Protocol of the Session on December 6, 2006

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Aber nicht abzocken!)

Herr Kollege Bullinger, wer das Leben anderer gefährdet, wird nicht abgezockt, sondern durch eine höhere Strafe zur Vernunft gebracht.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Reinhold Gall SPD)

Zweiter Punkt: Wenn es um hohe Geschwindigkeiten geht und wir uns noch daran erinnern, dass es einen DaimlerTestfahrer gab – jedenfalls glauben das die Staatsanwälte –, der mit Tempo 250 auf der Autobahn fuhr und jemanden von der Straße abgebracht und dadurch ums Leben gebracht hat, dann glaube ich schon, dass wir endlich wieder die Frage stellen müssen, warum Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in dem man so schnell fahren darf, wie man es zu können glaubt.

(Beifall bei den Grünen)

Ich behaupte, dass 130 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn völlig ausreichend sind. Es gibt dadurch einen gleichmäßigeren Verkehrsfluss, die Leistungsfähigkeit der Autobahn steigt, und es gibt nicht den, der mit Tempo 200 von hinten mit Blinklicht und Lichthupe anrauschen kann, weil

seine Geschwindigkeit von vornherein auf 130 Kilometer pro Stunde begrenzt wird.

Meine Damen und Herren, dass Sie diese Forderung immer noch nicht aufgegriffen haben, dass Sie immer noch für freie Fahrt für freie Bürger auf Autobahnen plädieren, egal wie viele Menschen dabei ums Leben kommen, ist für mich völlig unverständlich.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Herr Kollege Zimmermann, Sie können 160 Kilometer pro Stunde mit dem Schnellzug ab Kirchheim fahren; wenn Sie rechtzeitig einsteigen, dann geht es. Aber bitte nicht mit dem Auto rasen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich werde das nächstes Jahr machen! Da treffe ich Sie dann nicht mehr im Zug! – Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU)

Dritter Punkt: Noch immer ist es so, dass wir sehr viele Verkehrsunfälle innerorts haben. Etwa die Hälfte der Verkehrsunfälle finden innerhalb geschlossener Ortschaften statt. Da nützt ein Tempolimit auf der Autobahn natürlich nichts. Mann muss aber sehen, wie schwierig es auch heute noch ist, Tempo 30 in Ortschaften durchzusetzen: Die Stadt Reutlingen hat jahrelang, weil die konservativen Fraktionen, die FDP und die CDU, sich dem verweigert haben, verhindert, dass auf dem Vorbehaltsnetz außerhalb der Bundesstraßen Tempo 30 eingeführt wurde. Jetzt ist es endlich geschafft, und siehe da, die Unfallzahlen sind sofort deutlich zurückgegangen. Diese Maßnahme hat Menschenleben gerettet, hat Kindern das Leben gerettet. Ihre Fraktionen in den Gemeinderäten haben sich immer wieder dagegengestellt.

Meine Damen und Herren, ich begreife bis heute nicht, warum es verboten ist, in Ortsdurchfahrten, wenn es auch nur eine Kreisstraße ist, Tempo 30 einzuführen. Ortschaften mit 500 Einwohnern, in denen alle 500 Einwohner der Meinung sind, dass auf ihrer Ortsdurchfahrt Tempo 30 gelten soll, wird dies verboten, weil es sich um eine Kreisstraße handelt. Die Beispiele dafür kennen Sie.

Meine Damen und Herren, wie wäre es mit einer Gesetzesinitiative, den Ortschaften zu gestatten, wenigstens auf Kreisstraßen Tempo 30 einzuführen? Warum muss durch kleine Ortschaften mit Tempo 50 gerast werden? Eine solche Gesetzesänderung hätte etwas mit mehr Sicherheit zu tun.

Deswegen, meine Damen und Herren, finde ich das Thema wichtig. Es freut mich, dass die FDP/DVP das Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Die Auskünfte der Landesregierung enthalten umfangreiches Datenmaterial. Aber es ist nicht damit getan, dass die Landesregierung stolz darauf hinweist, dass sie Trucker-Treffs unterstützt und dies als Präventionsmaßnahme betrachtet; vielmehr müssen ernsthafte politische Anstrengungen zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr folgen. Wir warten auf Ihre Antwort.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Köberle.

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich stelle zunächst einmal eine große Einigkeit in diesem Hause fest: Jeder Tote auf unseren Straßen ist ein Toter zu viel. Das war die Überschrift eigentlich fast jeder Rede. Weil das so ist, meine Damen und Herren, ist die Sicherheit im Straßenverkehr auch für die baden-württembergische Landesregierung ein ganz zentrales Anliegen.

Zum einen wollen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern den größtmöglichen Schutz bei der Teilnahme am Straßenverkehr bieten, und zum anderen sind weitgehend reibungslose Verkehrsabläufe ein wichtiger Standortfaktor für unsere Wirtschaft. In beides, in die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und in die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer, investieren wir deshalb viel Geld und auch viel personelle Ressourcen. Die damit erzielten Erfolge können sich sehen lassen, und zwar im bundesweiten Vergleich, aber auch im europäischen Vergleich. Ein Blick in die Verkehrsunfallstatistik lohnt sich allemal. Er lohnt sich auch deshalb, weil sie ganz konkrete Hinweise auf weiteren politischen Handlungsbedarf geben kann.

Wir haben – die Kollegin Razavi hat es in Zahlen dargestellt – seit Einführung der Verkehrsstatistik, also seit über 50 Jahren, kontinuierliche Rückgänge bei den Todeszahlen, bei den Verletztenzahlen und bei den Unfallzahlen, und zwar bis zu einem Tiefstand im Jahr 2005. Zu dieser erfreulichen und positiven Entwicklung hat unsere bewährte Doppelstrategie ganz wesentlich beigetragen, eine Doppelstrategie von Repression und Prävention: Repression im Sinne von konsequenter und zielgerichteter Verkehrsüberwachung bis hin zu konsequenter Bestrafung und Prävention durch eine breit angelegte Verkehrserziehung, vor allem in unseren Kindergärten und Schulen, bis hin zu wirkungsvollen Abschreckungen aufgrund der Höhe von Sanktionen und Strafen.

Obwohl wir diese Zahlen vorlegen können, besteht für uns weiterer Handlungsbedarf auch deshalb, weil aus momentan noch nicht geklärten Gründen im Jahr 2006 die Zahl der Verkehrstoten wieder ansteigt. Ansätze, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zur Verbesserung bestehen in allen Bereichen, in der Verkehrsinfrastruktur, Herr Kollege Haller, genauso wie bei der technischen Fahrzeugsicherheit und vor allem bezüglich des menschlichen Fehlverhaltens, das für mehr als 90 % aller Unfälle ursächlich ist.

Wir reagieren mit unserer Verkehrssicherheitsarbeit aber nicht nur auf die Unfallsituation, sondern auch auf gesellschaftliche Entwicklungen. Hauptzielgruppen für uns sind in den nächsten Jahren zum einen die jungen Fahrer mit einem außerordentlich hohen Unfallrisiko. Die Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren macht unter 10 % der Verkehrsteilnehmer aus, aber über 20 % der Unfälle ereignen sich mit Fahrern aus dieser Altersgruppe.

Die andere Zielgruppe, die von Jahr zu Jahr zahlenmäßig größer wird und aktiver am Verkehrsgeschehen teilnimmt, sind die Senioren.

(Staatssekretär Rudolf Köberle)

Ich will einen dritten Problembereich nennen: den gewerblichen Güterverkehr, für den im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans bis 2015 eine Zunahme von über 40 % prognostiziert ist.

Unfallursachen sind nach wie vor überhöhte Geschwindigkeit, mangelnder Sicherheitsabstand, Fehlverhalten beim Kreuzen oder Abbiegen sowie Alkohol und Drogen am Steuer. Hier wollen wir mit unserer bewährten Doppelstrategie aus konsequentem und niedrigschwelligem Einschreiten sowie zielgruppen- und ursachenorientierten präventiven Aktivitäten dagegenhalten. Ich komme nachher noch auf ganz konkrete Initiativen – Sie fragten ja danach – zurück.

Zunächst zur Verkehrsinfrastruktur. Lieber Kollege Haller, man sollte Statistiken auch richtig lesen können.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig! Jawohl!)

Nicht bei 16 % der Unfälle liegt die Ursache im Zustand unserer Landesstraßen begründet, sondern bei 16 % von den 8 %, die nicht durch menschliches Versagen bedingt sind.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig! So ist es!)

Wenn wir das einmal auf das gesamte Unfallgeschehen hochrechnen, dann liegt dieser Wert zwischen 1 und 2 % und gilt dann eben auch nicht nur für Landesstraßen, sondern für alle Straßen. Alle Straßen sind mit einem Anteil zwischen 1 und 2 % unfallbedingend.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Das ist nicht wenig! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wie 99 % der Stimmen bei 20 % Wahlbeteiligung! Das muss man auch relativieren! Die Wahl wäre trotzdem ge- wonnen! – Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Es ist schon erschreckend, wenn Sie sich hier vorn hinstellen und sagen, unser Landesstraßennetz sei so desolat, dass 16 % der Unfälle bzw. 16 % der Toten auf diesen Straßenzustand zurückzuführen seien.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Mittel- wert! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Rech- nen zu können ist halt nicht jedermann gegeben!)

Ich will aber auch dazusagen, dass es sehr viele Gründe gibt, aus denen man eine Straße neu bauen oder ausbauen oder verbessern sollte. Dafür gibt es viele Gründe. Für uns ist im Rahmen der Prioritätensetzung der allerwichtigste Grund das Thema Verkehrssicherheit. Das steht bei uns ganz obenan. Wenn wir feststellen, dass eine Straßensituation gefährlich ist und dass sie sich durch Ausbau oder Neubau verbessern lassen kann, dann kommt dieses Projekt vor der Beseitigung einer Stausituation oder vor der Verringerung einer Belastung der Bevölkerung oder vor welchem Grund auch immer an die Reihe.

Uns geht es beim Straßenbau und bei der Verkehrsinfrastruktur aber auch darum, bereits in der Planung alle Aspekte zu berücksichtigen, die zu mehr Verkehrssicherheit

beitragen. Deshalb stehen wir neuen Instrumenten wie z. B. Sicherheitsaudits für Straßenplanungen offen gegenüber und beteiligen uns auch aktiv an deren Einführung.

Wir erwarten ferner vor allem auf den hoch belasteten Bundesautobahnen nachhaltige Verbesserungen durch die bereits installierten und weiter geplanten Verkehrsbeeinflussungsanlagen und Rechenzentralen. Wir haben auch hier ganz wichtige Schritte nach vorn eingeleitet, die Mittel für die kommenden fünf Jahre im Vergleich zu den vorhergehenden fünf Jahren verdreifacht, Personal aufgestockt und auch eine neue Organisationsform geschaffen.

Der zweite Bereich, der zur Verkehrssicherheit beitragen kann, meine Damen und Herren, ist die Fahrzeugentwicklung. Ich glaube, die zurückgehende Zahl der Unfälle und vor allem auch die zurückgehende Schwere der Unfälle sind ganz wesentlich auf die verbesserte Fahrzeugtechnik zurückzuführen. Der bedeutende Anteil, den baden-württembergische Unternehmen an dieser Entwicklung hatten, ist bemerkenswert und wird von der Landesregierung natürlich sehr gern gesehen und auch unterstützt, und zwar bei der Forschung, bei der Förderung und bei der Schaffung notwendiger gesetzlicher Rahmenbedingungen.

Aber trotz allen technischen Fortschritts, meine Damen und Herren, trotz neuester Fahrerassistenzsysteme können wir grundlegende menschliche Verhaltensfehler und physikalische Gesetze nicht ausgleichen. Da sind wir dann wieder bei den eigentlichen Unfallverursachern, nämlich den Verkehrsteilnehmern selbst. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bußgeldkatalog, Straßenverkehrsordnung, Punkte in der Flensburger Kartei – das alles sind keine Schikanen für die Autofahrer und schon gar keine Einnahmequellen für den Staat. Diese Mittel und Regulierungsmöglichkeiten sollen erzieherisch wirken, meine Damen und Herren; sie sollen Fehleinschätzungen, Fehlverhalten und Versagen auf unseren Straßen entgegenwirken.

Ich will nur ein aktuelles Beispiel aus unseren Verkehrskontrollen im Monat Oktober dieses Jahres nennen. Innerhalb von zwei Wochen haben wir mit gezielten Kontrollen bezüglich der Nutzung von Handys durch Fahrzeugführer oder dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurts 14 654 Verstöße feststellen müssen. Aus solchen Verstößen – dem Telefonieren während der Fahrt oder dem Nichtanlegen des Gurts – resultieren oft schwere Unfallfolgen, weshalb wir dieses hohe Kontrollniveau beibehalten werden.

Genauso konsequent gehen wir weiterhin dagegen vor, dass jemand nach Alkohol- oder Drogenkonsum am Steuer sitzt. Die Polizei hat in dieser Hinsicht in den letzten Jahren berechtigterweise einen sehr hohen Kontrolldruck aufgebaut. Wir wollen nicht abwarten, bis ein Unfall passiert, sondern Fahrer, die unter Alkohol oder Drogen stehen, bereits vorher aus dem Verkehr ziehen.

Leider muss man feststellen, dass die erforderliche abschreckende Wirkung von Sanktionen nicht mehr gegeben ist. Im europäischen Vergleich sind wir eindeutig zu milde. Ich unterstütze deshalb ganz entschieden die derzeitigen Bemühungen des Bundes, die Sanktionen für bedeutende Delikte deutlich anzuheben. Es geht vor allem um die Folgen von Fehlverhalten wie Rasen, Drängeln oder Teilnahme am

(Staatssekretär Rudolf Köberle)

Straßenverkehr unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Damit treffen wir nicht die große Mehrheit der Verkehrsteilnehmer, die sich ordnungsgemäß verhält, sondern genau diejenigen, die sich aus Gedankenlosigkeit oder Rücksichtslosigkeit nicht um andere kümmern oder andere sogar gefährden.

Wenn wir durch unsere Kontrollen beim gewerblichen Güterverkehr die schwarzen Schafe herausfischen, tragen wir dazu bei, dass sich unsere rechtschaffenen Speditionen und Transportunternehmen im harten Wettbewerb behaupten können.

(Zustimmung der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Dort herrscht ein gnadenloser Verdrängungswettkampf, den manche dadurch gewinnen wollen, dass sie ohne jede Rücksicht auf die Verkehrssicherheit nur den Profit vor Augen haben. Durch Gewinnabschöpfung werden wir die Hintermänner gezielt dort angehen, wo es weh tut, nämlich beim Geldbeutel und beim Profit.

Im Gesetzgebungsverfahren greifen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz konkrete Maßnahmen auf, die zur Verkehrssicherheit beitragen können. In aller Kürze nenne ich einige wenige Beispiele.

Ganz aktuell ist die Planung eines Überholverbots für Lkw auf zweistreifigen Autobahnen. Das Schauspiel der „Elefantenrennen“ muss endlich beendet werden.

(Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU und Gustav-Adolf Haas SPD)