Aktuelle Debatte – Terrorgefahr und Terrorbekämpfung in Baden-Württemberg – Jüngste Erfolge und künftige Erfordernisse – beantragt von der Fraktion der CDU
Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde. Ich darf die Vertreter der Regierung bitten, sich ebenfalls an diesen zeitlichen Rahmen zu halten.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 4. September fand die größte Polizeiaktion im Kampf gegen den Terrorismus in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen erfolgreichen Abschluss. Mit einer bislang einmaligen konzertierten Aktion mehrerer Bundesländer konnten drei Terroristen gefasst und konnte vereitelt werden, dass diese in großem Umfang Bomben hätten herstellen können. Die Mittel, die sie zur Verfügung hatten, hätten ausgereicht, um mehrere Hundert Kilogramm Sprengstoff herzustellen, was wiederum ausgereicht hätte, um Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen in den Tod zu reißen. Sie hätten ein Vielfaches des Sprengstoffs herstellen können – um sich einmal die Dimension vor Augen zu führen –, den die U-Bahn-Bomber in London zur Verfügung hatten.
Herr Innenminister, ich möchte in diesem Zusammenhang den Sicherheitsbehörden des Landes – das Land Baden-Württemberg war an der Aktion maßgeblich, federführend beteiligt –, namentlich der Polizei und dem Landesamt für Verfassungsschutz großen Respekt und große Anerkennung zollen. Das war eine hervorragende Arbeit, die unter größten Anstrengungen über Monate hinweg geleistet wurde. Das muss einfach erwähnt werden. Das war eine grandiose Leistung. Ich bitte Sie, diesen Dank weiterzugeben.
Meine Damen und Herren, wir haben gelernt und erfahren: Es gibt eine neue Dimension terroristischer Bedrohung. Es waren nicht wie bisher Einzeltäter, sondern es war ein Netzwerk aus der islamischen Dschihad-Union mit der Bereitschaft, schlimmste Gewalttaten zu begehen. Es muss klar sein: 99 % der über drei Millionen Muslime in Deutschland leben hier friedlich und orientieren sich an unserer Rechtsordnung. 1 % – das sind ungefähr 30 000 – haben sich islamistischen Organisationen angeschlossen, und nur ganz wenige davon – nur ganz wenige – sind gewaltbereit. Aber um die geht es, und die müssen wir in den Griff bekommen und unter Beobachtung halten.
Neu ist auch, dass unter diesen gewaltbereiten Mitgliedern Konvertiten sind. Diese deutschen Staatsangehörigen, die zum
Islam gewechselt sind, können sich unauffällig in unserer Kultur bewegen, sind mit ihr bestens vertraut und können ihre Ziele perfekt verschleiern. Sie gehen ferner – auch das ist neu – in Terrorausbildungslager nach Pakistan und kommen zurück, um zu töten.
Meine Damen und Herren, ich fordere hiermit insbesondere auch die Islamorganisationen bei uns auf, selbst mit wachsam zu sein und uns zu melden, wenn sie irgendwelche verdächtigen Beobachtungen machen.
Fest steht: Mit bloßer Observation und der Hoffnung, es werde schon alles gut gehen, kommen wir nicht weiter.
Ich komme deswegen zu politischen Notwendigkeiten. Wir – der Justizminister und der Innenminister federführend – haben uns in der Koalition zwischen CDU und FDP/DVP auf eine Änderung des Polizeigesetzes geeinigt. Es ist ein Kompromiss zwischen den beiden Koalitionspartnern. Dieser Kompromiss – ich brauche nicht näher darauf einzugehen – ist ein wichtiges Handwerkszeug für die Polizei, aber wir von der Union sagen: Es reicht noch nicht aus.
Wir brauchen darüber hinaus zur Terrorismusbekämpfung die präventive Telekommunikationsüberwachung. Wir brauchen auch die Onlinedurchsuchung und müssen auch in unserem Landesrecht die Möglichkeit zur Onlinedurchsuchung vorsehen.
Gestern verhandelte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erstmals über das entsprechende Gesetz zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen. Meine Damen und Herren, das, was Nordrhein-Westfalen geregelt hat – der dortige Innenminister gehört übrigens der FDP an –, ist nicht mit dem identisch, was wir uns vorstellen. Wir wollen nicht eine Generalklausel, sondern wollen für Polizei und Verfassungsschutz mit Richtervorbehalt – streng orientiert an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den rechtsstaatlichen Vorgaben – eine eng begrenzte Ermächtigungsgrundlage schaffen.
Die Onlinedurchsuchung, meine Damen und Herren, ist sehr aufwendig. Sie ist an jeden Einzelfall angepasst. Sie taugt überhaupt nicht als Massenermittlungsinstrument – entgegen dem, was in der politischen Diskussion auch hier im Haus immer wieder behauptet wird.
Deshalb bitte ich, hier keine Horrorszenarien von einem Überwachungsstaat aufzumachen. Der Innenminister wird nicht „in jedem PC sitzen“. Es geht um eine Handvoll oder um maximal zwei Hände voll von Fällen im Jahr. Mehr ist technisch überhaupt nicht möglich.
Deswegen, verehrter Kollege Kluck: Ihre vielleicht flapsig gemeinte Äußerung „wenn fünf Millionen Computer von türkischen Friseuren durchsucht würden“ mag man in die kabarettistische Abteilung ablegen. Aber gehen Sie bitte ernsthaft mit diesem Thema um. Wir dürfen hier keine Ängste in der Bevölkerung schüren.
Ich finde es bedenklich, wenn bemängelt wird, dass kein konkretes Beispiel für die Notwendigkeit der Onlinedurchsuchung genannt werde. Meine Damen und Herren, konkrete Ermittlungsdetails darf man nicht in der Öffentlichkeit austauschen. Deswegen darf man so etwas auch nicht auf dem offenen Markt austragen.
Ich finde es bedenklich, dass der Herr Justizminister gestern verkündet hat, die Onlinedurchsuchung stelle jeden Bürger unter Generalverdacht. Was soll denn das heißen? Wenn der Staat Rechtsgrundlagen schafft, stellt er damit jeden Bürger unter Generalverdacht? Das verstehe ich nicht. Nach dieser Logik stünde jeder Bürger unter dem Generalverdacht, ein Mörder zu sein. Denn für Mord gibt es einen Straftatbestand. Es kann doch nicht sein, dass durch die Schaffung einer Rechtsgrundlage – Herr Justizminister, jetzt sehe ich Sie – ein Generalverdacht ausgesprochen wird.
Alle Praktiker sagen: Wir brauchen die Onlinedurchsuchung. Ich nenne stellvertretend nur den BKA-Präsidenten, der sich gestern vor dem Bundesverfassungsgericht entsprechend geäußert hat. Ich darf aus der „Stuttgarter Zeitung“ zitieren, Herr Präsident:
Die terroristischen Netzwerke und ihre hervorragend ausgebildeten Mitglieder nutzten das Internet, die elektronischen Systeme und die neuen Verschlüsselungstechniken und schafften sich so „verfolgungsfreie Räume“. Auch bei der jüngsten Aktion … sei es der Polizei nicht gelungen, in das Terrornetzwerk … „wirklich einzudringen“. Die Polizei müsse beim „digitalen Quantensprung“, den Terroristen und organisierte Kriminelle bereits vollzogen hätten, wieder aufholen. Ohne Onlinedurchsuchung stünden die Ermittler „in naher Zukunft vor fast unlösbaren Problemen“.
Meine Damen und Herren, wir können es uns nicht länger leis ten, von den Hinweisen der Geheimdienste anderer Länder abzuhängen. Wer weiß übrigens – nebenbei bemerkt –, wie die Amerikaner ihre Erkenntnisse gewinnen, aufgrund denen wir unsere Fahndungserfolge erzielt haben? Nach Ihrer Logik müsste man konsequenterweise darauf verzichten, diese Erkenntnisse zu verwenden – mit der Folge, dass 500 kg Sprengstoff hätten hergestellt werden können.
Ich finde es ärgerlich, wenn gesagt wird, die Onlinedurchsuchung sei unnötig, weil der jüngste Erfolg ohne Onlinedurchsuchung erzielt worden sei. Um welchen Preis? Es wäre schneller gegangen, und wer weiß: Das nächste Mal klappt es vielleicht nicht.
hochaktuell, weil sich gestern der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf Verfassungsbeschwerden hin in der Tat mit dem nordrhein-westfälischen Polizeigesetz befasst hat. Danach ist schon erkennbar, dass das, was – hier jedenfalls – als Absicht erklärt wurde, nicht ohne Weiteres mit der Verfassung vereinbar ist. Dies ist den Äußerungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Papier, ganz deutlich zu entnehmen.
Das Thema ist also aktuell und geradezu geeignet, ein Problem anzusprechen, das eigentlich uns alle beschäftigen sollte und das im Zusammenhang mit der Novelle des Polizeigesetzes seit Monaten ansteht.
Wenn mit dem Titel der Aktuellen Debatte „Terrorgefahr und Terrorbekämpfung in Baden-Württemberg – Jüngste Erfolge und künftige Erfordernisse“ beabsichtigt war, einen Dank einzufordern, dann darf ich für meine Fraktion zum wiederholten Male sagen, dass wir selbstverständlich sowohl dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin als auch der Antiterrordatei, als auch den Bundesbehörden in Kooperation mit den Landesbehörden, als auch den Landesbehörden der einzelnen Bundesländer angesichts der dabei geleisteten Zusammenarbeit sowie allen Überwachungs- und Vollzugskräften ausdrücklich Dank und Anerkennung aussprechen. Gute Arbeit! Prima! So ist es in Ordnung!
Das bedeutet aber – das ist das Wichtige –, dass auch ohne Onlineüberprüfung die Mechanismen und Möglichkeiten ausgereicht haben, um Fahndungsergebnisse zu erbringen und Beweise sicherzustellen, die den Zugriff ermöglicht haben. Alle Informationen, Herr Kollege Blenke, belegen, dass die Abwehrmechanismen greifen. Es gibt also weder Anlass für Hysterie noch für Aktionismus. Dabei steht inzwischen wohl fest, dass im konkreten Fall eine Onlinedurchsuchung die Ermittlungen weder verkürzt noch sie weniger personalintensiv gestaltet hätte. Ein derartiger Vorgang wäre der ideale Fall gewesen, um überzeugende Gründe für diese Fahndungsvariante vorzubringen. Nichts davon!
Trotz dieses großen Erfolgs ist allerdings besorgniserregend, dass allein bei den Einsätzen gegen die drei Verdächtigen schon 67 000 Überstunden angefallen sind. Eine vergleichbare Überwachung der rund 130 weiteren Personen mit islamistischem Aktionspotenzial in Baden-Württemberg würde den Personalrahmen absolut sprengen.
Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch, dass in Friedrichshafen geheime Informationen aus der Terrorabwehr in den Presseverteiler geraten sind – eine Panne, die sich zum Verhängnis hätte entwickeln können. Das belegt, dass Qualität und Zuverlässigkeit in der modernen Ermittlungstätigkeit mindestens so wichtig sind wie neue Zugriffsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang ergeben sich auch ständig neue Herausforderungen, die wir Ihnen, Herr Innenminister, und Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehlen, sowohl hinsichtlich dessen, was sich technisch entwickelt, als auch was umgekehrt an neuen Strukturen festgestellt werden kann.
Ich glaube, dass damit ausreichend gedankt ist. Der Erfolg ist gewürdigt, die Risiken sind angesprochen, und falschen Schlussfolgerungen ist vorgebeugt worden. Wenn damit dann nur noch das Schlagwort „künftige Erfordernisse“ bleibt, dann
ist es für uns von besonderer Bedeutung, dass genau in einer Phase, in der das Parlament seit Monaten auf das neue Polizeigesetz wartet, in einer Aktuellen Debatte wesentliche Inhalte, die wir gern sachlich miteinander diskutieren würden, sozusagen en passant erledigt werden.
(Abg. Thomas Blenke CDU: Das liegt an der Rede- zeitbegrenzung! – Zuruf von der CDU: Deshalb sind wir an der Regierung!)
Das ist nicht in Ordnung, denn es ist wirklich notwendig, in der Sicherheitspolitik kompetent miteinander die Einzelheiten abzuklären. Wenn wir auch noch feststellen, dass in der Regierung unterschiedliche Auffassungen in einem durchaus wichtigen Punkt bestehen, dann finden wir es nicht gut, dass hier in einer Aktuellen Debatte ein derartig wichtiges sicherheitspolitisches Thema so nebenher erledigt werden soll.
Wir meinen, dass wir uns als Fachpolitiker ohne Zeitdruck und ohne vordergründige Erwägungen – „Was meint man draußen?“ – miteinander darüber unterhalten müssten, welche Methoden, welche Möglichkeiten gegeben sind. Ich habe nichts zu dem gehört, was die eigentlichen Probleme, Herr Kollege Blenke, betrifft, die wirklich gegeben sind, etwa Fragen der Personal- und Sachausstattung. Mein Kollege Gall wird in der zweiten Runde diese wichtigen künftigen Erfordernisse der Sicherheitspolitik im Land ansprechen.
Ich darf noch sagen: Sicherheitspolitik ist eine absolute Gemeinschaftsaufgabe. In all den Jahren waren wir immer in allen wesentlichen Anforderungen bereit, auf sachlicher Grundlage miteinander alle Möglichkeiten zu diskutieren. Aber es gibt dabei sicherheitspolitische Leitlinien. Die werden auch heute wieder sehr leicht zur Seite geschoben. Für uns gilt: Einen Präventionsstaat, der auf der Suche nach Gefahrenquellen auch Unbeteiligte überwacht und kontrolliert, wollen wir nicht.
Ich sage es noch einmal: Einen Präventionsstaat, der auch Unbeteiligte überwacht, um irgendwelche allgemeinen Erkenntnisse zu gewinnen, wollen wir nicht. Das entspricht nicht unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Eine moderne Bürgerrechtspolitik muss deshalb klare Grenzen setzen. Dazu gehört für uns: kein Einsatz der Bundeswehr im Innern, Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, keine Relativierung von Menschenwürde und Folterverbot.
Ich wiederhole es: kein Einsatz der Bundeswehr im Innern, Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, keine Relativierung von Menschenwürde und Folterverbot.
Bei der Onlinedurchsuchung gibt es überhaupt keine Frage: Wir lehnen sie ab, weil in der Abwägung von Bürgerrechten und Freiheitsrechten gegenüber Sicherheitsbedürfnissen bisher ohne jeden objektiven Nachweis behauptet wird,