Protocol of the Session on April 25, 2007

Ein Beispiel für eine Realsatire: Kollege Dr. Prewo, Oberbürgermeister in Nagold, kann künftig seinen Dienstwagen nicht mehr einfach morgens in die Waschstraße fahren; denn die Tankstelle muss zunächst gewährleisten, dass sie ihre Mitarbeiter nach Tarif bezahlt.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Oh Jesses! Der wäscht sein Auto selbst! – Gegenruf des Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU: Das wäre der erste OB, der das macht!)

Falls Subunternehmer den Innenraum reinigen, ist diese Bestätigung ein weiteres Mal einzuholen, sonst drohen Sanktionen. Die rechtskonforme Prüfung, das Finden des anwendbaren Tarifvertrags, Kontrolle und dokumentensichere Ablage sowie der damit verbundene Papierkram dauern dann einen ganzen Tag; am Abend ist der Wagen dann endlich sauber.

Es sei ja nur ein Formular auszufüllen, meint die Kollegin Sitzmann von den Grünen. Da das Tariftreuegesetz landesweit für alle Behörden, alle Kommunen und alle Gesellschaften der öffentlichen Hand gelten soll, könnte man, über das Jahr gerechnet, den gesamten Bodensee mit Formularen zudecken.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Der ist sowieso wasser- arm!)

Nach der Axt ist die Bürokratie der größte Waldvernichter. Rechtssicherer wird das Verfahren damit jedoch nicht.

Der Titel „Mutter Teresa der Bürokraten“ ist vakant. Ihre Bewerbung, Frau Sitzmann, würde ich gerne unterstützen.

(Heiterkeit der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Seit der ersten Lesung haben uns viele gleichlautende Schreiben der Elektroinnungen und des Handwerks erreicht. Darin

wird beklagt, dass Anbieter aus osteuropäischen EU-Ländern mit Stundensätzen von deutlich unter 10 € Angebote machen, während die heimische Industrie mit 40 € pro Stunde kalkuliert. Wir nehmen dies ernst. Dagegen können und müssen sich jedoch die Unternehmer mit Mitteln des Wettbewerbsrechts wehren.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Lohndumping!)

Abweichungen von mehr als 30 % vom örtlich üblichen Stundenlohn sind Dumpingangebote und nach unserer Rechtsprechung sittenwidrig. Dazu braucht es kein Tariftreuegesetz, sondern Vertrauen in unsere Gerichtsbarkeit und in die Nachprüfungen der Vergabekammern.

Auch der Städtetag wird erkennen müssen: Das Tariftreuegesetz schafft keine Arbeitsplätze und garantiert dauerhaft keine Gewerbesteuermehreinnahmen. Nach den Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen steigen durch eine Tariftreueregelung die Vergabekosten allein im Baugewerbe um 6 %. Bei einem jährlichen Bauvolumen von 400 Millionen € in unserem Land würde dies Mehrkosten in Höhe von 24 Millionen € bedeuten. Diese Mittel wären nicht draufzusatteln, sondern sie fehlten. Mit Mitteln in diesem Umfang könnten die Kommunen zehn weitere Kindergärten bauen. Gemeindetag und Landkreistag haben dies erkannt und lehnen ein solches Gesetz ab.

Unsere Wirtschaft lebt von dem Export von Waren und Dienstleistungen, und darauf basiert unser Wohlstand.

(Zuruf des Abg. Karl-Heinz Joseph SPD)

Wir können nicht von anderen den Abbau von Handelshemmnissen fordern und die Freiheit des Warenverkehrs verlangen, während wir bei uns Marktzutrittsschranken errichten.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Haben Sie schon einmal mit einem Handwerker gesprochen?)

Wohin soll das führen? Das wäre ein Bärendienst für unseren Mittelstand und würde dem Standort Baden-Württemberg Schaden zufügen. Wir wollen das nicht. Daher: Keine Chance für einen staatlichen Mindestlohn; klare Absage an das Tariftreuegesetz.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Sie sind für Lohndum- ping!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Für die Fraktion GRÜNE erhält Frau Abg. Sitzmann das Wort.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich fange mit einer Presseerklärung des Handwerkstags an: „Handwerkstag bekräftigt Forderung nach Tariftreueerklärung“. Wir Grünen begrüßen das nachdrücklich. Dieser Forderung haben sich eine Vielzahl von Innungen und Kreishandwerkerschaften aus dem ganzen Land ange

schlossen. Ich nehme an, Herr Kollege Löffler, auch Sie haben diese Schreiben erhalten.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Alle! – Abg. Ursu- la Haußmann SPD: Aber er hat es nicht gelesen! – Gegenruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Ich musste es nur einmal lesen!)

Ich erwarte, dass Sie gegenüber denjenigen, die Ihnen geschrieben haben, so ehrlich sind, wie Sie jetzt hier gegen ein Tariftreuegesetz argumentiert und zugeschlagen haben: „Müll aus dem Gelben Sack“, „Mottenkiste des Protektionismus“ haben Sie es genannt. Ich erwarte, dass Sie den Handwerkern, die ihre Situation und ihre Probleme schildern, deutlich und ohne Beschönigung sagen, wie Sie dazu stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf von der SPD: Das machen wir für ihn!)

Wir debattieren heute zum dritten Mal über dieses Thema. Ihre Argumente waren in der ersten Lesung, in der Ausschussberatung und jetzt wieder immer die gleichen. Sie führen an: Es geht um Bürokratie. – Ich werde mich übrigens nicht um den Titel „Mutter Teresa der Bürokraten“ bewerben, auch wenn Sie meine Bewerbung unterstützen würden. Denn weder Mutter Teresa noch Bürokratie sind meine Felder. – Sie führen NRW und das Thema, ob ein Tariftreuegesetz mit EUWettbewerbsrecht kompatibel ist, an. Alle drei Punkte diskutieren wir jetzt zum dritten Mal. Deshalb muss ich davon ausgehen, dass Sie weder diese Debatte wirklich verfolgt noch die Briefe gelesen, noch den Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, angeschaut haben, weil sich zumindest zwei von Ihren drei Kritikpunkten leicht entkräften lassen.

Die Bürokratiebelastung haben Sie angesprochen. Hier geht es um eine von der Landesregierung vorzubereitende Mustererklärung, auf der die Unternehmen, die öffentliche Aufträge bekommen, zwei bis drei Kreuze zu machen und sich mit einer Unterschrift zu verpflichten hätten, dass die Leute, die sie beschäftigen oder die Subunternehmer beschäftigen, nach üblichen Tariflöhnen bezahlt werden. Da kann man nicht von einem Bürokratiemonster sprechen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und wie wird das nachgeprüft?)

Sie dürfen gleich sprechen. Gleich nach mir haben Sie, Herr Kollege Rülke, das Wort. Dann werden wir auch Ihre Position, die wir eigentlich schon kennen, hier noch einmal hören.

Von Anfang an wurde hier immer NRW als Beispiel genannt. Es ist klar: Das Beispiel für den uns vorliegenden Gesetzentwurf ist nicht das Gesetz aus NRW, sondern das bayerische Verfahren. Das bayerische Verfahren ist seit mehreren Jahren in Kraft. Da gibt es keine Proteststürme. Im Gegenteil, es wird gut angenommen.

Weil wir aber durchaus sehen, dass der dritte Punkt, den Sie anführen – ob ein Tariftreuegesetz mit der EU-Gesetzgebung kompatibel ist –, eine offene Frage ist – es ist bislang noch keine Entscheidung dazu gefallen –, haben wir beantragt – darüber können Sie heute abstimmen –, dass das Gesetz auf fünf Jahre befristet werden soll. Wir wollen, dass nach vier Jahren überprüft wird, wie denn tatsächlich die Wirkung dieses Ge

setzes ist. Unter dieser Maßgabe werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen.

Ich finde, dass Sie, die Abgeordneten der Regierungsfraktionen, sich ernsthaft überlegen müssen, ob Sie bei Unternehmen, die nach Tariflöhnen bezahlen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, tatsächlich nicht die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand sehen. Sie müssen sich auch überlegen, ob Sie tatsächlich meinen, dass diese Unternehmen, die vor Ort tätig sind und nach Tariflohn bezahlen, benachteiligt werden sollen.

Sie verhalten sich widersprüchlich: Einerseits sagen Sie: „Kein Tariftreuegesetz mit uns“, andererseits vertrösten Sie aber auch und sagen: „Warten wir doch jetzt erst einmal ab“. Beides passt nicht zusammen. Insofern sollten Sie heute dem vorliegenden Gesetzentwurf und unserem Änderungsantrag zustimmen. Damit würden Sie vielen Beschäftigten hier im Land, vielen Unternehmen hier im Land und auch der öffentlichen Hand als Vorbild einen guten Dienst erweisen. Geben Sie sich deshalb einen Ruck, und stimmen Sie heute zu!

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Rülke das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Sitzmann hat es referiert: Wir diskutieren das Thema heute zum dritten Mal. In der Ple nardebatte im März, in der Debatte des Wirtschaftsausschusses im März und jetzt in der Plenardebatte im April ist das Tariftreuegesetz hier Gegenstand der Debatte. In der Tat, Frau Sitzmann: Die Argumente haben sich wiederholt. Das gilt übrigens für beide Seiten, nicht nur für die Seite der Regierungskoalition.

Eines ist allerdings jetzt in großer Deutlichkeit hinzugekommen, und dafür bin ich schon einigermaßen dankbar: Herr Schmiedel, Sie haben uns deutlich gemacht, dass das Tariftreuegesetz auf Landesebene im Grunde genommen verwandt ist mit der Idee des Mindestlohns auf Bundesebene. Die se beiden Vorstellungen sind sozusagen aus einem Holz geschnitzt.

Da wird schon deutlich, warum wir das nicht wollen. Denn Sie haben ja auch angedeutet, Herr Schmiedel, es sei ein Beitrag zur sozialen Marktwirtschaft.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die wollen Sie auch nicht mehr?)

Sie haben gesagt, nicht alle Probleme, die wir haben, können vom Markt gelöst werden. Da haben Sie völlig recht. Aber worin wir uns fundamental unterscheiden, ist unsere Überzeugung, dass eine Wirtschaft möglichst wettbewerblich organisiert werden muss. Die Probleme, die dann entstehen, sind die Probleme der Sozialpolitik.

(Lachen bei der SPD)

Ja, das sind die Probleme, die eine Sozialpolitik lösen muss. Sie leben in dem Irrglauben, man könnte den Markt so orga

nisieren, dass keine sozialen Probleme mehr entstehen. Genau das ist Ihr Fehler. Wir können den Markt nicht so organisieren, dass keine sozialen Probleme mehr entstehen, schon gar nicht in der Globalisierung. Dieses Tariftreuegesetz ist genau der falsche Ansatz, nämlich der Versuch – Herr Löffler hat völlig recht –, mit protektionistischen Mitteln, mit mehr Bürokratie, mit mehr Staat eine Wirtschaft so zu organisieren, dass jeder das bekommt, was ihm zukommt. Das geht in dieser wettbewerblich organisierten Volkswirtschaft eben nicht.

Ein solches Tariftreuegesetz kann man machen. Keine Frage: Es ist rechtlich zulässig. Es wird vielleicht auch das eine oder andere Problem lösen, aber es wirft auch neue Probleme auf. Die meisten davon sind bekannt: Es verteuern sich die Ausschreibungen. Es entsteht mehr Bürokratie. Es geht eben nicht nur, Frau Sitzmann, um das Ausfüllen eines Formulars mit zwei Kreuzchen, sondern es geht ja auch noch um die Frage, wie das Ganze zu kontrollieren ist. Es muss sich die Frage stellen: Wer ist der Kläger? Es muss sich die Frage stellen: Wer ist der Ermittler? Es muss sich die Frage stellen: Wer ist der Richter? Insofern werden Sie mit diesem Tariftreuegesetz natürlich ungeheuer viel mehr Bürokratie und mehr Kosten schaffen. Deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir lehnen auch ab, zu sagen: Wir beschließen es einmal auf fünf Jahre. Nordrhein-Westfalen hat vier Jahre lang Erfahrungen gesammelt und hat das Gesetz dann abgeschafft. Sachsen-Anhalt hat es schon nach einem Jahr abgeschafft. Diese Möglichkeit hätten wir dann nicht. Wir hätten, wenn wir den Vorstellungen der Grünen nachkämen, einen fünfjährigen Feldversuch – mit mehr Bürokratie, mit mehr Kosten und mit einem Ziel, das durch die Entsenderichtlinie besser erreicht wird.