Wir, die Schulleiter, wurden entweder noch abends oder frühmorgens in der Schule angerufen und konnten den Kontakt zur Polizei herstellen. Wir wurden nach besonderen Problemen gefragt. Wir hatten eine Telefonnummer zur Verfügung, und wir wurden informiert, in welchem Gebiet oder wo die Polizei im Umkreis der Schule steht. Das Menschenmögliche war getan worden.
Es war richtig, den Schulen die Entscheidung zu überlassen, wie sie reagieren sollten. Eine allgemeine Entscheidung oder eine Entscheidung seitens des Ministeriums hätte nur lauten können: Der Unterricht fällt an diesem Tag aus. Das wäre aber ganz sicher ein fatales Signal gewesen.
Meine Damen und Herren, man darf auch von Schulleitern erwarten, dass sie in einem solchen Fall reagieren können, und das haben sie getan.
Die eine: Wie kommt es zu einer solchen Ankündigung? Warum taucht dieses Phänomen des Amoklaufs – wie jüngst wieder in den USA –, das heißt, des Mehrfach- und des Massenmordes, in den letzten Jahren so häufig auf? Und vor allem: Warum sind da immer Jugendliche beteiligt? Ich bin der festen Überzeugung, dass die Killerspiele ein Auslöser dafür sind.
Sie funktionieren nach dem gleichen Muster: Jemand läuft mit einem Gewehr durch die Gegend und mäht nieder, wer ihm entgegenkommt.
Die Wirkung solcher Spiele auf die Seelen- und Gemütslagen von Kindern und Jugendlichen wurden von Herrn Professor Pfeiffer bei der von der CDU initiierten Anhörung des Ständigen Ausschusses zum Thema „Konsum und Wirkung elektronischer Medien bei Kindern und Jugendlichen“ eindrucksvoll dargestellt. Eine monokausale Erklärung ist nicht möglich. Ein Verbot dieser Spiele schafft aber das Problem auch nicht aus der Welt.
Aber es würde helfen. Es würde helfen, die Verbreitung solcher Spiele einzudämmen. Indem das Ganze zu einem Straftatbestand deklariert würde, würde mancher abgeschreckt. Ein Verbot macht Eltern hellhörig und gibt ihnen ein Argument an die Hand. Es warnt Schüler und Jugendliche. Es macht den Herstellern deutlich, dass ihr Produkt nicht erlaubt ist, und es zeigt der Öffentlichkeit, dass das Produkt einen Verstoß gegen ihren Wertekanon beinhaltet. Ich meine, dafür ist die Öffentlichkeit wieder sensibler geworden.
Wir verhängen Rauchverbote wegen Gefährdung anderer; bei Killerspielen hingegen tun wir gar nichts. Im Schützenverein lernen die Jugendlichen, mit Waffen umzugehen, und sie lernen, dass man nie und nimmer eine Waffe auch nur annähernd auf einen Menschen richten darf. Bei Killerspielen lassen wir zu, dass unsere Kinder Zeugen der brutalen Abschüsse von Menschen werden. Die Gefahr wird unterschätzt, weil sie virtuell erscheint. Diese Brutalität der Bilder hat sich im Übrigen längst Eingang in die Sprache unserer Jugendlichen verschafft, und Sprache schafft Realität, indem sie Bewusstsein bildet.
Die CDU-Fraktion hat eine Arbeitsgruppe „Medien und Kinderschutz“ mit dem Ziel, den Einfluss von Gewaltdarstellung in Medien festzustellen und daraus politisches Handeln abzuleiten, gebildet. Wir wollen das Jugendschutzrecht verschärfen und den Jugendmedienschutz verbessern, weil er derzeit dem Stand der Kommunikationselektronik nicht mehr angemessen ist. Der freie Zugang zu allem Schund und Schmutz dieser Welt darf nicht dazu führen, dass ein Teil unserer Jugendlichen kaputtgemacht wird.
Die zweite Frage, die sich stellt – das ist zugleich der zweite Bereich, mit dem sich die erwähnte Arbeitsgruppe befasst –, lautet: Was geschieht seitens der Landesregierung, was tun die Schulen? Die Arbeitsgruppe wird die Angebote sichten und wird nach Konzeptionen suchen. Die Stellungnahme der Regierung zum Antrag der CDU bietet eine sehr gute Zusammenstellung, was in den Schulen – oft in Zusammenarbeit mit der Polizei – getan wird. Die Schulen sind nicht primär der Ort, an dem Gewalt produziert wird, sondern die Gewalt wird in die Schule hineingetragen. Die Stellungnahme zeigt ferner, wie sich die Projekte in den letzten sieben Jahren entwickelt haben, denn wir haben bereits in den Jahren 2000 und 2002 Anträge zu demselben Thema gestellt.
Interessant sind die Steigerungsraten bei der Teilnahme. Das zeigt, dass die Konzepte in die Breite wirken. Die Teilnahme an „Faustlos“ z. B., einem Konzept für Grundschulen, hat in den letzten zwei Jahren eine Steigerung um 82 % erfahren. 50 % der Grundschulen in Tübingen wenden dieses Projekt an. Streitschlichterprogramme sind schon genannt worden, ebenso die Schüler-Medienmentoren-Programme und das Angebot aus der Medienoffensive Schule II.
Meine Damen und Herren, rund 250 Präventionsprojekte werden in den Schulen genutzt, und sie werden in dem „Netzwerk gegen Gewalt“ gesammelt. Dies alles wollen wir uns anschauen. Die Stellungnahme der Landesregierung zum Antrag Drucksache 14/962 ist durchaus lesenswert. Ich kann nicht auf alles eingehen.
Fazit: Die Tendenz zur Verwahrlosung und Verrohung vieler Jugendlicher ist leider Gottes ungebrochen. Die Arbeit an den Schulen ist eine Sisyphosarbeit, die das Elend nicht beseiti
gen kann. Wir müssen für die humanen Werte in unserer Gesellschaft kämpfen. Die CDU-Fraktion wird im zweiten Halbjahr Vorschläge machen, um die Rahmenbedingungen für die Erziehungspflichtigen – ich meine damit auch die Öffentlichkeit – festzulegen. All dies bedarf eines Bewusstseinswandels in der Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zu dem Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE sagen. Frau Kollegin Rastätter, Sie greifen zwei Punkte heraus, die sicher bedenkenswert sind, aber wir möchten uns in der Arbeitsgruppe zunächst einmal alle Konzeptionen ansehen und dann versuchen, eine Konzeption für das Land zu erstellen.
Zu Ziffer 1 Ihres Änderungsantrags ist zu sagen: Die Schulsozialarbeit ist eine kommunale Aufgabe. Es wurde ausdrücklich immer wieder gesagt, dass es sich bei der Landesförderung um eine Anschubfinanzierung durch das Land handle, die nach einer bestimmten Zeit wieder eingestellt werden müsse.
Wie gesagt, wir werden versuchen, in unserer Arbeitsgruppe eine landesweite Konzeption zu erstellen, und wir würden uns freuen, wenn Sie da mitmachen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unsere Debatte findet zufällig am fünften Jahrestag des Amoklaufs in Erfurt und wenige Tage nach dem jüngsten Desaster dieser Art in den Vereinigten Staaten von Amerika statt.
Dies weist darauf hin, dass wir nicht ausschließen können, morgen mit einem nächsten Fall konfrontiert zu werden, auch bei uns. Der im Dezember vergangenen Jahres im Internet angekündigte Amoklauf an einer baden-württembergischen Schule ist Gott sei Dank nicht Realität geworden. Dies war nicht prognostizierbar. Deshalb ist auch angesichts dieses Ausgangs festzustellen: Der Kultusminister hat die richtige Entscheidung getroffen – übrigens auch auf dem richtigen Weg der Entscheidungsfindung. Wohl dem, liebe Kolleginnen und Kollegen, der solche Entscheidungen nicht fällen muss!
Wir können neue Fälle nicht mit Sicherheit ausschließen, aber wir können und dürfen uns im Ergebnis nicht damit abfinden, dass nach einem kurzen Aufschrei wieder zur Tagesordnung übergegangen wird. Wir müssen bei Kindern und Jugendlichen die Aufgabe der Prävention gegen jede Form der Gewalt – da sind wir uns hier in diesem Hohen Hause alle einig – noch ernster nehmen als bisher.
Die Landesregierung hat, wie ich meine, eine detaillierte Darstellung der Maßnahmen, Modelle und Projekte zur Gewaltprävention an unseren Schulen vorgelegt, auch in ihrer weiteren Perspektive. Ich erinnere an das Projekt „Faustlos“, an das Projekt „Streitschlichter“ und an das Mentorenprogramm. Ich erinnere auch an die Maßnahmen im Bereich „Sport und Bewegungserziehung“ und an Maßnahmen zur Medienerziehung, auf die Frau Vossschulte bereits hingewiesen hat.
Vor diesem Hintergrund komme ich zu dem Ergebnis: Es kann nicht darum gehen, nur weitere Modelle und Projekte zu fördern. Vielmehr möchte ich einige Fragen ansprechen, auf die wir – wie ich meine – gemeinsam Antworten finden müssen.
Es ist richtig: Gewalt wird von der Gesellschaft in die Schule hineingetragen. Richtig ist auch: Schule kann nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft sein. Hiermit wären die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer überfordert.
Aber dies darf nicht das Blockadeargument sein, mit dem eine Diskussion darüber verhindert wird, was Schule angesichts veränderter gesellschaftlicher Bedingungen leisten kann und leisten muss.
In der Studie „NRW Kids 2001“ berichtet der Erziehungswissenschaftler Professor Zinnecker, dass 47 % der repräsentativ befragten Schülerinnen und Schüler der Aussage zugestimmt haben: „Es gibt bei uns Lehrer/Lehrerinnen, die einen vor der ganzen Klasse blamieren.“ Aus der im Jahr 2002 preisgekrönten Dissertation von Ferdinand Sutterlüty über Gewaltkarrieren von Jugendlichen zitiere ich sinngemäß eine weitere Feststellung: Am Anfang der Gewaltkarrieren stehen eigene Gewalterfahrungen bereits in der Familie; um aber selbst Gewalttäter zu werden, muss die Verletzung fundamentaler Anerkennungsbedürfnisse hinzukommen, und diese erfolgt bereits – auch ohne Schläge – durch isolierende Ohnmachtserfahrungen.
Nach allem, was ich weiß, wird dies bei allen Amokläufern – ob bei uns oder in anderen Ländern – diagnostiziert. Das zuvor mitgeteilte Ergebnis von Herrn Professor Zinnecker erhält vor diesem Hintergrund, wie ich meine, ein ganz bedrückendes Gewicht. Dies lasse ich hier so stehen, um wenigstens noch einige weitere Gedanken ansprechen zu können.
Die Untersuchung von Sutterlüty belegt – das ist bereits angeklungen – die überragende Rolle der Familie. Richtig und wichtig ist daher, dass zu den Maßnahmen zur Gewaltprävention an Schulen, die wir in Baden-Württemberg bereits ergriffen haben, auch eine Vielzahl von Elternprogrammen hinzukommen muss. Auch und gerade hier stellt sich aber natürlich die Frage, wie wir an die eigentlich problematischen Zielgruppen herankommen. Eine schlüssige Antwort werden Sie von mir nicht erwarten können; wir müssen sie schon gemeinsam suchen. Wir alle – nicht nur hier im Hause – müssen an diesen Antworten weiterarbeiten.
Im Namen meiner Fraktion begrüße ich es, dass Baden-Würt temberg auf rasche Scheinlösungen, wie sie nach jedem Extremereignis gefordert werden, verzichtet hat. Schnellschüsse bringen in einem solchen Fall überhaupt nichts.
Letzter Satz: Die Gewalt an den Schulen ist offenkundig rückläufig. Das ist mehr als zu begrüßen, und es ist sicher auch ein Erfolg der verstärkten Präventionsmaßnahmen von uns und der Regierung. Dennoch müssen Gewaltpräventionsmaßnah men auch in Zukunft weiter vertieft werden.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Plenardebatte zum Thema „Angekündigter Amoklauf an einer baden-württembergischen Schule“ blicken wir rund vier Monate zurück. Der 5. Dezember des letzten Jahres kommt wieder in Erinnerung, aber offensichtlich sehr unterschiedlich. Deswegen will ich nach den völlig unangemessenen Schilderungen dieses Tages durch den Kollegen Gall nachher noch etwas zur sachlichen Aufklärung beitragen. Das geschieht nicht zum ersten Mal. Offensichtlich möchten Sie nicht hören, welche Fakten es hierzu zu benennen gilt.
Die Erkenntnisse der Polizeibehörden, die von der Ernsthaftigkeit der Bedrohung ausgehen mussten, ließen uns keine andere Wahl, als den Schulen noch am Spätnachmittag des 5. Dezember auf dem schnellsten Weg eine Warnung zukommen zu lassen.
Die Polizei hat diesen Fall durch das Landeskriminalamt bearbeitet. Das Innenministerium stand in ständigem Kontakt mit uns und hat gesagt: „Wir haben noch die Hoffnung, dass das Landeskriminalamt eine heiße Spur aus den Computerspuren heraus ermitteln kann und dass wir diese Bedrohung eingrenzen können.“ Man hat darum gebeten, so lange nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Das war ganz selbstverständlich. Denn bei einer eingegrenzten Bedrohung hätten wir nicht das ganze Land darüber informiert und schließlich auch in Alarmbereitschaft versetzt.
Als das Landeskriminalamt davon ausgehen musste, dass eine angemessene Aufklärung am Nachmittag des 5. Dezember nicht mehr möglich war, hat das Innenministerium uns, dem Kultusministerium, einen Text zur Verfügung gestellt, den wir ohne jede Veränderung an die Schulen weitergeleitet haben. Ich maße mir doch nicht an, irgendeine Sicherheitslage zu beschreiben. Das ist natürlich Aufgabe des Innenministeriums.
Ich stand an diesem Nachmittag in ständigem Kontakt mit dem Innenminister, und es war klar, dass wir über den elektronischen Zugang zu den Schulen verfügen und deswegen diese Meldung an die Schulen weiterleiten müssen. Klar war auch, dass es für die E-Mail-Information an die Schulen ziemlich spät geworden war, sodass wir nicht mehr davon ausgehen konnten, dass alle Schulsekretariate zu diesem Zeitpunkt noch besetzt sein würden. Deswegen haben wir – wiederum in Abstimmung mit dem Innenministerium und mit einem Text des Innenministeriums – die Presse informiert, damit diejenigen, die die Mail-Nachricht nicht erhalten hatten, die Chance
hatten, den Sachverhalt doch noch rechtzeitig zu erkennen und die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.
Das Innenministerium hat alle Polizeidienststellen informiert. Das Kultusministerium hat zu keinem Zeitpunkt zu irgendeiner Polizeidienststelle im Land Kontakt gehabt.