Protocol of the Session on October 10, 2007

Was das sogenannte Flatratetrinken angeht, sind wir uns hier im Raum, glaube ich, alle einig. Die Innenministerkonferenz hat am 1. Juni 2007 beschlossen, dass sie die Möglichkeit eines Verbots prüfen wolle. Ich bin der Meinung, dass das nötig ist. Das Gaststättengesetz an sich reicht offensichtlich nicht aus. Wie auch die Kollegin Lösch gesagt hat, reicht es auch nicht, wenn irgendetwas theoretisch verboten ist; das muss eben auch in die Praxis umgesetzt werden. Ich sehe kein Problem darin, das Gaststättengesetz diesbezüglich um einen oder zwei Sätze zu erweitern.

Ebenfalls ein großes Anliegen ist uns das Thema „Verkauf von Alkohol an Tankstellen“ – das ist schon angeklungen. Alkohol ist kein Reiseproviant und hat im Straßenverkehr eigentlich sowieso nichts zu suchen. Wir verbieten ja auch das Anbieten von Alkohol an Automaten, weil der Zugang zu einfach ist. Wir halten also an unserer Forderung fest, den Verkauf hochprozentiger alkoholischer Getränke an Tankstellen als Reiseproviant zu verbieten.

All das bringt aber nichts, wenn es nicht auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruht. Insofern halten wir unsere Anregung, auch die kommunalen Landesverbände zu sensibilisieren, weiterhin für wichtig, auch wenn wir feststellen können, dass in vielen Landkreisen in dieser Beziehung schon sehr viel läuft. Aber ich denke, wir dürfen das Thema nach einer gewissen Öffentlichkeitswirksamkeit nicht wieder auslaufen lassen, sondern müssen unbedingt dranbleiben.

Ich möchte Sie noch einmal bitten, diesem umfassenden Antrag von FDP/DVP und CDU zuzustimmen. Wir dürfen nicht länger tatenlos zusehen, wie sich Teile unserer Jugend schädigen und krankenhausreif trinken. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie sie möglicherweise ihr Leben verpfuschen. Ich muss sagen: Immer nur zu analysieren und die Situation zu beschreiben bringt uns nicht weiter. Wir müssen handeln. Daher noch einmal meine herzliche Bitte, im Konsens zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die SPD-Fraktion erhält Frau Abg. Haußmann das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der „Stuttgarter Zeitung“ erschien kurz vor der Sommerpause, nämlich am 25. Juli dieses Jahres, ganz versteckt auf der hinteren Seite unter der Überschrift „Nach Komasaufen – Wirt muss in Haft“ eine kurze Meldung, wonach gegen einen Wirt, in dessen Kneipe ein 16-jähriger Schüler bei einem Wetttrinken ums Leben gekommen ist, Haftbefehl erlassen wurde. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Körperverletzung mit Todesfolge vor.

Ich sage ganz bewusst: Ich begrüße diese Maßnahme gegen jeden, der junge Menschen zum Alkoholmissbrauch verleitet. Gegen jeden, der die geltenden Jugendschutzbestimmungen aus Gewinnsucht mutwillig verletzt, muss mit aller Härte vorgegangen werden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU so- wie des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Ich will an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung rufen – das kann man gar nicht oft genug wiederholen –, dass Bier

und Wein erst an Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr verkauft oder ausgeschenkt werden dürfen und dass branntweinhaltige Getränke nur an Personen ab dem 18. Lebensjahr abgegeben werden dürfen.

Wir sollten uns auch in Erinnerung rufen, dass unabhängig davon, wie alt jemand ist, ein Wirt einem Volltrunkenen keinen weiteren Alkohol ausschenken darf, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Aber wie wir alle wissen, sieht die Realität ganz anders aus. In der Realität wird tagtäglich gegen diese Regelungen verstoßen. In Kneipen, in Läden und nachts an der Tankstelle ist es für Jugendliche in diesem Land kein Problem, an Alkohol heranzukommen, auch dann, wenn sie bereits erkennbar einen Vollrausch haben.

Die Jugendschutzgesetze sind ausreichend; ich sage das sehr nachdrücklich. Wir haben aber offenkundig ein massives Vollzugsproblem. Die Antwort darauf kann nur heißen: Wir müssen dafür sorgen, dass der Verstoß gegen Jugendschutzgesetze nicht länger als Kavaliersdelikt betrachtet wird. Wirte und Händler, die dagegen verstoßen, müssen auch dafür belangt werden. Hier sind die Aufsichtsbehörden und die Polizei massiv gefordert.

Ich erwarte deshalb von der Landesregierung endlich einen Maßnahmenkatalog, der die bestehenden Vollzugs- und Aufsichtsdefizite entschlossen angeht. Es nützt nichts, nur nach schärferen Gesetzen zu rufen. Eigentlich müssten die geltenden Gesetze ausreichen, um Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen zu verhindern. Aber wir alle wissen, dass dies nicht der Fall ist, und wir wissen auch, dass schärfere Gesetze, deren Einhaltung nicht überwacht wird, an diesem Umstand nichts ändern werden.

Über das Verbot von sogenannten Flatratepartys kann man reden. Aber auch hier gilt: Was nützt ein solches Verbot, wenn an Minderjährige weiterhin harter Alkohol ausgeschenkt wird? Findige Wirte werden nach einem Verbot neue Schlupflöcher finden – und sei es, dass man beim Kauf eines Glases Milch eine Flasche Wodka dazugeschenkt bekommt. Es findet sich doch immer ein Weg, Jugendlichen Alkohol zugänglich zu machen.

Eine sinnvolle Maßnahme wäre sicher das Verbot des Verkaufs alkoholischer Getränke an Tankstellen. Zum Reisebedarf gehören diese Getränke nicht. Wir müssen hier endlich die Jugendschutzinteressen höher gewichten als die Geschäftsinteressen der Tankstellenbesitzer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit Blick auf die jungen Menschen ist Prävention enorm wichtig. Alkoholexzesse kommen nicht von ungefähr in einer Lebensphase vor, in der junge Menschen vieles aus Neugier ausprobieren. Hier muss Prävention ansetzen – und sei es bei der Konfirmation, lieber Kollege. Das von Ihnen geschilderte Erlebnis ist mir neu. Bei der Konfirmation Wein zu trinken war jetzt heute für mich etwas völlig Neues.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Mal nippen! Das durfte man damals!)

Vielleicht war das vor langer, langer Zeit.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So jung sind Sie auch nicht mehr!)

Ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol muss gelernt werden, und es muss vermittelt werden, dass ein Vollrausch kein harmloser Ausrutscher ist, lieber Kollege Noll, sondern lebensbedrohliche Folgen haben kann.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ja!)

Denn alle Statistiken zeigen uns: Je früher junge Menschen mit Alkohol, Komasaufen und allem, was dazugehört, beginnen, desto eher wird die Alkoholkarriere manifestiert.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ich stimme ja zu!)

Deshalb brauchen wir mehr Prävention, und wir brauchen zielgruppenspezifische Prävention. Darüber wird in diesem Haus sicher Einigkeit bestehen. Die Landesregierung muss sich aber vor diesem Hintergrund schon fragen lassen, warum es nur in 33 der 44 Stadt- und Landkreise kommunale Beauftragte für Suchtprophylaxe gibt. Das bedeutet, dass solche Suchtbeauftragte in einem Viertel der Kreise fehlen. Ich sehe Sie da schon in der Verantwortung, lieber Herr Staatssekretär; die Frau Ministerin ist ja heute Nachmittag nicht da. Da muss man wirklich vor Ort noch einmal mit den Bürgermeistern und den kommunalen Verbänden reden, damit wir hier endlich im Bereich der Prävention einen großen Schritt nach vorn machen.

Wir erwarten von der Landesregierung auch eine Präventionsoffensive. Es reicht eben nicht aus, nach jedem spektakulären Einzelfall reflexhaft nach schärferen Gesetzen zu rufen und dann, wenn die Empörung wieder abebbt, erneut zur Tagesordnung überzugehen. Das reicht uns nicht. Dabei sind Sie – ich sage das aus tiefster Überzeugung – sehr in der Pflicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da reicht mir ein Antrag zum Thema Komasaufen nicht, sondern ich will wissen, was Sie in der Praxis tun, damit wir Jugendliche von der Droge Alkohol fernhalten.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatssekretär Hillebrand das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus vielen Vorrednerbeiträgen ist deutlich geworden: Die Themen „Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen“ und „Komatrinken oder Komasaufen von Jugendlichen“ bewegen zu Recht die Gemüter und erscheinen, wie Sie, Frau Haußmann, ja auch angeführt haben, fast täglich in den Schlagzeilen der Medien.

Nicht nur die Zahlen des Statistischen Landesamts, die Sie, liebe Frau Lösch, vorgetragen haben, belegen dies. Mir wird auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Kreisverbands Reutlingen des Deutschen Roten Kreuzes von den Rettungssanitätern immer wieder berichtet: Seit Beginn dieses Jahrtausends – das deckt sich mit dem, was Sie, Frau Lösch, an Zahlenmaterial vorgetragen haben – werden immer mehr Personen unter 20 Jahren wegen Alkoholkonsum ambulant oder stationär in unseren Krankenhäusern notfallmäßig behandelt.

Diese Entwicklung, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ist in der Tat erschreckend – nicht nur wegen der Todesfälle und der Alkoholvergiftungen, sondern auch weil die Gefährlichkeit von Alkohol für das jugendliche Gehirn außer Frage steht.

Ich denke, wir sind uns alle in diesem Hohen Haus einig – und die Landesregierung steht an der Spitze der Bewegung –, dass wir für die Suchtprävention, insbesondere für die Alkoholprävention, und zur Durchsetzung des Jugendschutzgesetzes auf allen Ebenen alles nur denkbar Mögliche tun müssen. Aufklärungsarbeit in Schulen, in Kommunen, durch die Polizei und alle gesellschaftlich relevanten Gruppierungen tut not und wird auch, wie viele Beispiele in unseren veröffentlichten Antworten zeigen, vor Ort vorbildlich geleistet. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich deshalb allen Bürgerinnen und Bürgern, den Lehrerinnen und Lehrern, der Polizei, den Kommunen, den kommunalen Suchtbeauftragten, die sich in dieser wichtigen Präventionsarbeit in vorbildlicher Weise engagieren, von dieser Stelle aus ganz herzlich Danke sage.

(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Reinhold Gall SPD: Also mir praktisch!)

Auch in Ihrem Namen, gern.

(Abg. Ute Vogt SPD: Nein! Er meint, an ihn geht der Dank! – Abg. Norbert Zeller SPD: Jetzt konkret!)

Ich denke, wir sind uns einig: Der Zugriff auf Alkohol muss für Jugendliche erschwert werden. Daher appelliere ich an die Gastwirte und die Diskothekenbesitzer in diesem Land, Alkohol in Maßen und nicht in Massen, verantwortungsbewusst im Rahmen des Jugendschutzgesetzes und des Gaststättengesetzes nur an Erwachsene auszuschenken.

Flatratepartys, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sind in Baden-Württemberg nicht zulässig. Ich bin deshalb dankbar dafür, dass unser Wirtschaftsminister Ernst Pfister dies bereits Anfang Juni in einem Erlass an die nachgeordneten Behörden, also an die für das Ordnungs- und das Gaststättenrecht zuständigen Stellen, klargestellt hat. Ministerin Dr. Stolz hat diese Klarstellung durch den Erlass ausdrücklich begrüßt, weil klar ist, dass durch diese Flatratepartys, bei denen es häufig zum Komasaufen kommt, dem Alkoholmissbrauch Vorschub geleistet wird.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 21. August dieses Jahres bestätigt, dass die Untersagung des Diskothekenbetriebs bei – ich setze das bewusst in Anführungszeichen – „Billigangeboten“ zulässig ist. Er hat festgestellt, das Verbot sei eine geeignete und verhältnismäßige Maßnahme. Jeder Wirt muss wissen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass bei einem solchen Verhalten seine Konzession auf dem Spiel steht und er sich auch strafbar machen kann.

Wir, das Sozialministerium als oberste Jugendschutzbehörde, behalten das Thema natürlich im Blick und werden, wo nötig, gegensteuern.

Liebe Frau Lösch, auch im repressiven Bereich tut die Polizei das Ihrige und leistet auf diesem nicht ganz einfachen Sektor gute Arbeit.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dem Alkoholkonsum kann aber gerade bei Kindern und Jugendlichen nicht nur ordnungspolitisch begegnet werden. Trotz aller Bemühungen, frühzeitig mit präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen zu beginnen, bleibt eine suchtfreie Gesellschaft leider Utopie. Unsere Gesellschaft muss sich deshalb sehr differenziert mit der Suchtproblematik auseinandersetzen. Welche Maßnahmen die Landesregierung im Einzelnen ergreift, haben wir in den Stellungnahmen zu den vorliegenden Anträgen ausführlich dargestellt. In den vergangenen Jahren wurden insbesondere in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs sehr gute Projekte zur Alkoholprävention bei Kindern und Jugendlichen entwickelt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Leider nur in 33! Das habe ich angesprochen!)

Ich komme noch darauf, Frau Haußmann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Land nimmt zur Förderung der Suchtprävention und für die Suchtberatungsstellen in nicht geringem Umfang Geld in die Hand.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Wie viel?)

Ich sage es Ihnen. Neben der Förderung von Pilotprojekten und den 28 Personalstellen für kommunale Suchtbeauftragte – das ist eine gemeinsame Aufgabe von Land und Kommunen, und hier finanziert das Land zunächst einmal 28 Personalstellen mit rund 500 000 € – fördern wir immerhin noch 417 Personalstellen in den psychosozialen Beratungs- und den ambulanten Behandlungsstellen mit jeweils 16 900 €. Das sind in der Summe rund 8 Millionen €.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wir müssen aber bei jedem Haushalt dafür kämpfen, dass die Gelder nicht gekürzt werden!)

Aber in den letzten Jahren, liebe Frau Haußmann, war dies immerhin einer der wenigen Bereiche, in denen es gelungen ist – und zwar über alle Fraktionen hinweg –, dass hier nichts gekürzt wurde.