Protocol of the Session on December 13, 2006

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Dieses Programm zeigt die Hilflosigkeit der Landesregierung in Bezug auf ein zentrales bildungspolitisches Zukunftsprojekt, nämlich die Ganztagsschulen. Zunächst wurde gar nicht reagiert, dann zähneknirschend und jetzt bestenfalls halbherzig, aber auf jeden Fall mit den falschen Instrumenten.

Deswegen lautet mein Fazit: zu wenig Planungssicherheit, zu wenig pädagogische Kontinuität, zu teuer erkauft durch wegfallende Lehrerstellen, überfrachtet mit nicht einlösbaren Ansprüchen, riskant auch für den bildungspolitischen Eigenwert der beteiligten Organisationen und unterfinanziert – mit der Gefahr, Schulgeld durch die Hintertür einzuführen.

Ziel erreicht, Frau Kurtz? Jugendbegleiter können für den Schulalltag eine ausgesprochen interessante Facette sein. Sie dürfen aber nicht zum Ausfallbürgen für notwendiges professionelles Engagement werden, das sich sozialstaatlich finanzieren muss.

(Beifall bei der SPD – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme sofort zum Ende. Lassen Sie mich zu meiner Schlusspassage ansetzen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Jugendbegleiter sind eine Ergänzung. Das muss man aber auch ernst nehmen. Jugendbegleiter sind „Kür“. Bei Ihnen hapert es aber schon bei der Erledigung der Pflicht. Diese Pflicht heißt: Sicherstellung der Unterrichtsversorgung und flächendeckende Einführung einer echten Ganztagsschule.

Wer Ganztagsschulen will, die diesen Namen auch wirklich verdienen, der muss dafür das erforderliche pädagogische Personal zur Verfügung stellen, das Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, dem System entziehen, und zwar kontinuierlich.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erhält Frau Abg. Rastätter.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich den Worten meines Kollegen Bayer eigentlich nahtlos anschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von der CDU: Gut, danke! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Das war der Schlusssatz! – Zuruf von der CDU: Okay! – Gegenruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Die Wahrheit könnt ihr da drüben wie- der nicht vertragen!)

Ich habe aber noch einige weitere Aspekte vorzutragen. Deshalb erlauben Sie mir, dass ich meine Ausführungen fortsetze. Ich setze fort, was Kollege Bayer schon begonnen hat.

Herr Kollege Bayer hat das, was Sie, Frau Kollegin Kurtz, vorgetragen haben, als Lyrik bezeichnet. Ich bezeichne es als pures Wunschdenken, das mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat. Dieses Wunschdenken – dass es so sein müsse – resultiert einzig und allein daraus, dass Ministerpräsident Oettinger vor den Landtagswahlen das Jugendbegleiterprogramm als den großen bildungspolitischen Wurf für die Ganztagsschule aus dem Hut gezaubert hat. Jetzt muss dies ein Erfolg werden, obwohl alles darauf hinweist – auch die Praxis, die es mittlerweile gibt –, dass dieses Modell für die Praxis überhaupt nicht taugt und für die Entwicklung einer Ganztagsschule in Baden-Württemberg absolut kontraproduktiv ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich sind auch wir Grünen für die Öffnung der Schule gegenüber der Gesellschaft. Selbstverständlich stehen auch wir dafür, dass außerschulisch qualifizierte Menschen in die Schulen mit einbezogen werden. Wir sind selbstverständlich auch bereit, Ehernamtliche zu qualifizieren und in die Schule aufzunehmen.

Doch der Kardinalfehler besteht darin, dass für Ihr badenwürttembergisches Modell der Ganztagsschule das Ehren

amt, nämlich die Jugendbegleiter, faktisch die einzige tragende Säule sein soll. Das kann nicht funktionieren. Das überfordert die Schule. Es überfordert die ehrenamtlich Tätigen, die dadurch auch missbraucht werden.

Das wird dazu führen, dass wir das bekommen, was wir jetzt an den Modellschulen finden, nämlich ausschließlich zusammengeschusterte Modelle, die nicht zu einer Verbesserung der individuellen Förderung der Schüler und nicht zu einer neuen Konzeption der Ganztagsschule führen, sondern dazu – und das werde ich Ihnen anhand der Zahlen gleich aufzeigen –, dass man Mütter und Schüler zu billigen Hilfskräften macht. Damit macht man die Ganztagsschule letztlich zu einer Betreuungsschule, was eher in Richtung einer „Verwahrschule“ weist, anstatt gute pädagogische Konzepte umzusetzen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Sie haben ja eine erste Evaluation durchgeführt. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, sehen wir, dass es derzeit an den 232 Schulen 2 736 Jugendbegleiter gibt. Davon sind nur 25 % überhaupt aus Vereinen gewonnen worden. Fast zwei Drittel, nämlich rund 65 %, sind Eltern und Schüler, das sind Mütter, die über die Mittagszeit eine Betreuung machen, die in der Küche helfen. Das sind Schüler, die in der Hausaufgabenbetreuung eingesetzt werden. Die Wirtschaft ist nur mit 3 % im Boot.

Herr Bayer hat bereits gesagt, dass es auch keine geeigneten Konzepte gibt. Die grundlegende Bereitschaft der Wirtschaft ist ja vorhanden, um mit einzusteigen. Die Wirtschaft kann aber nicht selbst die Konzepte machen. Notwendig sind gute pädagogische Konzepte für Ganztagsschulen, die auch Angebote der Wirtschaft in ein Gesamtkonzept mit einbeziehen können.

Da es diese aber nicht gibt, besteht auch aufseiten der Wirtschaft Hilflosigkeit. Ich habe mit den IHKs telefoniert. Sie sagen: „Wir machen Angebote. Aber selbstverständlich können wir dazu keine umfassenden Konzepte liefern.“

Das heißt konkret: Wir haben ein riesiges Problem, ehrenamtliche Kräfte zu finden. Sie sagen, Frau Kurtz, die Sportverbände hätten ein wunderbares Angebot. Der Sportkreis Karlsruhe hat die Landtagsabgeordneten der gesamten Region eingeladen. Dabei wurde uns deutlich gemacht, dass die Sportvereine ihr Ehrenamt für die Angebote der Übungsleiter außerhalb der Schulzeit brauchen, nämlich abends; und nun sollen die auch noch in die Schulen gehen. Der Sportkreis hat uns klargemacht, dass das so nicht funktioniert.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Zu- ruf von der CDU: Jetzt einmal etwas Konstrukti- ves!)

Also noch einmal zusammengefasst: Das Jugendbegleiterprogramm hat einen Kardinalfehler. Es ist nicht geeignet, um qualitativ gute Ganztagsschulen zu entwickeln.

Zweitens: Es werden auch gar nicht genügend Ehrenamtliche gefunden. Schon daran scheitert es.

Drittens: Auf der Strecke bleiben die Schüler, die eine bessere Förderung und bessere Bildungschancen brauchen. Auf der Strecke bleibt die Entwicklung guter Ganztagskonzepte, sprich die Schulentwicklung.

Deshalb sagen wir Grünen: Wir brauchen Lehrerstellen, wir brauchen ein schlüssiges Konzept für die Ganztagsschule, wir brauchen ein rhythmisiertes Angebot für den ganzen Tag. Wir werden uns der Umwidmung von Lehrerstellen für Schulbegleiter deshalb mit allen Kräften widersetzen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich für die FDP/DVP Frau Abg. Dr. Arnold.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu unserer eigenen Haltung zum Jugendbegleiterprogramm etwas sage, möchte ich ein paar Takte zu dem sagen, was wir soeben von der Opposition gehört haben.

Frau Rastätter, Sie sagen, es sei Wunschdenken und würde für die Praxis nicht taugen. Sie haben die Zahlen selbst genannt: Wir haben schon rund 250 Schulen, die sich an diesem Programm beteiligen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Wir haben über 2 600 Jugendbegleiter. Das Interesse an den Schulen ist so groß,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Weil sie nichts anderes kriegen!)

dass das Kultusministerium im nächsten Februar eine zweite Tranche anbietet, damit Schulen an dieser Pilotphase teilnehmen können. Die Schulen haben ein außerordentlich großes Interesse. Das zeigt ja, dass diese Geschichte für sinnvoll gehalten wird.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zweiter Punkt: Es wurde von Ihnen darauf hingewiesen, dass durch die Elternbeiträge, die im Rahmen des Jugendbegleiterprogramms erhoben werden, im Grunde ein Schulgeld durch die Hintertür eingeführt würde. In einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Wenn die Elternbeiträge zu hoch sind, dann werden tatsächlich sozial schwache Familien ausgegrenzt. Das sehe ich genauso. Aber wie sieht die Realität aus? Die muss man auch einmal wahrnehmen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Genau!)

In meinem Wahlkreis in Weinheim gibt es ein schönes Beispiel. Die Karrillon-Hauptschule nimmt als Modellschule teil. Der Rektor hat den Schwerpunkt auf Musik gelegt, weil er völlig zu Recht sagt: „Musizierende Schüler sind grundsätzlich wacher, ideenreicher und genauer.“ Da spielt also die Musik eine große Rolle. Deshalb bietet der Rektor gemeinsam mit der örtlichen Musikschule zusätzlichen Musikunterricht mit Jugendbegleitern in Projektgruppen an.

Hier bekommen Kinder Musikunterricht und sind happy, und zwar Kinder, meine Damen und Herren, deren Eltern sich das normalerweise nicht erlauben können, die sonst im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre gucken würden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Minister Ernst Pfister: Sehr gut!)

So sieht die Realität aus. Ich möchte noch hinzufügen: Der Rektor sagt klipp und klar – das können Sie in der „RheinNeckar-Zeitung“ nachlesen –, Musikunterricht in der Schule für Kinder aus sozial schwachen Familien sei für ihn nur mit dem Jugendbegleiterprogramm und dem hierzu gegebenen Landeszuschuss durchführbar.

(Minister Ernst Pfister: So ist es! – Abg. Christoph Bayer SPD: Traurig! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Eigentlich ist das traurig!)

Zu einem dritten Punkt, der von Ihnen immer wieder herausgestellt wird – dass die Schule entprofessionalisiert werde: Herr Bayer, ich weiß nicht so recht, was Sie eigentlich wollen. Auf der einen Seite wollen Sie mehr pädagogisches Personal, quasi anstelle von Jugendbegleitern, auf der anderen Seite geben Sie ja selbst zu, dass das ein ergänzendes Programm ist.

(Abg. Christoph Bayer SPD: Das ist die zweite Säule! Das habe ich gehört!)