Protocol of the Session on February 27, 2008

Das hat Gründe. Dieses Gesetz enthält enorm viele Kannvorschriften. Es ist im Vergleich eher unverbindlich und ist daher deutlich nachzubessern. Deswegen unterstützt meine Fraktion sehr ausdrücklich den Antrag der Fraktion der SPD, die eine zeitnahe Novellierung für notwendig hält. Es ist in unseren Augen in keinster Weise nachvollziehbar, warum das Sozialministerium erklärt: „Wir haben von vornherein gesagt, 2008 machen wir diese Novellierung auch. Warten wir doch einmal das Jahr 2008 ab.“ Wenn klar ist, dass es große Kritik gibt und diese Kritik z. B. am „Tag behinderter Menschen“ von allen Seiten laut formuliert wird, dann macht es doch keinen Sinn, sich statisch hinzustellen und zu sagen: „Wir haben halt einmal gesagt, wir machen die Novellierung Mitte 2008. Dann machen wir sie eben nicht am Anfang des Jahres, sondern wirklich in der Mitte.“ Das ist für mich ein formaler Grund, und er bringt nicht wirklich etwas.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Genauigkeit vor Schnelligkeit!)

Es macht Sinn, zu sagen: Wenn das Anliegen ein derartig eindeutiges ist, dann muss man dem auch Rechnung tragen, wenn man die Belange der Menschen mit Behinderungen tatsächlich ernst nimmt,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das werden wir!)

wie es immer formuliert wird.

Ich nenne das Beispiel des öffentlichen Nahverkehrs; denn ich finde, es ist ein sehr zentrales. Wenn im Gesetz formuliert wird, es solle eine weitreichende Barrierefreiheit möglichst umfassend umgesetzt werden, dann sind diese einschränkenden Worte entscheidend. Wenn nämlich ein Modul in dem ganzen System des öffentlichen Nahverkehrs nicht barrierefrei ist, sondern das Ganze nur weitgehend barrierefrei ist, dann kann es für die Menschen mit Behinderungen bedeuten, dass sie das gesamte Angebot nicht wahrnehmen können. Das, was wir wirklich wollen, dass Menschen selbstbestimmt le

ben können und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, muss tatsächlich umgesetzt werden. Das passiert eben nicht, wenn Kannvorschriften und weiche Vorschriften insgesamt vorhanden sind.

Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, die Verbindung zur Eingliederungshilfe herzustellen. Wir wollen, dass Menschen mit Behinderungen z. B. selbstständig arbeiten können und auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Das betrifft vor allem die Menschen mit geistiger Behinderung. Dazu muss es sehr viel mehr Zusammenarbeit und konkrete Aussagen geben, die auch verbindlich sind.

Dann genügt es eben nicht, wenn Ministerpräsident Oettinger in einem Schreiben an den Gemeindetag sagt: Wir bitten Sie herzlich, in der öffentlichen Verwaltung mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen. Das ist ein netter Appell, aber das hilft den Menschen nicht wirklich. Es geht darum, deutliche Projekte und Maßnahmen auf den Weg zu bringen, über die die Integration von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt tatsächlich umgesetzt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Damit komme ich zu dem zentralen Instrument, mit dem das passieren kann. Das ist in der Tat ein unabhängiger Landesbeauftragter für die Belange der Behinderten. Herr Hillebrand, Sie sind jetzt der Beauftragte der Landesregierung, und ich weiß, Sie machen wirklich eine engagierte Arbeit. Das ist wunderbar, aber es ist natürlich so, dass Sie nicht unabhängig sind. Sie sind sozusagen der verlängerte Arm der Regierung, müssen die Regierungspolitik nach außen tragen und sind tatsächlich ein parteilicher Anwalt für die Belange der Menschen mit Behinderungen.

Deswegen sind wir entschieden dafür, dass ein Beauftragter unabhängig sein muss. Wir wollen, dass die Novellierung schnell voranschreitet. Wir wollen, dass es dazu eine öffentliche Anhörung gibt, die die Belange der Behinderten tatsächlich berücksichtigt und in der die Behinderten diese auch artikulieren können.

Schönen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Für die FDP/DVPFraktion erhält Herr Abg. Dr. Noll das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren nicht über ein Orchideenthema, sondern über ein Thema, das viele von uns betreffen kann. Das Bild von Menschen mit Behinderungen ist in manchen Köpfen vielleicht noch geprägt von sichtbaren Behinderungen. Angesichts der demografischen Entwicklung steigt mit zunehmendem Alter aber das Risiko, selbst betroffen zu werden, und zwar nicht nur durch Unfälle, sondern auch durch Krankheit. Dies kann wirklich jeden und jede hier betreffen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ihr seid doch in der Landesregierung! Dann macht halt etwas!)

Deswegen sind wir gut beraten, uns hier nicht wechselseitig ideologische Sichtweisen um die Ohren zu schlagen. Wir sind

uns, glaube ich, einig, Herr Kollege Staiger – nicht nur weil jeder von uns selbst betroffen sein kann, sondern weil wir wirklich hinter diesem Ziel stehen –, dass für jeden Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, eine volle, selbstbestimmte Teilhabe an dieser Gesellschaft garantiert sein muss. Hinter diesem Ziel stehen wir gemeinsam.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Ich glaube, dass im Hinblick auf dieses Ziel nach wie vor noch nicht überall die optimalen Bedingungen erreicht sind. Ich behaupte aber auch – Sie wissen, dass ich selbst im Vorstand eines Selbsthilfeverbands bin –, dass die Barrieren, an die Menschen mit Behinderungen stoßen, häufig Barrieren in der Sozialgesetzgebung sind und dass ihnen die notwendigen Hilfen schlicht und einfach nicht finanziert werden.

Ich will nun niemandem den Schwarzen Peter zuschieben. Aber wir diskutieren schon lange darüber, dass wir angesichts der Kostenentwicklung eigentlich der Meinung sind, dass es einen selbstständigen Anspruch auf ein sogenanntes Teilhabegeld geben müsste. Das steht in allen Parteiprogrammen; ich habe extra noch einmal nachgeschaut. Mich wundert, wie wenig derzeit über eine entsprechende Gesetzgebung – für die ja der Bund zuständig ist – diskutiert wird.

Trotzdem will ich mich nicht vor der Frage drücken, was wir tun können. Nun hat Herr Kollege Rüeck schon einiges aufgezählt. Konkret wurde hinsichtlich dieser neuen Sicht des Umgangs miteinander in der Gesellschaft einiges an neuem Denken verwirklicht. Ich darf schon noch einmal daran erinnern, dass das persönliche Budget von Baden-Württemberg aus einen Siegeszug angetreten hat – bei allen Schwierigkeiten in der Umsetzung. Dabei muss man umdenken: Es geht nicht um jemanden, dem ich helfen, den ich betreuen und betüteln muss,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Sagen Sie doch ein- mal etwas zum Thema!)

sondern das sind selbstbestimmte Menschen, die selbst entscheiden, welche Hilfen sie für richtig und notwendig halten. Es muss unser Ziel sein, dieses Denken bei allen Gesetzgebungsverfahren zu verwirklichen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU)

Jetzt kommen wir zu dem konkreten Punkt. Ich sage es ganz offen: Ich war, glaube ich, immer dabei, wenn bisher im Landtag ein „Tag behinderter Menschen“ durchgeführt wurde. Bei den ersten Veranstaltungen wurde jedes Mal gefragt: „Habt ihr beim nächsten Mal ein Landes-Behindertengleichstellungsgesetz?“ Ich weiß noch, wie peinlich es immer war, wenn wir bei der nächsten Veranstaltung sagen mussten: Nein, wir haben es noch nicht.

Ich stehe auch nicht an, zu sagen, dass ich damals, als wir das Gesetz gemacht haben, geäußert habe: Wir haben jetzt den Fuß in der Tür. Wir wissen, es ist besser, diesen Anspruch auf vollständige Teilhabe überhaupt einmal zu formulieren und mit einem Gesetz zu unterfüttern, damit das nicht auf Belieben beruht, sondern einen rechtlichen Anspruch der Menschen mit Behinderungen darstellt. Wir haben auch signalisiert, dass

wir dies selbstverständlich nicht als ein Gesetz betrachten, das ein für allemal gut und abgeschlossen ist. Wir sehen es als einen ersten Meilenstein.

Beim letzten „Tag behinderter Menschen“ haben wir im Landtag klar signalisiert, dass wir erst einmal Erfahrungen zur Wirkung dessen, was wir gesetzlich beschlossen haben, sammeln wollen. Es macht immer Sinn, zu schauen, ob ein Gesetz tatsächlich wirksam gewesen oder ob es ein sogenannter zahnloser Tiger geblieben ist. Deshalb ist es in der Tat richtig, eine Evaluation vorzunehmen. Dabei müssen wir uns insbesondere an dem orientieren, was uns die Menschen mit Behinderungen selbst an Wünschen und an Folgerungen für das Novellierungsverfahren mitgeben. Schließlich sind die Betroffenen die Experten in eigener Sache.

Die Koalitionsvereinbarung kann man noch immer im Internet einsehen. Ich weiß, dass wir das in die Koalitionsverhandlungen eingebracht haben. Es gab sofort Einvernehmen darüber, einen festen Zeitplan in die Vereinbarung hineinzuschreiben. Demzufolge heißt es: Mitte der Legislaturperiode wird evaluiert, wird versucht, die Defizite aufzudecken, und werden die Erfahrungen der Menschen mit Behinderungen aufgenommen. Dann werden wir entscheiden, in welcher Richtung wir Nachbesserungs- oder Novellierungsbedarf haben.

Nicht nur die Opposition nimmt die Meinungen der Verbände zur Kenntnis, sondern ich vermute, die Kollegen von der CDU tun das auch, wir auf jeden Fall. Uns liegen selbstverständlich die Wünsche, die Vorstellungen vor. Das ist überhaupt keine Frage. Aber Sie wissen auch, dass wir, wenn es um die Kommunen geht, über Dritte sozusagen verfügen – also die, die dann im Zweifelsfall zahlen müssen –, und weil wir Anhänger der Konnexität sind, werden wir uns selbstverständlich mit ihnen darüber unterhalten müssen, wie entstehende Kosten getragen werden können und abgegolten werden müssen.

Daher sind wir, glaube ich, im Moment wirklich in einem ernsthaften, seriösen Verfahren, das dazu dienen soll, dass wir, wie in der Koalitionsvereinbarung beschlossen, zur Mitte dieser Legislaturperiode die Evaluation bekommen und daraus Schlüsse für eine notwendige Novellierung ziehen.

Lassen Sie mich als Letztes einige Bemerkungen zum Thema Beauftragte machen. Ein bisschen schwierig finde ich es schon, Staatssekretär Hillebrand zu unterstellen, dass er die Interessen der Menschen mit Behinderung, die er in der Landesregierung zu vertreten hat, möglicherweise irgendwelchen politischen Vorgaben von anderer Stelle unterordnen würde. Das würde ich diesem Mann, wie er da sitzt, nicht gern unterstellen. Man kann über alles reden, aber wir sollten uns nicht wechselseitig etwas Negatives unterstellen.

Trotzdem werden wir uns auch mit der Frage befassen müssen, inwiefern wir das Thema Beauftragte gesetzlich noch stärker berücksichtigen – Herr Staiger, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie die Einbindung von Selbsthilfe und Ehrenamt angesprochen haben; das ist ganz wichtig, denn das sind die eigentlichen Experten – und inwieweit wir in der zweiten Jahreshälfte dieses Gesetz entsprechend novellieren. Wir sind völlig offen, dass jeder seine und jede ihre Vorschläge einbringen kann, damit wir am Ende sagen können: Wir haben einen zusätzlichen gesetzlichen Fortschritt gemacht, der dazu führt,

dass diese Menschen „mittendrin statt außen vor“ leben können.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Hillebrand.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz ist ein wichtiges Gesetz. Es war ein bedeutendes Signal für die behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem Land, als wir dieses Gesetz vor fast drei Jahren, nämlich am 20. April 2005, verabschiedet haben. Es ist keineswegs ein zahnloser Tiger, lieber Kollege Staiger.

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

Sie alle wissen, dass dieses Gesetz ein Kompromiss zwischen vielen unterschiedlichen Meinungen war. Auch aus diesem Grund halten wir eine Zwischenbilanz für notwendig. Wir haben sie schon immer, auch schon vor der heutigen Debatte, für wichtig und notwendig gehalten, und zwar zur Mitte der Legislaturperiode, so wie dies die Kollegen Rüeck und Dr. Noll gesagt haben.

Die von der SPD erhobene Forderung, bereits im Jahr 2007 das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz zu novellieren, hat aus meiner Sicht keinen Sinn ergeben.

Bevor ich als Landesbehindertenbeauftragter für die Änderung dieses Gesetzes eintrete, will ich genau wissen, wie das jetzige Gesetz den Belangen der behinderten Menschen Rechnung trägt. Hierzu gehören die Erfahrungen der unterschiedlichen Seiten: an erster Stelle die Erfahrungen der behinderten Menschen und ihrer Verbände; dann aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einschätzung der öffentlichen Verwaltungen, der Sozialversicherungen und der sonstigen Organisationen. Diese sind es, gegenüber denen die Rechte bestehen und die diese Rechte anzuwenden haben.

Ich lege großen Wert darauf, die Dinge gründlich und vernünftig sine ira et studio anzupacken. Deshalb habe ich bereits im September 2006 die Ministerien und die kommunalen Landesverbände angeschrieben und eine Zwischenbilanz angekündigt. Ich habe gebeten, zu den auch von Ihnen hier und heute angesprochenen Fragen Daten zu sammeln und mir die se zur Mitte der Legislaturperiode, also in diesem Jahr 2008, zu übermitteln.

Somit werde ich bei der Zwischenbilanz ganz genau sagen können, wie oft einzelne Rechte in Anspruch genommen wurden und wo es im Einzelfall vielleicht auch einmal gehakt hat. Hätte ich im Herbst 2007, so wie es die Kolleginnen und Kollegen von der SPD wollten, vorschnell eine Befragung nur der Verbände behinderter Menschen durchgeführt, so wäre dies – jedenfalls meines Erachtens – nicht sonderlich zielführend gewesen. Niemandem, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte man es vermitteln können, wenn ich im Herbst 2007 die Behindertenverbände um Stellungnahmen gebeten hätte und die Anregungen und Kritiken dann bis Mitte 2008 liegen gelassen hätte. Wie soll ich etwas umfassend bewerten, wenn ich nur eine Sicht der Dinge vorliegen habe?

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

Ein solches Vorgehen, liebe Frau Altpeter, kann und will ich niemandem zumuten. Ich wüsste auch nicht, weshalb ich hätte vorschnell handeln sollen. Nach meiner Auffassung kommt noch immer Qualität vor Geschwindigkeit.

Sie wissen, ich lege Wert darauf, die Betroffenen zu Beteilig ten zu machen und mit diesen einen redlichen Umgang zu pflegen. Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf beiden Waagschalen Argumente haben, und dann können wir gemeinsam miteinander sorgfältig abwägen. Nur so kann man zu einem objektiven Meinungsbild kommen, und nur so können Entscheidungen sorgfältig vorbereitet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, damit die Ergebnisse ungefiltert Eingang in Entscheidungen möglichst zugunsten der behinderten Mitbürger finden können, gehört es meines Erachtens dazu, dass die Funktion des Landesbehindertenbeauftragten auch eine feste Verankerung in den vorhandenen Entscheidungsstrukturen hat. Die Forderung der SPD, lieber Kollege Staiger, nach einem sogenannten unabhängigen Behindertenbeauftragten – Frau Mielich hat sich diesem Vorschlag ja angeschlossen – ist letztlich nicht im Interesse der behinderten Menschen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Da kommen aber von den Verbänden andere Aussagen!)

Mittlerweile ist sich – ja, Frau Haußmann – Gott sei Dank z. B. nicht einmal mehr die LAG Selbsthilfe sicher, ob sie die se ihre ehemalige Forderung aufrechterhält.