Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Finanzierung von Kindertageseinrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet – Drucksache 14/527
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Wir möchten mit unserem Antrag und auch mit der Debatte heute ein Thema in den Mittelpunkt rücken, das nicht für große parteipolitische Auseinandersetzungen taugt, das aber ein für die Betroffenen sehr ärgerliches Thema ist und auch der Entwicklung einer modernen und auf Kinder und Familie ausgerichteten Gesellschaft durchaus im Wege stehen kann.
Wir verlangen Mobilität und Flexibilität von den Familien und von den Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir halten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den Ausbau der Kinderbetreuung auch als Teil des Bildungssystems für wichtige Zukunftsaufgaben. Gleichzeitig arbeiten wir bei der Finanzierung der Kindertagesstätten mit einem bewährten Schlüssel, der aber dazu führt, dass einzelne Familien vor große Probleme gestellt werden, wenn sie den Wunsch haben, dieser Flexibilität und dieser Mobilität folgend, nicht in ihrer Heimatgemeinde, sondern in einer anderen Gemeinde einen Kindertagesstättenplatz in Anspruch zu nehmen.
Die Zahl der Familien, die ein solches Bedürfnis äußern, wird zunehmen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass man die Kinder immer früher in eine Kinderbetreuung geben möchte. Damit verbunden wird der Wunsch vieler Eltern stärker, ihr kleines Kind nicht in ihrer Heimatgemeinde betreuen zu lassen, während sie selbst 50 km zum Arbeitsplatz fahren, sondern das Kind in der Nähe ihres beruflichen Umfelds in einer Einrichtung versorgt zu wissen – mit der Möglichkeit, dass man, wenn dem Kind einmal etwas zustößt, doch etwas kürzere Wege hat, um informiert und auch einbezogen zu werden. Ich sage das, obwohl es aus pädagogischer Sicht natürlich durchaus wünschenswert wäre – vor allem für die Drei- bis Sechsjährigen –, wenn sie in ihrem Stadtteil ein entsprechendes Angebot vorfinden und dadurch die sozialen Bindungen knüpfen und die Selbstständigkeit entwickeln können, die wir unseren Kindern abverlangen und auch abverlangen sollten.
Eine solche Regelung, meine Damen und Herren, kann von daher nicht Aufgabe jeder einzelnen Gemeinde sein. Eine Gemeinde kann nicht allein darüber entscheiden, wie sie mit einem solchen Wunsch umgeht, sondern eine solche Regelung muss landesweit getroffen werden. Es wäre sogar sinnvoll, sie an den Landesgrenzen auch noch mit den anderen beteiligten Bundesländern abzustimmen; denn da tut sich dann die nächste Ebene der Problematik auf. Wir haben ja in Baden-Württemberg keine Erfahrungen damit. In
Da ist vorgeschrieben, dass sich die Gemeinden verständigen sollen, wie sie die entsprechenden Ausgleiche vornehmen. Der Ausgleich selbst wird dann zwischen den Gemeinden vereinbart.
Wir haben es hier mit einer Verordnung über die Förderung von Kindertageseinrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet zu tun. Wir haben diese Verordnung erst in diesem Jahr verabschiedet und müssen uns jetzt fragen: Ist die Verordnung in der Lage, die Bedürfnisse zu befriedigen und die Ansprüche zu erfüllen? Und vor allem: Ist sie praktikabel für die Eltern?
Da gibt es einzelne Stellschrauben, an denen entlang jetzt diskutiert wird. Ich möchte sie kurz aufzeigen. Ich kenne das auch aus meiner eigenen Kommune.
Es gibt zunächst einmal die Stellschraube Bedarfsplanung. Die Stellschraube Bedarfsplanung wird immer dann ins Feld geführt, wenn es darum geht, ob überhaupt ein solcher Platz zur Verfügung gestellt wird. Es gibt Kommunen, die ihren Trägern die Empfehlung geben, erst einmal nur die Kinder zu versorgen, die aus der eigenen Kommune kommen. Erst dann, wenn sozusagen ein überzähliger Kindergartenplatz da ist und ein Interessent von außerhalb kommt, darf dieser Platz zur Verfügung gestellt werden.
Die Stellschraube Bedarfsplanung wird aber genauso auch bei der Gegenfinanzierung verwendet. Wir haben es jetzt im Land mit Vorgängen zu tun, bei denen Kommunen sagen: „Wir haben eine ausreichende Zahl von Plätzen. Wenn die Eltern wünschen, dass ihr Kind außerhalb versorgt wird, dann wollen wir diese Ausgleichsfinanzierung nicht machen. Das sehen wir gar nicht ein, denn wir haben ja selbst genug Plätze auf unserer eigenen Gemarkung.“
Beide Sichtweisen sind aus Sicht der einzelnen Kommune durchaus nachvollziehbar. Denn zum einen waren es die Kommunen, die die Investitionsmittel voll aus ihrem eigenen Budget zur Verfügung stellen mussten. Zum anderen muss eine Kommune den Rechtsanspruch zunächst einmal für die eigenen Kinder erfüllen und nicht unbedingt für die Kinder aus umliegenden Gemeinden oder aus anderen Bundesländern.
Die Stellschraube Förderhöhe ist in diesem Zusammenhang auch ein Problem. Die SPD hat immer gefordert, hier einen Kostenausgleich in Höhe von 63 % zu verlangen und damit diese Tagesstätten und vor allem diese Plätze – es geht ja oft um einzelne Plätze in Tagesstätten und nicht um ganze Einrichtungen – gleichzustellen mit allen anderen Kindertagesstättenplätzen. In der Verordnung ist nur von 31,5 % die Rede. Das führt dazu, dass in der Gegenfinanzierung dieser Plätze ein Delta entsteht, das von anderswo aufgefüllt werden muss.
In besonders kurioser Weise kenne ich das aus Mannheim von einem Betriebskindergarten. Da gibt es drei verschiedene Kindergruppen, nämlich diejenigen, die aus Mannheim kommen – sie bekommen die normale kommunale und die Landesförderung –, diejenigen, die nicht aus Mannheim, aber doch aus dem Bundesland Baden-Württemberg kommen – sie kommen dann zumindest in den Genuss der Landesförderung –, und diejenigen, die aus benachbarten Bundesländern kommen. In diesem Fall handelt es sich um eine Firma, die sich das leisten kann. Sie gleicht das alles aus.
Ja, das finden wir auch gut, Herr Dr. Noll. Aber es gibt eben auch viele Firmen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die nicht bereit sind, das über eigene Betriebskindergärten auszugleichen. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen dann an dieser Stelle völlig im Regen.
Ich denke, wir sollten diese Diskussion beginnen. Wir sollten uns aber auch darüber im Klaren sein, dass es am Ende nicht auf dem Rücken der Eltern ausgetragen werden darf, wie man diese Finanzierung gegenseitig regelt. Man sollte Eltern nicht das Versprechen geben, dass man auch im Bereich der Kinderbetreuung auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts Rücksicht nimmt, wenn man diese Dinge nicht gleichzeitig so regelt, dass Eltern am Ende die freie Wahl haben, in welchem Kindergarten in welcher Gemeinde sie ihr Kind versorgt wissen wollen. Das tut übrigens auch dem Wettbewerb zwischen den Einrichtungen ein Stück weit gut, was der Qualität sicherlich förderlich ist.
Werte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen die Geschichte, die zur Novellierung unserer Kindertagesstättenverordnung geführt hat.
Mit der Kommunalisierung der Kindergärten – Herr Dr. Mentrup hat es gesagt – wurde eine Bedarfsplanung eingeführt. Die Kindergärten mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet haben als Besitzstand eine Förderung in Höhe von 31,5 % zugesagt bekommen, und zwar nur für den Fall, dass sie nicht in die Bedarfsplanung der Kommune aufgenommen werden sollten.
Jetzt würde ich – ich glaube, diese Ansicht teilen zumindest einige Kollegen aus meiner Fraktion – die Kommunalisierung insgesamt als gelungen betrachten.
Wir haben heute vor Ort ein wesentlich besseres Angebot bei der Versorgung mit Kindertagesstätten als vor der Kommunalisierung.
Moment. Der Umgang mit gemeindeübergreifenden Einrichtungen ist allerdings nicht überall eine Erfolgsstory, Herr Dr. Mentrup; da haben Sie recht.
Ich will noch einmal daran erinnern, wie es war und warum denn die Verordnung geändert wurde. Im alten Kindergartengesetz waren bei der Kommunalisierung 1 100 Kommunen betroffen. Von diesen 1 100 Kommunen haben sich rund 100 geweigert, Kindergartenformen wie Waldorfkindergärten, Waldkindergärten und Ähnliches anzuerkennen. Es wurde neben der Verweigerung der Aufnahme in den Bedarfsplan auch jeder Zuschuss abgelehnt, oder es wurden völlig abstruse Zuschüsse gewährt. Die anteiligen Kosten des Landes wurden aber vollständig übertragen. Die Kommunen haben 394 Millionen € für Kindergartenbetreuung zur Verfügung. Kommunen, die sich damals, vor der Novelle, so verhalten haben, haben letztendlich gegen geltendes Recht verstoßen und haben sich zusätzlich auch ungerechtfertigt bereichert. Denn die Gelder für die freien Träger sind übertragen worden. Sie wurden letztendlich aber nicht an diese Träger ausbezahlt. So weit, so einig.
Der Städtetag und der Gemeindetag haben es daraufhin mit viel Kleinarbeit geschafft – das ist eine sehr große Kraftanstrengung gewesen, es handelte sich um 50 Kommunen –, die Fälle zu lösen. Es ist aber ein Rest von uneinsichtigen Kommunen geblieben, die uns nicht die Chance gegeben haben, die Dinge auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Die Folge war – und darüber reden wir heute – die Novellierung der Kindertagesstättenverordnung, die im Grunde auf der Fassung des Kindergartengesetzes aus dem Jahr 2002 aufbaut.
Ich denke, der Kern des Problem ist nicht die Frage des Finanztransfers von Gemeinde zu Gemeinde. Herr Mentrup, ich glaube, es ist schon der richtige Weg, wenn die Gemeinden miteinander regeln, was sie ausgleichen wollen. Denn es ist wirklich eine kommunale Angelegenheit. Der überwiegende Teil – ich würde sagen, 95 % der Kommunen – hat mit diesem Thema auch überhaupt kein Problem. Wir haben ein zentrales Problem. Es ist egal, ob es ein CDUBürgermeister, ein SPD-Bürgermeister oder einer von den Grünen ist – Anwesende ausgeschlossen.
Wir haben das Problem, dass vielen Gemeinderäten natürlich ihr eigener Kindergarten, ihr Gemeindekindergarten, als eigene Einrichtung eher am Herzen liegt. Das gilt gerade für die Kirchen. Aber die freien Träger, insbesondere dort, wo sie nicht am Ort sind, spielen eine völlig andere Rolle. Die gemeindeübergreifenden Kindergärten sind faktisch und taktisch also in einer schwierigen Situation; das ist uns völlig bewusst.
Mit unserer neuen Verordnung haben wir hier allerdings eine Wende eingeleitet. Wir geben jetzt den Kindern die
Gelder mit, auf die sie Anspruch haben, die sie an Landesmitteln einfordern könnten. Das heißt, dorthin, wo das Kind wirklich in den Kindergarten geht, fließt auch das Geld. Die Kindertagesstättenverordnung sollte eigentlich regeln, wie und in welcher Höhe dieser Geldtransfer stattfindet.
Wir haben nach wie vor Schwierigkeiten, aber natürlich nicht mehr in der Größenordnung, in der in der Vergangenheit die große Diskussion geführt wurde. Nach mir bekannten Zahlen – die gerade einmal zwei Stunden alt sind – geht es um 27 Fälle und um einen strittigen Betrag von 150 000 €. Ich glaube nicht, dass man eine Verordnung infrage stellen muss, weil 27 Kommunen noch nicht verstanden haben, wie die Kindertagesstättenverordnung wirklich funktioniert. Ich glaube, bei Landesmitteln in Höhe von 394 Millionen € 150 000 € strittig zu stellen, ist nun wirklich nicht der Rede wert. Ich hoffe hier wieder auf den Städtetag und auf den Gemeindetag, dass sie diese Kommunen davon zu überzeugen wissen, wie unsere Verordnung gemeint ist und wie sie auszulegen ist.
(Abg. Marianne Wonnay SPD: Aber das hat doch schon vorher nichts genutzt! Das haben Sie doch vor zwei Jahren im Sozialausschuss schon gesagt! Dieselbe Rede! – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)
Die zweite Ebene für die Kommunen, die sich immer noch nicht einig sind, sind die Landkreise als Aufsichtsbehörden. Diese müssen und sollen jetzt endlich eingreifen. Wenn die Verhandlungen des Städtetags und des Gemeindetags zu nichts führen, müssen wir die Landkreise bitten, die hier als obere Rechtsbehörde tätig sind, auf diese Dinge hinzuweisen.
Ich versuche nachher noch darauf einzugehen, warum uns das ein wichtiges Anliegen ist. Mir ist aber ein Satz zum Schluss wichtig: Wenn wir eine Bedarfsplanung machen und die Bedarfsplanung erfüllt ist und ein neuer, zusätzlicher Träger kommt, dann kann es nicht sein, dass dieser mit genau den gleichen Werten gefördert wird wie die Träger, die über viele Jahrzehnte am Ort die entsprechenden Angebote gemacht haben.
Es ist eine Frage der Qualität. Diese Frage haben wir mit der Verordnung beantwortet. Die Eltern haben ein qualitatives und nicht nur ein quantitatives Wahlrecht.
Ich bitte an dieser Stelle den Gemeindetag und den Städtetag – ihre Vertreter sind ja anwesend –, ihre Mitgliedskommunen nochmals darauf hinzuweisen, dass sich die Fragen, die hier in 27 Fällen entstanden sind, lösen lassen sollten, ohne dass wir erneut gesetzlich tätig werden müssen. Das sind wir unseren Kindern schuldig, das sind wir den Eltern schuldig.
Ich glaube, wir haben insgesamt eine sehr gute Entscheidung getroffen, diese Verordnung so, wie sie ist, zu verabschieden.