Kolleginnen und Kollegen. Okay. – Bevor ich auf das Beihilfeverfahren und die Auswirkungen auf die Rundfunkgesetzgebung eingehen will, will ich ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen. Der Medienmarkt in Deutschland umfasst im Augenblick 72 Milliarden € Umsatz, der in Europa 350 Milliarden € und der weltweit umgerechnet 1,3 Billionen €. Auf diesem Markt geht es also um sehr viel Geld, und in Zukunft wird es, wenn sich die Digitalisierung fortsetzt, um noch mehr Geld gehen.
Aber die audiovisuellen Medien sind nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Kulturgut. Deshalb müssen wir – Frau Kipfer hat es schon angedeutet, und zwar kritisch angedeutet – eine richtige Balance zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und kulturellem und gesellschaftlichem Auftrag finden.
Man kann grundsätzlich von zwei Marktmodellen ausgehen: Bei dem einen Marktmodell wird der Markt bestimmen, was gesendet wird, was an Unterhaltung angeboten wird und wo es angeboten wird. Beim zweiten Marktmodell – und das ist das Modell, das wir in Europa wollen – stehen die kulturelle Vielfalt, Nachhaltigkeit und natürlich auch das Gemeinwohl im Vordergrund. Dieses Modell wollen wir auch auf Deutschland übertragen, und zwar bei aller Kritik, die es gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk natürlich auch gibt. Wir wollen dieses Marktmodell auch im Hinblick auf die neuen Übertragungswege erhalten. Auf diesem Markt wollen wir Meinungsvielfalt, Medienvielfalt und natürlich auch Wettbewerb, und zwar auch in dem Zeitalter, das auf uns zukommt und in dem die Digitalisierung vorangetrieben wird.
Dabei – das gilt natürlich für uns alle – muss ein Ausgleich zwischen den Privaten und den Öffentlich-Rechtlichen Voraussetzung sein. Bei der Auseinandersetzung mit der Kommission hatte man manchmal aber den Eindruck, dass die Kommission nichts vom deutschen Verfassungsrecht, der Rundfunkfreiheit und der Staatsfreiheit des Rundfunks versteht.
Zeitweise war man dort sogar der Meinung, der deutsche Staat könnte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regieren. Unter dem Stichwort „Wettbewerbsverzerrung und Wettbewerb“ glaubte man hier durchgreifen zu können. Sie haben es ja schon erwähnt, Frau Kipfer: Das Amsterdamer Protokoll von 1997 stellt eindeutig fest, dass die Definition, was öffentlichrechtlich ist, in den Händen der Mitgliedsstaaten zu bleiben hat.
Diese Rechtslage kann meines Erachtens auch nicht durch Wettbewerbsrecht und Beihilferecht ausgehebelt werden. Man hat manchmal den Eindruck, dass in Brüssel der Eifer überbordet, und zwar nach dem Motto: Ziel erkannt, Schuss, Hase tot, sprich deutsches duales System tot. Dass es nicht so weit gekommen ist, ist meines Erachtens der späten Erkenntnis einer Kommissarin, vielleicht auch dem überzeugenden Charme von Edmund Stoiber und Kurt Beck zu verdanken.
Ich will auf die Maßnahmen im Maßnahmenkatalog, der zur Beendigung des Beihilfeverfahrens beigetragen hat, nicht im Einzelnen eingehen. Ich will nur kurz zusammenfassen, was dort steht. Dort steht erstens: Der Rundfunkstaatsvertrag muss den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen präzisieren. ARD und ZDF müssen teilhaben an der Digitalisierung und an den neuen Übertragungswegen. Werbung und E-Commerce dürfen bei ZDF und ARD nicht zugelassen werden. Kommerzielle Aktivitäten von ARD und ZDF müssen in Tochtergesellschaf ten ausgelagert werden; die Rechnungslegung ist genau abzugrenzen.
Dort ist weiter genau festgelegt, wie es mit den Sportrechten zu halten ist. Die beiden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dürfen weiterhin Sportrechte kaufen; sie müssen sie aber entweder komplett senden oder teilweise an andere weiterverkaufen. Die Sportberichterstattung ist auf 10 % des Programmangebots begrenzt.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Einigung von Brüssel stärkt das deutsche Rundfunksystem. Den ÖffentlichRechtlichen wird ein begrenzter Zugang zu den neuen Übertragungswegen eingeräumt. Den privaten Anbietern bleibt genügend Raum für Aktivitäten.
Insgesamt kann man sagen: Das, was die Regierung im Augenblick vorschlägt, die Maßnahmenübernahme 1 : 1, ist richtig. Wir sollten allerdings, Frau Kipfer, nicht unbedingt etwas draufsatteln, denn jede Regulierung begrenzt den Marktzutritt und begrenzt die Marktchancen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In medienpolitischen Diskussionen hören wir immer: Die Zukunft ist digital, der Digitalisierung gehört die Zukunft. Wenn wir das ernst nehmen, dann muss uns angst und bange um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden, vor allem wenn wir das ernst nehmen, was die Kollegin Kipfer zitiert hat und was der Kollege Stächele im Namen der Landesregierung verkündet hat.
Denn wenn ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dem, was die Zukunft ausmacht, nämlich im digitalen Bereich, derart beschränke, wie es Herr Stächele befürwortet, dann wird dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk keine allzu große Zukunft mehr haben.
Mit der Vereinbarung, die man mit Brüssel getroffen hat, müssen wir dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Möglichkeit geben, hier aktiv zu werden. Wir haben schon heute das Problem, dass in der wichtigen Zielgruppe der bis zu 30-Jährigen immer weniger das Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten anschauen. Das heißt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich erstens überlegen, wie er sein Programm ändert. Zweitens muss, weil ebenda das digitale Angebot zukünftig eine ganz große Rolle spielen wird, hier etwas geschehen. Ansonsten müssen wir da wirklich schwarzsehen.
Meine Vorrednerin und mein Vorredner haben darauf hingewiesen: Fernsehen ist ein Kulturgut. Genau darum muss es gehen. Da fragt man sich: Weiß die rechte Hand in Brüssel eigentlich, was die linke Hand tut? Es gibt diesen Wettstreit zwischen Kulturgut und Wirtschaftsgut. Die Fernsehrichtlinie ist ein Ausdruck davon. Aber wir, die wir hier auch die Rundfunkstaatsverträge machen, in denen wir den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks klar definiert und diesen Auftrag festgelegt haben und in einem der letzten Verträge auch noch einmal erneuert haben, müssen das Anliegen haben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier sein Programm weiterhin als Kulturgut darstellen kann, dass wir weiterhin einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben.
Wir sind ja gerade dabei, Herr Kollege Stächele – wir laden Sie auch gern einmal zu der Sitzung ein –, mit allen Fraktionen einen Antrag zu machen, in dem es um die Frage „Medien und Kinderschutz“ geht. Herr Kollege Stächele, der von Ihnen oft so favorisierte private Hörfunk und das private Fernsehen sind da kein gutes Beispiel. Da werden Sendungen gezeigt, die mit Kinder- und Jugendschutz nun wirklich nichts mehr zu tun haben.
Wenn Sie sich für das duale System und speziell für den privaten Rundfunk schon so stark machen, dann wünschen wir auch, dass Sie mit diesen Herrschaften einmal eine Debatte über die Qualität ihres Programms führen. Schauen Sie sich einmal ein Format wie „Ein Land sucht den Superstar“ an. Schauen Sie sich an, was für eine Sendung das in Frankreich ist, die wirklich auch ernst zu nehmende Leute machen, und was für eine niederträchtige, man kann schon sagen unmoralische Schrottsendung hier in Deutschland von Herrn Bohlen & Co. dem Publikum vorgesetzt wird.
Genau das, meine Damen und Herren, müssen wir einmal diskutieren. Wir können nicht nur sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse beschränkt werden, sondern wir müssen, wenn wir schon über die Qualität reden, mit allen über die Qualität reden.
Wir begrüßen es natürlich, dass das Beihilfeverfahren eingestellt ist. Wir haben nämlich eine ganz andere Vorstellung als die EU-Kommission. Die Kollegin Kipfer hat zu Recht darauf hingewiesen: Wahrscheinlich in keinem anderen Land machen das private Fernsehen und die privaten Anbieter derart Druck und derartige Lobbyarbeit in Brüssel gegen das öffentlichrechtliche Fernsehen im eigenen Land. Ich will ihnen das gar nicht absprechen; das soll ihr gutes Recht sein. Aber wir
sollten dieses Spiel nicht mitspielen, sondern als Bundesland Baden-Württemberg eindeutig Stellung beziehen und uns auf die Seite derer stellen, die ein qualitativ hochwertiges Programm anbieten.
Herr Kollege Stächele, bis zu Ihren Äußerungen im Sommer bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass die Landesregierung nach den Scharmützeln in den Neunzigerjahren ihren Frieden mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschlossen hat. Es wäre mir recht, wenn Sie uns einmal eindeutig mitteilen würden, wie nach Ihrer Vorstellung das digitale Angebot im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aussehen soll. Das interessiert uns.
Herr Kößler, wenn Sie für die CDU-Fraktion so weit gehen, sind wir mit Ihrer Haltung einverstanden. Aber von der Landesregierung haben wir in der Vergangenheit leider andere Dinge gehört. Deshalb, Herr Stächele, sagen Sie uns, was eine 1:1-Umsetzung des Urteils für Sie konkret bedeutet und wie es mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im digitalen Bereich weitergeht.
(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Herr Kluck schafft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jetzt ganz ab! – Abg. Birgit Kipfer SPD: Freier Markt für alle!)
Überhaupt nicht! – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn schon ein Grüner schwarzsieht, dann muss es um die Kultur wirklich schlecht bestellt sein.
Haben Sie schon einmal „Boulevard ARD“ angeschaut? Wenn nicht, machen Sie das einmal. Das ist eines dieser Internetangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und offensichtlich gehört es auch zum Grundversorgungsauftrag, ein Horoskop zu stellen.
Wir befinden uns derzeit im Sternzeichen Schütze, und da empfiehlt der MDR für den Bereich „Beruf und Finanzen“ unter Berufung auf den Planeten Saturn, der gerade günstig steht: „Immer ein bisschen weniger ausgeben als einnehmen.“
(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das macht doch jetzt auch die Landesregierung! – Zuruf des Abg. Jür- gen Walter GRÜNE)
Aber leider, meine Damen und Herren, befolgen ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten diesen Rat nicht, was wir an den immer wiederkehrenden Erhöhungswünschen für die Rundfunkzwangsgebühr sehen.
Auf diesem „Boulevard“ ist auch unser SWR vertreten, und zwar mit dem Hinweis auf eine schwäbisch synchronisierte Parodie eines Agenten namens Jack Bauer, der die Welt schon unzählige Male vor Terrorangriffen und Atomkatastrophen gerettet hat. Da wird auch etwas über grünen Lifestil gesendet.
Würde man da die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens erläutern, hätte das ja etwas mit Grundversorgung zu tun. Aber da geht es mehr um schicke Ökogerichte und Naturklamotten.
Wenn das so weitergeht, meine Damen und Herren – das ist in dieser Debatte bisher überhaupt nicht gesagt worden –, dann entwickelt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk dank seiner Gebührenfinanzierung immer mehr zu einem wettbewerbsverzerrenden Multimediakonzern.