Protocol of the Session on March 14, 2007

(Glocke des Präsidenten)

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Frage der Frau Abg. Sitzmann?

Selbstverständlich.

Bitte, Frau Abg. Sitzmann.

Herr Staatssekretär, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass sich die Grafik, die ich vorhin gezeigt habe, auf einen Zehnjahreszeitraum und nicht auf einen Fünfjahreszeitraum bezieht, dass außerdem die Zahlen, die dieser Grafik zugrunde liegen, der Stellungnahme des Finanzministeriums entnommen sind und dass wir keine Monatsvergleiche angestellt haben – auch keine Fünfjahresvergleiche –, sondern einen Zeitraum von zehn Jahren dem Vergleich der Bundesländer Hessen, Bayern und Baden-Würt temberg zugrunde gelegt haben?

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Das habe ich zur Kenntnis genommen. Ich muss Sie aber, verehrte Frau Kollegin, darauf hinweisen, dass Sie zunächst die Sondereffekte herausrechnen müssen, um zu einer echten Vergleichbarkeit zu kommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Jörg Döpper CDU: Bravo!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Da es sich bei dem Antrag Drucksache 14/561 um einen Berichtsantrag handelt, ist er mit der heutigen Aussprache erledigt.

Tagesordnungspunkt 8 ist damit abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Hochbegabtenförderung ausbauen ohne Sonderklassen – Drucksache 14/611

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Zur Begründung erteile ich Frau Abg. Rastätter das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Förderung von schwachen Schülerinnen und Schülern und Förderung von Hochbegabten sind die zwei Seiten einer Medaille. Ein modernes Bildungssystem zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alle Schülerinnen und Schüler, von den sehr schwachen bis zu den hochbegabten, optimal gefördert werden und alle ihre Begabungspotenziale entfalten können. In beiden Bereichen, sowohl bei den schwächeren, den sozial benachteiligten Schülern und Schülerinnen als auch bei den hochbegabten, gibt es Defizite bei der Förderung. Wir können uns jedoch in unserem Bundesland Defizite auf beiden Seiten überhaupt nicht leisten.

Nun heißen die Förderprinzipien für Hochbegabte in BadenWürttemberg ja Akzeleration und Enrichment. Das sind sicherlich richtige Wege der Hochbegabtenförderung. Akzeleration bedeutet, in kürzeren Zeiten und damit schneller zu lernen, während Enrichment bedeutet, zusätzliche anspruchsvolle Bildungsinhalte angeboten zu bekommen. Beides ist durchaus richtig.

Von diesen Prinzipien hat sich Baden-Württemberg aber ein Stück weit verabschiedet, nämlich durch die Einrichtung eines Gymnasiums für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd und durch die Einrichtung von eigenständigen Hochbegabtenzügen an den Gymnasien. Das sind Wege, bei denen besonders Begabte, besonders Leistungsstarke separiert und von den anderen Schülerinnen und Schülern abgesondert werden.

Meine Damen und Herren, meine Fraktion lehnt die Einrichtung von separaten Hochbegabtenzügen an den Gymnasien ab.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Oi!)

Es ist ein bildungspolitisch falscher Ansatz, und es ist insofern auch ein veralteter Ansatz, als wir künftig nicht mehr Schüler und Schülerinnen in angeblich homogene Gruppen sortieren sollten. Wir wissen aus modernen Bildungssystemen, dass das Geheimnis ihres Erfolgs darin liegt, dass sie einen positiven Umgang mit der Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Schülern pflegen, dass sie positiv mit der Heterogenität umgehen und dass sie innerhalb der Gruppe, innerhalb des Klassenverbands durch differenzierte, individuelle Angebote jeden Schüler und jede Schülerin mit eigenständigen Förderplänen optimal fördern.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe der Abg. Karl Zim- mermann und Ursula Lazarus CDU)

Meine Damen und Herren, was mit den separaten Hochbegabtenzügen auch überhaupt nicht erreicht wird, ist, dass eine flächendeckende Angebotsstruktur entsteht. Bislang sind 13 Hochbegabtenzüge angestrebt. Es gibt riesige weiße Flecken in Baden-Württemberg, wo hochbegabte Schülerinnen und Schüler dann kein entsprechendes Angebot haben.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist doch in Ihrem Sinne!)

Zudem ist das auch in familienpolitischer und sozialer Hinsicht ein falscher Ansatz, denn hochbegabte Schüler und Schülerinnen wünschen oft, in ihrer jeweiligen sozialen Gemeinschaft zu verbleiben. Sie wünschen auch, wohnortnah beschult zu werden.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das können sie doch, Frau Kollegin!)

Auch viele Familien wünschen sich, dass ihre Kinder nicht zu sehr entfernten Hochbegabtenschulen pendeln müssen.

Meine Damen und Herren, es gibt aber auch Ressourcengründe, die dafür sprechen, dass wir nicht den Weg der separaten Hochbegabtenzüge gehen. Statt der zusätzlichen Lehrerstunden, die hier eingesetzt werden – und wir wissen ja aus den vier ersten Hochbegabtenzügen, dass drei von ihnen eine Klassengröße haben, die praktisch nur halb so groß ist wie eine Regelklasse; Herr Röhm, das ist Ihnen ja wohl bekannt –,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist mir be- kannt, ja!)

möchten wir erreichen, dass diese Mittel im Rahmen der Hochbegabtenförderung allen hochbegabten Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stehen und nicht nur einer selektiven Auswahl von Schülern zugeteilt werden, die einen Hochbegabtenzug besuchen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da bräuchten wir aber mehr!)

Meine Damen und Herren, wir haben aber bereits ein Modell mit einem integrativen Ansatz. Am Bismarck-Gymnasium in Karlsruhe wurde dieses Modell entwickelt, das zwischenzeitlich genehmigt wurde, was mich insofern gefreut hat, als die Lehrer an diesem Gymnasium sagen, sie wollten die Hochbegabten zunächst einmal in beide Züge aufnehmen und sie in

dividuell fördern. Das Kollegium arbeitet an individuellen Förderplänen, und vorgesehen ist, dass diese Schülerinnen und Schüler zum Teil mit kürzeren Lernzeiten auskommen oder aber im Klassenverband bleiben und erweiterte Bildungs angebote erhalten.

Der Vorteil dieses Modells ist, dass diese Schülerinnen und Schüler mit ihren besonderen Begabungen auch als Lernmentoren für die anderen Schülerinnen und Schüler eingesetzt werden. Damit werden ihre Möglichkeiten positiv genutzt, und sie bleiben sozial integriert. Denn wir brauchen auch ein Verständnis bei anderen Schülern den Hochbegabten gegenüber, ebenso wie wir wollen, dass Hochbegabte eine große Sozialkompetenz erwerben und dabei auch wahrnehmen, dass andere Schülerinnen und Schüler möglicherweise Probleme haben, bei deren Lösung sie sich unterstützend einbringen können. Das ist für uns ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, der in separaten Zügen oder gar in einem separaten Gymnasium überhaupt nicht zum Tragen kommt.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zim- mermann CDU)

Meine Damen und Herren, interessanterweise habe ich jetzt gerade das neue Rundschreiben des Landesverbands Hochbegabung bekommen. Der Landesverband Hochbegabung – das wissen Sie ja – lehnt ein Hochbegabtengymnasium in Schwäbisch Gmünd ab.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das findet schon lange statt!)

Der Landesverband Hochbegabung sagt: Wir brauchen einerseits Sonderklassen, weil es natürlich Eltern gibt, deren Kinder bislang immer unterfordert waren. Sie haben nun einfach genug davon und sagen: Wenn wir hier im Gymnasium nicht ordentlich gefördert werden, dann brauchen wir halt den Sonderzug. Aber der Landesverband fordert andererseits auch, dass alle Gymnasien in Baden-Württemberg eine integrative Hochbegabtenförderung machen. In der neuen Verbandszeitschrift steht ein Artikel der Studiendirektorin Ingvelde Scholz aus dem Lehrerseminar Stuttgart I. Die Lehrerseminare und die Lehrerausbildung gehen schon längst in Richtung der integrativen Förderung. Sie führen die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern nämlich auf einem Niveau durch, das es gestattet, integrative Förderung von Hochbegabten zu betreiben, weil sie sagen: Das ist der richtige, zukunftsfähige Weg.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Die anhaltende Sortierung von Schülerinnen und Schülern in immer neue Schubladen führt uns nicht weiter. Das hoch selektive Schulsystem immer weiter auszudifferenzieren ist kein zukunftsfähiger Weg. Schule muss grundsätzlich in der Lage sein, differenziert zu fördern. Deshalb ist die Lehrerausbildung weiter als Sie, Herr Kultusminister Rau.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Na, na!)

Wir Grünen beantragen deshalb, dass keine weiteren Hochbegabtenschulen und keine separaten, eigenständigen Hochbegabtenzüge eingerichtet werden, sondern dass wir stattdessen diese Modelle fördern, die in der Fläche umsetzbar sind,

die flexibel sind und die den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Das ist der Weg in die Zukunft. Wir bitten daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Dr. Frank Men- trup SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir drei machen einen Modellversuch! – Abg. Karl Zimmer- mann CDU: Mit ein bisschen Begabung wissen Sie, dass wir dem nicht zustimmen!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lazarus.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Wissbegier und die Begabungen von Kindern sind verschieden ausgeprägt. Dementsprechend ist unser Schulsystem gegliedert. Alle Kinder finden hierin genau ihren Platz.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Das ist ein ausgesprägtes Merkmal gerade unseres Schulsys tems in Baden-Württemberg. Darauf sind wir stolz. Es ist gerechtfertigt, dass wir ein ausdifferenziertes Förderangebot für die Schwächeren haben. Aber es ist eben auch gerechtfertigt, die besonders Hochbegabten zu fördern, damit ihre speziellen Fähigkeiten, besonders schnell zu lernen und auch größere Wissensmengen aufnehmen zu können, nicht verkümmern.

Die Frage an die Politik, an uns ist, wie wir diese Förderung strukturieren, ob es eine Förderung in bestehenden Klassen sein soll oder ob eigene Klassen und Züge dafür an bestimmten Schulen gegeben sind. Die Antwort kann nur heißen, dass sich beides doch gegenseitig gar nicht ausschließt.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: So ist es! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Völlig richtig!)