Protocol of the Session on April 25, 2007

(Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Trickserei! – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Sie sind ja nicht der Präsident der CDU, sondern der des Landtags! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Er hat nach Aufruf des Tagesordnungspunkts das Wort ergriffen, nicht vorher!)

Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die anwesenden Damen und Herren und die Öffentlichkeit sollen selbst beurteilen, welchen Stellenwert der Präsident des Landtags mit seinem Verhalten den Debatten der Abgeordneten hier im Hause bei misst.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der SPD: Bravo!)

Es gibt Anlässe für Parlamentsdebatten, meine Damen und Herren, von denen eine noch so kritische Opposition sich wünscht, sie wären nicht geschehen. Die heutige Debatte gehört deshalb nicht in das übliche Muster eines Schlagabtauschs zwischen Opposition und Regierung.

Es spricht für Sie, Herr Ministerpräsident, dass Sie sich zum heutigen Zeitpunkt mit deutlichen Worten und klar auch hier vor dem Landtag von Baden-Württemberg positioniert haben. Aber, Herr Ministerpräsident, diese Klarheit kommt spät, sie kommt zu spät.

(Beifall bei der SPD)

Der verhängnisvolle Satz in Ihrer Trauerrede, Herr Ministerpräsident, ist ein Akt beispielloser Geschichtsvergessenheit gewesen, der mit einer Entschuldigung nicht einfach vom Tisch ist. Es ist unsere Verpflichtung, einen solchen Vorgang – auch das, was sich darum herum abgespielt hat – auch als Parlament aufzuarbeiten. Sie haben, Herr Ministerpräsident, mit diesem Satz der gesamten Öffentlichkeit das Recht ge

nommen, „im Angesicht des Todes die Dinge auf sich beruhen zu lassen“ – so hat es Frank Schirrmacher treffend in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt.

Allein diese geschichtsverfälschende Behauptung war schon schlimm. Verheerend war aber auch Ihr darauf folgendes Verhalten: Sie haben zuerst Ihre Trauerrede bekräftigt, dann haben Sie sie interpretiert, danach versuchten Sie, auf verschiedenste Weise das Gesagte zu relativieren, immer noch ohne es zurückzunehmen, um sich dann schließlich erst nach massivem Druck und insbesondere auch nach persönlichem Einschreiten der Bundeskanzlerin endlich zu distanzieren. Bis zu diesem Zeitpunkt, meine Damen und Herren, waren bereits fünf Tage vergangen. Erst nach fünf Tagen und massiven Protesten haben Sie überhaupt die Tragweite Ihrer Aussagen erfasst.

Die Schwierigkeit ist: Sie haben kein Gespür für politische Kultur und für das Maß der Verantwortung, die Ihr Amt als Ministerpräsident erfordert.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE)

Sie haben sich als kalter Technokrat erwiesen und damit Ihren Amtsvorgänger bestätigt, der schon früh befürchtete, dass nun Menschen in unserem Land die Macht übernehmen würden, die an nichts anderem als an Macht Interesse haben. Sie haben, Herr Ministerpräsident, gegen Ihren Amtseid gehandelt; Sie haben dem Land Baden-Württemberg Schaden zugefügt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wie kann die Öffentlichkeit, wie können Gesprächs- und Verhandlungspartner sich künftig noch sicher sein? Wer kann sagen, welche Ihrer Aussagen am nächsten Tag noch Gültigkeit haben? Wer kann wissen, ob Sie hinterher Ihre Aussagen nicht interpretieren oder relativieren oder sich am Ende ganz davon distanzieren?

Ich habe, Herr Ministerpräsident, persönlich keinen Zweifel an Ihrer demokratischen Gesinnung. Aber ich habe große Zweifel daran, dass Sie für Ihr Amt den richtigen inneren Kompass haben. Ihnen fehlen die festen Maßstäbe für Ihr Handeln. Und hätte es noch einer weiteren Bestätigung für die Beobachtung bedurft, dass Sie sich wie ein Fähnchen im Wind bewegen, so haben Sie diese doch gerade mit Ihrem erneuten Zaudern und dem nur halbherzigen Einlenken in Bezug auf Ihre Mitgliedschaft beim Studienzentrum Weikersheim geliefert.

Ihre heutige Erläuterung überzeugt an diesem Punkt nicht. Denn das Thema „Studienzentrum Weikersheim“ und die dortigen Vorgänge sind ja nicht nur in der Presse regelmäßig wiederkehrend behandelt worden, sondern sie waren auch Gegenstand einer Vielzahl von parlamentarischen Debatten, Anträgen und Initiativen hier in diesem Haus, weil es schon seit Jahren und Jahrzehnten mit Weikersheim und dem Ungeist, der dort verbreitet wird, ein Problem gibt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Deshalb frage ich Sie: Wie kann jemand, dem der innere Kompass fehlt, die Richtung eines ganzen Landes bestimmen? Sie haben es geschafft, bereits nach ganz kurzer Zeit ein Ministerpräsident auf Abruf zu sein. Es ist nicht möglich, nach einem solchen Vorgang, nach einer solchen Beschädigung des Amts und damit auch des Repräsentanten unseres Landes wieder zur Tagesordnung überzugehen, wie sich das manche wünschen. Wenn ein amtierender Kultusminister wie Herr Rau noch in dieser Woche in Lahr verkündete: „Ich denke, es ist für die CDU am besten, wenn wir uns mit der Geschichte nicht endlos beschäftigen“,

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

dann ist das aus der Sicht eines Menschen, der nur an Parteipolitik denkt, durchaus nachvollziehbar. Aber eine solche Aussage ist ein Unding für einen Kultusminister,

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Oberster Ge- schichtslehrer!)

der nicht zuletzt für die Bildung des Geschichtsbewusstseins ganzer kommender Generationen Verantwortung trägt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Die Bundeskanzlerin hat rasch das Erforderliche gesagt und auch gefordert. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die CDU und auf den Zustand der CDU in Baden-Württemberg, dass kein einziger – kein einziger! – namhafter Politiker aus dem Land die Erkenntnis und die Kraft aufbrachte, Ihnen, Herr Ministerpräsident, ins Wort zu fallen oder gar zu widersprechen. Im Gegenteil: Sie erfuhren teilweise euphorische Zustimmung aus den eigenen Reihen und zum Teil – besonders schlimm – weit darüber hinaus vom Rand der Extremen und Rechtsextremen, die Ihnen zugejubelt haben.

Ich fand es beängstigend, dass der Vorsitzende einer Landesgruppe davon sprach, dass „das Tor aufgestoßen“ werde.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Ich frage mich: Welche Welt hat er gesehen, in die das Tor aufgestoßen wurde, meine Damen und Herren? Und er war nicht der Einzige. Ich will Ihnen ersparen, Zitate von einer Reihe von Kabinettsmitgliedern anzuhören, die nicht nur unmittelbar nach der Trauerrede, sondern auch noch nach der Entschuldigung des Ministerpräsidenten zu den ursprünglichen Aussagen standen und sie zum Teil auch nicht zurückgenommen haben.

Sie sehen daran, dass das nicht nur ein Thema einer Rede ist, sondern auch das Thema einer Haltung. Meine Damen und Herren aus der CDU-Fraktion, Sie haben einiges aufzuarbeiten. Eine demokratische Partei darf keinen Zweifel an ihrer geistigen Haltung im Raum stehen lassen. Der Ungeist von Weikersheim darf in einer Partei, die den Anspruch erhebt, in einem weltoffenen und modernen Land Regierungsverantwortung zu tragen – in einem Bundesland, das wie kaum ein anderes Land wirtschaftlich mit der Welt verflochten ist und dessen Position im bundesdeutschen Kräftespiel durch Ihr Verhalten und durch das Auftreten der gesamten CDU im Land nachhaltig beschädigt worden ist –, nicht Platz greifen.

Suchen Sie, meine Damen und Herren, Orientierung! Sie finden sie durchaus auch in den Reihen der CDU. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat mit seiner historischen Rede am 8. Mai 1985 den Weg gewiesen, wie wir angemessen mit der deutschen Geschichte umgehen sollten. Das gilt auch für die baden-württembergische Geschichte, auch wenn Einzelne von Ihnen sie als schmerzhaft empfinden. Orientieren Sie sich an seinem Vorbild. Ich zitiere ihn:

Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mappus.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Der hat auch etwas zu- rückzunehmen!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über die Gedenkrede des Ministerpräsidenten für den verstorbenen Hans Karl Filbinger ist heftig, teilweise auch schrill geführt worden.

(Zuruf von der SPD: Von wem?)

Aber das Thema ist ernst und duldet keine schrillen Töne. Wir alle spüren, dass die historische Verantwortung, die wir in Deutschland alle gemeinsam tragen, schwer wiegt und dass uns die Auseinandersetzung damit nach wie vor umfassend fordert. Dass wir uns unserer Geschichte stellen ist und bleibt ein konstitutiver Teil der politischen Kultur in Deutschland. Wir haben die Pflicht, der historischen Wahrheit – ich zitiere – „so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit“. So hat es der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner großen und prägenden Rede am 8. Mai 1985, die auch meine Vorrednerin zitierte, formuliert.

Die CDU – das ist unbestreitbar – hat seit ihrer Gründung die gewissenhafte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit aktiv und engagiert betrieben.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Der Berliner Gründungsaufruf der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands vom 26. Juni 1945 macht deutlich – ich zitiere –:

Groß ist die Schuld weiter Teile unseres Volkes, die sich nur allzu bereitwillig zu Handlangern und Steigbügelhaltern für Hitler erniedrigten.

Die Bereitschaft zur Begegnung mit der eigenen Geschichte ist und bleibt damit von Anfang an bis heute bestimmendes Moment unseres Selbstverständnisses als christliche Demokraten.

Die Gründung der CDU nach den Schrecken von Völkermord, Krieg und Gewaltherrschaft war gerade die ausdrückliche Absage an alle totalitären Ideologien von rechts und von links. Maßstab für unser Denken und Handeln ist und bleibt das christliche Menschenbild, die Idee vom freien und verantwortlichen Menschen mit seiner unantastbaren Würde.

Diese tiefen Überzeugungen haben gerade als Konsequenz aus der Naziunrechtsherrschaft schon unmittelbar nach Kriegs ende engagierte Christen, Konservative und Liberale in der CDU zusammengebracht und sie bewogen, gemeinsam den Neubeginn in Frieden, Freiheit und Demokratie mitzugestalten. Es waren Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer, der selbst mehrere Monate in Gestapo-Haft saß, Eugen Gerstenmaier, Andreas Hermes, Otto Lenz und Josef Ersing, die nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und von den Nazis verurteilt wurden.

Zentrales Motiv dieser CDU-Gründer waren die gemeinsamen Erfahrungen im Widerstand gegen das NS-Regime, ihre feste, antitotalitäre Grundhaltung, vor allem aber das Handeln aus christlicher Verantwortung in einer Partei, die beide großen christlichen Konfessionen vereinte. So heißt es in den „Kölner Leitsätzen“, einem der frühesten Programmdokumente der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands – ich darf zitieren –:

Fort mit Diktatur, Tyrannei, Herrenmenschentum und Militarismus! Ein freies Volk soll wiedererstehen, dessen Grundgesetz die Achtung menschlicher Würde ist.

Meine Damen und Herren, die Christlich-Demokratische Union Baden-Württemberg bekennt sich in diesem Bewusstsein zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands und lebt die Solidarität mit allen Opfern der nationalsozialistischen Diktatur in unserem Land und darüber hinaus. Wir treten ganz entschieden ein und arbeiten für Freiheit, demokratische Werte und die unbedingte Geltung der Menschenwürde, für die Überwindung alter Feindbilder durch die europäische Integration, für den guten und bewussten Dialog mit der jüdischen Gemeinde in Deutschland und gegen extremistisches Denken in jeder Form.

In diesem Geist hat meine Fraktion hier in diesem Parlament gerade auch und insbesondere unter der Führung von Günther Oettinger von 1992 bis 2001 konsequent und unmissverständlich Stellung bezogen und gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen dafür gesorgt, dass politischer Radikalismus in diesem Haus und in diesem Land keinen Platz und vor allem keinen Erfolg hatte. Sie alle wissen das. Und weil Sie dies alle wissen, sollten manche bei diesem ernsten Thema ihren Ton mäßigen.

Der Versuch, meine Damen und Herren, die CDU wider alles bessere Wissen in die rechte Schmuddelecke zu drängen, wird scheitern.

(Beifall bei der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Zuerst einmal herauskommen!)

Die Vorwürfe, die in der vergangenen Woche konstruiert und ganz pauschal an die Adresse der CDU Baden-Württemberg gerichtet wurden, sind abwegig. Sie sind vor allem Ausdruck eines Kalküls, das auf den kurzfristigen parteipolitischen Geländegewinn schielt.

(Widerspruch bei der SPD – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Abg. Ursula Haußmann SPD: Un- glaublich!)