Protocol of the Session on December 7, 2006

Die bestehenden Angebote in Baden-Württemberg sind nicht ausreichend. Wir haben zu wenige Notunterkünfte für Zwangsverheiratete oder von Zwangsheirat bedrohte junge Frauen.

Das sind alles Forderungen der Fachkommission. Es sind übrigens 27 Handlungsempfehlungen, die diese Fachkommission beschlossen hat. Ich bin gespannt, wie im Rahmen

des Maßnahmenkonzepts, auf das in der Stellungnahme zu unserem Antrag verwiesen wird, diese 27 Handlungsempfehlungen konkret umgesetzt werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die CDU-Fraktion erhält Herr Abg. Dr. Schüle das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema „Zwangsheirat und ihre Bekämpfung“ ist über Jahre hinweg unterschätzt worden. Viel zu lange ist dieser krasse Missstand unter dem falsch verstandenen Grundansatz einer hundertprozentigen Respektierung anderer Kulturen übersehen und verdrängt worden, oder man hat einfach weggeschaut. Zu Unrecht! Denn Zwangsheirat – das muss noch einmal deutlich festgestellt werden – ist eine elementare Grundrechtsverletzung und damit auch ein zentrales gesellschaftspolitisches Thema. Die Durchsetzung der Menschenrechte für junge muslimische Frauen, die bei uns leben oder zu uns kommen, gerade in ihrer familiären Alltagswirklichkeit ist ein Kernelement unserer werteorientierten Demokratie. Wenn wir das nicht durchsetzen können, dann haben der Rechtsstaat und unsere Gesellschaft an einer empfindlichen Stelle versagt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Als erstes Bundesland ist Baden-Württemberg schon im Jahr 2003 – immerhin – aktiv geworden. Der Bericht der Fachkommission Zwangsheirat ist, wie ich finde, eine sehr gute zusammenfassende Darstellung der oft sehr brutalen Lebenswirklichkeit junger muslimischer Frauen und zeigt konkrete Handlungsoptionen auf. Die Landesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Antrag der Grünen den Kernbereich noch einmal gut zusammengefasst und herausgearbeitet.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wenig!)

Bundesratsinitiativen sind eingebracht und liegen jetzt dem Bundestag vor. Drei konkrete Beispiele:

Erstens: der neue Straftatbestand Zwangsheirat. Es ist und bleibt eine Kernforderung bei der Bekämpfung der Zwangsheirat, einen eigenen Straftatbestand Zwangsheirat einzuführen, damit ein für alle Mal damit Schluss ist, dass in einigen Milieus immer noch der Eindruck besteht, das sei unter kulturellen oder religiösen Gesichtspunkten eine zu tolerierende Praxis. Die Große Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung das Thema „Zwangsheirat und deren Bekämpfung“ grundsätzlich aufgegriffen. Die Bundesratsinitiative Baden-Württembergs ist im Bundestag eingebracht. Wir sollten gemeinsam dafür eintreten, dass die Schritte, die insbesondere im Hinblick auf das Strafgesetzbuch, aber auch in anderen Bereichen notwendig sind, auf Berliner Ebene so rasch wie möglich umgesetzt werden.

(Beifall der Abg. Veronika Netzhammer CDU)

Das zweite konkrete Beispiel – es ist von der Kollegin Lösch angesprochen worden – ist die Anhebung des Ehegattennachzugsalters auf 18 Jahre. Dies kann einen gewis

sen Schutz im Bereich der Zwangsheirat gewähren, weil die Realität nun einmal darin besteht, dass rund 55 % der zwangsverheirateten jungen Frauen minderjährig sind und teilweise schon siebenjährige Mädchen zwangsverheiratet werden.

Das dritte konkrete Beispiel – es sei stellvertretend genannt – ist, dass das Vorliegen von Deutschkenntnissen bereits vor dem Nachzug nach Deutschland erwartet wird. Das ist eine alte Forderung, die jetzt endlich auch in den Referentenentwurf der Bundesregierung zur zweiten Änderung des Aufenthaltsgesetzes eingeflossen ist.

Letzter Punkt, meine Damen und Herren: All die gesetzlichen Maßnahmen, die notwendig sind und für die wir uns parteiübergreifend einsetzen müssen, reichen alleine nicht aus. Vielmehr hat die Fachkommission zu Recht darauf hingewiesen – und das wird gerade auch von den muslimischen Frauen, die sich in diesem Bereich engagieren, betont –: Wir brauchen auch eine öffentliche Ächtung der Zwangsheirat und eine klare und deutliche Sprache.

Es ist angesprochen worden, dass in den Schulen Aufklärung geleistet werden muss, weil diese oft Anlaufstelle für Betroffene sind, und dass bei Behörden und in vielen anderen Bereichen die Sensibilität erhöht werden muss. Darüber hinaus werden wir das Problem nur dann an seiner Wurzel lösen können, wenn die muslimischen Religionsgemeinschaften und deren Vertretungen auf Bundesebene und Landesebene noch klarer als bisher Stellung zu diesem Thema beziehen.

Klar ist: Es ist nicht nur die muslimische Religion betroffen. Es gibt Einzelfälle, in denen auch andere religiöse Milieus betroffen sind. Dennoch müssen wir mehr Klarheit von den muslimischen Verbänden einfordern. Wer beklagt, wie es manche muslimische Verbände tun, dass es in der deutschen Bevölkerung Vorbehalte gegen den Islam gebe, und gleichzeitig mehr Toleranz in der deutschen Bevölkerung und mehr staatliche Maßnahmen zur Integration fordert, aber selbst keinen entscheidenden Beitrag dazu leistet, dass diese Missstände klar und deutlich genannt und bekämpft werden, der braucht sich über diese Entwicklung nicht zu wundern und hilft vor allem auch nicht den betroffenen Frauen in ihrer konkreten Situation.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Zwangs- heirat hat nichts mit dem Islam zu tun!)

Ich habe ja gesagt, dass es alle Milieus betrifft. Aber zu 95 %, Herr Kollege Kretschmann – das sind die Fakten –, betrifft es den muslimischen Bereich. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das nicht ausschließlich diesen Bereich betrifft. Es hat aber zu 95 % mit diesem Kreis zu tun.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das hat et- was mit der Kultur Anatoliens, aber nichts mit dem Islam zu tun!)

Es wird übrigens von vielen bestritten, dass sich das darauf beschränkt.

So wird z. B. auf der Homepage des deutschen Zentralrats der Muslime mit Links für Buchversandhäuser geworben,

die wiederum für das Buch „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“ von Scheich Al-Qaradawi werben. In diesem Werk steht, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen man Frauen schlagen darf. Solange solche Sachverhalte existieren, sollte man hier mehr Klarheit einfordern, und zwar auch von den Vertretern des Islam und den Imamen in unserem Land. Ich glaube, dass diese Forderung von uns gemeinsam getragen werden sollte, denn da geht es um unsere Grundwerte und unsere Haltung, wie bei diesem Thema zu verfahren ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, ich glaube, das Wichtigste, was von dieser Debatte ausgehen sollte, ist: Es gibt keine Zeit zu verlieren. Das Thema muss von allen Seiten – von der Landesregierung, aber auch von der Bundesebene – vorangetrieben werden. Das ist der entscheidende Punkt. Bitte helfen Sie alle mit.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie der Abg. Christine Rudolf SPD und Winfried Kretsch- mann GRÜNE)

Für die SPD-Fraktion erhält Frau Abg. Wonnay das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute bei einem wichtigen Thema der Frauen- und Gleichstellungspolitik eine große Einigkeit hier im Parlament haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Zwangsheirat stellt eine schwere Menschenrechtsverletzung dar. Es war die UN-Weltfrauenkonferenz in Peking im Jahr 2000, die das erste Mal international darauf aufmerksam gemacht hat, dass Zwangsheirat eine Menschenrechtsverletzung darstellt und diese Form der Gewalt gegen Frauen zu verurteilen ist.

Wir haben insbesondere die Pflicht, junge Migrantinnen vor diesem Schicksal zu schützen. Zwangsheirat ist eine strafbare Nötigung. Schon die rot-grüne Bundesregierung hat das Nötige dazu getan, um diesen Straftatbestand zu verschärfen. Das ist in der letzten Legislaturperiode erfolgt. Im Moment wird – auch aufgrund der Initiative aus BadenWürttemberg, die ausdrücklich zu loben ist – geprüft, ob ein entsprechender besonderer Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden kann.

Sie wissen, dass dazu Anhörungen durchgeführt wurden. Es laufen dazu Verhandlungen zwischen den Innen-, den Rechts- und den Frauenpolitikerinnen. Ich würde mich freuen, wenn wir aus Baden-Württemberg fraktionsübergreifend die notwendigen Signale in unsere Fraktionen im Bundestag schickten, dass wir eine solche ergänzende, verstärkende Regelung in der Bundesgesetzgebung für notwendig halten. Es freut mich, wenn wir dieses Signal heute in großer Gemeinsamkeit in Richtung Berlin schicken.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abge- ordneten der CDU)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns die Empfehlungen der Fachkommission Zwangsheirat anschauen, dann erkennen wir, dass in diesem Bericht sehr deutlich wird, dass das Strafrecht allein nicht ausreicht. Da kommt dann die besondere Handlungsverantwortung des Landes zur Geltung, nämlich dort, wo es um die Hilfs- und Beratungsangebote geht.

Der Bericht der Fachkommission benennt die formaljuristische Verbesserung als den ersten Schritt, dieser Menschenrechtsverletzung zu begegnen. Anschließen müssen sich jedoch eine verstärkte Aufklärung über Rechte der jungen Migrantinnen und Migranten – es handelt sich zum Teil auch um ein Problem junger Männer – sowie entsprechende Hilfsangebote. Denn wer sein Recht nicht kennt, kann es auch nicht durchsetzen.

Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es in der Fläche des Landes Beratungs- und Hilfsangebote gibt und dass das Kooperationskonzept, das im Bereich des Menschenhandels ausgestaltet wurde, auch im Bereich der Zwangsheirat entsprechend ausgestaltet wird. Das heißt, die Tätigkeit unterschiedlicher Behörden, Organisationen, Beratungsstellen, Lehrkräfte muss koordiniert und miteinander vernetzt werden.

Wir wissen, dass die Strukturen und Hilfsmöglichkeiten regional bisher sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Deshalb fordert die Fachkommission Zwangsheirat zu Recht eine zentrale Koordinierungsstelle zum Thema Zwangsheirat und eine besondere Telefonnummer, unter der nachgefragt werden kann, welche Hilfsangebote wo zur Verfügung stehen.

Die Maßnahmen, die Frau Kollegin Lösch und zum Teil auch Herr Kollege Schüle skizziert haben, halten auch wir für die richtigen. Ich sage Ihnen für die SPD-Fraktion zu: Unsere Innenpolitiker, unsere Rechtspolitiker und auch unsere Frauenpolitiker werden alles tun, um dafür zu sorgen, dass die rechtliche Seite weiter präzisiert und weiterentwickelt wird. Aber um in Berlin auch einen nachhaltigen Eindruck zu erzeugen, ist es erforderlich, dass Sie es nicht auf die lange Bank schieben, das koordinierte Paket an Maßnahmen vorzulegen, das Sie im März als Konsequenz aus diesem Bericht der Experten angekündigt haben. Vielmehr muss deutlich werden, dass in der gleichen Konsequenz auch Baden-Württemberg seine Hausaufgaben macht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir auch im Doppelhaushalt feststellen könnten, dass im Bereich der Hilfeeinrichtungen, nämlich der Frauenhäuser, nicht wie in den letzten Jahren immer mehr gekürzt wird, sondern auch dort entsprechende Zeichen gesetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grü- nen)

Tun wir in Richtung Berlin das Notwendige, aber machen wir vor allem in unserem ureigenen Gestaltungsbereich, nämlich im Land, unsere Hausaufgaben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Für die Fraktion der FDP/DVP erhält Frau Abg. Dr. Arnold das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwangsheirat: Was bedeutet das für die Betroffenen, was haben wir bisher dagegen unternommen, und was ist noch zu tun? Diesen drei Fragen will ich mich zuwenden.

Von Frau Wonnay ist zu Recht betont worden: In diesem Haus besteht ein großer Konsens, dass wir bei dem angesprochenen Thema einen immensen Handlungsbedarf haben. Denn, meine Damen und Herren, Zwangsheirat geht uns alle an. Man kann es gar nicht oft genug sagen – deshalb möchte ich es noch einmal mit allem Nachdruck betonen –: Zwangsheirat ist weit mehr als eine kulturelle, private oder religiöse Angelegenheit. Zwangsheirat ist eine Menschenrechtsverletzung und damit eindeutig rechtswidrig.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der Grünen)

Sie verletzt das Recht der Betroffenen auf eine selbstbestimmte Heirat. Sie verletzt ihre persönliche Freiheit, ihre Menschenwürde und auch ihre körperliche Unversehrtheit. Sie verstößt gegen das Grundgesetz und gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte. Frau Wonnay hat es schon angesprochen: Die UNO ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat die Zwangsheirat als die moderne Form der Sklaverei bezeichnet.

(Abg. Christine Rudolf SPD: E i n e moderne Form!)

Meine Damen und Herren, 80 % der Frauen und Mädchen, die z. B. in einer Berliner Einrichtung Schutz vor Zwangsheirat gesucht haben, sind misshandelt oder missbraucht worden. Zwei Drittel dieser Opfer waren minderjährig. Das ist erst die Spitze eines uns in seiner Größe noch völlig unbekannten Eisbergs. Damit erfüllen Zwangsverheiratungen oft nicht nur die Tatbestände der Nötigung, der Freiheitsberaubung, der Körperverletzung und der Vergewaltigung, sondern auch des Kindesmissbrauchs.

Die Folgen einer Zwangsheirat sind drastisch. In der Regel entsteht eine absolute Abhängigkeit vom Ehemann; es folgen Einschränkungen im Lebensstil, der Abbruch einer Ausbildung, Überwachung. Psychische und physische Gewalt sind oft an der Tagesordnung. Und das, meine Damen und Herren, passiert mitten in Deutschland, in unserer Nachbarschaft. Deshalb geht Zwangsheirat uns alle an.

Was ist bisher unternommen worden? Sie haben es dankenswerterweise schon angesprochen. Die Landesregierung ist hier sehr aktiv geworden. Ich möchte dem noch hinzufügen, dass bei diesen Aktivitäten auch die Landesvereinigung Liberale Frauen Baden-Württemberg eine große Rolle gespielt hat. Sie hat das Thema seinerzeit als Erste aufgegriffen. Dankenswerterweise haben sowohl Frau WerwigkHertneck als Justizministerin als auch Herr Professor Goll diese Initiative aufgegriffen. Sie kennen den weiteren Verlauf. Das mündete zum einen in eine Bundesratsinitiative der Landesregierung zur Bekämpfung der Zwangsheirat, das sogenannte Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz, das im Februar 2006 vom Bundesrat verabschiedet worden ist, und zum anderen in die Einsetzung der schon angesprochenen Fachkommission. Die Ergebnisse der Kommission liegen