Schauen wir noch einmal zurück, worum es geht. Seit fast 60 Jahren ist der Gleichstellungsgrundsatz im Grundgesetz verankert – dank der vier „Mütter“ des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat, die das unter der Führung von Elisabeth Selbert gegen den übermäßigen Anteil der Männer dort durchgesetzt haben. Es dauerte aber noch viele Jahrzehnte, bis sich das dann in jeder Rechtsprechung widergespiegelt hat. Noch in den Achtzigerjahren gab es Klagen bis zum Bundesverfassungsgericht. Als letzte Regelung ist die Namensregelung als nicht verfassungskonform gekippt worden, weil dort durch die Festsetzung „Im Streitfall wird der Name des Mannes Familienname“ klar war, dass letztlich der Mann entscheiden kann, welcher Name der Familienname wird.
In dieser Phase, Herr Kollege Hoffmann, in der wir fragen müssen, was nach dem Nötigen auch möglich ist, befinden wir uns heute noch immer. Denn nachdem die Gesetzesvorhaben erst einmal angepasst sind, geht es jetzt auch darum, die Umsetzung der Rahmenbedingungen sicherzustellen, sodass wirklich eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle Beteiligten – für die jungen Mütter wie auch für die jungen Väter – hergestellt wird. In diesem Prozess befinden wir uns noch.
Dabei geht es darum, nach außen nicht das Signal zu vermitteln, dass es hier um quantitative Betrachtungen, um Bevormundungen oder um die Bevorzugung bestimmter Entwicklungs- und auch Familienmodelle gehe, sondern zu vermitteln, dass nicht schon die Rahmenbedingungen signalisieren dürfen: Eigentlich erwarten wir doch tendenziell eher, dass sich die Frau um die Familie kümmern sollte. Denn erst wenn die Rahmenbedingungen wasserdicht sind, kommen wir zu der wirklich schwierigen Stufe, nämlich zu der Veränderung der Mentalität und damit zu der wirklichen Gleichberechtigung, wie wir sie anstreben.
Zwei Beispiele aus meinem Familien- und Bekanntenkreis mögen Ihnen das verdeutlichen. Eine junge Mutter mit vier Kindern, die immer voll berufstätig war, sucht nach einer befristeten Stelle einen neuen Job. Sie wird trotz hoher Qualifikation und jungem Alter nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Jahre später trifft sie auf Konferenzen und Kongressen viele der Arbeitgeber, bei denen sie sich früher beworben hatte. Man spricht miteinander, und dann sagt einer der Arbeitgeber: „Ich hatte vor ein paar Jahren einmal eine freie Stelle, für die Sie doch genau geeignet gewesen wären. Warum haben Sie sich nicht beworben?“ Sie muss dann sagen: „Ich habe mich beworben.“ Dann kommt die Reaktion: „Waren Sie etwa die Frau mit den vier Kindern? Ich habe Sie sofort aussortiert.“
Das zeigt, dass es oft überhaupt nichts oder nicht alleine nützt, dass Kinderbetreuung so organisiert wird, dass Frauen die Arbeitsmöglichkeiten auch wahrnehmen können. Vielmehr muss auch der Mentalitätswechsel stattfinden, dass sich eine Frau nicht dafür rechtfertigen muss, Kinder bekommen zu können oder möglicherweise schon bekommen zu haben. Erst dann ist in diesem Punkt wirklich eine Gleichberechtigung hergestellt.
Ein zweites Beispiel: Als ich 1999 wieder für den Gemeinderat kandidiert habe und gefragt wurde, wie meine Lebenssituation sei – ich war damals jugendpolitischer Sprecher der
SPD-Gemeinderatsfraktion –, habe ich dargestellt, dass ich in Teilzeit arbeite und mich in der anderen Zeit um meine Familie kümmere. Nachdem das in der Zeitung stand, haben mich mehrere Kollegen aus meiner Partei angerufen und gesagt: „Diesen Eindruck, du seist ein halber Hausmann, den müsstest du besser vermeiden. Das kommt nicht gut an.“
Wir reden hier offen, Herr Hoffmann. – Ich könnte Ihnen auch mit vielen anderen Beispielen demonstrieren: Erst wenn auch ein Mann sich nicht mehr dafür rechtfertigen muss, dass er sich um die Familie kümmert, haben wir den mentalen Sprung geschafft, dass Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf allen vier Schultern lasten, nämlich sowohl auf den Schultern der jungen Mütter als auch auf den Schultern der jungen Väter.
(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord- neten der FDP/DVP – Abg. Carla Bregenzer SPD: Genau!)
Was bedeutet das aber ganz konkret, und was können wir heute initiieren, damit wir auf diesem Weg vorankommen? Da nehme ich den Ball von Frau Dr. Arnold auf, die sich mit der Finanzierung des gemeindeübergreifenden Kinderbetreuungs angebots beschäftigt hat. Da ist es noch einmal ganz wichtig festzustellen, wie es überhaupt zu dieser Renaissance der Betriebskindergärten kam. Da war die Firma Wintershall in Kassel eine führende Größe, die schon in den Neunzigerjahren ihr Kinderhaus „Kiwi“ mit der klaren Perspektive eingerichtet hat: Wir wollen endlich auch in der Führungsetage Frauen haben. Bei Umfragen bei ihren Mitarbeiterinnen haben sie festgestellt, dass das Angebot für Frauen dann interessant wird, wenn es auch eine Kinderbetreuung vor Ort gibt. Sie haben es innerhalb weniger Jahre geschafft, dass nicht nur 10 % – vorher waren es 0 % – ihrer Führungsetage weiblich war, sich die Zahl der Kinder im Betrieb fast verdoppelt hat und das Kinderhaus relativ schnell an seine natürlichen Grenzen kam, sondern sie haben es auch geschafft, dass sich die Erziehungszeit, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genommen wurde, von zweieinhalb bis fast drei Jahren auf etwa ein halbes bis ein Dreivierteljahr verkürzt hat. Das war dann der betriebswirtschaftliche Nutzen dieses Kinderhauses.
Was bedeutet das aber? Es bedeutet, dass viele dieser Eltern nur dann bereit sind, dieses Angebot der Kinderbetreuung anzunehmen, wenn sie wissen, das es in unmittelbarer Nähe zu ihrem Arbeitsplatz ist. Denn je jünger das Kind ist, umso stärker ist das Bedürfnis der Eltern, eventuell einmal in einer Arbeitspause nach dem Kind zu gucken. So müssen sie, falls es Probleme gibt, nicht 30 bis 50 km fahren, um wieder an den Heimatort zu kommen.
Herr Hoffmann, auch ich sehe die pädagogischen Vorteile, wenn die Kinder dort in die Kinderbetreuungseinrichtung gehen, wo sie die Freundinnen und Freunde treffen, die sie auch nachmittags treffen können. Ich sehe und akzeptiere aber auch den Anspruch und das Bedürfnis der Eltern, zu sagen: Mir ist
es aber vor allem für kleine Kinder wichtiger und sicherer, wenn die Betreuung in der Nähe des Betriebs stattfindet.
Diese Betriebe mit Kinderbetreuungsangeboten gibt es jetzt. Es ist heute schon mehrfach an die Betriebe appelliert worden, hier tätig zu sein. Wie fühlen sich aber diese Betriebe in Baden-Württemberg? Da gibt das Schreiben des Baden-Würt tembergischen Industrie- und Handelskammertags von heute Auskunft:
Am schwierigsten wird es, wenn sich Eltern für eine arbeitsplatznahe Betreuung entscheiden und weder Wohnort noch Arbeitsort zur Finanzierung bereit sind.
Ich bin sehr froh, Frau Arnold, dass Sie sagen, dass das bis ins Kabinett gekommen ist. Noch im April und Mai dieses Jahres haben wir im Schulausschuss darüber diskutiert. Da ist dargestellt worden, es gebe nur 500 Fälle, die streitig sind. Aber wir alle wissen: Diejenigen, die bis vor das Gericht gehen, sind eine Minderheit. Die anderen versuchen, das anders zu organisieren. Gegenüber der Aussage vom Dezember, wonach es angeblich nur ganz wenige Streitfälle, nämlich weniger als 20, gebe, war das immerhin schon ein Fortschritt an Erkenntnis. Hier wäre ein konkretes Beispiel, deutlich zu machen, dass wir die Rahmenbedingungen wirklich so verändern wollen, dass die Eltern Wahlfreiheit haben.
Aber dazu, Frau Arnold, brauche ich keine Serviceeinrichtung, dazu brauche ich kein Abstimmen der Ministerien, sondern dazu brauche ich einfach nur die Übertragung einer Regelung in die Landesverfassung, wie wir sie in Brandenburg und anderswo haben, die einfach die Gleichwertigkeit der Finanzierung dieser Plätze unabhängig vom Wohnort sicherstellt. Dann kann ich es den Kommunen überlassen, das untereinander auszugleichen.
Ich lade Sie ein: Lassen Sie uns bei diesem kleinen Thema und bei vielen kleinen Einzelthemen beweisen, dass wir in der Lage sind, die Rahmenbedingungen wirklich so zu gestalten, dass die Eltern Wahlfreiheit haben, dass sich ein gleichwertiger Ansatz nicht an dem orientiert, wie sich die Kommunen bis dahin aufgestellt haben, sondern dass man akzeptiert, welche Wünsche und auch welche Bedürfnisse die Eltern berechtigterweise haben. Dann, denke ich, haben wir einen wesentlichen Schritt erreicht, um wirklich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf herzustellen.
Ich lade Sie ein, an diesem Punkt jetzt mit uns Nägel mit Köpfen zu machen und nicht noch monatelang darüber zu philosophieren und neue Gremien einzurichten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Führende CSU-Politiker – Stoiber, Huber und die bayerische Sozialministerin Stewens – und jetzt auch der Kollege Mappus, der sich ja auch zu den Führern der Konservativen in der CDU zählt, haben als Antwort auf die Forderung nach mehr Betreuungseinrichtungen durch den Staat gefordert, dass als Kompensation dafür den Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen möchten, ein Betreuungsgeld gezahlt werden muss, und haben das bei den Koalitionsgesprächen als Bedingung dafür genannt, um dem Programm von Bundesministerin von der Leyen überhaupt zuzustimmen. Sie haben das damit begründet, dass Familien, die ihre Kinder zu Hause erziehen, dadurch eine gesellschaftliche Anerkennung erhielten, und die Sozialministerin Stewens hat das als eine Frage der Gerechtigkeit bezeichnet.
In der heutigen Debatte ist ganz klar geworden: Kinderbetreuungseinrichtungen sind gesellschaftlich notwendig, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten und um Wahlfreiheit überhaupt erst zu ermöglichen. Das scheint mir bei einer noch nicht einmal zehnprozentigen Quote von Kinderbetreuungseinrichtungen in Baden-Württemberg ganz evident zu sein.
Aber es geht ja nicht nur um eine Frage der Wahlfreiheit, sondern auch um eine Frage der Chancengleichheit, weil alle Untersuchungen zeigen, dass Länder wie z. B. Dänemark und Schweden, die 70 % in Betreuungseinrichtungen stecken und nur 30 % als Transferleistungen gewähren – bei uns ist es genau umgekehrt –, Kinderarmut viel stärker vermeiden als Länder wie Baden-Württemberg, die den Großteil des Geldes in Transferleistungen und einen nur geringen Teil in Betreuungseinrichtungen stecken.
Es ist klar: Diese Plätze sind teuer. Sie kosten zwischen 500 € und 1 000 € monatlich. Es ist keine Frage, dass die Menschen, die Kinder haben und Familie und Beruf vereinbaren wollen und arbeiten müssen, das nicht selbst bezahlen können. Also ist hier der Staat subsidiär gefordert, indem er sowie die freien Träger solche Einrichtungen ermöglichen, damit diese Wahlfreiheit faktisch überhaupt besteht. Das heißt, die Schaffung von Betreuungseinrichtungen ist ein Akt der Subsidiarität des Staates, eine Aufgabe des Staates, die notwendig ist wie nie zuvor. Die Kollegin Brunnemer hat ja deutlich gemacht: Nur noch 5 % der jungen Frauen wollen nur zu Hause sein, wollen Hausfrau und Mutter sein. Die anderen wollen Familie und Beruf vereinbaren.
Nun führen ausgerechnet konservative Politiker – wie hier der Kollege Mappus – das Betreuungsgeld als Kompensationsleis tung für Familien an, die Kinderbetreuungseinrichtungen nicht in Anspruch nehmen.
Man muss sich einmal vorstellen, was dies eigentlich bedeutet. Das ist die Theorie des entgangenen Gewinns.
(Beifall der Abg. Edith Sitzmann und Franz Unter- steller GRÜNE – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist nur anständig!)
Jeder, der Leistungen, die der Staat vorhalten muss, nicht in Anspruch nimmt, soll dafür nun entschädigt werden. Meine Damen und Herren von der CDU, das ist vulgär links. Damit überholen Sie die PDS und Die Linke.
Wenn Sie dies einmal durchdenken, werden Sie erkennen: Dieses Verfahren führt sofort zum Ruin der Staatsfinanzen. Stellen Sie sich einmal vor, dass alle Eltern, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken, Ersatz für die Kosten fordern, die dadurch verursacht werden. So weit sind wir inzwischen nämlich schon. Dies wird mehr und mehr gefordert.
Stellen Sie sich weiter vor, dass die Kinder, die nicht das Gymnasium besuchen, nun eine Kompensation dafür einfordern, dass sie die teuren Gymnasialplätze, diese Leistung des Staates, nicht in Anspruch nehmen.
Denken Sie schließlich auch an die Leute, die lieber auf einen Fußballplatz anstatt in die Stuttgarter Oper gehen.
Ein Platz in der Stuttgarter Oper wird ja zu ca. 80 % vom Staat subventioniert. Stellen Sie sich vor, dass diese Leute, da sie die Oper nicht in Anspruch nehmen, weil es ihnen dort nicht gefällt, für eine Eintrittskarte für den Fußballplatz – dort findet ja auch eine kulturelle Veranstaltung statt – auch etwas vom Staat wollen.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Kindergeld ab- schaffen, oder?)