Protocol of the Session on December 18, 2007

Zunächst zum Thema Religionsunterricht: Der Religionsunterricht ist in Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach. So ist es in der Landesverfassung festgeschrieben. Das heißt, die Landesregierung hat die Pflicht, zu gewährleisten, dass Religionsunterricht stattfindet.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Die Kirchen führen dankenswerterweise diesen Unterricht im Auftrag des Landes durch und bekommen dafür selbstverständlich eine Entschädigung.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Grundrecht!)

Im Staatsvertrag ist jetzt davon die Rede, dass der Kostendeckungsgrad hierfür schrittweise erhöht wird.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Auf Nachfrage, die ich im Finanzausschuss gestellt habe, wo sich denn dieser Kostendeckungsgrad derzeit befinde, wohin er sich entwickeln solle, was der Endzustand dieses Kostendeckungsgrads sein solle und bis wann dieser erreicht werden solle,

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Gute Frage!)

habe ich leider nur die Antwort bekommen, dass dieser Kos tendeckungsgrad für eine staatliche Pflichtleistung momentan gerade einmal bei 45 % liegt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje!)

Das heißt, die Kirchen schießen für den Religionsunterricht – also für eine staatliche Pflichtaufgabe – 55 % zu. Ich habe dann noch einmal nachgefragt, wie weit sich dieser staatliche Anteil denn nun erhöhen solle, und bekam darauf die Antwort, eine richtige Strategie gebe es eigentlich nicht; der Anteil wer

de sich aufgrund des Rückgangs bei den Schülerzahlen irgendwann einmal automatisch erhöhen.

Ich muss sagen, das Land schneidet dabei finanziell sehr gut ab. Die Kirchen jedoch müssen für diese Aufgabe – eine Aufgabe, die, wie auch einmal ganz klar gesagt werden muss, eigentlich eine reine Landesaufgabe ist – relativ viel zuschießen.

Auch ein zweiter Punkt lohnt der genaueren Betrachtung, nämlich die Staatsleistungen an die Kirchen. Dort geht es um sehr viel Geld. Viele denken, es handle sich dabei um Freiwilligkeitsleistungen,

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

die der Staat den christlichen Kirchen großzügigerweise zur Verfügung stellt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen: Es handelt sich nicht um Freiwilligkeitsleis tungen. Es handelt sich bei den Staatsleistungen um Entschädigungen für die Enteignung der Kirchen durch den Staat im Rahmen der Säkularisierung, also um Wiedergutmachungen von begangenem Unrecht, die im Grundgesetz festgeschrieben sind, und nicht um freiwillige Zuschüsse.

Deshalb – ich sage das so deutlich – halte ich es für eine Frechheit, dass die von CDU und FDP/DVP geführte Landesregierung im Jahr 2004 diese den Kirchen zustehenden Entschädigungen ohne Absprache um 5 Millionen € gekürzt hat. Dass man so mit den Kirchen umgeht, hätte man von einer CDU-geführten Landesregierung nicht gedacht.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

So etwas, lieber Kollege Schüle, ist unanständig. Das gehört sich nicht. Sich dann damit zu brüsten, dass man in diesem Staatsvertrag großzügigerweise die Hälfte dieser rechtswidrigen Kürzungen wieder zurücknimmt, das finde ich schon etwas dreist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Abgesehen von diesen beiden Punkten, bei denen wir zwar mit dem Kompromiss nun einverstanden sind, nicht aber mit dem bisherigen Verhalten der Landesregierung, kann dieses Vertragswerk durchaus als ausgewogen betrachtet werden.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sehr gut! Das Ergeb- nis stimmt!)

Uns ist wichtig, dass wir mit diesem beiderseitig anerkannten Vertrag auch den Kirchen und den kirchlichen Einrichtungen signalisieren, dass sie uns ein ganz wichtiger Partner in der Gesellschaft sind, ein Partner im Sozialbereich, im Betreuungsbereich, im Bildungsbereich, im Ehrenamt, im musikalischen und im künstlerischen Bereich, im Denkmalschutz und in vielen, vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft.

Würde es die Geschäftsordnung nicht verbieten, würde ich jetzt sagen, dass der Herr Landesbischof diesen Dank bitte an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen soll. Ich werde dies nicht tun, weil die Geschäftsordnung dies verbietet.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Was war jetzt das?)

Wir schätzen den Einsatz der Kirchen in diesen vielen Bereichen. Sie sind uns ein kompetenter Partner, und im Unterschied zu vielen privaten Dienstleistern tun sie dies gemeinnützig und haben nicht nur die eigene Gewinnspanne im Blick.

Das heißt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir als Land mit den Kirchen immer einer Meinung sein müssten. Eine gute Partnerschaft erträgt auch eine kritische Diskussion, wenn sie fair und anständig geführt wird. Das heißt aber, dass wir auch in Zukunft genau hinhören, wenn sich die Kirchen zu Wort melden, z. B. wenn soziale Missstände in unserer Gesellschaft grassieren. Wir würden uns wünschen, dass sich die Kirchen bei solchen Punkten das eine oder andere Mal öfter zu Wort melden und uns in der Politik durchaus auch Ratschläge geben.

In diesem Geist der guten Partnerschaft zwischen Kirchen und Land ist dieser Staatsvertrag geschrieben – bei gleichzeitigem Bewusstsein der klaren Trennung und der unterschiedlichen Aufgaben und Fähigkeiten von Staat und Kirche. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir als SPD-Fraktion diesem Staatsvertrag auch sehr gern zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU so- wie des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Kretschmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat der Rechnungshof einzelne Einwände gegen diesen Staatsvertrag vorgebracht, auf die ich kurz eingehen möchte.

Der erste Einwand war, die evangelischen Kirchen würden durch den Vertrag einen zu großen Einfluss auf die Evangelisch-Theologischen Fakultäten erlangen und könnten möglicherweise darauf hinwirken, die Lehrerlaubnis für Professoren zurückzunehmen, wenn deren Lehre und Bekenntnis nicht mehr den Grundsätzen der Kirche entsprächen.

Ich finde, das Recht, Professoren wieder abzuberufen, deren Lehre und Bekenntnis nicht mehr den Grundsätzen der Kirche entsprechen, ist ein Ausdruck des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen und ist meines Erachtens in Ordnung. Ich kann mir etwas anderes gar nicht vorstellen. Schließlich bilden die Professoren ja die Geistlichen aus. Es kann der Kirche schlecht zugemutet werden, dass Dozenten, die inzwischen ihren Glauben verloren haben, weiter ihre Geistlichen ausbilden.

Ich finde auch, der Staat hat die Möglichkeit, das Problem, das daraus entstehen kann, dass er abberufene Professoren, wenn sie Lebenszeitbeamte sind, weiterbeschäftigen muss, gut zu lösen, indem er nämlich den Status des Lebenszeitbeamten bei Professoren abschafft. Dann ist das Problem gelöst.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Zweitens hat der Rechnungshof kritisiert, dass die Ausstattung der Fakultäten nach dem Vertrag nicht angemessen, sondern zu hoch sei. Auch das, finde ich, konnte ausgeräumt werden. In dem Vertrag selbst ist nur eine Minimalausstattung der Theologischen Fakultäten vorgesehen. Ich halte es für richtig, dass das in dem Vertrag steht. Man kann den Kirchen ja schlecht zumuten, dass zur Ausbildung von Geistlichen Fakultäten vorhanden sind, die dazu gar nicht in der Lage sind. Also diese Minimalausstattung ist gewährleistet. Im Schlussprotokoll zu dem Evangelischen Kirchenvertrag wird dann von 15 Lehrstühlen pro Fakultät gesprochen. Das ist aber nur eine Beschreibung des Istzustands und bindet uns nicht für die Zukunft, wenn es da zu Änderungen kommen sollte.

Insgesamt finde ich aber eine angemessene Ausstattung der Theologischen Fakultäten nur richtig. Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn wir immer die geisteswissenschaftlichen Fakultäten als Sparschwein der Universitäten betrachten. Diese haben ebenso wie die naturwissenschaftlichen Fakultäten eine wichtige Funktion.

Drittens hat der Rechnungshof noch moniert, dass wir die Baulasten übernehmen. Aber auch da hat die Debatte ergeben, dass die Übernahme dieser Baulasten für uns wirtschaftlicher ist, als wenn wir sie abgelöst hätten.

Damit komme ich auf das Problem des Vertrags insgesamt. An und für sich sieht das Grundgesetz vor, dass die Länder durch Gesetze die ständigen Staatsleistungen für die Kirchen ablösen. Das ist hier natürlich nicht erfolgt, sondern wir machen im Gegenteil wieder einen Vertrag, der diese Staatsleis tungen auf lange Zeit festschreibt. Aber auch da wäre eine Ablösung dieser Staatsleistungen wahrscheinlich wesentlich teurer, als wenn wir jetzt in diesem Vertrag diese ständigen Leistungen beibehalten.

Es ist natürlich schon zu überlegen, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, diese Staatsleistungen wirklich einmal abzulösen, auch wenn es teurer gewesen wäre. Denn es ist der Bevölkerung natürlich schwer zu erklären, dass wir hier ständige Staatsleistungen erbringen für ein Ereignis, nämlich die Säkularisation, das über 200 Jahre zurückliegt.

Aber ich glaube, das sind jetzt keine Bedenken, die dazu führen könnten, den Vertrag insgesamt infrage zu stellen; denn der Vertrag ist insgesamt gut und ausgewogen. Er ist Ausdruck eines gelungenen Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen, nämlich der kooperativen Art der Trennung von Staat und Kirche, sodass wir ein säkularer und kein laizistischer Staat sind, ein Staat, in dem die Religion mit dem Staat in der Diskussion bleibt, dieser Dialog im öffentlichen Raum stattfindet und Religion nicht ins Private abgedrängt wird. Ich finde, das könnte eher ein Beispiel für andere Länder sein, als dass wir uns in dieser Frage nach anderen Ländern richten sollten.

Ich finde, die Theologischen Fakultäten sind dafür ein ganz lebendiger Ausdruck. Die Kirchen bestimmen über den Inhalt, der Staat über die Form.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Die Fakultäten sind eingebettet in einen ganz normalen Wissenschaftsbetrieb.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Das ist, glaube ich, ein Vorteil sowohl für den säkularen Staat als auch für die Religionsgemeinschaften. Die Religionsgemeinschaften müssen sich in diesem säkularen Umfeld bewähren, ihren Glauben jederzeit zeitgenössisch machen und auf den Prüfstand stellen lassen. Glaube und Vernunft kommen in den Diskurs. Für die säkulare Gesellschaft hat das den Vorteil, dass Religion mitten im Blick einer kritischen Öffentlichkeit stattfindet, sodass sie gewiss sein kann, dass sich dort nicht fundamentalistische oder sogar verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickeln. Daher ist das ein Modell, von dem beide auf Dauer profitieren werden.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem machen, was ich bei der ersten Lesung gesagt habe. Ich habe damals religiöse Normen, die in unserer Landesverfassung stehen, kritisch betrachtet, beispielsweise die Norm, die Jugendlichen in der Ehrfurcht vor Gott und im Geiste der christlichen Nächs tenliebe zu erziehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Jeder Bürger und jede Bürgerin, also jeder Demokrat, muss sich grundsätzlich auf eine bürgerliche Verfassung stellen können. Seine persönlichen Grundüberzeugungen, insbesondere seine Glaubensüberzeugung oder seine Weltanschauung, dürfen dabei nicht in Kollision zu Vorschriften der Verfassung geraten. Darum sind religiöse Normen in einer Verfassung in einer pluralistischen Gesellschaft – etwas anderes kann es gar nicht geben – höchst problematisch.

Denn, Herr Kollege Schüle, einen Atheisten kann und darf man nicht zu Ehrfurcht vor Gott erziehen. Das verstößt gegen das Überwältigungsverbot. Selbst wenn man dies wollte, wäre es gar nicht möglich. Dann gilt immer noch der Grundsatz „ultra posse nemo obligatur“ – man kann niemanden zu etwas verpflichten, was er nicht kann. Das gilt sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden in einer Schule. Darum geht es.