie das läuft: Man sagt einen Satz und ist anschließend überrascht – –

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Und dann steht er in der Zeitung! – Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Dabei war er richtig! – Abg. Reinhold Gall SPD: Er war ja gar nicht falsch!)

Ich bin sehr froh, dass ich heute hier die Gelegenheit habe, öffentlich noch einmal zu bekunden, wie sehr ich gerade die sehr gute, sehr kompetente und sehr ergebnisreiche Arbeit unseres Integrationsbeauftragten schätze, vor allem weil er auch den Mut hat, „heiße“ Themen anzupacken. Als frauenpolitische Sprecherin unserer Fraktion bin ich auch sehr froh, dass er das Thema Zwangsheirat nicht nur in Sonntagsreden anspricht, sondern wirklich konkret etwas tut.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Uli Goll weiß auch, wie sehr ich seine Arbeit schätze.

Ich möchte die paar Minuten an Redezeit, die mir noch bleiben, dazu nutzen, um auf Folgendes hinzuweisen – das ist mein eigentliches Anliegen –: Wir haben jetzt viel über Bildungspolitik gesprochen. Es ist völlig klar, Frau Vogt: Die Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Aber ich möchte Ihr Augenmerk ein bisschen mehr auch auf die Sozialpolitik lenken. Ich möchte den Fokus darauf legen, dass für mich die tiefere Ursache für die Zahlen, über die wir heute diskutieren, in einem sozialpolitischen Problem liegt, und zwar in der Art der Sozialisation. Diese unterscheidet sich in vielen Migrantenfamilien ein Stück weit von der Sozialisation deutscher Kinder.

Ich möchte Ihnen dies an zwei Beispielen klarmachen. Necla Kelek hat vor zwei Jahren ein Buch über die Situation von jungen türkischen Männern in unserer Gesellschaft geschrieben. Das ist hoch aktuell. Ich kann es Ihnen nur zur Lektüre empfehlen. Die Autorin schildert in dem Buch Interviews, die sie mit jungen türkischen Strafgefangenen geführt hat. Diese Strafgefangenen haben Körperverletzung begangen, sie haben vergewaltigt, sie haben sogar auch gemordet.

(Unruhe – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das interessiert die Opposition offensichtlich nicht!)

Trotz dieser schweren Delikte haben diese jungen türkischen Männer in der Regel kein Unrechtsbewusstsein. Sie haben kein Schuldgefühl. Sie haben das getan, was ihre Väter, was ihre älteren Brüder von ihnen verlangt haben – im Namen der Ehre der Familie.

Das, meine Damen und Herren, ist etwas, was mich mit großer Sorge umtreibt. Diese jungen Menschen haben kein Schuldbewusstsein, aber sie sitzen in einem deutschen Gefängnis. Das heißt: Wie können wir dieser Vätergeneration klarmachen, dass in unserer Gesellschaft das Individuum und der Schutz der Rechte des Individuums einen höheren Stellenwert haben als die Ehre der Familie? Wie können wir das dieser Vätergeneration klarmachen? Das ist für mich eine Schlüsselfrage,

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

für die wir nach einer Lösung suchen müssen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Johanna Li- chy CDU)

In diesem Zusammenhang wird ja auch schnell nach mehr Sozialarbeit gerufen, gerade in der Schule – völlig d’accord. Nur: Hier besteht auch ein Problem, das aus der Sozialisation heraus erwächst. Wenn die Ehre der Familie einen solch hohen Stellenwert hat, dann wird natürlich auch dafür gesorgt, dass nichts Negatives aus der Familie nach außen dringt. Das heißt, familiäre Probleme werden intern geregelt, und nach außen wird eine Mauer des Schweigens aufgebaut. Darüber redet man nicht. Man kann also Hunderte von Sozialarbeitern einstellen, aber man erreicht diese Eltern nicht.

Hier stellt sich die Frage: Wie schaffen wir es, diese Menschen davon zu überzeugen, dass es keine Schande ist, wenn in der Familie etwas schiefläuft, dass unsere Gesellschaft Hilfsangebote von außen vorhält, die man auch in Anspruch nehmen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren? Das ist auch eine sozialpolitische Frage, die mir auf den Nägeln brennt.

Das Letzte, was ich ansprechen möchte, ist: Diese Familie ist in unseren Augen nicht nur ein Stück weit Hypothek, sondern diese Familie ist auch Schutz. Sie gibt ihren Angehörigen Beistand in allen Lebenslagen. Vielleicht ist das ein Stück weit der tiefere Grund, dass auf gute Bildung, auf gute Ausbildung in einer solchen Sozialisation weniger Wert gelegt wird, weil man ja weiß: Im Ernstfall ist die Familie da, die mich stützt, die mich trägt; und so wird auch argumentiert: Der Clan hat Arbeitsplätze, wir fangen dich auf.

Selbstständigkeit hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Sie hat in türkischen Familien – das hat eine Untersuchung erbracht – nur bei 17 % der Eltern einen hohen Stellenwert. Einen viel höheren Stellenwert in der Erziehung der Kinder hat der Respekt.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

61 % der türkischen Familien sagen: Respekt ist das Allerwichtigste. Aber Respekt wird jetzt nicht so verstanden, wie wir ihn verstehen: gegenseitiges Annehmen, sich als Partner tolerieren, sondern Respekt bedeutet in dieser patriarchalischen Gesellschaft mit der starken Dominanz der Männer die Unterordnung unter die Gebote des Familienoberhaupts.

Wie schaffen wir es, diesen Eltern klarzumachen: „Die Ehre eurer Familie kann nicht nur dadurch gestärkt werden, dass der Papa immer so dasteht und ihm niemand widerspricht, sondern auch dadurch, dass eine Tochter Ärztin wird“? Wie können wir ihnen das klarmachen?

Das sind mehr Fragen als Antworten; aber ich denke, das müssen wir auch in unsere Überlegungen einbeziehen. Wie werden diese Kinder eigentlich in ihren Familien sozialisiert, und was bedeutet das für uns? Welche interkulturelle Kompetenz brauchen unsere Erzieherinnen, unsere Lehrer, unsere Ausbilder am Arbeitsplatz? Für mich lag der Sinn dieser Debatte darin, dass diese Fragen auch einmal gestellt werden dürfen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)