Kaiserreich, der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise und die Inflation: An der Zielstrebigkeit der Menschen, das Bahnprojekt umzusetzen, hat es nie gefehlt. Auf ihre Tatkraft baut unser Wohlstand. Sie verpflichtet uns zu gleichen Anstrengungen. Nur so schaffen wir eine wirtschaftliche Perspektive für nachfolgende Generationen.
Den Stuttgarter Sackbahnhof im Zeitalter der Hochgeschwindigkeitszüge zu sanieren wäre eine falsche strategische Ausrichtung, keine lohnende Investition, rausgeschmissenes Geld, ja ein Anachronismus. Niemand fährt in der Formel 1 rückwärts aus der Boxengasse.
Einen lärmbelastenden Schienenstrang entlang des Neckars bis Plochingen und dann nach Wendlingen zu schlagen wäre eine ökologische Fehlentscheidung.
Der Kopfbahnhof war schon vor 100 Jahren nur die zweitbes te Lösung. Der Vorschlag des Ingenieurs Albert Spickerhof, einen Tunnel durch den Kriegsberg zu treiben – und zwar mit einem Durchgangsbahnhof mit Kellerstation –, war damals revolutionär und genoss große Sympathie. Er scheiterte aber nicht zuletzt an technischen Unzulänglichkeiten des Rangierbetriebs im Güterverkehr. Das ist Vergangenheit.
Auf 94,5 Millionen Mark belief sich der Kostenvoranschlag des damaligen Bahnhof- und Schienenprojekts. Für das Königreich Württemberg war das ein gewaltiger Kraftakt. Vergleicht man die Jahreseinkommen von damals und heute, entspricht dies heute dem Betrag von 2,6 Milliarden €.
Es ist verständlich, dass schon damals der parlamentarische Berichterstatter Dr. von Kiene die Stadt Stuttgart in die Pflicht nahm. Zwei Schultern haben früher die Last getragen. Es wäre mehr als enttäuschend, wenn die geballte Wirtschaftskraft aller Beteiligten die Finanzierung heute nicht gemeinsam schultern könnte. Dabei meine ich Europa, den Bund, das Land, die Region, die Stadt Stuttgart, den Flughafen und insbesondere die Bahn. Nur die organische Einbindung der Landesmesse und des Flughafens in das Netz der europäischen Ost-West-Magistrale gewährleistet, dass unser Land dauerhaft am wirtschaftlichen Erfolg in Europa teilnimmt.
Wir müssen das Herz dieser Lebensader bleiben und dürfen nicht zum Wurmfortsatz der europäischen Volkswirtschaft degenerieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr richtig! – Zuruf der Abg. The- resia Bauer GRÜNE)
Führten die Wege an Baden-Württemberg vorbei, könnten wir das Lied von der schwäbischen Eisenbahn um eine neue Strophe bereichern.
Es steht aber mehr auf dem Spiel als nur der abgerissene Kopf eines Geißbocks: Wir kappen unsere Lebensader, ersticken unsere Wirtschaftskraft und verbleiben mit der Biedermeierperspektive „Stocherkahnfahren auf dem Nesenbach“.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Seit wann gibt es da Stocherkähne? – Zurufe der Abg. Dietmar Bach- mann FDP/DVP und Winfried Kretschmann GRÜ- NE – Unruhe)
Das ist nicht unser Anspruch. Alle Unternehmen und insbesondere Projekte dieser Größenordnung beinhalten große Risiken, aber auch große Chancen. Sie erweisen niemandem einen Dienst, wenn Sie die Bürger mit technischen und finanziellen Risikophobien schrecken. Unsere Nachbarländer bauen auch Tunnel. Sie tun das nicht, weil sie einen Maulwurf im Wappen führten,
Risiken soll man nicht kleinreden. Unser Tunnelprojekt ist aber wie kein anderes Vorhaben auf Herz und Nieren geprüft. Wer Chancen nutzen will, muss Risiken beherrschen.
Mit Routine ist das nicht zu machen. Mit Routine versetzt man keine Berge. Man braucht Mut. Wichtiger Erfolgsfaktor ist aber eine unabhängige Kosten- und Projektkontrolle.
Der Arbeitstitel Stuttgart 21 hat sich erledigt. Das Konzept steht, das Signal ist gesetzt, die Weichen sind gestellt. Das Projekt „Baden-Württemberg 21“ mit der Schnellbahntrasse nach Ulm kann Fahrt aufnehmen. Das Ziel ist noch weit, aber auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört sich eigentlich, Herr Kollege Palmer, dass man auf ein paar Ihrer Argumente antwortet, wenn das nun Ihre letzte Rede im Landtag gewesen ist.
Zuerst zu dem Stichwort „Baden-Württemberg 21“. Wir haben nie lediglich die Neubaustrecke Stuttgart–Ulm und Stuttgart 21 als „Baden-Württemberg 21“ betrachtet. Herr Kollege, wir sind der Auffassung, „Baden-Württemberg 21“ beinhaltet sowohl Stuttgart 21 und die Neubaustrecke als auch den viergleisigen Ausbau der Rheintalstrecke und den Ausbau bei Mannheim.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Straßburg gehört auch dazu!)
Das sind vier große Schienenprojekte, die Aufwendungen in Höhe von 10 Milliarden € erfordern werden. Das ist für uns „Baden-Württemberg 21“ – und nicht nur der eine Streckenabschnitt.
Zu den Kolleginnen und Kollegen der CDU sage ich: Wer sich jetzt mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke – die wollen wir alle – so sehr beschäftigt, der muss sich – und das werden wir im Herbst machen – auch mit der Rheintalstrecke und dem, was damit zusammenhängt, beschäftigen.
Das ist nicht „schon längst gemacht“, wie Sie erkennen können, wenn Sie etwa nach Offenburg schauen. Damit müssen wir uns auch beschäftigen. Denn wer hier menschenfreundliche und umweltfreundliche Planung umsetzen will, der muss das auch an der Rheintalstrecke machen. Deswegen muss sich der Landtag im Herbst auch mit dieser Sache beschäftigen.
(Beifall bei der SPD – Abg. Gundolf Fleischer CDU: Richtig! – Zuruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)
Jetzt, Herr Kollege Palmer, zu der Behauptung, es gäbe keine wesentliche Fahrzeitverkürzung. Dieses Argument haben Sie früher schon gebracht; ich hätte nicht gedacht, dass Sie das heute noch einmal bringen.
Ich lese Ihnen einfach einmal die Zahlen vor, die Sie nicht bestreiten können. Mit dem Sprinter Tübingen–Stuttgart sind Sie genauso schnell; mit allen anderen Zügen auf der Strecke Tübingen–Stuttgart sind Sie jedoch natürlich erheblich schneller, wenn Stuttgart 21 verwirklicht ist. Aber Sie müssen einfach einmal sehen, wie die Region bedacht wird: Auf der Strecke Aalen–Filderbahnhof/Flughafen gibt es eine Verkürzung der Fahrzeit um 26 Minuten, Flughafen–Pforzheim um ca. 32 Minuten, Flughafen–Reutlingen 43 Minuten,
Rottweil–Flughafen 29 Minuten, Backnang–Reutlingen 19 Minuten, Crailsheim–Metzingen 31 Minuten, Murrhardt–Nürtingen 17 Minuten, Pforzheim–Reutlingen 28 Minuten und, und, und. Das sind alles Verbesserungen. Diese dürfen Sie doch als ein Vertreter einer aufgeklärten Partei hier nicht negieren, Herr Kollege! Das geht doch einfach nicht.
(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Boris Palmer GRÜNE mel- det sich zu einer Zwischenfrage.)
Das zweite Argument war, bis 2010 werde nichts Neues gebaut. Das hat aber mit Stuttgart 21 überhaupt nichts zu tun. Wir finanzieren Stuttgart 21 erst ab 2010.