Sie müssen dann aber auch sagen, warum wir in Deutschland Spitze sind. Allein an den Berufskollegs haben wir 54 000 Jugendliche, die keine anerkannte Ausbildung oder keinen Abschluss haben, der eine richtige Berufsqualifizierung mit sich bringt. Wir haben fast 19 000 Jugendliche in berufsvorbereitenden Maßnahmen, und es gibt darüber hinaus noch andere Warteschleifen. Wenn wir diese Zahlen zusammenzählen, dann ergibt sich, dass 73 000 Jugendliche in diesen Maßnahmen sind.
(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Sonst wären sie auf der Straße! – Abg. Veronika Netzhammer CDU: Das ist eine qualifizierte Ausbildung, und sie nehmen das in Anspruch! Das wissen Sie sehr gut, Herr Lehmann! Sie sind doch an einer solchen Schule!)
Wissen Sie, wie viele neue Ausbildungsplätze wir in Baden-Württemberg haben? Es sind 71 000. Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass ebenso viele Jugendliche wie die, die mit neuen Ausbildungsplätzen versorgt werden, in Warteschleifen sind. Das ist das Problem, das wir in Baden-Württemberg haben.
Herr Nemeth, die erscheinen dann auch in keiner Statistik. Ich weiß als Berufsschullehrer, dass viele, weil sie ohnehin keinen Ausbildungsplatz bekommen, sich direkt an einer solchen Schule anmelden und sich sagen: Ich gehe direkt in eine solche schulische Warteschleife; ich bewerbe mich erst gar nicht. Es gibt viele, die das machen, und die sind in Ihrer Statistik nicht drin.
Herr Lehmann, würden Sie mir bitte die Frage beantworten: Sehen Sie den einzigen Sinn der Berufskollegs darin, dass Jugendliche Wartezeit absolvieren, bis sie einen Ausbildungsplatz bekommen, und sind Sie der Meinung, dass die Berufskollegs keine eigene Qualifizierungsleistung erbringen?
Die Berufskollegs könnten diese Funktion erfüllen. Das ist auch der Punkt, auf den ich noch zu sprechen kommen möchte. Sie könnten diese Funktion erfüllen, wenn bei den Berufskollegs eine Anrechnung auf die berufliche Ausbildung erfolgen würde, und zwar nicht nur in Modellphasen. Sie haben in Ihrer Antwort geschrieben, dass 1 400 Jugendliche in Modellphasen der Berufskollegs sind. Wenn man das in Vergleich setzt zu den 54 000, die an Berufskollegs sind, dann ist das natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist auch keine verbindliche Anerkennung, sondern es kann für die Ausbildung anerkannt werden.
Ich sage Ihnen noch – wir stehen ja jetzt vor der Haushaltsberatung –, welche Dimension wir hier haben. Ich habe versucht, beim Minister abzufragen, welche Kosten wir in diesem Bereich haben, was diese Warteschleifen kosten und was eine berufliche Ausbildung kostet. Da habe ich von Ihnen, Herr Minister, gehört, dass Sie für Baden-Württemberg diese Zahlen nicht erhoben haben und sie auch nicht erheben können und auf den Berufsbildungsbericht verweisen. So weit, so gut.
Wenn wir die 73 000 Jugendlichen in Warteschleifen nehmen und den Bundessatz von 4 000 € pro Jahr pro Jugendlichen ansetzen, dann kommen wir in Baden-Württemberg für die Warteschleifen auf Kosten von 280 Millionen € jährlich. Wenn wir allein die verpflichtende Anerkennung von Ausbildungszeiten durchführen würden, dann würden wir den Landeshaushalt jährlich zwischen 100 und 200 Millionen € entlasten. Das ist meine Prognose; die müssen Sie erst einmal widerlegen. Wir sind in Zeiten, wo jeder Euro zweimal umgedreht werden muss. Ich kann nicht verstehen, dass Sie ein Ausbildungsbündnis machen, diese zentrale Frage jedoch, dass eine absolvierte Ausbildung auch entsprechend anerkannt wird, nicht angehen und da zögerlich sind. Da haben Sie keinen Mut, das, was auch vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde, nämlich, dass die Betriebe auch eine Verantwortung dafür haben, die berufliche Ausbildung durchzuführen, entsprechend umzusetzen.
Eine weitere Folge ist: Nur jeder zweite Betrieb in BadenWürttemberg, der ausbilden kann, tut das auch. Da hilft es auch nicht weiter, wenn Sie sagen, für Strukturverbesserungen und andere Dinge, die eigentlich notwendig sind, hätten Sie jetzt kein Geld. Das reicht nicht aus.
Wir haben heute – und auch das müssen Sie sich einmal sagen lassen – ein Eintrittsalter in die berufliche Ausbildung von durchschnittlich 19,3 Jahren. Vor vielen Jahren lag das Durchschnittsalter bei etwa 16 Jahren.
Das sollten Sie auch einmal vor dem Hintergrund des Themas „Rente erst ab 67“ sehen. Wenn die Jugendlichen bereits nach der erstqualifizierenden Schulausbildung in eine berufliche Ausbildung kämen und sie somit gleich in Arbeit wären, dann hätten wir auch andere Probleme, über die heute diskutiert wird, in diesem Maße nicht.
Deswegen ist unsere Bitte, auch an Sie, Herr Minister Pfister, dass Sie endlich das Bündnis für Ausbildung ernst nehmen und dass auch die Leute, mit denen Sie an einem Tisch sitzen, nicht einfach sagen, es sei alles paletti. Es ist wichtig, dass Sie hier auch verbindliche Vereinbarungen zu der Anerkennung von Ausbildungszeiten treffen und nicht nur mit einem Berufseinstiegsjahr im Grunde genommen einen Neuaufguss des Berufsvorbereitungsjahres machen
(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Aber die Leute wollen sich weiterqualifizieren! Ich weiß nicht, was Sie wollen!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbst dann, wenn man diesem Haus noch nicht sehr lange angehört, hat man so etwas wie ein Déjà-vu-Erlebnis bei dieser Debatte.
Immer wieder wird das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Wir können uns auf die Formulierung einigen, dass die Ausbildungsplatzsituation in Baden-Württemberg gut ist, aber nicht sehr gut. Die Landesregierung bekommt nun zu hören, Grund dafür, dass die Situation nicht sehr gut ist, sei das Versagen der Wirtschaft und das Versagen der Landesregierung.
Die Zahlen, die der Kollege Hausmann uns vorgelegt hat, weisen ja auch in diese Richtung. Aber das sind nur die Zahlen des Kollegen Hausmann, wahrscheinlich aus gewerkschaftlichen Quellen gespeist.
Es gibt andere Zahlen, beispielsweise vom Statistischen Landesamt, die besagen, dass es zum 30. November dieses Jahres 2 110 unversorgte Lehrstellenbewerber und daneben 954 unbesetzte Lehrstellen gibt. Das heißt, wir liegen – da sind wir uns alle einig – bei einer Quote von 5 %. Das ist eine gute Quote; es ist die beste Quote bundesweit, aber sie ist noch nicht sehr gut. Das ist sicherlich richtig. In Pforzheim beispielsweise – dort komme ich her – ist die Quote doppelt so hoch; da beträgt sie bei den arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren 10 %.
Da muss man sich die Frage stellen: Woran liegt das? Liegt das an der Wirtschaft? Wenn wir uns die aktuellen Zahlen der IHKs und der Handwerkskammern zum 30. November anschauen, stellen wir fest, dass wir auf der Ebene der IHKs 43 700 Neuverträge haben. Das sind 5,4 % mehr als im vergangenen Jahr. Wir stellen auf der Ebene der Handwerkskammern fest, dass wir zum 30. November 21 254
Neuverträge haben und damit 1,1 % mehr als im Vorjahr. Insofern kann man sicherlich nicht sagen, dass die Wirtschaft versagt. Man kann auch nicht sagen, dass die Landesregierung versagt.
Der Kollege Nemeth hat bereits das Wesentliche ausgeführt: Dieses Jahr ist ein Erfolg. Das Sonderprogramm des Landes für zusätzliche Ausbildungsplätze, gespeist von 2 Millionen € aus dem Landeshaushalt und 1,6 Millionen € aus ESF-Mitteln, hat mehr als 1 000 zusätzliche Ausbildungsplätze erbracht. Auch das Ausbildungsbündnis ist nach wie vor in jedem Jahr ein Erfolg.
Die Vorschläge, die Sie der Wirtschaft und der Politik machen, führen nicht weiter. Die Meldepflicht führt zu mehr Bürokratie, aber zu keinen zusätzlichen Ausbildungsplätzen, weil das Qualifizierungsproblem nicht behoben ist. Das Qualifizierungsproblem ist doch das eigentliche Problem. Wenn wir ausbildenden Firmen bei öffentlichen Aufträgen eine Bevorzugung zuteil werden lassen wollen, führt das auch zu mehr Bürokratie und zu einer Benachteiligung von Existenzgründern und Unternehmen, die sich in einer schwierigen Situation befinden. Deshalb lehnen wir diese beiden Vorschläge klar ab.
Richtig ist, dass mehr als 45 % der Unversorgten Altbewerber sind. Das weist doch darauf hin, dass es nicht das Problem der Wirtschaft ist, sondern dass es ein Problem der Qualifikation, ein Problem der Bildungspolitik ist. Darüber müssen wir diskutieren.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was macht denn da die FDP? Das würde uns interessieren! Was habt ihr denn für eine Problemlösung? – Unruhe bei der SPD)
Wir dürfen nicht mit irgendwelchen Maßnahmen kommen, die der Wirtschaft Daumenschrauben anzulegen versuchen.
es ist auch nicht die Position der CDU, sondern ein Kommentar aus der „Südwest Presse“ vom 14. November 2006 mit der Überschrift: „Das alljährliche Theater“. Ich zitiere:
(Abg. Ursula Haußmann SPD: So kann man seine Redezeit auch rumbringen! – Abg. Stephan Braun SPD: Ist jetzt Lesestunde?)
Die Dramaturgie des alljährlichen Theaters um die Lehrstellen wird auch dieses Mal ebenso exakt eingehalten wie die Rollenverteilung: erst die Vorwarnung im Sommer vor der neuerlichen Katastrophe, dann die Warnung zu Beginn des neuen Lehrjahres im September, und jetzt wird wieder teilweise Entwarnung gegeben. Denn zumindest in Baden-Württemberg ist das Problem Ausbildung nicht so drängend wie andernorts in Deutschland. … Die ständigen Vorhaltungen des DGB, die Firmen kämen ihrer Verantwortung nicht nach, bringen niemand weiter. Auch das ist ein jährlich wiederkehrendes Ärgernis.
Ich füge hinzu: Auch die ständigen Vorhaltungen von denjenigen in diesem Haus, die sich die Argumentation des
DGB zu eigen machen, führen nicht weiter. Vor allem nützen sie den jungen Menschen in diesem Land nichts.